XX.
AD 9495 – Fast zu Hause
»Neuronaler Cortex online … initiiere organisches Feedback. Jaz, kannst du mich hören?«, erklärte eine Frauenstimme, die so nah wirkte, als ob sie Jazmin unmittelbar ins Ohr flüstern würde. Alles um sie herum war dunkel. Das war Mutter.
Wo war sie?
»Jaz?«
Als ob sie in ein heißes Bad tauchen würde, rollten unzählige Erinnerungen durch ihre Sinne. Die gescheiterte Alderamin-Mission, all das Leid, das sich auf der USS London ereignet hatte, Denis, ihr Kind, Lilith und ihre mühselige Rückkehr zur Erde. War das real? Ein Traum oder vielleicht auch eine virtuelle Trainingssession? Letzteres konnte sie ausschließen. So etwas konnte sich niemand einfallen lassen.
»Du solltest wach sein …«
Jaz war verwirrt. Ihr Gaumen war verschleimt, und ihre Zunge schmeckte wie ein alter Lumpen.
»Lass dir Zeit.«
Das kannte Jazmin bereits, aus einem längeren Kälteschlaf aufzuwachen war keine schöne Sache. Sie blickte zur Seite und sah sich selbst. Bitte was? Nein, das war Mutter, die Bord-KI , die als Hologramm lebensecht neben ihr im Aufwachraum stand.
»Hallo.«
»Hi …« Das erste Wort.
»Schön, dich zu sehen.« Mutter lächelte. »Zeit zum Aufstehen.«
»Wie lange habe ich geschlafen?«
»81 Jahre.«
»Oh …« Jaz’ zweiter Blick galt ihrem stattlichen Bauch. 81  Jahre im Kälteschlaf bedeutete, 81  Tage älter geworden zu sein. Das galt auch für ihr Kind.
»Dem Kind geht es gut. Ich habe dich künstlich ernähren lassen. Du bist gesund. In drei Wochen ist der berechnete Zeitpunkt deiner Niederkunft. Alles ist bestens.« Mutter schien ihre Gedanken lesen zu können und kam der Frage zuvor.
»Denis?«
»Er ist wohlauf und freut sich, dich wiederzusehen.«
»Wo ist er?« Eigentlich hätte sie ihn nach der langen Zeit an ihrer Seite erwartet.
»Arbeit. Das Schiff bedurfte seiner besonderen Zuwendung. Er kommt gleich.«
»Wo sind wir?«
Mutter lächelte erneut. »Im Anflug auf die Erde. Wir haben das Bremsmanöver bereits eingeleitet.«
»Wirklich? Wir haben die Erde gefunden?« Jazmin glaubte für einen Moment, dass ihr Herz vor Glück zersprang. Das war unglaublich, sie hatten es wirklich geschafft, nach Gravitation zu navigieren, ihr Plan war offenbar aufgegangen.
»Wir haben es geschafft.«
Jazmin setzte sich auf. Erst jetzt bemerkte sie, dass der ganze Raum in unregelmäßigen Abständen vibrierte. Zudem war sie splitterfasernackt. »Es ist kühl.«
»Wir müssen Energie sparen. Das Klimasystem an Bord agiert im Notbetrieb. Es liegen Sachen für dich bereit.« Mutter zeigte auf einen Stapel Kleidung.
Jazmin glitt von der Liege. Nachdem sie mit ihren nackten Füßen auf dem eiskalten Boden stand, war sie richtig wach. Sie zitterte und beeilte sich, sich anzuziehen, was mit dem dicken Bauch gar nicht so einfach war. Jeder auf dem Rücken liegende Käfer wäre schneller gewesen. »Warum Notbetrieb?«
»Denis leitet sämtliche Energie um … dabei ist er äußerst kreativ. Zonen im Schiff, die wir nicht brauchen, sind noch kälter. Ich habe den Aufwachraum extra für dich aufgewärmt.«
Der körperbetonte Einteiler passte zum Glück auch mit dickem Bauch. Das Material passte sich an. Sie schlüpfte in die Stiefel und in eine Jacke mit Kapuze. Sie schmunzelte, mit Schrecken hatte sie gesehen, dass sie sich wieder einmal die Beine rasieren sollte. Egal, ein wenig Pelz an den Waden würde bei den Temperaturen nicht schaden.
