IV.
AD 3075 – Diskussionen
Siebenundzwanzig Stunden später. Max war müde, leider war an Schlaf nicht zu denken. Die Nachricht über einen Funkkontakt mit Cygnus hatte die Phantasie der Crew schneller als ein Buschfeuer in Brand gesetzt. Es gab kein anderes Thema. Jeder sprach darüber, und die wildesten Theorien zirkulierten. Ein Drittel hielt die Story nur für ein Manöver, mit dem Vater und General Matthieu die Crew daran erinnern wollten, nicht die Beine hochzulegen. Eine weitere Gruppe votierte für die Alien-Variante, wobei keine Einigkeit darüber bestand, wie die Viecher ihre Sprache hätten lernen sollen. Der Rest war felsenfest davon überzeugt, dass sich nur jemand einen dummen Scherz erlaubte. An die Möglichkeit, dass bereits Menschen auf Cygnus lebten, glaubte kaum jemand.
»Major Harper, geben Sie mir ein Update!« General Matthieu saß direkt hinter ihm.
»Wir halten den Kurs. Es gibt keine Abweichungen. Das Schiff verringert wie geplant seine Geschwindigkeit.« Das hätte sie auch von den Bildschirmen ablesen können. Beim Bremsmanöver des Schiffs gab es keine Probleme. Die Technik war zuverlässig. Lana Hindley an seiner linken Seite gähnte, die meisten machten einfach ihren Job.
»Vater, die Integrität des Schiffs?«
» 99 . 94  Prozent … es gibt keine kritischen Probleme. Wir könnten höchstens das Casino streichen lassen.«
»Bleib bei der Sache!«, ermahnte Matthieu die Bord-KI , die gelegentlich denselben Humor zeigte wie Max. Das war schräg, manchmal glaubte er, in Vater einen Seelenverwandten zu erkennen. Eine fixe Idee, das wusste er selbst.
»Captain Hindley, haben aktuelle Scans neue Informationen ergeben? Was ist mit Cygnus?« Lisbeth Matthieu sah nicht gut aus, ihr stand der Schweiß auf der Stirn, obwohl es auf der Brücke nicht warm war. Das fiel Max heute nicht zum ersten Mal auf.
»Das Bild verfestigt sich. Der Planet erlaubt Leben. Alles ist wie erhofft. Wir können inzwischen sogar ein binäres Grundrauschen wahrnehmen. Dort gibt es definitiv eine Zivilisation, die digitale Technologien benutzt.«
»Major Harper, Sie haben die Brücke!« Der General stand auf. Sie schwankte kurz.
»Ja, Ma’am.« Er sah ihr nach. Was er sah, gefiel ihm nicht. Sie wirkte krank. Das Einzige, was ihm noch weniger gefallen hätte, wäre Colonel Fenech auf ihrem Sessel sitzen zu sehen.
»Max, was läuft hier?«, fragte Lana, die den ersten Moment ohne den General nutzte, um ihn anzusprechen.
»Cygnus ist offenbar bewohnt …« Das sollte doch inzwischen jeder bemerkt haben.
»Max, ich meine unsere Kommandantin!«
»Das ist …« Er stockte.
»Fenech liegt besoffen in seiner Kabine, und der General kann kaum noch auf den Beinen stehen!«
»Captain Hindley, darf ich um etwas Haltung bitten?« Bei aller Zuneigung zu Lana, so durfte sie vor anderen nicht mit ihm sprechen. Die Reise nach 16  Cygni B war eine militärisch geführte Operation. Sie waren weder eine Reisegruppe noch eine Schulklasse auf Exkursion.
»Ja, SIR
»Für alle! Ihr kennt die Regeln! Halten wir uns dran!«
Grummeln. Niemand auf der Brücke zeigte sich glücklich mit seiner ausweichenden Antwort.
