XXVIII.
AD 3075 – Der Freiheit so nah
Die weiteste Reise, die Isabella in ihrem Leben gemacht hatte, war Gozo gewesen. Lächerlich, oder? Sie konnte es selbst kaum glauben. Es stimmte aber, sie hatte noch nicht einmal Amerika, Asien oder Australien besucht. Warum eigentlich? Weil sie Angst vor langen Reisen hatte? Aber das stimmte nicht. Es hatte sich einfach nie ergeben. Im Prinzip hatte sie nach der Schule auf der Universität einfach weitergemacht und war dort geblieben. Um Bücher zu schreiben, brauchte man im Jahr 3075 nicht mehr reisen. Alles, wirklich alles ließ sich inzwischen online in Erfahrung bringen. Es war deshalb wenig überraschend, dass sich bei ihr jetzt, da sie im Licht einer neuen Sonne auf ein weit von der Erde entferntes und über 40000 Meter langes Raumschiff zusteuerte, der Eindruck einstellte, dass ihr bisheriges Leben in engen Bahnen verlaufen war.
»VOLLEN SCHUB !«, brüllte Ruth Negri. »HALTET EUCH FEST
Genau das tat Isabella, die für solchen Blödsinn eigentlich zu alt war. Zudem mochte sie nichts, was sich schneller als ein Fahrrad bewegte. Mit zusammengebissenen Zähnen saß sie neben Lana Hindley, die offenbar einiges mehr mit Max verband als ein paar gemeinsam verbrachte Jahre im selben Raumschiff. Ein schönes Paar, sie wünschte den beiden alles Gute. Festhalten hatte Negri gerufen. Das tat sie, dennoch drohten die enormen G-Kräfte ihr das Brustbein zu brechen.
»Bella! Atmen Sie! Atmen!«, rief Lana, deren Stimme sie kaum noch hören konnte. Isabella drohte gleich, das Bewusstsein zu verlieren. Der ganze Gleiter vibrierte, ihre Arme schlugen willenlos durch die Luft, Lana half ihr, sich selbst nicht k.o. zu schlagen. Entschlossen griff sie in Isabellas Ausschnitt und drückte ihr einen flachen Monitor unter die Brust. »Ich bin bei Ihnen! Entspannen Sie sich! Das Beatmungssystem wird Ihnen helfen! Damit können Sie sich wieder bewegen wie eine junge Frau. Ich habe das Gerät modifiziert. Es hat eine vernetzte CPU , einen leistungsfähigen Booster und erkennt eigenständig, wann sie Hilfe brauchen!«
»WARUM WERDEN WIR NICHT SCHNELLER ?« Woher Ruth Negri die Kraft nahm, so zu brüllen, erschloss sich Isabella nicht.
»Die haben ein Sperrfeld vor uns gelegt! Zwei taktische Bomber der terranischen Raumflotte sind an uns dran! Die bremsen uns aus! Gleich haben sie uns«, antwortete der Pilot. Das mit den getürkten Radardingern hatte nicht funktioniert, so viel war sogar Isabella mittlerweile klar. Na gut, Jenkins’ Trick hatte ihnen bestenfalls ein paar Minuten geschenkt.
»ÜBERTAKTEN SIE DIE TRIEBWERKE ! MELDUNG AN DIE BOSTON : DIE SOLLEN SOFORT DAS WURMLOCH SCHLIESSEN ! JETZT ! DIE DÜRFEN NICHT LÄNGER WARTEN
»Wir befinden uns mitten im Tunnel, das Wurmloch zu schließen … würde uns zerreißen!«
»DAS IST EIN BEFEHL !« Negri machte klar, wo ihre Prioritäten lagen. Das Wohl von Cygnus kam bei ihr vor den Embryonen und sicherlich auch vor dem Leben der Besatzungsmitglieder auf diesem Gleiter.
Isabella konnte, in der Mitte der Kabine sitzend, nach vorne durch die Frontscheibe der Piloten, die USS Boston sehen, an deren Breitseite sich plötzlich mehrere helle Lichtpunkte zeigten. Lichtpunkte, die bereits im selben Augenblick wie ein langer Streifen, an ihnen vorbeischossen und hinter ihnen für eine gleißend helle Lichtwand sorgten. Im nächsten Moment erfassten mehrere Schockwellen den Gleiter und ließen ihn über alle drei Achsen rollen.