»Da hättest du auch ein paar Grad mehr herausrücken können.« Jazmin pustete sich in die kalten Hände.
»Entschuldige.«
»Schon gut …« Jazmin konnte sich vorstellen, dass der Anflug auf die Erde mit leeren Antimaterie-Arrays andere Prioritäten erforderte. Das Schiff war auch nicht mehr das jüngste. Sie steckte sich den Iris-Projektor auf die Nasenwurzel und legte zwei Finger über den am Hals unter ihrer Haut implantierten Chip. »Denis, hallo, kannst du mich hören?«
»Guten Morgen.«
»Ich bin wach.«
Er lachte. »Das höre ich.«
»Ich würde dich gerne sehen …« Der Projektor, der das Bild in ihr linkes Auge spiegeln sollte, zeigte nichts an. »Gibt es ein Problem mit der Übertragung?«
»Ich habe bereits das Netzwerk teilweise heruntergefahren. Wir brauchen nicht alles, da funktionieren einige Dienste nicht mehr wie gewohnt.«
»Das merke ich … mir ist kalt.«
»Ich wärme dich später.«
»Da bitte ich drum!«
»Jaz, wie geht es dir?«
»Den Umständen entsprechend.«
»Mutter und ich wollten dich, solange es geht, schlafen lassen, aber jetzt stehen einige wichtige Entscheidungen an.«
»Welche?«
»Wir treffen uns auf der Brücke, in Ordnung?«
»Ist es da wärmer?« Jazmin fror am ganzen Körper.
»Ähm … leider nicht.«
»Ich habe einen Schwebestuhl für dich«, erklärte Mutter. Hinter ihr piepte R2 und wackelte dabei in der Luft.
»Ich kann laufen.« Jazmin ging zu R2 und legte die Hand an sein verbeultes Chassis. Die kleine Drohne wirkte arg gebeutelt. Man sah ihr jedes Jahr, das sie über sie gewacht hatte, deutlich an. Sie brummte zufrieden.
»Denis hat mir gedroht, dass er mir, um Energie zu sparen, meine CPU begrenzt, wenn ich dich nicht davon abhalte, zur Brücke zu laufen. Jaz, bitte, du musst dich schonen. Ich bin froh, dass das medizinische Notfallsystem dich während des Kälteschlafs wieder in Form bringen konnte.«
»In Ordnung …« Jazmin fügte sich. Ihre Beine fühlten sich wirklich noch etwas weich an.
Auf der Brücke. Jaz hielt Denis fest in den Armen. Er weinte, sie ließ die Tränen ebenfalls laufen. Die 81  Jahre im Kälteschlaf hatte sie nicht gespürt, die Angst davor, nicht mehr aufzuwachen, hatte sie allerdings nicht vergessen.
»Halte mich …«, flüsterte sie.
»So lange ich kann!«
»Ich möchte kein Spielverderber sein« , erklärte Mutter über Lautsprecher. Entgegen ihren Gewohnheiten verzichtete sie auf eine Projektion.
»Dann sei keiner!«, antwortete Denis, dessen linke Hand zitterte.
»Mutter …« Jazmin küsste Denis, ließ ihn dann aber los.
»Die gute Nachricht zuerst: Wir haben die Erde gefunden. Unser Plan hat funktioniert.«
»Yeah!« Jazmin klatschte Beifall. Allein für diese Nachricht hatte es sich gelohnt aufzuwachen.
»Wir sind wieder da!« Denis zeigte seine rechte Faust, den linken Arm bewegte er kaum. Verdammt, die Verletzung war nicht gut verheilt. Das würde sie sich später noch einmal ansehen, vermutlich brauchte er eine weitere Operation.
