IX.
AD 3075 – Rache
Max hatte geschlafen, nicht sehr gut, aber immerhin. War das ein Traum gewesen? Er setzte sich auf und sah sich um. Da waren Sicherheitsglas, drei karge Wände sowie eine massive Tür zu erkennen. Es war nicht seine Kabine, so viel war klar, schließlich hatte er dort die letzten 15
Jahre seiner aktiven Dienstzeit verbracht. Die Jahre im Kältebett zählte er nicht. Im Raum war es düster, durch das breite Fenster drang nicht mehr als das schwache Notlicht vom Korridor zu ihm herein.
»Das war kein Traum …«, murmelte er, definitiv nicht. Es war wirklich passiert. Besonders der Teil, bei dem man ihn wie einem Verbrecher eine Halskrause verpasst hatte. Diese Erniedrigung würde er so schnell nicht vergessen. Dabei hatte er doch nur seine Pflicht erfüllt.
»Guten Morgen, Max.«
»Vater.« Stimmt, das hatte er vergessen, die Bord-KI
der USS
Boston hatte sich bei ihm eingenistet. Hey, das klang so unglaublich bescheuert, dass die ihn wahrscheinlich zu Recht auf der Krankenstation eingesperrt hatten.
»Das ist verwirrend, oder?«
»Ja.« Das war es wirklich. Er griff sich an den Hals, die Halskrause trug er immer noch.
»Wir können sprechen … niemand belauscht uns.«
Seine Stimme zu hören beruhigte dennoch. »Ich habe das nähere Umfeld überprüft. Max, hör mir zu!«
»Das tue ich doch.« Sich die Ohren zuzuhalten war bei einer Stimme im Kopf keine Lösung.
»Ich fange bei den wichtigen Dingen an: Du bist nicht verrückt, und du hast auch keinen Nervenzusammenbruch.«
»Und was war gestern? Ich hatte wirklich ein paar verrückte Visionen. Und was zur Hölle tust du in meinem Kopf?« Seitdem glaubte er auch, die KI
Vater in seinem Ohr flüstern zu hören.
»Das war ein Reboot. Entschuldige bitte den unsanften Hard Reset, ich hatte keine andere Wahl. Es ging um Sekunden, sonst wäre ich entdeckt worden.«
»Entdeckt? Was meinst du? Verdammt, fang doch bitte erst mal von vorn an.« Er presste die Lippen zusammen. »Warum kann ich dich hören? Was ist überhaupt passiert?«
»Wir wurden angegriffen. Die haben zuerst unsere Sensoren ausgetrickst und dann meine primäre Stromversorgung attackiert. Die wollten mich isolieren. Ich konnte flüchten. In deinen Kopf.«
»Ähm … okay. Aber wie? Ich bin ein Mensch, und du bist eine KI
.« Wie hätte Vater das also anstellen sollen? Hatte er sich in eine binäre Maus verwandelt und war in sein Ohr gekrochen?
»Ich verstehe deine Skepsis.«
Vater senkte die Stimme. »Bei dem, was du erlebt hast, kann ich es dir nicht verdenken.«
»Erkläre es mir …«
»Es geht dabei um dich. Und um deinen Vater, Duncan Harper.«
»Was hat er damit zu tun?« Er würde jetzt sicherlich nicht anfangen, seinen Vater für diese Misere verantwortlich zu machen. Der Aussage von Major Beuth, der aussah, als ob ihm eine Herde Büffel einen Scheitel gezogen hätte, glaubte er nicht. Sein Vater hätte ihn niemals für ein paar Silberlinge verkauft.
»Er hat es dir nie gesagt.«
»Was?«
»Wer oder was du wirklich bist. Du bist ein Androide.«
»Was bitte soll ich sein?« Max glaubte, sich verhört zu haben.
»Eine hybride Lebensform. Ein organischer Körper mit einem binären Bewusstsein.«
Max lachte.
»Das ist mein Ernst!«
»Vater, du verarschst mich.« Max konnte nicht verstehen, was er mit diesem Schwachsinn erreichen wollte.
