II.
AD 3075 – Die Ankunft
Max wusste nicht, wieso er in diesem Moment an seine Schwester denken musste. Jazmin, die in der Schule alle nur Jaz gerufen hatten. Er hatte in seinem Leben mehr oder weniger jeden Rivalen hinter sich gelassen. Dafür hatte er noch nicht einmal seine Ellenbogen einsetzen müssen. Weder in seiner Schulzeit, während des Studiums, noch später beim Militär hatte ihm jemand das Wasser reichen können. Mit Ausnahme seiner großen Schwester, die Einzige, die er kannte, die, nachdem man sie mit einem Stein im Mund knebelte, vermutlich feinen Kies ausspucken würde.
Vielleicht lebte sie ja noch. Dank Raumschiffen, die mit dem Licht um die Wette flogen und Kältebetten, war da einiges möglich. Was er allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen konnte, war, dass er Jaz noch einmal wiedersehen würde. Die USS
London und die USS
Boston hatten die Erde im Prinzip in verschiedene Richtungen verlassen. Wenn sie sich im Alderamin-System aufhielt, dürften sie das am weitesten voneinander entfernt lebende Geschwisterpaar der Menschheitsgeschichte sein. Zudem ging er davon aus, dass Jaz und ihre Crew nicht so unfähig waren, wie Colonel Jorgen Fenech, Erster Offizier und leitender Navigator der USS
Boston. Der Typ hätte es noch nicht einmal geschafft, ohne Hilfe seinen eigenen Arsch zu finden.
»Major Harper!« Die Kommandantin rief seinen Namen, General Lisbeth Matthieu. Sie hatte richtig entschieden, als sie Max ihr Vertrauen aussprach. Seitdem war die USS
Boston mehr oder weniger keine Kreise mehr geflogen. Die Flugbahn sah eher wie eine Ellipse aus, die von einem betrunkenen Schimpansen gezeichnet worden war.
»Ja, Ma’am.« Heute würde es zum Showdown mit seinem Vorgesetzten kommen. Heute, am Montag, dem 6
. Dezember 3075
um 15
:32
Greenwich-Time.
»Haben wir Ihre berechneten Kursdaten einhalten können?«, fragte Matthieu. Eine gefährlich intelligente Französin, die natürlich wusste, wer für ihre Navigationsprobleme in der Vergangenheit verantwortlich war. Sie hielt sich ihre Optionen offen. Fenech stand neben ihr. Auf der Brücke der USS
Boston hätte man eines von Fenechs wenigen Haaren fallen hören können.
»Ja, Ma’am.« Max hatte sich noch nie in seinem Leben bei einer Berechnung geirrt. Er machte keine Fehler, das machten Leute wie Fenech für ihn. Die Sternenkarten von der Erde waren nicht zu gebrauchen. So sah das All abseits des heimischen Sonnensystems nicht aus. Es war nicht nur groß, kalt und meist dunkel, sondern glich auch einer gravitativen Achterbahn. Um wirklich nach rechts zu fliegen, musste man dreimal links abbiegen und zwischendurch einen Purzelbaum machen. Mathematisch war das kaum abzubilden.
»Ich habe mich auf Ihr unorthodoxes Navigationsmodell eingelassen. Deshalb möchte ich mir heute gerne sagen lassen, dass wir 16
Cygni B geortet haben.«
»Natürlich Ma’am.« Nichts anderes würde heute passieren, dessen war Max sich sicher.
»Sonst würde ich wie eine Idiotin aussehen und Sie müssten mit der Zahnbürste die Toiletten putzen!« Sie legte die Beine übereinander und sah Fenech an, der neben ihr stand. Fenech war kleiner als er, älter, mit hoher Stirn und einem ungewöhnlich langen, dünnen Hals – und er war der Einzige an Bord, der Max scheitern sehen wollte. Die restliche Besatzung betete hingegen dafür, dass Max’ Navigationsmodell, das bis auf Vater und er niemand nachvollziehen konnte, sie endlich ans Ziel brachte. 16
Cygni B befand sich im Sternbild Cygnus, war 68
Lichtjahre von der Erde entfernt und bot neben zwei gelben auch einen roten Zwerg. Ein Dreifachsonnensystem, das dennoch einen erdähnlichen Planeten hervorbrachte. Cygnus, ihre neue Heimat, an der Fenech dreimal vorbeigeflogen war. Eine Odyssee, die sie in das Jahr 3075
befördert hatte. Sie verspäteten sich um etwa zweihundert Jahre.