»Eine schlechte Nachricht gibt es leider auch … wir können mit der Erde keinen Funkkontakt aufnehmen. Die antworten nicht. Denis hat bereits eine komplette Fehleranalyse unserer Kommunikationssysteme durchgeführt, leider ohne Befund.«
»Haben wir das Jahr 9495 ?«, fragte Jazmin. Mutter sprach von 81  Jahren Kälteschlaf. Dieses Datum war Wahnsinn, sie hatten aus der USS London eine Zeitmaschine gemacht.
»Wir haben den 18 . Januar 9495 . Freitag, 3 .46  Uhr mitteleuropäischer Zeit. Die Europäer schlafen noch«, erklärte Denis und zeigte auf eines der Displays auf der Brücke. Dort wurden mehrere terrestrische Uhrzeiten angezeigt. Die Drohnen hatten hier wieder alles repariert, nachdem Lilith mit ihm den Boden gewischt hatte.
»Wir werden pünktlich zum Wochenende mit hoher Geschwindigkeit an der Erde vorbeirasen.«
»Danke für das Stichwort.« Denis ging zur Mitte der Brücke. »Mutter, das Schiff, bitte.«
»Kommt.« Das Licht auf der Brücke dimmte sich etwas ab, und Mutter projizierte die USS London zwischen sie. Die komplette hintere Hälfte der Darstellung blinkte rot.
»Jaz, wir bremsen bereits seit einer geraumen Weile. Unser Heck zeigt nach vorne, und wir haben mittlerweile die gesamte Antimaterie verbraucht. Die Arrays sind leer.«
»Wie zu erwarten.« Eine ärgerliche Geschichte, an der ihre Begegnung mit Lilith schuld war. Die Probleme, die sie jetzt hatten, waren eigentlich völlig unnötig.
»Wir arbeiten bereits mit den Navigationstriebwerken und unseren seitlichen Deflektorsystemen, um den Bremsvorgang zu unterstützen. Mutter hat ein Verfahren entwickelt, um den Bremsdruck der Navigationstriebwerke in eine Art energetisches Segel zu blasen. Damit können wir den Wirkungsgrad erhöhen.« Denis zeigte auf riesige Ausbuchtungen, in denen sich die Schubkraft der Navigationstriebwerke verfing. In der holographischen Darstellung glichen sie mehreren Spinnakern, wie sie auf Sportsegelbooten im Ozean verwendet wurden. Das waren interstellare Bremsfallschirme, auch wenn das physikalische Prinzip im All ein völlig anderes war.
»Und klappt das?«
»Sehr gut sogar. Wir machen nur noch bescheidene 0 .083  c. Das ist zwar immer noch zu schnell, aber mehr war nicht drin. Jetzt sind wir trocken wie die Wüste Gobi. Wir können auch keine Kursänderung mehr durchführen, die Tanks der Navigationstriebwerke sind mittlerweile ebenfalls leer.«
»Mein Plan war, uns mit dieser Vorgehensweise Zeit zu erkaufen. Ich habe gehofft, in der Nähe der Erde Hilfe rufen zu können. Leider ist kein Kontakt möglich.«
»Wir kommen nach 6775 Jahren zurück … genutzte Technologien können sich massiv verändert haben.«
»Darauf hoffen wir. Die können uns sicherlich orten. Die USS London ist mit einer Länge von 41  Kilometern nur schwer zu übersehen.« Während Mutter sprach, vibrierte der Boden besonders stark. »Wir brauchen dringend Hilfe.«
»Gibt es keine Signale von Satelliten, die wir empfangen können? Die Umlaufbahn der Erde ist voll mit den Dingern.« Jazmin wollte das Problem mit der Funkstille nicht einfach hinnehmen. Sie ging zu einem der Displays, an dem die Abtastung breiter Frequenzbereiche angezeigt wurde. Bis auf das übliche Subraumrauschen, das das Magnetfeld der Erde in den freien Raum posaunte, war dort nichts zu vernehmen.
