XIV.
AD 9414 – Nicht mit mir
Denis sah Lilith in die Augen, die sich von seinem martialischen Auftritt sichtlich unbeeindruckt zeigte. Die bionische Muskulatur vibrierte spürbar auf seiner Haut. Jeden seiner wuchtigen Schritte quittierte der Boden mit einer leichten Erschütterung. Der Kampfanzug war bereit, er hatte den mobilen Deflektorschild frontal ausgerichtet und würde ihn jetzt gegen diese Schlampe einsetzen. Lilith war kein Mensch, deswegen wollte er kein Risiko eingehen. Wenn es sein musste, würde er ihren künstlichen Körper als Relief in die Wand stanzen.
»ICH BRINGE DICH UM
!«, brüllte Denis. Ihre eiskalten blauen Augen, gesäumt von blonden Locken, erwiderten seine Kampfansage mit stoischer Gelassenheit. Ihr linker Mundwinkel bewegte sich sogar leicht nach oben. Dachte sie etwa, er wäre auf ein nettes Schwätzchen vorbeigekommen?
Mutter stand als Hologramm an ihrer Seite. Nein, es war Jaz, die er sah. Sie trug ihre weiß-graue Offiziersuniform und einen langen, bis zur Hüfte geflochtenen Zopf. Was er sah, zeigte leider auch, dass Lilith einen Weg gefunden hatte, die Bord-KI
auszutricksen. Scheiße! Die echte Mutter hätte bei dieser verfluchten Scheiße niemals ruhig danebengestanden. »STIRB
!«
Lilith hob die Hände, so als ob sie ihn willkommen heißen wollte. Das konnte sie gerne haben. Denis rannte mit voller Beschleunigung auf sie zu. Die hundert Meter schaffte er in dem Anzug in unter fünf Sekunden. Der Gefechtsschild materialisierte sich mit seinen ersten beiden Schritten und bildete einen halben Meter vor ihm einen milchigen Schutzwall. Als Erstes räumte er damit den Kommandosessel ab, dessen Halterung es schlicht aus dem Boden riss. Die Wucht schleuderte den Sessel donnernd an eine Wand
voller Displays, die augenblicklich krachend ausfielen und als Bruchstücke durch den Raum flogen. Egal, auf der USS
London gab es mehr als eine einsatzbereite Brücke.
Noch drei Meter, seine Wahrnehmung verlangsamte sich. Lilith zeigte unverändert ihre einladende Pose. Das würde gleich weh tun.
Noch zwei Meter. Lilith bewegte sich immer noch nicht. Kein Problem, das machte den Job leichter. Er würde keinerlei Rücksicht nehmen.
Noch einen Meter. Blieb sie wirklich stehen? Er hätte erwartet, dass sie zur Seite sprang. Aber sie befand sich direkt vor ihm. Ihre Augen kaum einen halben Meter von ihm entfernt. Dann war sie plötzlich weg. Schneller, als er seine Laufrichtung ändern konnte, rollte sie sich an dem Frontaldeflektorschild vorbei und brachte sich in Sicherheit. Den Bruchteil einer Sekunde später krachte er ungebremst in eine Konsolenwand der Brücke, die er beim Aufprall vollständig zertrümmerte. Glas-, Kunststoff- und Metallstücke verteilten sich zwischen der Wand und der energetischen Barriere. Um den heftigen Ruck abzufangen, musste er einen Schritt auf die Seite machen. Er war zu langsam.
»Deine Entschlossenheit genügt nicht …« Während er noch versuchte, die Balance zu wahren, stand Lilith bereits hinter ihm. Sie packte ihn irgendwo am Rücken, drehte sich und schleuderte ihn zur Seite. Dabei landete Denis mit der gefühlten Einschlaggeschwindigkeit eines Meteoriten in dem zentralen Bildschirm auf der Brücke. Auf dem Flug räumte er auch die Konsole des Navigators ab. Überall flogen Bruchstücke durch den Raum. Er krachte auf den Boden, der mobile Deflektorschild blitzte hell auf und fiel dann aus. An seiner Schulter qualmte es, und an der Innenseite seines Visiers blinkten diverse Warnmeldungen um die Wette. Drauf geschissen, er lebte noch, der Kampf würde jetzt erst richtig losgehen!