» USS Boston für Cygnus- 78 . Wir haben vor dem Wurmloch Stellung bezogen und die beiden taktischen Bomber zurückgedrängt. Die Salve auf deren Deflektoren hat gesessen. Sie drehen ab. Cygnus- 78 , Sie befinden sich in Reichweite unserer Frontaldeflektoren, wir können sie jetzt beschützen, Sie haben es geschafft!«
»YUKI , ICH LIEBE DICH !«, brüllte Max, der einen Platz weiter saß. Offenbar kannte er die Stimme. Der Gleiter rollte immer noch, was der Freude der Besatzung keinen Abbruch tat. Der Jubel und das Geschrei übertönten alles.
Keine Viertelstunde später standen sie auf einem Flugdeck der USS Boston. Isabella lief Max hinterher, der gemeinsam mit anderen durch die Korridore sprintete. Das Ziel war die Brücke. Gleich sollten sie da sein. Die letzte Tür öffnete sich. Eine asiatische Schönheit sprang Max an den Hals. Was für eine Begrüßung. Das war offenbar Captain Yuki Okinawa.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte Ruth Negri, die ihr die Hand an die Schulter legte.
»Ja …« Auch wenn Isabellas Drang nach neuen Abenteuern fürs Erste gesättigt war. »Ich bin müde.«
»Bella, wir haben es geschafft … Sie können sich ausruhen.«
»Gleich …« Eine Sache war da noch. Das Beatmungsgerät, das unter ihrer Brust klebte, machte sie wirklich dreißig Jahre jünger. Die wohlige Wärme fühlte sich gut an.
»Captain Okinawa, was ist mit dem Wurmloch? Warum ist das noch offen?«, fragte Ruth Negri.
»Es gibt Fehler … wir können es im Moment nicht schließen. Die Feuerleitlösung für unsere vorbereiteten Lenkwaffen klemmt. Wir wissen nicht genau, wo das Problem liegt.«
»Vater!«, rief Max.
»Ich kümmere mich schon darum« , antwortete die KI über den Lautsprecher der Brücke. »Die Waffensystemkontrolle hat Probleme, die richtige Entfernung beim Anvisieren eines Wurmlochs zu berechnen. Ich versuche ein neues mathematisches Modell.«
»Was ist mit den Bombern der Erde?«, fragte Ruth Negri sichtlich alarmiert. Major Beust stand direkt neben ihr.
»Die warten auf der anderen Seite. Wir haben ein Patt. Wir leiten die gesamte Triebwerksleistung in die Deflektoren, die können sie nicht durchdringen. Die beiden terranischen Geschwader haben ebenfalls Schilde aktiviert« , erklärte Vater.
»Ich brauche ein taktisches Szenario!«, rief Max. »Was passiert, wenn eine Seite das Feuer eröffnet?«
»Physik im Grenzbereich. Normalerweise hätten die Deflektoren der beiden Raumschiffe eben dem direkten Hochenergiebeschuss nicht standhalten dürfen. Das haben sie aber. Die Energie wurde zum größten Teil vom Wurmloch absorbiert. Als ob man mit einer Projektilwaffe ins Wasser schießt und die Kugeln nach einem Meter auf den Grund taumeln. Das würde mit den Lasersalven der beiden Geschwader bei uns genauso aussehen. Das Wurmloch verhindert einen direkten Schlagabtausch. Die Ladung der Hochenergiewaffen wird regelrecht absorbiert und für den Einsatz der Railguns ist die Entfernung zu hoch.«
»Lenkwaffen?«, fragte Max.