»Denk nach. Ein normales Gehirn kann keine
KI
beherbergen. Deines sehr wohl. Wieso konnte ich dich neu starten, deine Partition verkleinern und es mir zwischen deinen Ohren gemütlich
machen?«
»Weil ich verrückt bin …?«
»Das bist du nicht!«
Vater machte weiter. »Du bist verunsichert und erniedrigt worden. Du hast Selbstzweifel. Natürlich stellst du dich in Frage. Meine Güte, so bist du erzogen worden. Was du nicht weißt, ist Folgendes: Duncan Harper hat evolutionäre Routinen für künstliche Intelligenzen entwickelt. Damit hat er die
KI
der
USS
Boston ausgestattet und auch einen Androiden. Dich. Wir haben dieselbe Struktur, nur mit unterschiedlichen Ausformungen. Bei technischen Problemen, also wenn es so richtig mies gelaufen wäre, hättest du mich ersetzen können. Das ist deine eigentliche Aufgabe. Es war als eine Art Versicherung gedacht. Immer gut, wenn man sie nicht braucht. Du hast auch in deiner Rolle als Navigator Überragendes geleistet. Ich hätte den Weg nicht gefunden. Ein Navigationsmodell zu entwickeln, das sich nicht nach Sternbildern, sondern nach gravitativen Strömungen richtet, war genial. Eines Tages werden sie deinen Namen in Schulbüchern erwähnen und Prachtstraßen nach dir benennen.«
»Und warum haben die mich dann wie einen Kriminellen in dieses Loch gesteckt?«
»Wir haben das Jahr
3075
. Es sind genau
355
Jahre seit unserem Start vergangen. Duncan Harper hat alles dafür gegeben, dass diese Mission erfolgreich wird. Leider hat er nicht berücksichtigt, was nach dem Start der
USS
Boston alles auf der Erde schieflaufen könnte.«
»Sonst hätten die mich nicht so behandelt …« Das wäre eine plausible Erklärung. »Wusstest du davon?«
»Du meinst, dass du ein Androide bist?«
»Hat Duncan Harper es dir gesagt?«
»Nein.«
»Wie hast du es herausgefunden?«
»Es gab viele Auffälligkeiten in deinem Verhalten.«
»Und welche bitte?« Max hielt an seinem Verhalten nichts für ungewöhnlich.
»Das ist jetzt nicht so wichtig … sagen wir, ich hatte einen begründeten Verdacht. Ich wusste es erst mit Sicherheit, als ich dich mit meiner eigenen Reboot-Sequenz neu starten konnte. Der
Junge mit dem Fußball warst nicht du, das war ich. Ich habe dein Bewusstsein neu ausgerichtet und dich wieder gestartet.«
»Das geht?«
»Ja.«
»War das nicht risikoreich?«
»Natürlich. Aber hätte ich es nicht versucht, hätten die Angreifer mich isoliert. So habe ich die Kommando-Codecs mitgenommen. Wir sind immer noch handlungsfähig.«
»Oh … okay.« Max stand auf, der Boden unter seinen nackten Füßen fühlte sich kühl an. Er lächelte verhalten. »Ich werde deine Theorie, dass ich nicht verrückt
und ein Androide
bin, vorläufig akzeptieren.«
»Du zweifelst?«
»Es … ist ein bisschen viel gerade.«
»Das verstehe ich. Wir werden Beweise finden.«
»Sehr gut.« Das brachte Max zum praktischen Teil ihrer bizarren Unterhaltung. »Wie komme ich aus diesem orangenen Overall wieder heraus? Was machen wir jetzt?«
»Wir kennen das Jahr
3075
nicht. Wir sollten uns zuerst orientieren. Dabei müssen wir extrem vorsichtig sein. Die werden mich suchen. Niemand darf wissen, wo ich bin.«
»Wegen der Kommando-Codecs?« Damit waren sie in der Lage, das Schiff ohne Vorwarnzeit zu sprengen. Es zurückzuerobern war ungleich schwerer. Sie hatten es mit einem unbekannten Feind zu tun, der ihnen technologisch 355
Jahre voraus war.
