Kapitel 2

Es war ein wunderschöner Tag, so richtig zum Spazierengehen. Die Sonne schien hell, aber nicht warm, auf den Hügelspitzen lag ein Rest violetten Lichts. Wenn man in den Himmel aufblickte, schien alles in eine nie endende Helligkeit überzugehen, als könnte man direkt zu den Sternen sehen.

Zweimal innerhalb der letzten drei Wochen war Hanna in der Absicht aus dem Haus gegangen, der Frau in der Hütte Matthews letzte Grüße zu bringen. Das erstemal hatte sie die falsche Straße eingeschlagen und war vier Stunden lang im Kreis gelaufen, ehe es ihr mit Mühe gelang, gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit heimzukommen, das zweite Mal war sie von einem Gewitter überrascht worden. Aber heute herrschte gutes Wetter, und sie befand sich auf dem richtigen Weg.

Am Vortag hatte sie Ned gefragt, wo Lode Cottage läge, und er hatte, nachdem er ihr genau beschrieben hatte, wo sie von der Hauptstraße abzweigen mußte, gefragt: »Weshalb wollen Sie denn zu Sally Warrington?« ‒ »Oh, aus keinem besonderen Grund«, hatte sie ausweichend gemurmelt, auf seinen forschenden Blick hin aber hinzugefügt: »Ich… ich hab eine Botschaft für sie. Sie werden nichts davon sagen, nicht wahr, Ned?« Und er hatte in seiner gewohnten Art erwidert: »Etwas sagen? Weshalb sollte ich?«

Nun konnte Hanna die Hütte bereits sehen, Sally Warrington stand mit einem Eimer in der Hand davor. Auch sie hatte Hanna kommen sehen und wartete offensichtlich auf sie.

»Sind Sie Mrs. Warrington?«

»Ja, die bin ich.«

»Kann ich mit Ihnen reden?«

Hanna sah, wie die Frau überlegte, ob sie ihr antworten sollte oder nicht. Dann meinte sie unvermittelt: »Kommen Sie herein.«

Hanna folgte ihr in die Hütte, und nachdem Sally ihr Platz angeboten und sich selbst gesetzt hatte, versuchte Hanna, ihr nicht in das blauschwarz verfärbte Gesicht zu sehen, das sie ebenso erschreckte wie die tiefe Narbe auf der Oberlippe und die deutlich verschwollene Wange. »Was wollten Sie mir sagen?«

»Ich habe eine Botschaft für Sie von … von meinem Vater.«

Es war das erstemal, daß sie dieses Wort laut aussprach und es fröstelte sie unwillkürlich.

Die Frau hatte den Kopf gesenkt und schwieg. Dann fragte sie kaum hörbar: »Was hat er gesagt?«

»Er… er sagte, daß ich Ihnen dies hier geben soll.« Hanna holte aus der Tasche ihres Umhangs den kleinen Lederbeutel hervor und händigte ihn der Frau aus.

Sally sah ihn lange an, ehe sie ihn nahm. »Was ist darin?« erkundigte sie sich.

»Es ist… es ist Geld. Er dachte, daß Sie es brauchen würden, daß es Ihnen dazu verhelfen könnte, fortzugehen.«

»O mein Gott!« Sally ließ den Beutel in ihren Schoß fallen, bedeckte ihr verunstaltetes Antlitz mit beiden Händen und begann herzzerbrechend zu weinen. »Es war mein Fehler ‒ es war mein Fehler!« stammelte sie, nur mühsam vermochten ihre mißhandelten Lippen die Worte zu formen. »Man sollte ihn dafür aufhängen, jawohl, das sollte man. Es war reiner Mord. Aber wer kann das beweisen? Am Morgen darauf war er längst in Hexham, und wie ich ihn kenne, kann er sicherlich mit Kollegen aufwarten, die das beschwören werden. Ehe er fortging, ist er noch zweimal über mich hergefallen.« Sie betastete ihr striemenbedecktes Gesicht vorsichtig mit den Fingern.

Hanna stand auf, ging auf sie zu, legte den Arm um sie und sagte begütigend: »Nicht, bitte weinen Sie nicht.« Dabei mußte sie selbst weinen, so hemmungslos, wie sie es seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr getan hatte. Um die Frau zu trösten, sagte sie dann: »Er… er hat Sie gern gehabt, er war sehr besorgt um Sie. Es sind zwanzig Sovereign in dem Beutel. Ich … ich glaube, es war alles, was er an Bargeld besaß. Er hat nichts hinterlassen.« Sally schluckte. »Er hat kein Geld hinterlassen?« murmelte sie.