R2
, der ihn begleitet hatte, hielt sich abseits, um nicht zwischen die Kontrahenten zu kommen. Das wäre der kleinen Drohne nicht gut bekommen. Mutters Hologramm kam auf ihn zu und hob beschwichtigend die Hände. »Denis, hör auf damit! Komm wieder zu dir! Gewalt ist keine Lösung!«
Ach ja, er lächelte, die Vorstellung, Lilith in die Finger zu
bekommen, beruhigte ihn ungemein. Sozusagen therapeutisches Boxtraining mit Lilith, er würde sie dazu mit den Füßen unter die Decke binden und solange auf sie einschlagen, bis zwischen ihren Ohren kein Gesicht mehr zu erkennen war.
Lilith kam auf ihn zu. Sie wollte es ebenfalls wissen. Er drehte sich, um ihr aus der bionisch verstärken Rotation mit dem Handrücken den Scheitel zu ziehen.
Sie duckte sich unter dem Schlag hinweg, führte seinen Schlagarm an sich vorbei, um Denis dann mit einem gegenläufigen Hebel erneut gegen die Wand zu schleudern.
Denis konnte nichts dagegen tun. Die Kabinenwand der Brücke, an der er bereits zuvor das zentrale Display abgeräumt hatte, zeigte nun eine weitere und tiefere Beule. Ohne die Gefechtsrüstung hätte er sich bereits das Genick gebrochen.
»Denis! Denk an Jaz, denk an deine Tochter! Wir brauchen Lilith. Nur sie kennt den Weg zur Erde! Egal, was du glaubst, erlebt zu haben, oder was dich so wütend macht, es ist ein Missverständnis! Lass mich es dir erklären!« Mutter machte sich zum Handlanger dieser verlogenen Schlange. Er würde, auch wenn er nur noch den kleinen Finger heben könnte, versuchen, sie aufzuhalten.
»Nein. Mutter, du weißt nicht, was du sagst! Ich werde diese Scharade jetzt beenden! Lilith muss unschädlich gemacht werden.« Er würde den eingeschlagenen Weg nicht verlassen. Lilith musste verschwinden. Am besten in vielen kleinen Schachteln verpackt und im All ausgesetzt. Er sprang wieder auf die Beine und hämmerte von oben auf Lilith ein, die seine Faust einfach festhielt, als ob er ihr einen Tennisball zugeworfen hätte.
Sie verzog den Mund, drehte sich und schlug mit dem Ellenbogen gegen seinen Helm. Denis konnte gerade noch den Kopf auf die Seite nehmen, um das Visier zu schützen. Der Treffer hatte gesessen. Sein Kopf dröhnte. Das Head-Up-Display in seinem Visier fiel aus. Er packte zu. Eine bessere Chance würde er nicht bekommen, um ihr den Brustkorb zu zerdrücken. Ihm gelang es, ihren Oberkörper zu umfassen und damit auch beide Arme festzuhalten.
Lilith sprang mit ihm in die Luft, er verlor den Kontakt zum Boden, sie drehte sich und zertrümmerte mit ihm als Prellbock die Funkkonsole. Gleich hätten sie die halbe Brücke leergeräumt.
Mutter, die körperlos im Weg stand, konnte es nicht verhindern und auch R2
, der sich klugerweise abseits hielt, piepte nur wild herum. Die Drohne hatte sich in zwei Meter Höhe aus der Schusslinie gebracht.
Ihr zweiter Ellenbogenschlag traf seine zentrale Brustpanzerung, unter der sich auch ein Teil der Energieversorgung befand. Der Hieb drückte ihm die Luft aus den Lungen. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen, aber er verlor nicht das Bewusstsein. Er wollte nach ihrem Hals greifen, bemerkte aber, dass sein rechter Arm streikte. Dann eben mit links. Er umklammerte sie mit seinen Beinen und suchte mit der linken Hand nach ihrem dürren Hals.
Vergeblich, blitzschnell hatte sie sich aus der Umklammerung befreit, ohne dabei sein rechtes Bein loszulassen, das sie jetzt gegen die natürliche Bewegungsrichtung drehte. Denis stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Die bionischen Muskeln spannten sich, bis sie unter voller Kontraktion mit einem lauten Knall zerrissen. Danach spürte er auch von seinem Bein nichts mehr.
