Moses und Pomp gehen schweigend durch den alten Pflegebereich. „Schon seltsam, oder?“, sagt Pomp.
„Was denn?“ Die alte Station macht Moses immer nervös. Er hat die Hände in den Hosentaschen und spielt mit der Zigarettenpackung.
„Wann waren wir zwei Hübschen denn zum letzten Mal gemeinsam hier?“
„Hier?“
„Na auf der alten Station. Schon scheiße, dass sie die zugesperrt haben, hm?“
„Jaja.“
„Kannst du dich erinnern? Die Partys am Abend, draußen im Hof?“
„Oh ja.“
Pomp sagt: „Kann man nichts machen.“ Er läuft ein Stück vor, erstaunlich sicher, schwankt kaum mehr. „Aber jetzt komm, die Zigarette ruft.“
Moses läuft ihm nach und es fällt ihm nicht leicht, Pomp einzuholen. Sie laufen durch die alte Station, Pomp vorneweg, bis in die Eingangshalle.
Pomp atmet schwer, die Hände auf die Oberschenkel gestützt. „Erster“, sagt er. „Der Siegerpreis ist eine Zigarette.“
Moses hält ihm die Packung hin.
Pomp nimmt eine. „Du rauchst nicht?“
„Jetzt gerade nicht.“
Pomp kramt in seiner Hosentasche und holt ein Feuerzeug heraus, zündet sich die Zigarette an.
„Der Rauchmelder wird losgehen.“
„Ach was, doch nicht hier in der Halle. Aber ich geh schon, ich geh gleich.“
„Nur eines“, sagt er, „es ist wirklich wichtig.“
„Du bist betrunken.“
„Kann sein. Kann sein.“
„Dann sprich.“
„Du hättest“, sagt Pomp, „du hättest es ihr nicht erzählen sollen.“
„Aha?“
„Ja. Es geht um die Geschichte. Erinnerst du dich an Frau E.?“
„Klar.“
„Warum sie mich so gekriegt hat, das war ihre Geschichte.“
„Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.“
„Ich habe sie gekannt, Moses. Und weil ich sie gekannt habe, von früher gekannt habe, weil ich wusste, wer sie war und wie sie war, hat sie mich gekriegt. Du hast sie ja auch besser gekannt. Erinnerst du dich, was wir vor drei Tagen geredet haben? Die letzte gute Patientin.“
„Klar.“
„Dann weißt du es ja. Und deshalb“, er macht eine Pause, holt tief Luft, gestikuliert mit der Zigarette, die ihm dabei fast hinunterfällt, was er nicht einmal registriert, „deshalb hättest du Meta nichts über T. erzählen dürfen. Ohne Geschichte“, sagt Pomp, „wäre er nur irgendein Alter für sie gewesen, schockierend vielleicht, als Anfängerin, du weißt schon, erster Pflegefall, der ganze Scheiß, aber eben nur das.“ „Und du meinst, dann wäre es leichter?“ „Ja.“ Pomp strahlt.
„Hm. Es geht ihr übrigens ganz gut damit, glaube ich. So, wie es jetzt ist.“
„Trotzdem, trotzdem. Die Geschichten, Moses, es sind die Geschichten. Wir sollten weniger Geschichten kennen, dann wäre alles leichter.“
„Finde ich nicht. Und du auch nicht, zumindest nicht bis vor drei Tagen.“
„Nein, nein. Wenn wir niemanden kennen, können wir sie einfach behandeln oder pflegen, und dann gehen wir heim und alles ist wunderbar. Viel besser so.“
„Das war dein Stichwort. Du gehst jetzt nach Hause.“
Pomp schüttelt energisch den Kopf und gestikuliert mit der Zigarette. „Verstehst du nicht? Für uns ist es zu spät. Wir haben schon so viele traurige Geschichten gesammelt, aber für Meta ist es das nicht. Komm“, sagt er, „wir müssen es ihr sagen. Meta muss das wissen.“
Moses schüttelt den Kopf. „Pomp“, sagt er, „du gehst da nicht mehr zurück.“
Pomp will an ihm vorbeigehen, aber Moses legt ihm die Hand auf die Schulter und bremst ihn. „Pomp“, sagt er, „du bist zu betrunken, du gehst sicher nicht mehr zurück.“
„Zu viele Geschichten“, murmelt Pomp, „zu viele.“ „Klar.“ Moses klopft ihm auf die Schultern.
Die beiden stehen schweigend da, Pomp schwankt, raucht, Moses schwankt mit ihm, in der Umarmung, die Pomp erwidert, den Kopf an Moses’ Schulter. „Zu viele“, sagt er, „zu viele.“
„Autoschlüssel“, sagt Moses, „gib mir deinen Autoschlüssel.“
„Nein.“
„Pomp? Dein Autoschlüssel.“
Pomp kramt in seiner Hosentasche. „Schon gut, Mama.“
„Ich ruf dir ein Taxi.“