»Nein. Nur das, was an Lohn fällig war. Aber er wollte unbedingt, daß Sie das hier bekommen. Er schien ängstlich darauf bedacht zu sein, daß Sie von hier Weggehen.«

»O Gott, wie recht er hatte! Ach, Kind, der Gedanke, von hier fortzugehen, hat mich keine Minute lang verlassen, das können Sie mir glauben. Aber ich hatte ja keinen Penny. Nicht daß Ihr Vater nicht großzügig gewesen wäre, aber ich selbst war es immer, die nichts nehmen wollte, weil ich fürchtete, daß mein Mann es finden könnte. Deshalb bin ich jedesmal, wenn ich zum Markt, zur Viehausstellung oder zum Ratenzahlen nach Newcastle gefahren bin, zu meiner Schwester Lizzie gegangen und hab ihr gegeben, was ich von ihm bekommen habe, denn sie hat eine große Familie und ist immer knapp dran. Sie hätte mich natürlich jederzeit bei sich aufgenommen, aber mit leeren Händen wollte ich nicht kommen. Jetzt ist das allerdings etwas anderes, jetzt werde ich von hier fortgehen.« Sie drückte den Beutel an sich und meinte gerührt: »Er war ein guter Mann, ein wundervoller Mann. Ich sage es, ohne mich zu schämen: Ich habe ihn geliebt.« Sie stand auf und wischte sich die Tränen ab. »Kann ich Ihnen irgendwas anbieten: Tee, Suppe, ein Glas Milch?«

»Nein, danke. Ich muß wieder nach Hause. Sie werden also zu Ihrer Schwester gehen?«

»Ja, Kind, das tu ich.« Sallys Stimme klang bitter, als sie fortfuhr: »Ich werde keine Zeit mehr verlieren. Noch heute werde ich gehen. Er ist zur Zeit an der schottischen Grenze und kann vor zwei Tagen nicht zurück sein. Wenn ich erst einmal in der Stadt bin, kann ich mich verstecken. Meine Schwester Lizzie wird mich schon irgendwo unterbringen. Jetzt besitze ich genug Geld, um mich so lange durchzubringen, bis ich Arbeit gefunden habe. Ich werde fort sein, noch ehe es dunkel wird. Zu tragen habe ich nicht viel, denn ich besitze außer dem Kleid, das ich am Leibe habe, nur noch eines zum Wechseln, einen Mantel und ein bißchen Wäsche. Vielen, vielen Dank, daß Sie gekommen sind und mir dies hier und die Botschaft von ihm gebracht haben!« Sie schüttelte nun traurig den Kopf und sagte: »Mir tut nur eines leid: Daß ich nicht bei ihm sein konnte, als es mit ihm zu Ende ging, denn sie war ihm sicherlich kein Trost, nach allem, was ich gehört habe. Aber ehe Sie gehen« ‒ sie streckte Hanna die Hand hin ‒, »sagen Sie mir noch, was Sie selbst jetzt anfangen werden.«

»Ich wünschte, ich wüßte es. Ich würde gern eine Stelle annehmen, aber ich bin für nichts richtig ausgebildet. Ich meine, nicht wie Margaret, meine Halbschwester. Sie ist so gescheit und tüchtig und vielseitig. Ich kenne mich fast nur mit dem Haushalt aus.« Hanna lächelte schwach.

»Nun, Kind, so was hilft unsereinem sicher besser weiter als weiß Gott was für spezielle Fertigkeiten. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben. So hübsch, wie Sie sind, werden Sie sicher heiraten, noch ehe Sie sich versehen. Ich hoffe nur, daß Sie einen guten, braven Mann bekommen ‒ so einen, wie Ihr Vater einer war. Leben Sie wohl, Kind.« Sie streckte ihr die Hand hin, und Hanna ergriff sie und drückte sie herzlich. Dann wandte sie sich rasch ab und eilte hinaus.

Langsam ging sie zur Hauptstraße hinunter. Sie konnte verstehen, daß ihr Vater diese Frau geliebt hatte, sie war nett, freundlich und mußte, ehe ihr Gesicht von Hieben entstellt worden war, sehr hübsch gewesen sein. Es war so, wie sie gesagt hatte: In der Stadt konnte man untertauchen. War sie nicht selbst sozusagen untergetaucht, wenn sie am Flußufer dahingewandert war? Gern wäre sie wieder nach Newcastle zurückgegangen, wenn sie nur jemanden dort gekannt hätte ‒ so wie diese Frau jemanden kannte ‒, jemanden, zu dem sie hätte gehen, der sie hätte unterbringen können.

Hanna fühlte, wie die Angst immer mehr von ihr Besitz ergriff. Was sollte mm aus ihr werden? Die Frau hatte gesagt, daß sie bestimmt bald heiraten, einen Mann bekommen würde. Aber sie wollte alles andere als heiraten. Da es nur einen einzigen Mann gab, der ihrem Ideal entsprach und sie diesen Mann nicht haben konnte, wollte sie überhaupt nicht heiraten, nie, sagte sie sich in mädchenhaftem Ungestüm.

Jedenfalls blieb die Frage offen, was sie mm anfangen sollte. Hanna bezweifelte, daß man ihr erlauben würde, weiterhin in diesem Haus wohnen zu bleiben, selbst wenn sie es gewünscht hätte. Etwas braute sich über ihrem Haupt zusammen, sie spürte es mit allen Fasern ihres Herzens.