»Wir empfangen leider keine Satellitensignale.« Weitere Vibrationen erfassten die Brücke.
»Mutter, was ist das?«
»Das sind unsere Railguns und Hochenergiegeschütze. Antimaterie haben wir keine mehr, dafür reichlich Munition, um Meteoriten abzuschießen. Die Vibrationen stammen von heißem Staub, der den Heckdeflektor zum Glühen bringt.«
»Meteoriten, hier?«
»Jede Menge sogar.« Denis wischte über die Darstellung der USS London, verkleinerte sie und zeigte den ganzen heranfliegenden Dreck an, den die Geschütze autonom pulverisierten. Die Heckdeflektoren des Schiffs waren roter als jeder Pavianarsch. Da draußen brannte das All.
»Oh …« Jazmin hatte den letzten Einsatz der Geschütze nicht vergessen, als sie sich den Weg aus dem Schwarzen Loch heraus freigeschossen hatten.
»Es gibt ein weiteres Problem.«
»Noch eins?«
»Leider.« Mutter übernahm die Darstellung und verkleinerte sie weiter. Dann projizierte sie das Hologramm eines zerbrochenen rötlichen Planeten in die Mitte der Brücke. »Das ist der Mars. Nein, ich sollte besser sagen, das war er.«
»Was ist passiert?« Jazmin staunte nicht schlecht. Den roten Planeten so zu sehen war erschreckend. Wenn ihn nicht gerade jemand gesprengt hatte, musste ihn ein sehr großer Meteorit getroffen haben.
»Das wissen wir nicht … er sieht auf jeden Fall übel aus«, erklärte Denis. Sein Overall war voll rötlicher Hydraulikflüssigkeit. »Die ganzen Meteoriten, die uns begegnen, stammen von ihm. Der von uns gewählte Anflugsektor zur Erde ist kaum passierbar. Das haben wir leider zu spät registriert. Da hatten wir schon den letzten Krümel Antimaterie durch die Navigationstriebwerke geblasen.«
»Werden wir damit ein Problem bekommen?«
»Der Staub, durch den wir hindurchpflügen, bremst uns sogar ab. Darum spare ich überall, wo es geht, Energie. Ansonsten droht die Spannung der Heckdeflektoren abzufallen.«
»Das wäre schlecht, oder?«
»Sehr schlecht, dann würde uns der heiße Staub die Pelle vom Chassis rubbeln.«
»Ich liebe deine bildhaften Beschreibungen. Aber okay, das Problem habe ich verstanden.«
»Wirklich?«
»Ähm …«
»Bisher haben wir nur über die kleinen Probleme gesprochen. Die richtigen kommen erst noch.« Denis legte noch einen drauf. »Mutter, machst du weiter?«
»Ja.«
Jazmin sah eingeschüchtert zu einem der Lautsprecher. Mutter durfte jetzt gerne etwas sagen, um sie zu beruhigen.
»Das ist leider richtig. Wir haben eigentlich gute Chancen, an dem zertrümmerten Mars vorbeizukommen. Dabei wird es aller Voraussicht nach zu Beschädigungen am Schiff kommen, die wir allerdings überstehen können.« Mutter wechselte die Ansicht und zeigte eine holographische Animation, wie sich die USS London unter heftigem Meteoritenbeschuss einen schweren Treffer nach dem anderen einfing. Nach wenigen Sekunden fehlte bereits das halbe Schiff.
»Und?«, fragte Jazmin.
»Die Erde ist mit dem Mars-Problem anders umgegangen. Um einen stetigen Meteoritenregen zu vermeiden, hat man im Abstand von vierzig Millionen Kilometern einen energetischen Kokon um die Erde gespannt. Dieses aktive Energiefeld wird durch sechzehn Raumstationen gespeist, von denen ebenfalls keine auf unsere Anfragen reagiert.« Die Darstellung wurde kleiner, um die Erde, die Raumstationen und das gigantische Energiefeld einzubinden. Der Energiebedarf dieses Kraftfeldes musste unglaublich groß sein.