»Das ist nur fair, Ma’am. Aber ich bin optimistisch, dass wir unser Ziel erreichen.«
»Ma’am, das wird nicht funktionieren«, hielt Fenech kühl entgegen. Ein Kerl wie ein Eisschrank. Max hatte keine Ahnung, was seine Frau an ihm fand, die im Gegensatz zu ihm sympathisch war.
»Colonel, ich habe Sie lange gewähren lassen. Leider mit außerordentlich wenig Erfolg. Jetzt ist Major Harper an der Reihe. Wir können uns, im Falle seines Scheiterns, gerne gemeinsam passende Disziplinarmaßnahmen für ihn überlegen, aber heute möchte ich sehen, wo er uns hingeführt hat.« Der General nahm eine große Tasse Milchkaffee, lehnte sich zurück und wartete.
»Das mathematische Navigationsmodell ist irrwitzig. Noch nicht einmal Vater wäre darauf gekommen. Für eine solche Interpunktion gibt es keine Referenzen.« Der Colonel lag nicht nur mit Max im Clinch, mit Vater, ihrer zentralen Bord-KI
, kam er auch nicht klar.
»Colonel Fenech, an dieser Stelle möchte ich höflich einwenden, dass gerade, weil keine Referenzen für diesen Funktionscluster existieren, ich über eine lange Zeit nicht in der Lage gewesen bin, eigenständig unseren Kurs anzupassen«
, erklärte Vater über den Lautsprecher. Die KI
war allzeit präsent, überall und zu jeder Zeit.
Max lächelte und rief neue Daten ab. Mit den Fingern huschte er über seine holographische Arbeitsumgebung. Er hatte sich für viele Aufgaben Makros angelegt. Die kleinen Helfer machten einen langen Arbeitstag leichter. Makros, die inzwischen auch jeder andere auf der Brücke nutzte. Bis auf Fenech, der alles dafür tat, Max loszuwerden. »Vater, wir haben neue Daten von unseren Langstreckensensoren. Ich brauche für aktuelle Berechnungen mehr CPU
-Zeit.«
»Captain Hindley, Captain Okinawa, helfen Sie dem Major, die Daten für die Analyse aufzubereiten«, ordnete Matthieu an. Das waren zwei fähige Datenanalystinnen, Lana Hindley und Yuki Okinawa, die zudem ein Paar waren. Das störte auf der USS
Boston niemanden, vor allem nicht Max, der mit beiden gelegentlich das Bett teilte.
»Bin bereit …« Yuki sah ihn aufmerksam an.
»Ich bilde zwei Streams. Da kommen laufend neue Daten. Yuki, nimm du den Input der primären Sensoren, Lana kann die sekundären Daten strukturieren und an Vater übergeben.«
Der Anflug auf 16
Cygni B würde noch eine Weile dauern. Die
Entfernung betrug immer noch knapp drei Lichttage, das waren um die 78
Milliarden Kilometer. Sie konnten erst nach der Bestätigung des Ziels Umkehrschub geben und die USS
Boston abbremsen. Beim Start hatte das Schiff neun Tage benötigt, um mit 17
g Schub die gewünschte Reisegeschwindigkeit zu erreichen. Das Bremsmanöver würde genauso lange dauern.
»Das ist doch Zeitverschwendung!«, zeterte Fenech und verschränkte die Arme.
»Streams allokiert, verwende das Makro 107
und filtere die Daten. Die Signalqualität liegt bei 99
,97
Prozent.« Das war Lana, die aus Norwegen kam und auch so aussah, blond und groß.
»Vater …«, sagte der General. Alle hoben den Kopf. Jetzt wurde es spannend.
»Empfange die Daten. Bilde Abgleich mit der Referenz. Die Qualität der Daten ist hervorragend. Zwischen uns und dem untersuchten Zielsystem gibt es keine weiteren gravitativen Störungen.«
»Das wird wieder das falsche System sein!«, rief Fenech und warf trotzig die Arme nach oben. »Wir haben vier Fehlanflüge hinter uns, und das wird Nummer fünf werden. Die hätten uns niemals mit solchen Sternenkarten losschicken dürfen.«
»Colonel Fenech, bitte nehmen Sie Platz, trinken Sie eine Tasse Tee und seien Sie still.« Der General machte mit ihm kurzen Prozess.