Während sie abwärts ging, erblickte sie plötzlich Ned, und ihr Herz machte einen Sprung. Sie faßte ihren Rocksaum und lief auf die Straße, wo er sein Leitpony eben angehalten hatte.

»Nun, haben Sie wieder mal einen Ihrer Streifzüge unternommen?« erkundigte er sich.

»Ja, Ned.«

Er sah über ihren Kopf hinweg zum Hügel hinauf und sagte ganz beiläufig: »Waren Sie schon in Lode Cottage?«

»Ja, ich war dort.«

Dabei schaute sie ihn an und ergänzte ruhig: »Ich habe eine Botschaft überbringen müssen.«

»Ach so.« Er nickte ihr zu. »Nun, das ist nur recht und billig.«

»Was meinen Sie damit?«

»Es heißt, daß Ihr Vater keineswegs von Wegelagerern oder Pferdedieben überfallen worden sei. Aber es handelt sich, wie gesagt, nur um ein Gerücht.«

Sie kniff die Augen zusammen, dann fragte sie: »Wo gehen Sie diesmal hin?«

»Ach, das ist ein langer Marsch hinunter nach Westmoreland. Es handelt sich um ein Gut zwischen Hilton und Coupland, so eine Art Privatgeschäft. Das lohnt sich für gewöhnlich am allermeisten. Außerdem bekommt man da abends immer eine Menge zu essen und zu trinken vorgesetzt.«

»Werden Sie lange fortbleiben?«

»Das hängt ganz davon ab, was ich auf dem Rückweg an Pferden auf treibe.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die vier hinter ihm stehenden Ponys. »Man kann bei meinem Geschäft nie im voraus wissen, wo es was zu holen gibt. Jedenfalls kriegt man nichts, wenn man auf seinen vier Buchstaben sitzenbleibt.« Er klatschte sich mit der flachen Hand aufs Hinterteil.

Sie ging auf seinen Scherz nicht ein. Statt dessen hätte sie ihn am liebsten gebeten, sich zu sputen und so rasch wie möglich zurückzukommen ‒ aber das wäre albern gewesen! Die Vorstellung, ihn oben im Pele-Haus zu wissen, half ihr jedoch dabei, sich nicht völlig verlassen zu fühlen. Es war dann, als hätte sie einen großen Bruder, der sie in ihrer Not beschützte.

»Wie geht’s daheim?« fragte er.

»Ach«, sie schluckte, »wie … wie immer.«

»Was werden Sie nun tun?«

Sie sah kopfschüttelnd auf ihre Füße nieder, ehe sie erwiderte: »Ich weiß es nicht, Ned. Ich wollte, ich wüßte es. Ich bin ziemlich ratlos. Mir ist, als wäre ich in einen Strudel geraten.«

»Können Sie schwimmen?«

»Wie? ‒ Nein, ich kann nicht schwimmen«, sagte sie und lächelte schwach.

»Sollten Sie aber, Hanna. Ein Nichtschwimmer ist, wenn er in einen Strudel gerät, nur allzu leicht verloren. Hab ich nicht recht?« Er grinste ihr aufmunternd zu. »Ich finde meine Lage absolut nicht komisch, Ned«, meinte sie mit leichtem Vorwurf in der Stimme und schrak gleich darauf zurück, als er sich ganz plötzlich zu ihr herunterbeugte, bis er beinahe aus dem Sattel glitt.

»Dann sollten Sie was dagegen tun«, brummte er. »Nichtschwimmer klammem sich mit Vorliebe blindlings an den nächstbesten Strohhalm an, statt die Augen aufzumachen und die Arme tüchtig auszustrecken. Dann würden sie nämlich bemerken, daß es ganze Planken in Reichweite gibt. Sie sind kein Kind mehr, sondern eine junge Frau. Und soll ich Ihnen was sagen? Sie sind genauso gefährlich wie feuchtes Dynamit in einer Mine, jawohl. Und wenn Sie nicht bald die Augen aufmachen und sehen, was sich direkt vor Ihrer Nasenspitze abspielt, dann werden Sie untergehen, und Ned wird nicht da sein, um Sie aus dem Wasser zu ziehen… Los, weiter, verdammtes Biest!« Damit ließ er seine Peitsche durch die Luft sausen.

Hanna stand mit offenem Mund da und sah zu, wie die zusammengebundenen Ponys die Straße hinuntertrotteten, sie hörte Ned brüllen und die Tiere anspornen. Was hatte sie getan? Weshalb war er nur so auf sie losgegangen? Zu sagen, daß sie genauso gefährlich sei wie Dynamit in einer Mine… Sie blickte sich um, als könnten ihr die Hügel Antwort geben. Ned und sie waren stets gute Freunde gewesen, er hatte sich ihr gegenüber immer wie ein Bruder verhalten. Was hatte ihn bloß so verärgert? All das Gerede über Nichtschwimmer und sich an den nächstbesten Strohhalm anklammern und untergehen … Sie verstand nun, weshalb manche Leute ihn nicht mochten, wenn er sie derart anfuhr. Schließlich hatte sie ihm keinen Anlaß dazu gegeben, derart aufgebracht zu sein. Sie erinnerte sich daran, daß er sie schon mehrmals unwirsch behandelt, ja sie einmal praktisch aus dem Pele-Haus hinausgeworfen hatte. Es war ungefähr zu der Zeit gewesen, als er hätte heiraten sollen und es dann nicht getan hatte. Vielleicht hatte er auf diesem Gebiet wieder einmal Unannehmlichkeiten. Aber das war noch lange kein Grund, seine Wut an ihr auszulassen! Allerdings benötigten Männer gar keinen Grund, um unwirsch zu sein. Auch Robert war es hier und da, sehr sogar. John hingegen niemals.