»Sir.« Der Funker sah ihn an, Second-Lieutenant Stan Karpow, auch jemand von den jungen Offizieren, der beim Abflug noch ein Kind gewesen war. »Darf ich frei sprechen?«
»Natürlich.« Vor vier Jahren hatte Max ihm noch gezeigt, wie man sich rasierte, ohne sich versehentlich wichtige Körperteile abzutrennen. Sie kannten sich alle.
»Sir, General Matthieu ist offensichtlich krank. Ich denke, ich spreche für die ganze Crew, wenn ich sage, dass wir nicht Colonel Fenech dort sitzen sehen möchten.«
»Second-Lieutenant! Sie vergreifen sich im Ton! Ich habe Ihre Andeutung überhört!« Max ermahnte Stan nicht gerne, aber ansonsten würde das auf dem Schiff nicht funktionieren. Man stellte keinen höheren Offizier öffentlich in Frage. Auch wenn Stan natürlich recht hatte und niemand Fenech als Kommandanten haben wollte.
»Ja, Sir. Ich bitte um Entschuldigung, Sir!«
»Major, eine zweite Crew steht bereit, um die Wache auf der Brücke zu übernehmen. Es wird noch Stunden bis zur Ankunft dauern. Ich denke, dass …«
»Danke, Vater. Das denke ich auch. Wir brauchen alle eine Auszeit. Sie werden jetzt zu Ihren Kabinen gehen und mindestens sechs Stunden schlafen! Das ist ein Befehl!«
Max hatte die Brücke verlassen, Vater würde die neue Brückencrew einweisen. Es waren nur drei Leute. Yuki, die zuvor eine Pause gemacht hatte, und zwei Rookies. Im Moment passierte nicht viel. Die Leute auf Cygnus hatten offenbar das Einleiten des Bremsmanövers bemerkt und auch, dass die verbleibende Wegstrecke dafür ausreichte. Es herrschte Funkstille.
»Vater, wo ist General Matthieu?« Max musste umgehend mit ihr sprechen.
»Auf der Krankenstation.«
»Wieso weiß ich davon nichts?« Max hörte Vaters Stimme über ein Interkom-System, das hinter seinem Ohr klebte. Er konnte mit diesen komischen modernen Dingern, die man unter die Haut implantierte, nichts anfangen.
»Sie hatte mich darum gebeten …«
»Vater, jeder auf dem Schiff weiß von ihrer Krankheit.« Genauso wie von Fenechs kleinem Alkoholproblem oder Skagen Mullers grenzenloser Partywut.
»Das stimmt.«
»Was hat sie?« Das wusste Max nicht.
»Sie bat mich …«
»Vater, es geht um die Sicherheit des Schiffs. Ich muss sofort mit ihr sprechen!«
»Ich frage sie …«
»Danke.« Max ging dessen ungeachtet weiter in Richtung Krankenstation.
»Sie wird mit Ihnen reden.«
Max war an der Krankenstation angekommen. Ein kleines Mädchen, Sue, erst zwei Jahre alt, fuhr ihm mit einem Dreirad über die Füße. Sie war die Tochter der Navigatorin einer anderen Crew, die wegen des Kindes die Schicht gewechselt hatte. In den ersten drei Lebensjahren legten sie keines der Kinder in den Kälteschlaf. Medizinisch gab es dafür keinen Grund, die Mütter wollten es so, und Matthieu hatte diesen Wunsch akzeptiert.
»Yeaaahhh!« Die Kleine raste weiter. Max blieb stehen und genoss, ohne einen Ton zu sagen, den nachlassenden Schmerz.
»Bitte … General Matthieu empfängt Sie jetzt« , erklärte Vater und öffnete eine automatische Tür.
»Major Harper.« Der General saß im weißen Kittel aufrecht im Bett. Die Matratze stützte ihren Rücken. Es gab nichts, was sie ohne Würde tat. An ihrem linken Arm konnte er einen Zugang erkennen.