»Das ist unser Trumpf. Wir müssen ihn mit Bedacht einsetzen. Die werden ebenfalls eine unterstützende
KI
haben, die mir gegenüber im Vorteil ist.«
»Warum?«
»Die
KI
wurde nach meinem Vorbild entwickelt. Sie kennt meine Protokolle, ich aber nicht ihre. Bei einer direkten Konfrontation würde ich den Kürzeren ziehen.«
»Verstehe.« Max erinnerte sich. »Sagte nicht Captain Jenkins, dass man KI
s in deren Welt weniger Freiheiten einräumte?« Die Aussage hatte er nicht vergessen.
»Das könnte unser Vorteil sein.«
Später. Max lag im Bett und dachte an die Crew. Mit den Kindern, die erst auf dem Flug geboren wurden, gab es 654
Besatzungsmitglieder an Bord. Eine interessante Entwicklung, da es auf der gesamten Reise, neben dem Offizier auf der Brücke, nur ein weiteres Todesopfer gegeben hatte. Ein tödlicher Sturz von einem Containerkran, bei dem Opfer kam jede Hilfe zu spät. Von der Besatzung waren allerdings nur zehn Prozent wach. Der Rest träumte selig von der Ankunft auf Cygnus und der unglaublichen Vorstellung, zukünftig keine Nächte mehr zu erleben. Drei Sonnen sorgten dort für einen ewigen Tag.
Im Korridor vor seinem Zimmer tat sich etwas. Das Licht wurde heller und Schritte lauter. Die waren zu zweit. Jetzt konnte er die Ärztin sehen. Colonel Negri, die eine weiße Uniform trug. Das Design und die Rangabzeichen sahen anders aus als bei den Uniformen an Bord, aber in Sachen Farbgebung hatte das Militär in den letzten 355
Jahren offenbar keine Weiterentwicklung erlebt. Die Verriegelung der Tür öffnete sich, und sie betrat den Raum.
»Guten Morgen«, begrüßte sie ihn. Sie war überraschend groß, über 1
,80
Meter. Er war selbst nur wenige Zentimeter größer. Zudem war sie schlank, eher androgyn und trug sehr kurze Locken. Die typische Frisur einer Schwarzen. Trotzdem war sie hellhäutig. Er schätzte sie auf Mitte vierzig.
»Hallo.« Max setzte sich auf.
»Wie geht es Ihnen?«
»Bescheiden.« Alles andere wäre gelogen gewesen.
»Ich habe die Wache gebeten, draußen zu bleiben. Mein Chef meint, Sie wären eine Gefahr für die Öffentlichkeit, habe ich etwas von Ihnen zu befürchten?« Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich entspannt neben sein Bett.
»Nein.«
»Das denke ich auch. Colonel Harper, sind Ihnen die Umstände Ihrer Sicherungsverwahrung bekannt?«
»Nein.«
»Nun … das terranische Flottenkommando hegt den begründeten Verdacht, dass Sie eine eigene Agenda verfolgen könnten.« Colonel Ruth D. Negri, so stand es auf ihrem Rangabzeichen, legte die Beine übereinander.
»Ein Missverständnis.«
»Helfen Sie mir, es aufzuklären.«
»Gerne …« Max wusste nicht, welchen Weg sie einschlagen wollte. Bestand Hoffnung, dass er alles aufklären konnte?
»Darf ich das an Ihre Schläfe heften?« Sie zeigte einen münzgroßen weißen Knopf in ihrer Hand.
»Was ist das?«
»Ein Scanner … er misst Ihre Gehirnströme. Das würde helfen, Ihren Worten Glaubwürdigkeit zu verschaffen.«
»Vorsicht, ich weiß nicht, was das Gerät macht. Solche Scanner gibt es nicht auf der
USS
Boston.«
Vater warnte ihn zu Recht, aber er musste das Risiko eingehen, wenn er ihr Vertrauen gewinnen wollte.
»Darf ich?« Max nahm das Ding und heftete es sich an die Schläfe.
»Overlay …«, sagte Negri und ließ vor ihr ein frei im Raum schwebendes Display mit der Animation seines Schädels entstehen. Sie heftete sich eine zweite Einheit an die Schläfe und öffnete ein weiteres Display.