Ach, John, John ‒! Seit Tagen sprach er kein Wort mit ihr, und wenn er es tat, geschah es auf beinahe verschämte Art.

Sie drehte sich auf dem Absatz um und schritt heftig aus, jenem Ort zu, den sie immer noch für ihr Heim hielt.

Es war am darauffolgenden Morgen. Betsy überbrachte Hanna den Auftrag, daß sie zum Metzger gehen solle, und zwar allein und auf der Stelle.

Hanna nahm den Bestellzettel aus Betsys Hand entgegen und blickte ihre Halbschwester nur an, sagte jedoch nichts. Sie mochte Betsy ebensowenig wie Betsy sie. Dann ging sie in die Halle, holte sich Cape und Häubchen aus dem Garderobenschrank und schickte sich an, den ihr erteilten Auftrag auszuführen.

Als sie den Laden betrat, waren keine Kunden anwesend. Fred stand mit dem Hackmesser in der Hand vorm Hackblock. Er drehte sich um und begrüßte Hanna mit breitem Grinsen.

»Hallo, Fred. Ich hab eine Bestellung mitgebracht ‒ hier.«

Er nickte und nahm ihr den Zettel aus der Hand. Dann ging er zur Seitentür, riß sie auf und rief nach oben: »Ma! ‒ Ma! Würdest du auf eine Minute herunterkommen?« Während Fred darauf wartete, daß seine Mutter auf der Treppe erschien, wandte er keinen Blick von Hanna. Als Mrs. Loam schließlich den Laden betrat, sagte er, mit einer Kopfbewegung auf Hanna deutend: »Sie ist da. Würdest du dich einen Moment ums Geschäft kümmern?« Die schmallippige kleine Frau, die ein Hauskleid mit engem Miederleibchen trug, sah ihren Sohn daraufhin fest an. Dann trat sie hinter den Ladentisch und sagte: »Also geht nach oben.«

Hanna drehte sich erstaunt um, weil sie meinte, Mrs. Loam spräche zu jemand anderem. »Meinen Sie mich, Mrs. Loam?« erkundigte sie sich verblüfft.

»Anzunehmen. Selbstgespräche führe ich keine.«

»Kommen Sie auf eine Minute mit hinauf, Hanna, ja?« sagte Fred leise und in überredendem Ton. Hanna konnte sich keinen Reim auf das Ganze machen und fragte mit wachsendem Erstaunen: »Weshalb denn?«

»Hat sie Ihnen denn nichts gesagt?« Fred trat auf sie zu. »Ich meine, die Missis.«

»Was gesagt?«

»Du lieber Himmel!« meinte er kopfschüttelnd.

Seine Mutter mengte sich in strengem Ton ein. »Entweder sagst du es ihr hier oder oben, aber bringt endlich hinter dich.«

»Also, kommen Sie mit mir, Hanna.« Damit streckte er ihr seine Pranke entgegen. Hanna ignorierte zwar diese Geste, folgte ihm jedoch und stieg zum ersten Mal die Treppe zu den über dem Laden liegenden Privaträumen empor. Sie hatte keine Ahnung, was er von ihr wollte, und wurde langsam neugierig.

In der Wohnküche angelangt, blickte sie sich erst einmal in dem peinlich aufgeräumten, ungemütlichen Raum um. Erschrocken fuhr sie zusammen, als Freds große, fleischige Hände die ihren ergriffen. Er schaute ihr tief in die Augen und fragte beschwörend: »Wissen Sie es wirklich nicht? Hat sie es Ihnen denn nicht gesagt?«

»Ich verstehe kein Wort.« Hanna versuchte abermals, sich loszumachen, was ihr aber nicht gelang.