»Die erste Hochrechnung ergibt eine Übereinstimmung von
67
Prozent. Das System hat drei Sonnen und vier Planeten, aber die Positionen sind nicht akkurat. Einen Moment bitte …«
Max schluckte erneut, das hatte er nicht hören wollen. Colonel Fenech wuchs binnen einer Sekunde um gefühlte zehn Zentimeter. Sein arrogantes Lächeln war nur schwer zu ertragen. Alle sahen zu Fenech, dann zu Max, niemand auf der Brücke wollte, dass er sich geirrt hatte. Die gesamte Besatzung wollte endlich an ihrem neuen Zuhause ankommen.
»Die Daten unserer Sensoren sind absolut korrekt.«
Vater machte weiter. »Die Referenzdaten stimmen nicht. Ich habe die Langstreckendaten, aufgezeichnet auf der Erde, durch das Navigationsmodell von Major Harper korrigiert. Die dabei entstandene Matrix ist zu
99
,
998
Prozent kongruent. Ich bestätige mit einer statistischen Abweichung kleiner
0
,
2
Prozent, dass wir
16
Cygni B anfliegen. Cygnus liegt wie erwartet in der habitablen Zone. Sein Magnetfeld ist intakt, es gibt flüssiges Wasser auf der Oberfläche und die drei Zwergsonnen sowie ein größeres Planeten-Mond-System schützen ihn vor vagabundierenden Meteoriten.«
Max riss die Arme nach oben! Yuki fiel ihm als Erste um den Hals, Lana brauchte nur einen Moment länger. Die Brücke tobte. Sie waren am Ziel. Sie waren endlich am Ziel angekommen! Er hätte nicht glücklicher sein können. Danke Vater, damit dachte er an die Bord-KI
und an seinen Vater Duncan Harper, von dem er so viel gelernt hatte.
»Major, das ist Ihr Verdienst!« General Matthieu stand neben ihm. Sie klatschte. Andere auf der Brücke taten es ihr gleich. Matthieu gab ihm die Hand, nein, sie nahm ihn auch in den Arm. Im Moment lag sich die ganze Brücke in den Armen. Die Freude war unbeschreiblich. Nur Colonel Jorgen Fenech schien den Raum verlassen zu haben.
»Max, das Bier nachher geht auf dich!«, rief Skagen, der leitende Techniker und sein Freund. Skagen hatte mehr Glück gehabt als sein Pendant von der USS
London, der kurz vor dem Start von einem Zivilisten abgelöst worden war.
»War schon klar … erst muss ich euch alle herbringen und dann muss ich auch noch die Runde zahlen. Kein Problem, ich werde dir mehr auf den Tisch stellen, als du vertragen kannst!«
»Das ist ein Wort! Auf dich!«
»Meine Damen, meine Herren! Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Von dem Bier habe ich nichts gehört! Sie kennen die Vorschriften im Umgang mit Genussmitteln an Bord! Bevor Sie also Ihre Karrieren einem billigen Rausch opfern, sollten wir den Landeanflug beginnen!« General Matthieu holte die Crew zurück in die Realität. »Vater, ich autorisiere das L-27
-Bremsmanöver. Ich möchte unsere neue Heimat auf keinen Fall wieder verfehlen.«
Gelächter. Der ging auf Fenechs Konto, jeder wusste, wen sie gemeint hatte. Dennoch wurde es ruhiger, und die Crew bezog wieder ihre Positionen.
»General Matthieu, bestätige Ihre Order. Leite das Bremsmanöver der
USS
Boston ein. Start der Steuertriebwerke in T minus
30
Sekunden. An die Sicherheitsteams, bitte bestätigen Sie, dass sich keine Personen mehr in nicht gegen hohe G-Kräfte gesicherten Zonen aufhalten. Die Schleusen versiegeln sich in T minus
90
Sekunden.«
»Sektor sieben bis zwölf sind gesichert.«
»Eins bis sechs auch …«
Max blieb neben dem General stehen, für den restlichen Weg würden sie keinen Navigator mehr brauchen.