Lilith war zu schnell, sie machte ihn fertig. Mit der linken Hand hielt er sie immer noch fest, aber ans Aufstehen war nicht zu denken. Den nächsten Schlag gegen seine linke Schulter sah er noch nicht einmal kommen. Im nächsten Moment flog ein Arm durch die Brücke. Glücklicherweise nur der des Kampfanzuges. Seiner hing noch an ihm. Er schrie und hörte seinen linken Oberarmknochen brechen. Dann riss sie ihm den Helm vom Kopf. Sie lächelte, als ob nichts wäre, und schlug ihn nieder.
Als Denis wieder aufwachte, lag er nur mit Shorts bekleidet und mit unzähligen Blutergüssen am Körper, einem völlig verdrehten Bein und einem gebrochenen Arm auf dem Boden der Brücke. So war er in seinem ganzen Leben noch nicht verdroschen worden. Er konnte Lilith nur mit einem Auge sehen, das andere war zugeschwollen. Instinktiv hatte er seinen verletzten Arm in eine Art Schutzhaltung vor die Brust gebracht. Er war fertig.
»Lilith, er braucht medizinische Hilfe«, sagte Mutter, die neben ihm kniete, ihm aber als Hologramm nicht helfen konnte.
»Er lebt doch noch«, erklärte sie ungerührt. Bei dem Kampf hatte sie sich die Uniform an der Schulter eingerissen und eine kleine
Schramme an der Stirn eingefangen. Sie blutete sogar. Ein bisschen. Harper-Mackinney hatte bei dem Androiden wirklich an alles gedacht.
Denis schloss kurz die Augen, er hatte versagt. Lilith hatte ihn besiegt, mehr noch, sie hatte ihn genüsslich in Stücke gerissen. So ähnlich hatte er es auch bei ihr vorgehabt, nur sie wäre nach dem finalen Niederschlag umgehend tiefgefroren im All gelandet.
»Ich bin enttäuscht von dir«, hörte er Mutter sagen, die sich wie Jazmin anhörte.
»Mutter … warum tust du das?« Zu sprechen fiel ihm gerade nicht leicht, aber von Mutter verraten worden zu sein, schmerzte noch mehr als seine zerschlagenen Knochen. Wie hatte Lilith verdammt nochmal nur die Bord-KI
korrumpieren können?
»Um das Leben an Bord zu schützen.«
»Und mein Leben?«
»Du hast Lilith angegriffen. Ich habe dich gebeten aufzuhören, aber du warst wie von Sinnen. Sie hat sich nur verteidigt. Denis, ich bitte dich, du bist mit einem Gefechtsanzug und einem mobilen Deflektorschild auf sie zugestürmt. Warum? Was hat sie dir getan?«
»Mutter, siehst du es denn nicht? Sie manipuliert dich.« Denis verzweifelte, die Beweise, die er gefunden hatte, waren eindeutig gewesen.
»Alles, was ich sehe, bist du … und du hast die Brücke kurz und klein geschlagen. War das notwendig? Du hast noch nicht einmal versucht, mit uns zu sprechen.« Mutter sprach, als ob sie nichts von der Trickserei mitbekommen hätte, die Lilith sich geleistet hatte.
»Mutter, wir verfeuern gerade unsere letzten Antimaterievorräte … ich habe es gesehen. Penning-Arrays, die angeblich voll sein sollen, waren leer! Selbst wenn wir jemals die Erde erreichen sollten, werden wir nicht mehr bremsen können!« Wobei seine Bedenken darauf basierten, auch bei der Erde anzukommen, um sich dann überhaupt Sorgen über die Bremsproblematik machen zu können. Das waren gleich zwei Dinge, von denen er glaubte, sie nicht mehr zu erleben. Lilith würde ihm vorher den Rest geben.
»Was redest du da? Denis, ich habe sämtliche technischen Vorgänge auf dem Schiff im Blick. Glaub mir, unsere Penning-Arrays sind aufgefüllt. Ich habe keine Ahnung, was du in der Antriebszone
gesehen hast, aber ich kann einen Fehler bei der Betankung kategorisch ausschließen.« Mutter glaubte sogar an den Blödsinn, den sie erzählte.
Jetzt schaltete sich Lilith in das Gespräch ein. »Mutter, Denis hat den kompletten Antrieb deaktiviert. Er hat dazu die dezentrale Notabschaltung benutzt. Ich kann das nicht rückgängig machen, der Zugang zur Steuerung ist verschlüsselt. Das ist ein kritisches Problem, wir beschleunigen im Moment nicht auf die Geschwindigkeit, die wir für den Kurswechsel benötigen. So werden wir keine Chance haben, Hyperius-18
Z zu verlassen. Wenn wir diesen Fluchtkorridor nicht nutzen, wird es exakt 1803
Jahre dauern, bis wir eine erneute Chance bekommen.«
»Lilith, das ist doch nicht wahr!« Denis glaubte dem Androiden kein Wort.