»Nun« ‒ er richtete sich auf, trat einen kleinen Schritt zurück und holte tief Luft ‒, »sie hat mir gestattet, um Sie anzuhalten.«

»Was hat sie getan?« Sie riß sich beinahe von ihm los. »Sie wollen um mich anhalten?«

»Tja, genau das.« Seine Miene wurde nun ernst. »Und eine gar so große Überraschung sollte es im Grunde gar nicht für Sie sein. Ich habe in letzter Zeit häufig genug mit Ihnen geredet und gescherzt, ohne daß Sie mich auch nur ein einziges Mal zurechtgewiesen hätten. Im Gegenteil, es schien Ihnen direkt Spaß zu machen, mit mir zu schwatzen ‒ habe ich recht?«

»Aber doch nur … weil Sie mitgeholfen haben, meinen Vater zu finden. Ich war dankbar, weiter nichts.«

»Nun, so hab ich’s absolut nicht aufgefaßt. Jedenfalls hat die Missis gesagt, es ginge in Ordnung, Sie wären mit niemandem verlobt, und meine Ma ist auch einverstanden. Also steht einer baldigen Hochzeit nichts im Wege.«

»Aber wie kommen Sie denn darauf? Das ist ja entsetzlich!« Sie wich nun bis an die Tür zurück. »Das Ganze ist ein Irrtum. Ich … ich kann Sie nicht heiraten, Fred.«

»Und warum nicht?« Sein fleischiger Oberkörper erstarrte geradezu. Dann fragte er abermals, diesmal in deutlich aggressivem Ton: »Warum denn nicht? Meinen Sie etwa, ich wäre nicht gut genug? Lassen Sie sich gesagt sein, daß ich mehr zu bieten habe als die meisten im Dorf. Ich bin ein ziemlich vermögender Mann. Meiner Frau wird es also an nichts fehlen.«

Hanna holte tief Atem und schloß sekundenlang die Augen, ehe sie sagte: »Fred, es tut mir leid. Ich bin völlig überzeugt davon, daß Sie ein ehrenwerter Mann sind, und ich … ich danke Ihnen für das Kompliment, das Sie mir mit diesem Antrag gemacht haben.« Und nun lächelte sie schwach. »Es ist der erste Heiratsantrag, den ich in meinem Leben erhalten habe… und ich bin Ihnen wirklich dankbar dafür. Aber so leid es mir tut, Fred ‒ es geht nicht.«

»Werden Sie ihr das sagen?«

»Ja, natürlich«, erwiderte sie in festem Ton.

»Nun, da möchte ich nicht dabei sein, Hanna, wenn Sie damit herausrücken. Haben Sie denn noch nicht verstanden: Sie will Sie um jeden Preis loswerden. Und wenn es nicht ich bin, wird es jemand anderer sein. Eines dürfen Sie mir jedoch getrost glauben ‒ meiner Meinung nach könnten Sie es schlechter treffen. Jawohl, bedeutend schlechter sogar.«

»Das weiß ich, Fred. Natürlich weiß ich das.«

»Sie haben doch nichts gegen mich, oder?«

»O nein, Fred, ich hab nicht das mindeste gegen Sie.«

»Nun, warum versuchen wir’s dann nicht miteinander? Wissen Sie, was?« Er kam auf sie zu. »Überlegen Sie es sich. Gehen Sie heim und überlegen Sie es sich in aller Ruhe. Ich will bis morgen warten und Ihr Ja oder auch Nein dann als endgültig betrachten. Aber … bevor Sie gehen, möchte ich Ihnen folgendes sagen, Hanna: Ich mag Sie, und ich würde Ihnen ein guter Mann sein, wenn Sie mir eine gute Frau sein wollen. Natürlich ist mir klar, daß meine Ma nicht gerade einfach zu verkraften ist, sie kann einem schon ganz schön zu schaffen machen. Aber ich weiß, wie man mit ihr fertig wird, und ich werde dafür sorgen, daß sie sich nicht einmengt. Was meinen Sie? Lassen wir die Entscheidung bis morgen offen.«

Sie schüttelte den Kopf, dann sagte sie jedoch, von dem einzigen Wunsch beseelt, zu fliehen: »Also gut, Fred. Lassen wir’s offen bis morgen.«

»So ist’s recht, brav, brav.« Als er noch näher kommen wollte, drehte sie sich rasch um, öffnete die Tür und eilte so rasch nach unten, daß sie beinahe über die letzten drei Stufen gefallen wäre.

Noch immer waren keine Kunden im Laden. Mrs. Loam hielt im Schrubben des Hackblocks inne, ließ beide Hände auf der Scheuerbürste liegen, wandte den Kopf und fragte: »Nun?«

Hanna erwiderte nichts, warf nur einen kurzen Seitenblick auf die kleine Frau und rannte aus dem Laden.

Ein paar Minuten später schrie sie im Wohnzimmer von Haus Elmholm der sich vom Sofa steif aufrichtenden Gestalt, die ihr den Rücken wandte, erbost zu: »Das können Sie nicht machen! Sie können mich nicht dazu zwingen, Fred zu heiraten. Sie haben keine Macht über mich. Sie können mich zu gar nichts zwingen, hören Sie?«

Anne Thornton drehte sich um und ging langsam auf die Tür zu. Hanna trat beiseite, in der Erwartung, daß sie zumindest in diesem Moment offen mit ihr reden würde. Als Anne jedoch bloß wortlos das Zimmer verließ, starrte sie ihr entgeistert nach.

Anschließend krümmte sie sich, die Hände unter die Achseln gelegt, nach vom, als hätte sie Schmerzen.