»Zu langsam … die würden abgefangen werden.«
»Und wenn die beiden Geschwader durch das Wurmloch fliegen?«
»Dann würden wir sie binnen dem Bruchteil einer Sekunde abschießen. Wir würden uns dabei vielleicht ein paar Treffer einfangen, aber damit besser klarkommen als sie. Das wissen die Kommandanten, weshalb sie sich vermutlich auch zurückhalten.«
»Die Einschätzung kann ich bestätigen«, sagte Ruth Negri. »In Summe ist die USS Boston den beiden taktischen Geschwadern überlegen. Die können unsere Integrität nicht signifikant in Gefahr bringen.«
»Haben wir es dann geschafft?« Max sah Negri an. Die Anspannung hielt sich.
Die hochgewachsene Frau mit kurzen blonden Locken schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was die vorhaben … sicher sind wir erst, wenn das Wurmloch geschlossen ist!«
»Vater, was ist mit dem Feuerleitsystem?« Max presste die Lippen zusammen. In dieser Pattsituation war offenbar noch überhaupt nichts entschieden.
»Ich arbeite daran.«
»Und wenn wir angreifen?«, fragte Lana.
»Im Prinzip möglich … aber wenn wir Pech haben, bleiben wir auf der anderen Seite hängen. In einem Raumgefecht kann viel passieren«, antwortete Major Beust, der zuerst Isabella ansah und dann seine Vorgesetzte. »Colonel Negri, das sollten wir nicht tun. Wir leben noch … wir sollten unser Glück nicht überstrapazieren.«
»Ich möchte mich der Meinung von Major Beust anschließen. Die Waffensysteme der USS Boston sind primär für die Meteoritenabwehr konzipiert. Bei allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, sind wir dennoch kein Kriegsschiff.«
»Das hilft uns nicht!« An Ruth Negris Wange konnte man Blutspritzer sehen. Sie und Max trugen immer noch die erbeuteten roten Harper-Mackinney-Uniformen. »Wir müssen einen Weg finden, die Verbindung zur Erde zu kappen!«
»Es gibt eine Anfrage des Geschwaders: Offenbar befindet sich Cassian Mackinney persönlich auf einem der Kriegsschiffe. Colonel Harper, Colonel Negri, möchten Sie das Gespräch führen?« , fragte Vater.
Max nickte, Negri tat es ihm gleich. Wer hatte jetzt eigentlich das Kommando? Sie befanden sich auf der USS Boston, das war sein Schiff, seine Crew und seine Bord-KI . Andererseits war Negri die Anführerin der Separatisten und damit die wichtigste Person an Bord.
Negri machte die Eröffnung. »Mackinney, was wollen Sie?«
»Mein Eigentum. Und ich werde es mir holen.«
»Cygnus hat formell seine Unabhängigkeit von der Erde erklärt. Und wir werden zu verhindern wissen, dass die terranischen Streitkräfte durch das Wurmloch kommen. Was wollen Sie also tun? Ich denke, Ihre Optionen sind ausgeschöpft.« Während Ruth Negri sprach, bezogen alle Offiziere auf der Brücke ihre Positionen. Alle Systeme waren online. Isabella wusste ohnehin nicht, wozu der ganze technische Kram gut war.
»Das denke ich nicht.«
Die kalte Entschlossenheit in der Stimme jagte Isabella einen Schauer über den Rücken. Was hatte dieses Monster noch in der Hinterhand?
»Colonel, die beiden terranischen Geschwader setzen sich in Bewegung!«, rief Major Beust, der direkt hinter Ruth Negri sitzend, eine Aufklärungs- und Kommunikationskonsole besetzt hatte.
»Wir sind gefechtsbereit. Sämtliche Waffensysteme der USS Boston sind online. Steuerborddeflektoren online. Sämtliche Reparaturdrohnen sind im Einsatz, um auftretende Schäden zu beheben. Wir haben zudem Infanteriedrohnen von Cygnus an Bord, um die Flugdecks zu verteidigen. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt, aber wir sind vorbereitet.«
»Vater, sobald wir schießen können, feuern wir!«, rief Max. Isabellas gesunder Menschenverstand wollte nicht glauben, dass Mackinney eine offene Konfrontation suchte. Die konnte er kaum gewinnen. Auch auf die USS Boston zu schießen, ergab einfach keinen Sinn.