»Ich habe Zugriff auf Liliths Berechnungen. Sie sind korrekt. Ihre Prognosen sind allesamt eingetroffen. Wir haben wieder volle Tanks, wir haben den richtigen Marker gefunden und wir waren auf dem besten Weg, auf die benötigte Geschwindigkeit zu beschleunigen. Denis, gib den Antrieb der USS
London wieder frei. Ich bitte dich, du tust es doch auch für deine Tochter.«
»Vergiss es!«
»Denis, du machst einen Fehler.«
»Nein, den machst du!« Denis spuckte auf den Boden, er saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt und zitterte. Die Schmerzen in seinem verdrehten Bein brachten ihn schier um den Verstand. Lilith hatte ihm den rechten Unterschenkel um 360
Grad herumgedreht. Dabei waren unzählige Muskeln und Bänder gerissen. Sein Knie pochte und wurde immer dicker.
»Mutter, wir brauchen den Zugang zum Antrieb!« Lilith setzte nach. Sie arbeitete an der letzten Konsole, die beim Kampf nicht zu Bruch gegangen war.
»Er hat das Verschlüsselungspanel aus der Notabschaltung entfernt. Ich kann den Zugang nicht ohne dieses Bauteil hacken.« Mutters Hologramm wandte sich ihm zu. »Denis, du verspielst unsere einzige Chance! Siehst du das denn nicht?«
»Wir brauchen den Antrieb!« Lilith ließ farblich unterschiedliche Kursbahnen in die Mitte der Brücke projizieren, der Abstand des
bisher beabsichtigten Zielkurses und der wirkliche Flugverlauf klafften stetig weiter auseinander.
»Ich will mit Jaz sprechen!« Denis klammerte sich an den letzten Strohhalm.
»Denis, hast du vergessen, was sie gesagt hat? Du sollst auf mich hören. Das war ein Befehl gewesen«, erklärte Mutter unbeirrt.
»Mutter, uns läuft die Zeit weg. Wie kommen wir an das fehlende Verschlüsselungspanel?«, fragte Lilith.
»Er hat es einer Drohne gegeben. Leider weiß ich nicht, welcher. Ich hacke sie gerade eine nach der anderen. Früher oder später werde ich die richtige gefunden haben. Denis, dein Versuch, die Mission zu sabotieren, ist gescheitert. Ich wollte dir noch eine Möglichkeit geben, Einsicht zu zeigen, aber du weigerst dich zu kooperieren. Das ist sehr bedauerlich. Darüber werde ich Jazmin berichten müssen. Glaub mir, das wird ihr nicht gefallen.«
»Du wirst die Drohne nicht finden!« Vermutlich hatte Denis mit dieser Aussage unrecht, aber er wollte nicht klein beigeben. R2
schwebte immer noch unter der Decke. Er gab keinen Ton von sich, und Lilith wie auch Mutter beachteten die kleine Drohne nicht.
»Mutter, wie lange wird das dauern?«, fragte Lilith, die Denis nicht ansah. Sie ließ sich alle holographischen Ansichten, die sie für die Steuerung brauchte, von der Konsole in die Luft projizieren.
»Einundzwanzig habe ich schon. Leider bisher die falschen. In einer Stunde bin ich mit allen durch. Die Drohnen, die ich übernommen habe, helfen mir, die anderen zu finden. Sie verstecken sich gerade im gesamten Schiff.«
Diesen Schritt hätte die Mutter, die Denis kannte, niemals unternommen. Ohne Zustimmung der Bord-KI
hätte Lilith die USS
London niemals steuern können. Mutter war ganz offensichtlich kompromittiert.
»Sehr gut. Wenn wir in einer Stunde die Triebwerke wieder zünden, werden wir die Bedingungen für den Kurswechsel einhalten können.«
Mutter kniete neben ihm. »Denis, noch ist nichts verloren. Entscheide dich für den richtigen Weg. Für unsere Rückkehr zur Erde.«
»Nein!« Er wusste genau, was er gesehen hatte. Es spielte auch
keine Rolle, ob sie die verbliebenen Penning-Arrays verpulverten oder nicht. Lilith verfolgte einen Plan, den er zwar nicht im Detail kannte, den er aber bis zum letzten Atemzug sabotieren würde.