» Sie ist ausgesprochen schlecht ‒ schlecht und gemein!« stöhnte sie. »Das kann sie nicht machen. Ich werde das Haus verlassen, ich werde fortgehen …«

Aber wohin? Zu Ned … natürlich, sie würde zu Ned gehen und ihm alles erzählen. Er würde ihr raten, was sie tun sollte, ihr sagen, welche Rechte sie hatte. Denn mochte ihr Vater auch tot sein ‒ schließlich war das sein Haus. Und sie war immer noch seine Tochter!

Sie wollte sich schon auf den Weg machen, als ihr einfiel, daß Ned ja unterwegs war, weit fort. Nun gut, dann würde sie sich an Margaret wenden. Ihre Halbschwester war ein vernünftiger Mensch, bedeutend reifer, als es ihren Jahren entsprach. Sie würde ihr bestimmt raten können. Margaret war heute in Allendale, sie würde ihr ein Stück entgegengehen.

Als sie sich bereits in der Halle befand, kam Betsy aus dem Arbeitszimmer gelaufen, blieb vor ihr stehen und sagte hämisch: »Mama hat mich beauftragt, dir auszurichten, daß du, wenn du Mr. Loams Antrag ablehnst, das Haus auf der Stelle verlassen mußt. Sie kann es sich nicht mehr leisten, dich noch länger mit zu erhalten.«

Hanna zischte: »Du gräßliches, boshaftes, gemeines Ding, du! Ich weiß nicht, was aus mir werden wird, aber das eine weiß ich: Eines Tages wirst du genauso leben wie sie.« Sie streckte die Hand aus und deutete auf das Arbeitszimmer. »Du wirst genauso einsam und gemieden dastehen wie deine Mutter.« Damit drehte sie sich um und eilte aus dem Haus hinunter ins Dorf.

Manch einer wandte den Kopf nach ihr, nicht weil sie mit beiden Händen die Rockschöße hochhielt, sondern weil sie weder Hut noch Häubchen aufhatte. Das war für die älteren Dorfbewohner dasselbe, als wäre sie nackt dahergekommen.

Sie lief und lief in Richtung Allendale. Erst als sie die Stadt beinahe erreicht hatte, begegnete ihr Margaret, keuchend und weinend fiel sie ihr in die Arme.

»Was ist denn los? Was gibt’s denn, Liebe? Komm und setz dich.« Margaret führte Hanna zu einem Steinmäuerchen am Rand der Straße, nötigte sie zum Sitzen, nahm neben ihr Platz, ergriff ihre Hände und fragte abermals: »Was ist denn geschehen?«

»Sie … sie will, daß ich Fred heirate. Fred Loam! Oh, Margaret, kannst du dir das vorstellen?«

»Aber das ist doch unmöglich!«

»Nicht wahr, Margaret? Ist das nicht grausam?«

Als Margaret nichts darauf sagte, wiederholte sie: »Das ist es doch ‒ grausam. Hab ich recht?«

»Ja, es ist grausam. Und ich kenne Mama, sie tut es mit voller Absicht. Aber Hanna, mein Liebling, letzten Endes könnte es sich als deine Rettung erweisen.«

»Rettung? Was meinst du damit, Margaret? Einen Mann wie Fred Loam zu heiraten?«

»Ich weiß, daß er dir in keiner Weise ebenbürtig ist. Er besitzt wenig Verstand und keinerlei Bildung, aber…«

»Ach, das hat nichts mit Bildung oder Verstand zu tim. Es geht um Fred selbst: Wie er aussieht, wie er redet, wie er sich benimmt.«

»Nun, das meine ich ja, Hanna. Dies alles zusammen bedeutet Bildung.«

Hanna schüttelte den Kopf. »Bildung… Mein Gott, Ned Ridley hat auch keine Bildung, und doch verfügt er über mehr Hirn als die meisten Leute im Dorf zusammengenommen.«

»Ned stellt eine Ausnahme dar. Er ist sehr intelligent und hätte ganz bestimmt etwas aus sich machen können, wenn ihm daran gelegen wäre. Aber im Grunde genommen geht es bei Fred um genau dasselbe Problem, Hanna.« Sie ergriff ihren Arm. »Nur daß in diesem Fall du es wärst, die etwas aus Fred machen könnte.«

»Nein, nein! Ich will nichts mehr davon hören. Weißt du, Margaret, in meiner Verzweiflung hab ich mir unterwegs etwas ausgedacht: Wie wäre es, wenn ich wieder zurück an die Schule ginge und Miß Barrington aushelfen würde, was meinst du?«

Margaret blickte zu Boden und biß sich auf die Lippen. »Und ich war so sicher, daß das ein Ausweg sein könnte…«, murmelte Hanna.