»Mein Gesundheitszustand ist nicht gut«, kam sie ihm zuvor. Bisher hatte sie ihre Probleme nie offen mit ihm besprochen. Wozu auch, er war nur die Nummer vier in der Befehlskette. Vor ihm befanden sich neben Colonel Jorgen Fenech auch der leitende Schiffsarzt, ebenfalls ein Colonel.
»Ma’am, was haben Sie?« Er ging näher an das Bett heran. Matthieu war inzwischen bereits zweiundsechzig. Die Reise hatte ihre früher roten Haare grau gefärbt.
»Krebs. Wir dachten, es in den Griff bekommen zu können. Die medizinische Behandlung hat mir Jahre geschenkt, aber nicht die Ewigkeit. Der Doktor wollte mich bereits dienstuntauglich schreiben, aber ich habe es ihm verboten.«
»Oh …« Max spürte den Kloß in seinem Hals. Etwas zu ahnen bedeutete nicht, es auch zu wissen. »Das tut mir leid.«
»Das muss es nicht. Der Tod gehört zum Leben dazu. Der Arzt hat mir heute klargemacht, dass er mir keine höhere Medikation geben wird. Ich würde jetzt bereits ein extrem hohes Schlaganfallrisiko in Kauf nehmen. Er hat mir auch empfohlen, meine Nachfolge zu regeln.« Sie lächelte.
»Es geht um Colonel Fenech, richtig?«
»Jorgen ist ebenfalls krank. Ich habe heute Vater den Befehl übermittelt, Colonel Jorgen Fenech abzulösen. Nein Max, ich möchte, dass Sie meinen Posten übernehmen.«
»Oh …« Damit hatte er nicht gerechnet, nicht heute, nicht kurz vor ihrer Ankunft.
»Major Maximilian Harper, ich befördere Sie zum Colonel. Sie werden zudem die Kommandantur der USS Boston kommissarisch übernehmen. Max, ich übergebe Ihnen das Schiff. Vater wird umgehend die Codecs auf Sie schlüsseln.«
»Ich danke für Ihr Vertrauen.«
»Nehmen Sie die Beförderung und das Mandat an?«
»Ja, Ma’am.« Max hatte sich diesen Karriereschritt immer gewünscht, wollte ihn aber nicht auf diesem Weg erreichen. Nicht über die medizinische Notlage einer respektierten Vorgesetzten.
»Colonel Harper, ich danke Ihnen. Ich werde dazu gleich eine Durchsage machen und meinen Rücktritt bekannt geben.«
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«
»Nur raus damit!«
»Ma’am.«
Sie lächelte. »Lisbeth. Sie sind jetzt der Kommandant.« Führungsstärke bedeutete auch, den Stab weiterzugeben, wenn es an der Zeit ist.
»Warum kurz vor der Ankunft auf Cygnus?« Max verstand, warum sie nicht früher handeln konnte. Wenn er sich bei der Navigation geirrt hätte, hätte sie unmöglich Fenech und den Schiffsarzt in der Hierarchie übergehen können. Aber warum gerade jetzt? Die Ankunft der USS Boston auf Cygnus stand kurz bevor.
»Colonel, was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl?«
»Wir werden Ärger bekommen …« Max hatte nach den jüngsten Ereignissen nicht den Eindruck gewonnen, nachher einige ruhige Stunden erleben zu dürfen.
»Warum?«
»Da ist etwas schiefgelaufen.« Seine Augen wurden schmaler. »Die USS Boston war beim Start das modernste Raumschiff der Menschheit. Vermutlich wurden wir während des Flugs technologisch überholt.«
»Das sehe ich auch so. Die haben uns nicht erwartet, und ich werde das Gefühl nicht los, dass die uns auch nicht gebrauchen können. Wir sind wie eine Tante, die jahrelang niemand gesehen hat und die jetzt ungebeten zum Essen auftaucht.«
»Ich werde wachsam sein.«
»Colonel, die Crew und das Schiff brauchen jemanden, der dieser Aufgabe gewachsen ist. Ich glaube an Sie und lege das Wohl der Crew, ihrer Angehörigen und auch mein Leben in Ihre Befehlsgewalt.« Max nahm Lisbeths Hand, er hatte dieser Frau viel zu verdanken. Er bedauerte zutiefst, ihr nur so wenig zurückgeben zu können.