»In Ordnung.« Mutter stand auf und wandte sich von ihm ab. »Ich bin wirklich sehr enttäuscht von dir.«
»Mutter, es hat keinen Zweck. Wir müssen uns um die Drohnen und den Antrieb kümmern. Alles andere ist im Moment nicht relevant. Wir können uns später eine passende Strafe für ihn aussuchen. Bis dahin wird er uns nicht weglaufen.«
Mutter nickte. »Das denke ich auch, wir müssen ihn bestrafen. Daran führt kein Weg vorbei.«
Denis sah zur Tür, die immer noch offen stand. Vom Korridor drangen Geräusche auf die Brücke. Was war das? Von den Drohnen schwebte dort sicherlich keine herum, die unternahmen gerade alles, um nicht über das Netzwerk erreichbar zu sein.
»Denis!« Das war Jaz! Gut hörte sie sich nicht an.
»Mutter, Jaz ist an der Tür. Sie braucht Hilfe!« Einen anderen Schluss ließ ihre brüchige Stimme nicht zu.
»Ich habe nichts gehört«, sagte Lilith, die sich bei ihrer Arbeit nicht stören ließ.
»Denis, Jazmin liegt in eurer Kabine. Würdest du nicht gerne bei ihr sein?«, fragte Mutter.
»Sie hat meinen Namen gerufen!« Er wusste doch genau, was er gehört hatte.
»Nein, Denis. Da ist niemand. Wirklich nicht.« Mutter schüttelte den Kopf.
»Auf dem Korridor vor der Brücke!« Wenn er sich doch nur bewegen könnte, dann würde er selbst nach ihr sehen. Jaz hatte eindeutig nach ihm gerufen.
»Denis, du brauchst dringend Hilfe. Du siehst leere Penning-Arrays, die in Wirklichkeit gefüllt sind. Du greifst Lilith an, obwohl sie uns retten wird, und jetzt glaubst du, Jazmin zu hören, obwohl niemand auf dem Korridor nach dir gerufen hat.« Mutter hörte nicht auf, sie verleugnete Jaz, sie log genauso wie Lilith.
»Dann zeig mir den Korridor!«, forderte er.
»Er ist leer.« Mutter zeigte mit dem Finger auf eine in die Luft projizierte Kameraansicht, die vor der Brücke einen leeren Flur
zeigte. Von Jaz war nichts zu sehen. »Alles leer. Glaubst du mir jetzt?«
Er schluckte.
»Mutter hör auf, deine Zeit mit ihm zu verschwenden. Wie ist der Fortschritt bei den Drohnen?«, fragte Lilith.
»Dreiundvierzig habe ich bereits, die anderen bekomme ich noch. Keine Sorge, ich kann mehrere Dinge gleichzeitig tun. Die Drohnen stöbern sich untereinander auf«, sagte Mutter, die R2
oben unter der Decke keine Beachtung schenkte. Klar, er hatte das Panel nicht, aber bemerkenswert war es dennoch.
Dafür warf Lilith jetzt einen Blick auf ihn. »Denis ist nicht mehr zu gebrauchen. Er steht uns im Weg. Die Drohnen hat er ohnehin nicht unter Kontrolle. Er ist entbehrlich!«, sagte Lilith. »Wir sollten kurzen Prozess mit ihm machen.«
»Was machen wir mit Jazmin?«, fragte Mutter.
»Mit Colonel Dr. Jazmin Harper? Auch sie ist entbehrlich. Meine Aufgabe ist es, nur die wertvolle Fracht zu bergen. Alles andere ist sekundär«, erklärte Lilith.
»NEIN
!«, brüllte Denis.
»Ich werde ihm das Genick brechen«, sagte Lilith und kam auf ihn zu.
Denis fehlte die Kraft, um sich zu wehren, zudem war sein Bein völlig im Eimer und sein linker Arm gebrochen. Vermutlich war auch die linke Schulter ausgerenkt. Er konnte sich keinen Zentimeter bewegen. So hätte es nicht enden sollen. Von seinem letzten Tod hatte Jaz ihn zurückgeholt. Das würde ihr kein zweites Mal gelingen.
R2
schwebte von der Decke herab und stellte sich Lilith in den Weg. Er piepte wild und zappelte mit seinen kurzen Greifarmen in der Luft herum. Das war heldenhaft, aber auch zwecklos. Denis ließ den Kopf hängen. Lilith würde die Drohne gleich mit einem Schlag in ihre Einzelteile zerlegen.