»Ich muß dir etwas gestehen, Hanna«, sagte Margaret zögernd. »Ich werde morgen von daheim fortgehen. Ich … ich hatte vor, dir ein paar Zeilen zu hinterlassen. Ich gehe wieder an die Schule zurück.« Sie blickte nun auf und sah Hanna in die Augen. »Sie wollen mir dafür, daß ich auf die kleineren Kinder aufpasse und überall mit anfasse, wo es gerade nötig ist, Kost und Quartier geben. Aber … aber was ich von den Barringtons nicht wußte ‒ was praktisch keiner weiß ‒, ist, daß sie bitter arm sind und selbst gerade mit Mühe durchkommen. Miß Emily hat mir anvertraut, daß es während der Ferien keinerlei Einkünfte gibt und sie sich äußerst einschränken müssen. Sie verbringen die Zeit damit, Bettwäsche zu flicken und den Haushalt in Ordnung zu bringen. Sie entlassen sogar jedesmal den Gärtner und machen alles selbst. Du siehst also, daß ich sie unmöglich darum bitten könnte, dich ebenfalls aufzunehmen. Das würde eine zu große Bürde für sie bedeuten. Es … es geht einfach nicht, Hanna.«

Hanna stand auf, lehnte sich gegen die Mauer und schwieg geraume Zeit. »Wirst du denn nicht heiraten?« fragte sie schließlich:

»Doch, sobald Mr. Hathaway eine Wohnung findet, die er sich bei seinem bescheidenen Einkommen leisten kann.«

»Weiß jemand Bescheid darüber, daß du wieder an die Schule zurückkehrst? John oder Robert zum Beispiel?«

»Nein, nein! Nur Miß Pearce, der das Schokoladengeschäft in der Stadt gehört. Sie hat Verständnis für mich und mag mich. Außerdem ist sie, wie ich erst kürzlich erfahren habe, eine entfernte Verwandte von Miß Rowntree. Während der letzten paar Wochen ‒ seit Vaters Tod, meine ich ‒ habe ich jedesmal etwas von meinen Habseligkeiten mitgenommen, Kleider, Wäsche und so weiter. Morgen früh werde ich aus dem Haus gehen, noch ehe Mama herunterkommt, ich fahre mit dem ersten Wagen nach Hexham.«

»Was wirst du tun, wenn … deine Mutter dir nachkommt?«

»Oh, das wird nicht passieren. Mama macht sich nur aus einem ihrer Kinder etwas, und das ist Betsy. Vielleicht empfindet sie auch noch ein bißchen was für John, aber dabei handelt es sich höchstens um Stolz, nicht um Liebe.«

Mit traurigem Lächeln lehnte Margaret sich an die Mauer. Sie streckte den Arm weit aus, beschrieb einen großen Bogen und rief: »Ich werde froh sein, dies alles nicht mehr sehen zu müssen. Hügel, soweit das Auge reicht, nichts als Hügel. Wir sind ja geradezu eingeschlossen davon. Einer türmt sich neben dem andern, ob es sich nun um natürliche Erhebungen oder um Abraumhalden des Bergwerks handelt. Da ich hier zur Welt gekommen bin, sollte ich diese Landschaft wohl lieben, und ich will auch gar nicht leugnen, daß die Gegend durchaus reizvoll ist, wenn man was für Schroffheit und Größe übrig hat. Ich für meinen Teil finde sie jedoch wenig anziehend ‒ die Gegend und die Menschen. Mir sind die Leute aus der Stadt lieber, und mögen sie auch aus noch so beengten Verhältnissen stammen, das hab ich dir schon einmal gesagt. Du hingegen« ‒ sie drehte sich um und sah Hanna an ‒, »du liebst die Hügel, stimmt’s?«

»Was? Ja, ich glaube schon.« Hanna nickte matt. »Es gibt hier einige Plätze, wo ich mich gern aufgehalten und sogar richtig frei gefühlt habe.« Sie blickte Margaret ernst an, als sie schloß: »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie mein Leben bei euch zu Hause gewesen ist, Margaret?«

»Nun ja, Hanna, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Aber man kann in den andern nicht hineinsehen, und so habe ich sicher nie ganz begriffen, was du mitgemacht hast.«

»Ich hasse deine Mutter. Weißt du das?«

»Ja, das weiß ich.«

»Früher einmal hab ich mich bloß vor ihr gefürchtet, und der Gedanke daran, sie zu hassen, wäre mir geradezu verrucht vorgekommen, wie eine Todsünde. Bis vor einem Jahr noch habe ich mir dieses Gefühl nicht einmal selber eingestanden, aber jetzt möchte ich es ihr ins Gesicht schreien. Es hat in letzter Zeit Momente gegeben, wo ich sie am liebsten geschlagen hätte ‒ als hätte ich damit erzwingen können, endlich einmal offen mit ihr zu reden, überhaupt mit ihr zu reden! Für sie bin ich das allerletzte: ›das Mädchen‹ eben. Nie hat sie mich anders genannt als ›das Mädchen‹ ‒ als ob ich gar nicht anwesend wäre, als ob sie von jemandem spräche, der tot sei. Oh, ich hasse sie, Margaret, ich hasse sie über alles!«