»Sektor 13
bis 18
sauber«, bestätigte der dritte Kommandooffizier. Im Moment war es voll auf der Brücke, sie waren zu elft. Matthieu hatte die gesamte erste Garde antreten lassen.
»Vater, Wendemanöver freigegeben!« Lisbeth Matthieu durfte sich selbst auf die Schulter klopfen, sie war eine hervorragende Kommandantin. Dann sah sie Max an. »Ich bin froh, dass ich Ihnen vertraut habe. Sie haben mich nicht enttäuscht.«
»Danke. Der Erfolg war zu einem großen Teil Ihr Verdienst« Max meinte es ernst. Er wusste, wie wichtig sie für die ganze Mission gewesen war. »Mir ist bewusst, welch schwierige Entscheidung Sie treffen mussten.«
»Start der Steuertriebwerke. Die Drehung des Schiffs hat begonnen. Supraleiter bei sieben Prozent Leistung. Uns fliegt nur wenig Staub entgegen.«
Vater hatte den Rest des Manövers im Griff. Er hätte mühelos einige Kommandooffiziere arbeitslos gemacht, aber das widersprach der Direktive der integrierten Kommandoführung der Flotte. Die Bord-KI
wurde von vielen wie ein weiteres Besatzungsmitglied gesehen.
»Major Harper, Maximilian, ich kannte Ihren Vater persönlich. Ich habe mein ganzes Leben diesem Projekt gewidmet. Es braucht viel Phantasie, um sich vorzustellen, einen Harper bei einem Fehler zu überraschen.«
»Danke.« Dass sie seinen Vater erwähnte, bedeutete Max viel. Inzwischen dürfte er nicht mehr leben.
»Wir versiegeln die Schleusen in T minus
42
Sekunden. In T minus
72
Sekunden starten die Haupttriebwerke. Erbitte Bestätigung meiner Checklisten. Wir werden danach das K-
8
-Protokoll starten.«
»Major, ich gebe Ihnen den Rest des Tages frei. Trinken Sie nicht
zu viel. Wir alle brauchen Sie noch.«
»Ja, Ma’am.«
Eine Stunde später feierte Max mit seinen Freunden, deren Angehörigen und Kindern im Mannschaftskasino. Es ging hoch her. Lana tanzte auf dem Tisch. Mit ihr ihr neunjähriger Junge, der erst auf der Reise geboren worden war. Überall wurde gelacht, und immer wieder klopfte jemand Max auf die Schulter. Jetzt war es Skagen. Bereits zum dritten Mal. Das Bier, bei dem sich Max bisher zurückhielt, hatte Skagen für ihn mitgetrunken.
»Max! Ich bin echt froh, dass du klüger bist, als du aussiehst! Wirklich, das meine ich ernst.«
»Klar …« Max saß am Tisch und hörte zu. Das ging in Ordnung. Bei Skagen hatte, mit 2
,02
Meter Körpergröße und 150
Kilogramm Lebendgewicht, das eine oder andere Bier Spuren an seinen Hüften hinterlassen. Jeder verarbeitete Stress anders. Viele hatten während der Reise Angst gehabt, niemals anzukommen. Deswegen hatte es auch heftige Streitereien gegeben. An dieser Stelle konnten sie sich alle bei ihrem General bedanken. Sie besaß die magische Fähigkeit, aus solchen unterschiedlichen Charakteren wie Fenech, Skagen und ihm ein funktionierendes Team zu formen. Niemand hatte jemals ihre Führungsrolle in Frage gestellt.
»Bist du mein Freund?« Skagen hatte bereits sichtlich Probleme, den Blick gerade zu halten.
»Natürlich.«
»Wirklich?«
»Wenn ich’s dir sage.«
»Dann lass uns trinken!« Skagen griff nach Max’ Glas. »Auf deinen Verstand und meine gute Figur!«
Max ließ ihn gewähren.
»Stell dir mal vor, du sähst so gut aus wie ich!« Skagen strich sich durch seinen Vollbart, rülpste und warf seine schulterlangen Wikingerlocken nach hinten.