»Und was soll das jetzt?« Lilith blieb stehen und betrachtete R2
verwundert.
»Er ist mein Freund …«, sagte Denis. Die Drohne symbolisierte die ganze Misere, die es länger geschafft hatte, Lilith zu widerstehen als Mutter.
R2
machte einen hohen langgezogenen Piepton, dann schwebte er ein Stück auf Lilith zu und brummte bedrohlich.
»Soll ich ihn übernehmen?«, fragte Mutter. Klar, sie fragte Lilith, wo es langging.
»Nein.« Lilith verschränkte die Arme. »Wieso auch?« Offenbar amüsierte sie die Drohne. »Oder ist sie bewaffnet?«
»Nein«, antwortete Mutter.
»Sprengstoff?«
»Nein.«
»Was will das Ding dann von mir?«, fragte Lilith, während sie den Kopf schüttelte.
»Er will kämpfen …«, antwortete Denis. Dazu musste man keine übermenschlichen Kräfte haben, sondern nur ein mutiges Herz. Und das hatte R2
auf jeden Fall.
Lilith sah zu Denis. »Und was will die Drohne tun, was du in einem militärischen Kampfanzug nicht geschafft hast?«
Denis schwieg, darauf wusste er keine Antwort. Lilith hatte leider recht, die Drohne konnte sie nicht aufhalten.
»Ich könnte die Drohne jederzeit übernehmen, ein Wort von dir reicht«, erklärte Mutter devot. Es war ein Trauerspiel, die Bord-KI
so zu sehen.
»Nein, nein … ich werde sie nicht beschädigen. Sie wird nach einem Update ihrer Software wieder nützlich sein …« Lilith schob R2
auf die Seite, der mit seinen Schwebepads voll dagegenhielt. Ein ungleicher Kampf, die Drohne hatte gegen den Androiden keine Chance.
R2
piepte, er kämpfte, dann setzten seine Pads aus und er knallte wie ein halb voller Mülleimer auf den Boden. Eines seiner Verkleidungsteile löste sich dabei und kullerte weg.
»Denis, ich bin auf dem Korridor!«, rief Jaz erneut.
Lilith ging durch die Tür und kam einen Moment später zurück. Sie schleifte die schreiende Jaz an ihrem Zopf auf die Brücke. Da war Blut. Auf ihren nackten Beinen konnte er Blut sehen. Sie trug nur seinen Pullover.
»LASS SIE
!« Denis wollte das alles nicht wahrhaben, war aber am Ende des Weges angekommen. Weder Jaz noch er waren in der Lage, sich gegen Lilith zu wehren. Und R2
, egal, wie mutig er war, würde
sie auch nicht retten.
»Denis …« Jaz lag neben ihm, sie litt elendig, mit letzter Kraft robbte sie an seine Seite. Ihre Hand zu halten fühlte sich gut an. Sie würden zusammen sterben.
»Ein schönes Paar, oder?«, spottete Lilith.
»Ja«, antwortete Mutter kurz angebunden.
»Was macht diese Drohne denn jetzt?« Lilith verdrehte die Augen, vermutlich konnte sie R2
s verzweifelten Kampf nicht verstehen, der sich weiterhin gegen sie wehrte. Er fing an, sich selbst zu zerlegen. Zuerst löste er eine weitere Verkleidung, dann machte er sich an seiner eigenen Energieversorgung zu schaffen. Funken schlugen in einem weiten Bogen aus der Öffnung. Die Schwebepads waren kräftig, schließlich konnte der kleine Roboter damit schwere Lasten transportieren. Wollte er sich etwa selbst reparieren?
»Ich denke, die Drohne ist verwirrt. Ich könnte …«
R2
fing an zu qualmen, schrill zu piepen und sich selbst den Stecker zu ziehen. Er hatte die Hauptenergieversorgung von den Schwebepads gelöst und hielt das Kabel in seinen kleinen Greifern. Jetzt war er still und lag regungslos am Boden.
»War das ein Selbstmord?«, fragte Lilith und schüttelte verständnislos den Kopf.
»Ich kann mir dieses Verhalten nicht erklären …«, fügte Mutter dem betreten hinzu.
»Jetzt zu euch.« Lilith ging an der Drohne vorbei und näherte sich Denis und Jazmin.