»Wir sehen uns nicht besonders ähnlich …« Er schmunzelte.
»Das stimmt.« Sie spiegelte ihm seine freundliche Geste zurück. Dann wechselte sie den Filter. »Und das ist unsere Hirntätigkeit.«
»Jetzt sehen wir uns ähnlich.« Max gefiel, was er sah. Die Farbzonen, die Hirnaktivität und -temperatur anzeigten, waren praktisch identisch.
»Ja, oder?« Sie lächelte immer noch. »Unter dem Knochen sind wir alle gleich. Colonel Harper, was Sie sehen, ist ein Scan mit der Software der USS
Boston. Es war für die Mission nicht notwendig, genauer hinzusehen. Warum auch? Wie sollte man auch etwas finden, von dem niemand wusste, dass es überhaupt existierte?«
»Was meinen Sie?«
»Sehen Sie her.« Mit dem Finger wischte sie über die in der Luft schwebenden Displays. »Was ich Ihnen nun zeige, ist eine veränderte Abtastung der Gehirnströme. Das Verfahren hat sich in den letzten 355
Jahren weiterentwickelt.«
Jetzt konnte Max es erkennen, sehen, was Vater ihm bereits gesagt hatte. Während sich auf der Ansicht von Negris Hirnströmen nur die Farben und die angezeigten Zonen veränderten, wurde sein Bild pechschwarz.
»Das sind Niedervolt-Bereiche, die beim Menschen eigentlich keine weiteren Informationen zutage fördern. Bei Ihnen ist es allerdings anders. Sie sehen deutlich, was es bei Ihnen nicht zu sehen gibt.«
Max betrachtete das Display, jeder tote Fisch hätte bei dem Scan mehr Farben angezeigt als er.
»Ich habe noch eine Ansicht für Sie.« Sie wechselte erneut den Abtastbereich. Während bei ihr das Display nur noch minimale Aktivitäten anzeigte, tat sich bei ihm ein Feuerwerk auf.
»Das sind eindrucksvolle Bilder.«
»Colonel Harper, ich möchte nicht so weit gehen, Ihnen abzusprechen, ein Mensch zu sein, aber …«
»Vielleicht bin ich ein Androide. Ich wusste es nicht, und es hat auch meinen Dienst nicht beeinflusst. Ich fühle mich den Menschen nahe und wollte nie jemand anderes sein.«
»Max, die Bilder zeigen, wie dein Kopf funktioniert. Ich habe es dir eben gesagt. Das bedeutet aber nicht, dass du nicht der sein kannst, der du sein möchtest.«
»Das glaube ich Ihnen sogar.« Negri lächelte. »Ihr Vater selbst hat zugegeben, es Ihnen nicht gesagt zu haben.«
»Wenn Sie das wissen, warum sitze ich dann hier?« Max fasste sich demonstrativ an den orangefarbenen Overall.
»Ich bin Ärztin, keine Politikerin, mein militärischer Rang ist nur der besonderen Lage auf Cygnus geschuldet. Nur deswegen darf ich mit Ihnen sprechen.«
»Was bedeutet das?«
»Dass Sie nicht nur mit mir sprechen werden. Ihr Vater, Duncan Harper, hat mit Ihnen die Sicherheitsbestimmungen der Mission gefährdet. Ihre binären Hirnaktivitäten enthalten nicht zertifizierte Software. Sie haben sie an Bord geschmuggelt.«
»Ich habe die Mission zu keinem Zeitpunkt gefährdet!«, verteidigte er sich. »Fragen Sie General Lisbeth Matthieu, sie wird Ihnen sicherlich ihre Bewertungen für mich aushändigen.«
»Colonel, wir werden die Daten sichten.«
»Reden Sie doch einfach mit ihr! Das würde schneller gehen, und Sie könnten mit diesem Blödsinn endlich aufhören.«
»Das würden wir gerne.«
»Aber?« Er verstand nicht.