»Das wünsche ich mir jeden Tag …« Max nickte Yuki zu, da würde nachher noch mehr laufen.
»Du wärst ein Gott!« Er breitete die Arme aus und zog Lana und Yuki an sich heran. »HÖRST DU
, EIN GOTT
!«
»Major Harper«, meldete ein Kadett. Sofia Fenech, sie war erst neunzehn und beim Start noch ein Kind gewesen. Für ihren Vater konnte sie nichts.
»Ja.«
»General Matthieu bittet Sie auf die Brücke.«
»Sie hat mir für den Rest des Tages freigegeben.« Die Anfrage überraschte ihn.
»Es ist wichtig.«
»Ich habe auch schon zwei Bier getrunken.«
»Sir, das sollte in Ordnung gehen.« Kadett Fenech hatte ihrem alten Herrn bereits in jungen Jahren einiges voraus. Sie passte zur Crew, ihr Vater nicht.
»Ich komme …« Max verließ die Feier nur ungern, aber Dienst war Dienst. »Können Sie mir weitere Details nennen?«
»Ich denke, das möchte der General persönlich tun.« Sofia hielt ihm die Tür auf.
»Wie läuft es zu Hause?«
»Nicht gut … ich bin froh, endlich anzukommen. Ich habe mir immer gewünscht, auf Cygnus drei Sonnen am Himmel zu sehen, sicherlich ein unglaublicher Anblick, aber Sie kennen meinen Vater. Er ist noch missmutiger als sonst.«
»Das tut mir leid.«
»Nun, Ihr Triumph war seine Niederlage. Er sitzt in unserer Kabine und betrinkt sich.«
»Wenn ich helfen kann …«
»Danke, Sir!«
»Major Harper. Hat das Bier geschmeckt?«, fragte General Matthieu mit einem Lächeln im Gesicht.
»Hab erst zwei geschafft …« Max kontrollierte seinen Posten, aber bei der Navigation konnte er keine Probleme erkennen. Die USS
Boston flog mit dem Heck nach vorne und verbrannte mit ihren gewaltigen Antimaterietriebwerken alles, was ihnen entgegenkam. Der Bremsschub betrug das Siebzehnfache der Erdanziehungskraft. Der Auswurf der Triebwerke erstreckte sich über einen halben Lichttag. Dennoch konnte man davon im Schiff nichts spüren. Im gesamten Aufenthaltsbereich der Besatzung wurde mit einem
gegenläufigen Kraftfeld die Wirkung der enormen G-Kräfte neutralisiert.
»Sehr gut.«
»Ma’am, worum geht es?« Bis auf den General, einen Kommunikationsoffizier und ihn war die Brücke leer. Das war ungewöhnlich.
»Wie soll ich es sagen, auf so einer langen Reise kann viel passieren. Ich habe mit Schlimmerem gerechnet. Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, ist das …« Matthieu gab dem Mann an der Funkkonsole, einem Captain, ein Zeichen.
»Unbekanntes Raumschiff! Sie dringen in ein geschütztes Sonnensystem ein! Wir haben das Abtasten Ihrer Langstreckensensoren registriert!«
, erklärte eine Stimme im besten Englisch.
»Wir sind angefunkt worden?« Das konnte Max nicht glauben. Der General wollte ihn auf den Arm nehmen.
»Ja.«
»Ma’am, das ist ein Scherz, oder?« Max schüttelte den Kopf. Wie sollte auf Cygnus jemand leben? Das alleine war schon unglaublich. Und dazu jemand, der Englisch sprach. Er ging nicht davon aus, dass der gemeine Alien das in der Schule lernte.
»Nein, Major, dafür ist die Sache zu ernst.« Sie presste konzentriert die Lippen zusammen. »Wir haben noch mehr.« Sie gab dem Captain ein weiteres Zeichen.