»Hören wir vielleicht deswegen nichts von der Erde?« Jazmin blickte auf die Mitte der Brücke. Mutter hatte den energetischen Meteoritenschutz für eine bessere Sichtbarkeit rötlich eingefärbt. Weiter außen sah sie den zerstörten Mars und die Stelle, an der die USS London voraussichtlich mit dem Schutzschild kollidieren würde. Sie würden mit 89  Millionen km/h mit einem 41  Kilometer langen Raumschiff gegen eine Energiebarriere knallen.
»Das ist denkbar. Wir wissen es nicht.«
»Was sind die Folgen eines Aufpralls?«
»Das Schiff wird zerstört. Ich habe mehrere Simulationen durchgespielt, bei den Szenarios gab es zu 37  Prozent einen sofortigen Totalschaden. Das Schiff wird pulverisiert. Zu 41  Prozent gibt es einen für uns immer noch tödlichen Schaden und zu 22  Prozent ein Zerbrechen des Rumpfs in bis zu 58  Bruchstücke, bei dem die Wahrscheinlichkeit, binnen der nächsten Stunde zu sterben, über 90  Prozent lag. Das Best-Case-Szenario.«
»Ausweichen können wir nicht mehr …«, ergänzte Denis, der neben ihr stand und ihre Hand hielt.
»Wir brauchen dringend einen Plan B.« Egal, was für einen, aber mit dem angedeuteten Verlauf konnte Jazmin im wahrsten Sinne des Wortes nicht weiterleben.
»Den haben wir … gut ist er leider nicht. Ich habe drei Gleiter vorbereiten lassen. Valkyrie-Klasse, die größten, die wir haben, die können jeweils vier Container laden. Die Drohnen haben den verfügbaren Treibstoff in jeweils drei Container verfrachtet und Verbindungen zum Antrieb gelegt. Damit können wir die Gleiter bei einer maximalen Startgeschwindigkeit von 0 .04  c abbremsen und sicher zur Erde bringen. Das sind im Prinzip fliegende Helium-3 -Bomben. Wie gesagt, wir machen im Moment immer noch 0 .083  c, das wäre zu schnell für das Manöver.«
»Nutzlast?«
»129 lebende Menschen in Kältebetten, das ist die Besatzung, deren Klone wir nicht aufgeweckt haben, unsere Embryonen, einen Teil der Drohnen und wir.«
»Nur einen Teil der Drohnen?«
»Es passen nicht alle rein …«, sagte Denis. R2 , der die ganze Zeit dem Gespräch folgte, piepte leise. »Im Moment gibt es 142 aktive Drohnen an Bord.«
»Wir können den Erlebnisspeicher der Drohnen sichern, damit können wir sie später wieder herstellen und mit ihren eigenen Erlebnissen ausstatten.«
»Mutter, sehr gut, fang damit an, du sicherst alle Drohnen, die wir im Einsatz haben.« Das war Jazmin ihren kleinen Freunden schuldig. Die gehörten mittlerweile zur Crew.
R2 wippte freudig hin und her, drehte sich und verließ die Brücke. Ob er es seinen Freunden sagen wollte?
»Denis, nun zu dem Problem mit der Geschwindigkeit. Wie können wir die USS London auf maximal 0 .04  c abbremsen?« Diese Diskrepanz hatten sie unbedingt zu überbrücken. Ansonsten würden auch die drei Valkyries in einem Affenzahn an der Erde vorbeisegeln und kurze Zeit später in der Sonne landen.
»Jetzt kommt der nicht so gute Teil des Plans. Ich suche noch nach einer besseren Lösung.«
»Mein Schatz, raus damit!« Jazmin hatte nicht das Gefühl, dass sie heute noch viel schocken konnte.