»Max, Ruth, da stimmt etwas nicht!«, rief Isabella. Da passierte etwas außerhalb ihres Sichtfeldes.
»Und was?« Ruth Negri sah sie prüfend an, vermutlich klingelten auch bei ihr die Alarmglocken.
»AN ALLE !«, rief Max. »WIR BRAUCHEN EINE TAKTISCHE ANALYSE ! WAS HAT MACKINNEY VOR
»Ich habe alle Systeme kontrolliert. Die Firewall ist dicht. Da kommt nichts durch. Es gibt auch ansonsten keine bedenklichen Indikatoren. Alle unsere Waffen sind einsatzbereit. Noch 72  Sekunden, dann ist das erste Geschwader in Reichweite.«
»Dieser Mann würde niemals ohne einen Plan auf uns zukommen!« Dessen war Isabella sich sicher. Ihr fehlte allerdings der militärische Sachverstand, um seine Pläne zu erkennen.
Ruth Negri verzog das Gesicht und schlug mit der flachen Hand auf eine Konsole. »Wir übersehen etwas!«
»Habe ich Sie verunsichert?« , fragte Mackinney, der zwar nichts von ihrem Gespräch mitbekommen hatte, aber die Pause richtig deutete.
Stille.
Für einen Moment schwieg jeder auf der Brücke. Isabella spürte, wie der Druck auf ihrer Brust wieder zunahm. Sie hatte Angst, diesem Kerl war alles zuzutrauen.
»Nun … um ehrlich zu sein. Sie hatten nie eine Chance … Sie sind immer genauso hoch gesprungen, wie ich es Ihnen gestattet habe. Colonel Negri, haben Sie sich nie gefragt, warum ausgerechnet Sie mit dem Aufbringen der USS Boston beauftragt worden sind?«
Es blieb still auf der Brücke. Alle arbeiteten weiter, hörten aber zu, was Cassian Mackinney zu sagen hatte.
»Haben Sie wirklich gedacht, dass uns Ihre Gesinnung nicht bekannt war? Na kommen Sie, so dumm sind Sie doch nicht. Die cygnische Separationsbewegung ist doch nicht aus dem Nichts entstanden …«
»Mackinney, hören Sie auf damit! Diese Megamind-Nummer nehme ich Ihnen nicht ab … Sie haben die Ereignisse nicht planen können. Das konnte niemand. Und wenn doch, wären Sie ein unverantwortlich hohes Risiko eingegangen!« Ruth Negri ließ sich nicht bluffen, die Zeit lief weiter, noch 48  Sekunden. Ein Display auf der Brücke zeigte den Countdown an, ein anderes eine Ansicht der beiden auf den Peak des Wurmlochs anfliegenden taktischen Geschwader der Erde. Max sah sie fragend an. Isabella ebenfalls.
»Colonel Negri, Sie sind klug … und es spielt eigentlich auch keine Rolle mehr. Schluss mit den Spielchen. Lassen Sie uns über Fakten sprechen. Zugegeben, Sie hätten es beinahe geschafft. Es ist bedauerlich, dass Sie sich für die falsche Seite entschieden haben. An meiner Seite wäre Ihnen eine beachtliche Karriere sicher gewesen.«
Noch 39  Sekunden. Die taktischen Bomber der Erde hielten weiter auf sie zu.
»Für Ihre kaltschnäuzige Kommandoaktion auf der Deep Rising  III zolle ich Ihnen meinen Respekt. Wie mit einer Klinge geplant und eiskalt ausgeführt. Ich hätte die wertvolle Fracht besser nicht einigen völlig überforderten Forschern überlassen sollen, oder?«
»Wäre besser gewesen …« Ruth Negri biss sich auf die Lippe. Was tat Mackinney da? Seine jovialen Worte trafen. Keiner auf der Brücke konnte sagen, was er damit bezweckte.
Er lachte höhnisch. »Verunsichert? Wissen Sie, in unserer Branche kann man wirklich nicht alles planen … glücklicherweise habe ich noch ein Ass im Ärmel.«
Die Anspannung stand allen ins Gesicht geschrieben. Mackinney so großspurig daherreden zu hören war eine Sache, aber die beiden taktischen Geschwader hielten weiterhin mit gemäßigter Geschwindigkeit auf sie zu. Was sollte das?