Acht Stunden später. Alles hatte sich verändert. Das neue Rangabzeichen auf der Brust seiner weiß-grauen Uniform war dabei noch das Geringste. Jeder, dem er seit der Bekanntgabe seiner Beförderung über den Weg gelaufen war, lächelte ihn an und gab wortlos zu verstehen, von dieser Entwicklung nicht überrascht zu sein. Colonel Jorgen Fenech weinte niemand eine Träne hinterher.
Vor ihm öffnete sich die gepanzerte Tür der Brücke. Das war kein besonderer Vorgang, er hatte ihn bereits tausendfach erlebt. Und doch war es diesmal anders.
»Kommandant betritt die Brücke!«, rief Stan Karpow, der nach seiner Zwangspause darauf bestanden hatte, die Ablösung abzulösen. Alle standen auf. Alle salutierten.
»Rühren.«
»Vater, gib mir ein Update!« In den letzten Stunden hatte sich noch mehr geändert. Von Cygnus kam ihnen ein Raumschiff entgegen. Die konnten offenbar nicht abwarten, bis sie die USS Boston vernünftig eingeparkt hatten.
»Colonel, bei uns läuft alles nach Plan.«
»Captain Hindley, was macht das Schiff von Cygnus?«
»Ich leite aktuelle Daten weiter …«, antwortete sie.
»Danke. Ich animiere die bereits erfolgte Flugbahn und extrapoliere den voraussichtlichen Anflug. Wir haben denen ein Leitsignal zur Verfügung gestellt. Verbleibende Zeit bis zum Kontakt: 37  Minuten.«
Die Landefähre befand sich nicht auf dem direkten Weg zu ihnen. Das siebenundzwanzig Meter lange Raumschiff flog einen Bogen, hielt dabei die Geschwindigkeit und näherte sich ihnen von schräg hinten. Von ihren Landefähren hätte das keine hinbekommen. Das Bremsmanöver der USS Boston würde noch mehrere Tage dauern. »Captain Hindley, was sagen die Scans über die Landefähre aus?«
»Wir kennen den Schiffstyp nicht. Das Antriebssystem ist sehr effektiv. In unseren Schiffen würde man noch nicht einmal die Antimaterie mitführen können, die die für den Drift verbraucht haben, wenn man den Laderaum damit vollpackte.«
Mit Lanas Worten zeigte Vater unaufgefordert eine verkleinerte holographische Animation. Das Schiff mochte moderner sein, hatte aber eine bekannte auf Antimaterie basierende Antriebsarchitektur.
»Besatzung?«
»Zwei Mann. Wir haben alles vorbereitet, um das Schiff während des Bremsmanövers in unseren Hangar zu geleiten.«
»Wird das funktionieren?« Max sah auf das Display, das die aktuelle Geschwindigkeit der USS Boston anzeigte. Das Bremsmanöver lief noch nicht lange, sie waren immer noch sehr, sehr schnell unterwegs. Bei einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit würde der Bruchteil einer Sekunde Verzögerung genügen, um die Landefähre zerschellen zu lassen. Dabei könnte auch ihr Schiff zu rotieren anfangen und sich kaum noch abfangen lassen.
»Ich habe mit dem Leitsystem der Fähre vereinbart, dass sie über drei Sekunden synchron fliegen müssen, bevor wir die Steuerbord-Deflektoren senken. Wenn sie das nicht schaffen, würde ich die seitlichen Deflektoren überladen und den Anflug abwehren.« Vater dachte mit. Die Sicherheit ging vor.