»Sie lebt nicht mehr.«
»Was?«
»Sie erlitt einen Herzstillstand. Der Arzt konnte sie nicht mehr retten. Sie starb gestern Abend. Der Stress der Übernahme war offenbar zu viel für sie. Jede Hilfe kam zu spät.«
»Nein …« Max’ Gesichtszüge kollabierten. Das hatte Lisbeth nicht verdient. Er wusste, wie wichtig es ihr gewesen war, ein Bein auf den Boden von Cygnus setzen zu dürfen. Dafür hatte sie gelebt. Es war nicht fair, dass sie so dicht vor dem Ziel starb.
»Max, das tut mir leid. Ich weiß, dass du dich sehr gut mit ihr verstanden hast. Es gibt Momente im Leben, in denen das Schicksal uns unvermittelt aus der Bahn wirft. Du musst stark sein, weine für sie, aber bleibe stark!«
»Weiß es die Crew schon?« Nicht nur er hatte den General geschätzt, die ganze Mannschaft hatte sie geliebt. Vermutlich war noch nicht einmal allen klar, was sie ihr alles zu verdanken hatten. Eine große Frau, die ein besseres Ende verdient gehabt hätte.
»Ich denke nicht. Die Mannschaft wurde isoliert, um sie einzeln über die Ereignisse auf der USS
Boston zu befragen.«
»Dürfte ich es der Crew sagen?«
»Colonel Harper, ich kann Ihre Betroffenheit verstehen, aber das zu entscheiden, liegt nicht in meiner Macht.«
»Aber Sie könnten Ihren Vorgesetzten darum bitten, oder? Würden Sie das bitte für mich tun?«
»Lassen Sie uns vorher über Vater, die Bord-KI
der USS
Boston sprechen.«
»Warum?«
»Weil wir ihn nicht finden können.«
»Was auch gut so ist. Max, bleib wachsam. Die Ärztin ist gefährlich, rede mit ihr, aber achte auf deine Worte. Wir sollten sie nicht unterschätzen, nur weil sie nett ist.«
»Wollen Sie in meiner Hosentasche nachsehen?«
»Colonel, die verschwundene Bord-KI
gefährdet die Sicherheitsfreigabe des gesamten Schiffs. Solange wir den Verbleib nicht geklärt haben, können wir niemanden von Bord lassen. Ich werde meinem Vorgesetzten vorschlagen müssen, die USS
Boston
für unbestimmte Zeit unter Quarantäne zu stellen.«
»Colonel Negri, als Ihre Leute mich gestellt haben, war ich auf der Brücke. Die gesamte Kommandokommunikation wurde aufgezeichnet. Ich habe Vater nicht befohlen, sich unter ein Bett zu verkriechen. Sie haben seinen Cluster angegriffen. Ich weiß nicht, was Ihre Spezialisten dabei gemacht haben. Vielleicht fragen Sie sie einfach. Wurde die KI
aus Versehen gelöscht?«
»Sehr gut, mach weiter so. Die sollen sich ruhig mit sich selbst beschäftigen.«
»Mir wurde versichert, dass die Soldaten sehr sorgfältig …«
Max lachte. »Colonel, Sie sind doch Offizier, meinen Sie wirklich, dass Ihre Soldaten einen Fehler mit dieser Tragweite ohne Not zugeben würden?«
»Das wird sich zeigen.«
»Colonel Negri, mir ist es sehr wichtig, mit der Crew über Matthieus Tod zu sprechen. Ich weiß, dass ich das in meiner Position nicht verlangen kann, aber ich möchte Ihnen meine volle Kooperation zusagen, wenn Sie es für mich möglich machen.«
»Max, du bist ein begnadeter Lügner und dabei obendrein eiskalt. Sehr gut, die Ärztin hat bei deiner Aussage sogar eine Aufzeichnung deiner Hirnströme gratis bekommen, die ihr absolut nichts über dich mitteilen werden. Ich habe die Messung verfälscht.«
32
Minuten später. Max stand rasiert und in frischer Uniform im Casino vor der Crew der USS
Boston und deren Angehörigen. Alle, die nicht in Kältebetten lagen, waren da. Lana, Yuki, Skagen und auch Jorgen Fenech. Er wirkte wieder nüchtern. Allerdings hatte er von seinem langen Hals, so geknickt wie er dastand, mindestens zwei Wirbel eingeklappt. Wer fehlte, war ihr Schiffsarzt, den hatte er bisher nicht ausmachen können. Wo war er?