»Am Ende bekomme ich alles. Die Embryonen, die Erde, Cygnus und die USS Boston. Sie haben mir den Vorwand geliefert, den Aufstand auf Cygnus niederschlagen zu lassen. Unglaublich … damit hat wirklich niemand rechnen können. Es war mir eine Freude, Colonel. Aber jetzt ist der Spaß zu Ende. Leben Sie wohl.«
Niemand auf der Brücke sagte etwas. Max schüttelte den Kopf, er hatte vermutlich auch keinen blassen Schimmer, was Mackinney jetzt noch gegen sie unternehmen wollte. In wenigen Sekunden würden die taktischen Bomber in Reichweite kommen und das Gefecht gegen die USS Boston verlieren. Was erhoffte sich Mackinney bloß davon?
»Was hat er vor?«, fragte Isabella leise. Sie sah zu Lana, zu Yuki und dann zu Ruth Negri. Niemand hatte diesen Augenblick im Griff. Mackinneys Bluff, wenn er denn einer war, ergab keinen Sinn. Mit großen Worten würde er die terranischen Kriegsschiffe nicht retten können.
Noch 14 Sekunden.
Ein kühler Luftzug strich über die Brücke. Isabella konnte nicht ein Display ausmachen, auf dem eine rot blinkende Fehlermeldung auftauchte und damit Mackinneys Drohung zumindest einen Funken Bedeutung verlieh. Die Waffen der USS Boston würden gleich zu feuern beginnen und diesen Krieg beenden.
Ein Knall beendete die Stille. Sie schreckte auf. Blut spritzte an ihr vorbei. Ihres war es nicht. Da hatte jemand geschossen. Alle sahen auf Ruth Negri, die zusammenbrach.
Der Täter war schnell ausgemacht. Major Rufus Beust hatte ihr in den Hinterkopf geschossen.
Mit dem nächsten Lidschlag explodierte die Stimmung auf der Brücke der USS Boston. Menschen zogen Waffen, schrien, schossen und suchten Deckung. Beust hingegen blieb einfach stehen, schoss der bereits am Boden liegenden Ruth Negri zwei weitere Male in den Rücken und hob dann erst seinen Kopf.
Isabella war starr vor Schreck. Mittlerweile war Beust bereits von unzähligen Treffer durchlöchert worden, aber er schien kaum darauf zu reagieren. Eine hellgraue Flüssigkeit ergoss sich aus den Austrittswunden über eine Konsole.
Beust hob in Seelenruhe den Arm, zielte auf Yuki Okinawa, die in der Zwischenzeit schreiend ein ganzes Magazin auf ihn abgefeuert hatte. Sie lud nach. Seine Antwort traf sie mit zwei Treffern in die Brust, die es durch die Wucht der Geschosse nach hinten riss. Ein ungleicher Kampf, sie hatte keine Chance.
Lana hatte keine Waffe, sie suchte Deckung hinter einer Konsole. Leider umsonst. Beust erwischte sie mit zwei Treffern im Rücken, die gegen die nächste Wand knallten.
Inzwischen schoss nur noch Beust. Max drehte sich weg, sprang über eine der Konsolen und riss die schreiende Isabella mit sich. Er rollte sich zur Seite ab, kam auf ein Knie und versuchte, Yukis neu geladene Waffe aufzunehmen. Aber Beust agierte zu schnell und zu präzise. Er schoss Max zweimal in den Bauch.
Isabella schrie!
»Alle Systeme ausgefallen. Wir können nicht …« Das waren Vaters letzte Worte, dann schalteten sich sämtliche Konsolen auf der Brücke ab. Sie waren besiegt.
Die Tür zur Brücke öffnete sich, und Skagen Muller stürmte mit einem Schnellfeuergewehr im Anschlag herein. Er traf Beust mehrfach – im Oberkörper, an der Schulter –, aber die Kugeln schienen ihm überhaupt nichts auszumachen. Überall spritzte nur dieses weiße Zeug durch die Gegend. Noch im Türrahmen streckte Beust Skagen mit einer vierschüssigen Salve nieder.