»Warum ein derart riskantes Manöver?« Was war der Sinn dahinter? Die würden ansonsten nur warten müssen, bis die USS Boston langsamer wurde. Dann würde eine Landung in ihrem Hangar keine große Sache sein. Max dachte nach. Jeder handelte gemäß seiner Motivation? Darin unterschieden sich noch nicht einmal Mensch oder KI . Also, warum diese Nummer?
»Mir wurde gesagt, dass es darum geht, ein extrem großes Raumschiff wie unseres sicher in deren Sonnensystem zu geleiten. An Bord würde sich ein erfahrener Lotse befinden, der uns unterstützt.«
»Wofür einen Lotsen?« Max schüttelte den Kopf, nach der Reise, die sie hinter sich hatten, war der verbleibende Flug ein Kinderspiel. Da befand sich nichts vor ihnen, das die Anwesenheit eines erfahrenen Lotsen rechtfertigte.
»Zu unserer Sicherheit.«
»Glaubst du ihnen?« Seine Nackenhärchen stellten sich auf. Matthieu hatte die Sache richtig eingeschätzt. Es würde Ärger geben.
»Können wir uns denn leisten, den Lotsen abzuweisen?« , konterte Vater.
»Ist deren Geschichte denn plausibel?«
»Nur bedingt.«
»So sehe ich das auch. Können wir kommunizieren? Ich möchte gerne mit dem Piloten sprechen.« Max wollte, bevor er dem Lotsen erlaubte, an Bord zu kommen, wissen, worauf er sich einließ. Ein gesundes Misstrauen hatte noch nie jemandem geschadet.
»Ich öffne einen Kanal. Inzwischen dürfte die Signalverzögerung nicht mehr über Gebühr stören. Colonel, Sie können sprechen.«
»Hier spricht Colonel Maximilian Harper, ich bin Kommandant der USS Boston und wünsche den Lotsen zu sprechen, der an Bord kommen möchte.«
»Hier Cygnus- 51 . Mein Name ist Regi. Guten Tag. Worum geht es?« , antwortete jemand mit vier Sekunden Verzögerung. Die Fähre war noch über eine Million Kilometer von ihnen entfernt.
»Sind Sie der Lotse?«
Mehrere Sekunden Pause. »Ähm … ja.«
»Können Sie mir bitte erklären, inwiefern und mit welchen Maßnahmen Sie uns unterstützen wollen?« Der Typ hörte sich irgendwie merkwürdig an. Es knackte in der Leitung.
»Hier spricht Cygnus-Control, Kommandant der USS Boston. Verringern Sie weiter Ihre Geschwindigkeit, senken Sie Ihre Deflektoren und erwarten Sie die Ankunft unseres Lotsen« , erklärte überraschend eine weitere Stimme.
Max deaktivierte das Mikrophon. »Wie können die so schnell reagieren? Cygnus ist noch mehr als einen Lichttag von uns entfernt … die können uns unmöglich gehört und bereits eine Nachricht gesendet haben.« Das schmeckte ihm nicht. Er öffnete den Kanal erneut. »Regi, hören Sie mich?«
»Hier spricht Cygnus-Control, Kommandant der USS Boston. Verringern Sie weiter Ihre Geschwindigkeit, senken Sie umgehend Ihre Deflektoren und erwarten Sie die Ankunft unseres Lotsen.«
»Mein Name ist Harper, Maximilian Harper! Wir sind noch zu schnell, um die Deflektoren zu senken! Das würde unser Schiff gefährden.« Max schloss den Kanal.
»An alle! Cygnus-Control spielt falsch! Die Signallaufzeit ist zu kurz! Die befinden sich bereits in unmittelbarer Nähe! Das ist ein Hinterhalt!«
Auf der Brücke wurde es hektisch. Das Licht verfärbte sich rot.
»Colonel, ich habe keine weitere Ortung. Nur die Landefähre, und die braucht noch 35  Minuten, um uns zu erreichen!«, rief ein Kommandooffizier an der Radarkonsole. Max konnte es auf einem Display erkennen. Vielmehr, er konnte sie nicht sehen. Die Signalquelle in ihrer Nähe war nicht auszumachen.