»Ein Grund mehr, daß du von ihr Weggehen solltest. Es wird auch noch andere Männer geben, die dir einen Heiratsantrag machen, Hanna, aber im Augenblick hat es nur Fred getan. Wenn du ihn abweist, verwirklicht sie vielleicht tatsächlich ihre Drohung und wirft dich hinaus. Und keiner von uns kann sie daran hindern. Möglicherweise würde es Robert versuchen, aber ‒ so leid es mir tut, es dir sagen zu müssen, da du ja soviel von ihm hältst ‒ John würde bestimmt keinen Finger rühren. Was du an John noch nicht entdeckt hast, ist seine Schwäche.«

Die beiden Mädchen schritten schweigend geraume Zeit die Straße entlang, bis Margaret schließlich sagte: »Deshalb fühlt er sich nämlich zu Miß Everton hingezogen ‒ weil sie einen eisernen Willen hat. Und er fühlt sich zu ihr hingezogen, Hanna, glaub mir.« Sie wandte den Kopf und nickte Hanna zu. »Besser, du siehst die Dinge, wie sie wirklich sind, und trauerst nicht um den Verlust von etwas, was du dir nur eingebildet hast.«

Wieder gingen sie schweigend dahin, als handle es sich um einen Spaziergang im Aprilsonnenschein.

»Es ist sonderbar, daß Frauen in wichtigen Entscheidungen immer stärker sind als Männer«, ergriff Margaret abermals das Wort. »Und dennoch müssen sie sich ihnen unterordnen. Wir können keines der Rechte der Männer für uns in Anspruch nehmen, wir sind die reinsten Leibeigenen, aber in vielen Fällen scheint es so, als seien wir glücklich über diesen Zustand. Das macht wahrscheinlich die Liebe. Ich weiß zum Beispiel ganz genau, daß ich über bedeutend mehr Willensstärke verfüge als Mr. Hathaway, und dennoch werde ich mich ihm unterordnen. Neulich erst habe ich mich gefragt, ob ich es vorziehen würde, so zu sein wie Miß Barrington, Miß Emily und Miß Rowntree. Aber ich glaube nicht …«

»Ich schon!« stellte Hanna mit erschreckender Heftigkeit fest. »Schüttle nicht so den Kopf, Margaret. In diesem Moment würde ich mit jeder von ihnen tauschen. Ich möchte nicht heiraten ‒ niemanden! Ich meine es ehrlich. Mir ist durchaus klar, was Ehe bedeutet. Miß Emily hat mir das bei unserem Abschiedsgespräch deutlich gemacht. Dir wird sie vermutlich dasselbe gesagt haben. Man bekommt es da mit Dingen zu tun, die höchst widerwärtig sein können, deshalb sollte man sich vor einer Heirat fragen, ob man sich ihnen aussetzen möchte. Nun, ich habe nicht das Gefühl, daß ich es kann ‒ weder bei Fred Loam noch bei sonst jemandem übrigens.«

»Was willst du also tun?« Margaret war stehengeblieben, und sie sahen einander an. »Du könntest niemals allein in der Stadt leben, Hanna. Ein Mädchen, das aussieht wie du, würde ‒ ob es ihr paßt oder nicht ‒ zur Beute der Männer werden und genauso enden, wie deine Mutter geendet ist. So, jetzt habe ich es einmal ausgesprochen. Es tut mir leid, aber es ist die Wahrheit. Sei bitte nicht gekränkt, ja?« Sie ergriff Hannas Arm. »Und laß dir folgendes gesagt sein: Miß Emily ist eine alte Jungfer, und alte Jungfern wissen nicht Bescheid über das eheliche Zusammenleben. Wie könnten sie auch? Sieh dich doch nur um: Kommen dir die Männer und Frauen, die glücklich miteinander vereint sind und Kinder haben, nicht zufrieden vor? Ich bin sicher, daß es nichts gibt, wovor man sich da fürchten müßte. Miß Emily kann das nicht wissen, weil sie es niemals am eigenen Leib erfahren hat, daß alldies völlig normal ist, weil es eben zur menschlichen Natur gehört… Nimm Freds Antrag an, Hanna. Wenn du ihn heiratest, bist du wenigstens in Sicherheit und ordentlich untergebracht, und es würde jemand für dich sorgen. Ich wage mir gar nicht auszumalen, was mit dir geschehen würde, wenn du meinen Rat nicht befolgst. Denn eins laß dir gesagt sein: Der Haß meiner Mutter dir gegenüber ist so abgrundtief, daß sie es mit dem ganzen Dorf aufnähme, sollte jemand versuchen, deine Partei zu ergreifen. Sie würde in diesem Fall sicherlich vor nichts zurückscheuen, um ihre Handlungsweise gerechtfertigt erscheinen zu lassen, und behaupten, du hättest versucht, deinen Halbbruder zu verführen. Ich bin felsenfest überzeugt davon, daß sie über deine Gefühle für John Bescheid weiß, zumindest bis zu einem gewissen Grad… Heirate Fred, Hanna, und wenn es nur deshalb geschieht, um deinen Namen, unseren Namen, in Ehren zu halten. Ja, heirate ihn.«