Eine Sache war Isabella inzwischen klar. Vor ihr stand kein Mensch, sondern ein Androide aus dem Lilith-Protokoll. Eine Killermaschine, die dazu geschaffen worden war, zu infiltrieren und jeden von ihnen ohne Reue zu töten.
Beust ignorierte Isabella und wartete, bis die Systeme neu starteten. Sie lag am Boden und kroch auf Max zu, der noch lebte. Er streckte seine Hand nach ihr aus, mit der anderen versuchte er, sich die beiden klaffenden Wunden am Bauch zuzuhalten. Ein vergebliches Unterfangen, er lag bereits in einer Blutlache.
»Sir, bestätige die Übernahme der Brücke. Zielobjekte terminiert. Erbitte weitere Anweisungen«, erklärte Major Beust emotionslos.
»Sehr gut. Was ist mit der Besatzung?« , fragte Mackinney.
»Wird terminiert. Über die Bordsteuerung habe ich Zugriff auf die Drohnen erhalten. Sie melden laufend weitere Treffer. Die Gegenwehr hält sich in Grenzen.«
»Die KI Vater?«
»Terminiert.«
»Isabella Macfadden?«
»Wie gewünscht, sie lebt.«
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie nach Cygnus gebracht wird. Sie hätte auf der Erde bleiben sollen … ich hatte erwartet, dass Harper sie im Hotel zurücklässt. Aber egal … ich brauche sie nicht mehr. Töten Sie sie. Ich habe keine Lust, dass sie zurückkommt und auf der Erde dummes Zeug erzählt.«
»Ja, Sir.«
Isabella sah Max in die Augen, der sie mit offenem Mund anstarrte. Er versuchte zu reden. Er legte seine Hand auf das Beatmungsgerät, das immer noch unter ihrer linken Brust klebte. Sie hatte schon nicht mehr daran gedacht. Es wurde stetig wärmer.
»Der Tod ist eine Illusion …« Er lächelte, was Isabella nicht zu deuten wusste.
»Bitte …«
Im nächsten Moment fingen seine Finger an zu zittern, dann brach sein Blick. Maximilian Harper lebte nicht mehr. Das Beatmungsgerät auf ihrer Brust wurde noch wärmer.
Beust ging in die Hocke und zog Max’ Kopf an den Haaren hoch. In der anderen Hand hielt er eine Waffe. Dann blickte er zu Isabella, die vor ihm auf den Boden lag. Das Beatmungsgerät unter ihrer Brust glühte regelrecht.
Beust hob die Waffe und richtete sie auf Isabella. Grinste er? Er schien tatsächlich zu grinsen, dachte Isabella. Aber wer baute einen Killerandroiden, dem Töten Freude bereitete?
Dann schloss sie die Augen und ergab sich ihrem Schicksal.
Doch nichts geschah.
Als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie, wie Beusts Lider zitterten. Was passierte mit ihm? Sie wusste es nicht. Das Gerät unter ihrer Brust drohte, sie regelrecht zu verbrennen.
»Was …«
Beust ließ die Waffe fallen. Würde sie so eine Gelegenheit wieder bekommen? Vermutlich nicht. Ohne weiter darüber nachzudenken, hob sie die Waffe auf, zielte auf seinen Kopf und drückte ab. Dauerfeuer. Seine widerliche Fratze wurde in tausend Stücke zerfetzt.
Isabella sah auf ihre Hand und fragte sich, was hier überhaupt passiert war. Major Beust war offenbar ein Lilith-Prototyp gewesen, der Ruth Negri und auch alle anderen hatte täuschen können. Hatte Cassian Mackinney jetzt gewonnen?
»Aber warum konnte Beust mich nicht töten?« Isabella griff sich an das immer noch warme Beatmungsgerät unter ihrer Brust. Sie hatte es von Lana Hindley auf dem Flug hierher bekommen, die leider auch nicht mehr lebte. Etwas hatte Beust aufgehalten. Sie war es nicht. Nein, das war jemand anderes gewesen.