»Okay, pass auf! Es läuft folgendermaßen.« Denis kam näher auf sie zu und sprach leiser. »Die britische Lady verfängt sich in dem energetischen Meteoritenschutz, sie wird unter 0 .04  c abgebremst und dabei hoffentlich nicht in Stücke zerrissen, wir starten die Valkyries, lösen uns von der Arche, bremsen weiter ab und fliegen zur Erde.«
»Echt jetzt?«
»Ja.«
»Du bist bescheuert!«
»Ähm … ja.« Denis wusste es selbst. »Aber ich habe nichts Besseres.«
»Der Plan ist durchführbar. Aber es ist ein Rennen gegen die Zeit. Wir werden in 123  Minuten den Mars passieren. Die Kollision mit der Barriere erfolgt 16  Minuten später. Danach bleiben uns vierzig Millionen Kilometer bis zur Erde.«
»Wir können auch beten …« Jazmin ließ den Kopf hängen, was für ein Plan. Sie drückte seine Hand. Dann sah sie trotzig auf. »Denis, glaubst du wirklich, dass es funktionieren wird?«
»Ja.«
»Dann machen wir es so!« Wie hatten sie sich nur so reinreiten können, damit aus diesem Schwachsinn eine valide Option wurde? Vermutlich würde die USS London implodieren und sie alle sterben. Nein, hör auf, negativ zu denken, forderte sie sich in Gedanken auf. Denis hatte recht, es würde funktionieren!
»Bei 0 . 083  c bleiben uns nach dem Crash circa 26  Minuten, um die USS London zu verlassen. Bei 0 . 04  c oder weniger bis zu 55  Minuten. Das ideale Absprungfenster befindet sich in einem Abstand von 80 bis 120  Kilometern über der Erde. Dort können wir in den Orbit eindringen und die Geschwindigkeit weiter verringern.«
»Mutter?«
»Ja.«
»Warum redet niemand mit uns?« Der Gedanke verfolgte Jazmin, die auf diese Frage noch keine Antwort gefunden hatte.
»Ich weiß es nicht.«
»Welche Szenarien sind vorstellbar?« Sie wollte eine mögliche Begründung kennen, bevor sie sich auf diesen Höllenritt einließ.
»Du hast es selbst gesagt. Vielleicht haben wir veraltete Systeme … vielleicht können sie uns mit den Kraftfeldern auch sicher auffangen. Dann würde dem Schiff nichts passieren.«
»Oder es ist eine Falle«, sagte Denis.
»Könnten Sie uns als Feind sehen? Vielleicht wurde die USS London über die Zeit komplett vergessen …«
»Wartet … ich bekomme etwas rein. Unglaublich, das ist ein Funkspruch. Ich stelle ihn laut. Jaz, du kannst direkt antworten« , erklärte Mutter überraschend.
»Jiuyuan dui qi… Keyi bangzhu … Shang chuan« , tönte es blechern aus den Lautsprechern. Die Übertragung wurde durch zahlreiche Störgeräusche unterbrochen.
»Hier spricht Commander Jazmin Harper von der USS Boston! Wer spricht da bitte?« Jazmin zeigte Mutter an, das Mikrophon sofort wieder zu schließen. »Mutter, das ist keine digitale Kommunikation, oder?« Die hätte sich anders angehört.
»Es ist analog. Ein chinesischer Dialekt. Es gibt keine Zertifikate. Das ist nicht der Kanal, der für die Kommandokommunikation vorgesehen ist. Die Verbindung ist unsicher, aber ich wollte es euch natürlich nicht vorenthalten.«
»Sonderlich fortschrittlich hört sich das nicht an. Will uns da jemand verarschen?«
»Jiuyuan dui san, women yao … huilai!« Mutter übersetzte in Echtzeit. »Bergungsteam drei, wir gehen hinten rein!«
Das klang nicht, als ob es für sie bestimmt war.
»Die wollen uns nicht helfen, die bereiten sich darauf vor, das zerstörte Schiff zu plündern. Mutter, kannst du sie orten?«, rief Jazmin. »Führe sofort eine Nahbereichsanalyse durch. Maximale Auflösung. Die müssen bereits in der Nähe sein!«