Moses sitzt auf einem Sessel neben T.s Bett und hält ihm die Hand. T.s Atem geht ruhig, immer wieder seufzt er im Schlaf.
„Siehst du“, sagt Pomp, der mit Meta kommt, „er schläft.“ „Hey“, sagt Moses und lässt langsam T.s Hand los.
„Wie gehts dir?“
„Geht schon. Glaube ich. Wird er –“
„Wahrscheinlich, ja.“
„Besser früher als später, oder?“ Er stellt ein kleines braunes Fläschchen mit weißem Etikett auf den Tisch. „Zehn Tropfen, falls er wieder schreit. Oder einen Schnaps.“ „Danke“, sagt Moses.
„Na dann“, sagt Pomp, „ich bin dann mal weg.“
„Ist es dir egal?“ Moses dreht das Fläschchen. „Wie es ihm geht?“
„Egal nicht“, sagt Pomp, „das nicht.“
„Wie lange noch, glaubst du?“
„Paar Tage vielleicht“, sagt Pomp, „oder Stunden“, dann tippt er sich mit Zeige‑ und Mittelfinger der rechten Hand an die Schläfe. „Hirnblutung.“ Moses wartet, bis Pomp durch die Schiebetüre zum Pflegebereich verschwunden ist, dann räuspert er sich.
„Hör mal“, sagt er zu Meta, „ich –“
„Schon gut.“
„Nein wirklich“, sagt er, „ich möchte mich entschuldigen.“
Meta versucht ein Lächeln. „Moses, es ist alles gut. Oder nicht, aber das hat nichts mit dir zu tun. Hör mal“, sagt Meta, „ich weiß nicht, ob ich das noch eine Nacht schaffe. Mit Herrn T., meine ich.“
„Verstehe ich.“
„Ich bin nicht sicher, dass du es verstehst. In einem Moment denke ich mir, dass er verdient hätte, dass ich … dass jemand für ihn da ist, ihn berührt, gerade jetzt, und im nächsten Moment denke ich, dass er sich das sowas von nicht verdient hat und wieso sich irgendjemand darum scheren sollte, wie es ihm geht.
Weißt du? Wie Pomp.“
„Ich weiß.“
Meta vergräbt das Gesicht in den Händen. „Hat Pomp recht? Stirbt er?“
„Ja. Du solltest nach Hause gehen, ein bisschen schlafen.“
„Moses, ich glaube nicht, dass ich jetzt alleine zu Hause sein möchte.“
„Okay. Aber ruf mich sofort, wenn du mich brauchst, ja?“
„Mache ich.“
„Ein Schluck Tee?“
„Gern.“
Moses geht zur Teeküche und schaltet den Wasserkocher ein. Er stützt sich mit beiden Händen auf die Arbeitsplatte und senkt den Kopf, schließt die Augen, bis das Wasser zu brodeln beginnt, das Gerät piepst.
Er gießt das heiße Wasser in zwei Tassen, legt je einen Beutel Früchtetee hinein und geht zurück zu Meta. Sie sitzt da, mit geschlossenen Augen, und Moses versucht, die Tassen leise hinzustellen.
„Entschuldige“, sagt Moses, „ich wollte dich nicht wecken.“
„Ich habe nicht geschlafen.“ Meta nimmt ihre Tasse. „Oder vielleicht doch.“
Moses wickelt die Schnur des Teebeutels um seinen Finger.
„Er wird der Letzte sein, weißt du“, sagt er.
„Der Letzte?“ Meta nimmt einen kleinen Schluck.
„Der Letzte, der hier sterben wird.“ Moses blickt zur Glastüre, zu den Baufahrzeugen hinaus. „Das wars, dann machen sie uns zu.“
„Und die ganzen Leute?“ „Die werden verlegt.“
„Und du?“
„Für mich wars das dann.“
„Mit dem Heim?“
„Mit dem Beruf.“
„Oh.“
Moses räuspert sich. „Wie geht es dir?“
„Mit was?“
„Na ja“, sagt er, „mit Herrn T. Also damit, was er getan hat.“
Meta überlegt, sieht zu Boden, wo ihr erst jetzt auffällt, dass sie immer noch in Socken ist. Sie bewegt die Zehen. „Seit es ihm schlechter geht, wird es ein bisschen leichter. Und schwerer, auf eine Art. Ist das seltsam?“
Moses schüttelt den Kopf. „Glaube nicht.“ Er blickt auf die Baufahrzeuge. „Manchmal frage ich mich, wie es wäre, wenn da draußen wieder unser Park wäre und drüben unsere alten Stationen … wieder echte Wohnbereiche, mobile Bewohner, freie Betten vielleicht, nicht nur schwere Pflegefälle.“
„Mhm.“
„Na ja.“ Moses klopft sich auf die Oberschenkel.
„Ich sollte weiter.“