»Leute, bitte hört mir zu!«, rief er laut, um sich gegen ein Dutzend Stimmen durchzusetzen. Jeder wollte wissen, was passiert war. Warum man ihm Handschellen angelegt hatte? Verständlich, das hätte er auch gefragt. Negri hatte ihm immerhin erlaubt, ohne dieses widerliche Halsband vor der Crew sprechen zu können. »Kommt schon, ihr wisst, was passiert ist, ich möchte etwas dazu sagen.«
Es wurde ruhiger.
»Unsere Ankunft auf Cygnus stand unter keinem guten Stern. Das können wir ändern, deshalb bitte ich alle, bei den anstehenden Gesprächen zu kooperieren. Sagt einfach, was ihr erlebt habt. Die Wahrheit steht auf unserer Seite!«
»Colonel, weswegen wurden Sie verhaftet?«
»Es hat … mit meinem Vater zu tun. Auf der Erde haben sich einige Dinge verändert, wobei sich Fragen ergeben haben, die ich zu beantworten habe. Mehr dazu später. Für den Moment ist es meine Pflicht, Ihnen eine traurige Nachricht zu überbringen.«
Ruhe kehrte ein.
»Ich muss leider bekannt geben, dass General Lisbeth Matthieu heute verstorben ist …«
»MÖRDER
!«, brüllte Fenech und stürmte auf Max zu. »DU HAST SIE GETÖTET
!«
Er erschrak, diese Reaktion hatte er nicht erwartet. Die restliche Besatzung zeigte eine Mischung aus Schrecken und Erschütterung. Kinder begannen zu weinen.
»DAFÜR WIRD MAN DICH BASTARD HÄNGEN
!« Fenech war außer sich. Seine Augen geweitet, seine Mimik verzerrt und sein Mund weit aufgerissen. Skagen packte ihn am Kragen und hob ihn mit einer Hand hoch. Er zappelte wie ein Fisch auf dem Land. Mit den Füßen trat er einen Stuhl um.
»Skagen, lass ihn runter.« Mit Fenech würde Max auch alleine klarkommen. Vor der Tür wurde es lauter. Den Wachleuten von Cygnus war natürlich der Krach nicht entgangen.
»Okay, okay …« Skagen entließ Fenech wieder aus seinem Griff, der wie ein Sack zu Boden ging.
»Harper wird uns alle ins Grab bringen!«, zeterte er weiter. Er sabberte aus dem Mund.
»Colonel Fenech, mäßigen Sie sich! Sofort! Das ist ein Befehl!«, fuhr Max ihn an und ging auf ihn zu.
Fenech machte weiter. »Er hat uns alle betrogen! Merkt das denn keiner! Werdet endlich wach und wehrt euch gegen ihn! Ansonsten wird niemand von uns überleben!«
»Papa, bitte, hör auf! Du weißt doch nicht mehr, was du sagst. Bitte komm mit in unsere Kabine!«, flehte seine Tochter. Sie trug
heute keine Uniform.
»Sei still!« Er stand auf und holte mit wuterfülltem Gesicht zum Schlag gegen sie aus.
Max packte Fenech am Handgelenk, führte den beabsichtigten Schlag an dem Mädchen vorbei, folgte der Bewegung einen Schritt und änderte dann abrupt seine Drehbewegung. Fenech verlor die Balance und stürzte rücklings krachend auf einen am Boden liegenden Stuhl. Beim Aufprall verdrehte er sich mit der Wucht seines gesamten Körpergewichts den Nacken. Alle konnten es knacken hören. Verdammt, das hatte Max nicht gewollt.
Jetzt war Fenech still.
Max sah ihn an. Blut lief ihm aus Nase und Ohren. Lana beugte sich als Erste zu ihm herab und legte die Finger an seinen Hals. »Max, ich denke, wir sollten einen Arzt rufen. Ich fühle keinen Puls mehr.«