»Unbekanntes Raumschiff! Sie dringen in ein geschütztes Sonnensystem der Föderierten Erdkolonien ein! Verringern Sie umgehend Ihre Geschwindigkeit oder ändern Sie Ihren Kurs! Wir sehen in der Größe Ihres Schiffs und der von uns registrierten Geschwindigkeit eine potenzielle Gefahr für unser gesamtes Sonnensystem! Wenn Sie nicht reagieren, starten wir notwendige Maßnahmen zum Selbstschutz!«
»Bitte was? Föderierte Erdkolonie?«
»Major, Sie haben richtig gehört. Das hat dieser Mensch wirklich gesagt.«
»Ist er ein Mensch?« Max rieb sich den Mund. »Sie denken, dass Cygnus bereits von Menschen bewohnt wird?«
»Genau diesen Schluss muss ich ziehen.« Zudem zeigte sie auf ein Emblem auf der Brücke: USS
Boston. »Major, unser Problem ist, dass sie nicht zu wissen scheinen, wer wir sind. Die erwarten uns nicht, sondern halten uns sogar für eine Bedrohung!«
»Vater?«
»Ich muss den Überlegungen des Generals beipflichten. Ich kann keine bessere Erklärung liefern. Wir können davon ausgehen, dass unsere Abtastsignale zeitgleich mit deren eigenen Langstreckeninformationen wahrgenommen wurden. Die kennen unsere Schiffsmasse und Geschwindigkeit.«
»Sind wir denn eine Gefahr für sie?«
»Nach einer ungebremsten Kollision der
USS
Boston mit deren Sonne, oder auch einem Planeten, würde das gesamte System kollabieren. Das ist eine Gefahr.«
»Wir müssen kommunizieren!« Das war der einzige Weg. »Vater, hast du denen schon unsere Kennung gesendet?«
»Bereits erfolgt … wir werden auf eine Antwort warten müssen. Auch wenn wir ihnen entgegenfliegen, beträgt die Signalverzögerung mehr als
36
Stunden.«
»Welche Botschaft für die Mannschaft halten Sie für sinnvoll?« Eine Frage, die Matthieu ihm nicht stellen musste. Das war ganz allein ihre Entscheidung.
»Ma’am. Die Wahrheit. Die Party ist vorbei. Wir müssen die gesamte Crew wieder auf ihren Positionen einsetzen. Ich empfehle, dass wir das Schiff auf alle Eventualitäten vorbereiten, auch auf ein Gefecht. Zusätzlich sollten wir weitere Besatzungsmitglieder aufwecken.«
»Major, ich schließe mich dieser Vorgehensweise an. Vater, wir geben Gefechtsalarm. Wir müssen zwangsweise von einer Gefahr für das Schiff ausgehen!«
Max stutzte, er hatte General Matthieu nichts erzählt, was sie nicht bereits wusste. Das war eine Prüfung gewesen. Sie hatte nur seine Entscheidung in einer Stresssituation hören wollen.
Er legte das Gesicht in seine Hände. Die zwei Bier hatten ihn nicht umgehauen, spüren konnte er sie dennoch. Das musste man sich einmal vorstellen, sie flogen ein von der Erde 68
Lichtjahre entferntes Dreifachsonnensystem an und mussten bei ihrer Ankunft feststellen, nicht die Ersten zu sein.
»General Matthieu, das Schiff wird in fünfzehn Minuten gefechtsbereit sein!«
»Vater, gib ihnen zwei Stunden. Die Crew sollte genug Zeit für eine große Tasse Kaffee, eine Dusche und eine frische Uniform haben.« Sie setzte sich auf ihren Kommandosessel. »Major Skagen Muller möchte ich erst in zwölf Stunden wiedersehen. Vorher ist er zu nichts zu gebrauchen.«
»Selbstverständlich.«
»Habe ich etwas vergessen?«
»Colonel Fenech …«
»Säuft er wieder in seiner Kabine?«
»Wodka.«
»Lass ihn dort … wir brauchen ihn nicht. Ein Arzt soll ihn beobachten. Ich möchte nicht, dass ihm etwas zustößt.«
»Das würde seine Privatsphäre verletzen …«
»Das ist besser, als ihn nachher erstickt in seinem Erbrochenem aufzufinden.«
»Ich werde dem Arzt die Überwachung erlauben.«
Lisbeth Matthieu hatte ihm noch nie so offen Einblick in ihre Gedanken gewährt. Sie wusste ganz genau, was sich auf dem Schiff abspielte. Sie griff allerdings nur ein, wenn es nicht mehr anders ging.
Max verabschiedete sich von der Brücke. Die Zeit für eine Dusche und eine frische Uniform wollte auch er gerne in Anspruch nehmen.