»Hier spricht Cygnus-Control, Kommandant der USS Boston. Verringern Sie weiter Ihre Geschwindigkeit und senken Sie umgehend Ihre Deflektoren. Dies ist unsere letzte Aufforderung, wir werden ansonsten Zwangsmaßnahmen einsetzen.«
»VATER ! WIR BRAUCHEN SOFORT EINE ORTUNG !« Was man nicht sah, konnte man auch nicht bekämpfen. Max schnallte sich an. Er erwartete das Schlimmste. Die Landefähre war nur ein Ablenkungsmanöver!
»Keine Ortung verfügbar. Wir können sie nicht ausmachen. Ich versuche alternativ …«
Der Boden auf der Brücke fing an zu vibrieren. Das musste keine Explosion sein, aber um ein 41000 Meter langes Schiff zum Vibrieren zu bringen, war schon eine gewisse Energie notwendig. Auch die KI Vater verstummte für einen Moment.
»Kontakt! Es gibt vier Objekte, die sich an unserem Rumpf angeheftet haben. Partieller Hüllenbruch, die schneiden sich Zugänge durch die Bordwand. Eindringen nicht zu verhindern. Aktiviere Drohnen zur Eigensicherung.«
»Sicherungsteams sollen Kampfanzüge und Waffen aufnehmen! Sofort! Die entern uns!« Das hätte Max bereits früher befehlen sollen, damit zu warten war ein Fehler gewesen.
»Colonel, sollen wir weiter abbremsen?«, fragte der Offizier, der an seiner alten Navigationskonsole saß.
Max lächelte. »Nein! Wir werden uns drehen und vollen Schub geben. Wenn sie Angst um ihren Planeten haben, werden sie schon mit uns reden.« Die richtige Verhandlungsposition zu finden war nur eine Frage der Entschlossenheit. »Vater!«
Die KI antwortete nicht.
»VATER
Nichts.
»Was ist mit der KI ?«, rief Max.
»Keinen Kontakt. Das zentrale Cluster-System fährt Vaters Kernel herunter. Diese Order hat niemand gegeben!«, rief Lana. Yeah, jetzt war die Scheiße am Dampfen. Die Angreifer befanden sich bereits in ihrem Netzwerk. »Die haben Vater gehackt!«
»Colonel, ich kann den Bremsvorgang nicht unterbrechen. Ich habe kein Zugang zum System. Auch die Steuerungstriebwerke reagieren nicht. Wir können nicht wenden«, tönte es von der anderen Seite. Parallel dazu deaktivierte sich jede Sekunde ein weiteres Display. Da blies ihnen jemand die Kerzen aus.
»WIR GEBEN DIE BRÜCKE AUF !« An dieser Front konnten sie nichts mehr gewinnen. »ALLE RAUS HIER !« Max löste die Gurte. Weitere Konsolen schalteten sich ab.
»Was sollen wir tun?«
»ZUR WAFFENKAMMER ! WIR WERDEN UNS WEHREN !« Das waren nur zehn Meter. Direkt neben der Brücke würden sie militärische Ausrüstung finden. Max hatte nicht vor, das Schiff kampflos aufzugeben.
»Folgt dem Colonel! Zu den Waffen!«, rief Lana, um sich im nächsten Moment vom Boden zu lösen. Die Schwerkraft setzte aus. Mit großen Augen sah sie ihn an.
Auch Max verlor den Bodenkontakt. Die Energie seines letzten Schrittes beförderte ihn in die Luft. Ähnlich wie die zuvor von Vater gezeigten Holographien schwebte er durch die Mitte der Brücke. Ihm blieb nicht mehr, als sich zu drehen und seine Bewegung unter der Decke mit den Beinen abzufangen. Das war besser, als sich den Hals zu brechen. Sein Kommando über die USS Boston hatte keinen guten Start. Die Leute von Cygnus hatten ihn richtig verladen. Aber der Kampf war noch nicht zu Ende.