XXIX.
AD 3075 – Zugeflüstert
Isabella wusste nicht, wo sie hinsehen sollte, auch die Finger ihrer Hände machten, was sie wollten, und suchten auf dem Vernehmungstisch rastlos nach Halt. Max war erst vor wenigen Stunden vor ihren Augen gestorben, und sie trug immer noch das mit Blut verschmierte Kleid. Wie durch ein Wunder hatte sie das infernalische Blutbad auf der USS Boston überlebt.
»Dr. Macfadden, möchten Sie Ihre Antwort noch einmal überdenken?«, fragte ein Mann, dessen Namen sie sich nicht gemerkt hatte. Ein kräftiger Typ mit fleischigem Gesicht und penetrantem Blick.
»Bitte?«
»Dr. Macfadden, wissen Sie noch, was Sie auf meine Frage geantwortet haben?«
»Ja, ja.« Sie hatte alles vergessen. Die Worte rauschten durch ihren Kopf, ohne mehr zu hinterlassen als neue Fragen. Sie brauchte eine Pause.
»Und?«
»Ja.«
»Was ja?« Das passte dem dicken Polizisten nicht, der auf der anderen Seite des Tisches nicht minder unruhig von links nach rechts rutschte. Mit der Hand strich er sich seine schulterlangen Haare aus dem Gesicht. Die Frisur, für die er mindestens zwanzig Jahre zu alt war, stand ihm nicht. Aber vielleicht sparte er auch auf eine Operation, dann könnte es wieder passen.
»Entschuldigen Sie, was haben Sie gefragt?« Isabellas Gedanken schweiften ab, sie dachte an alles Mögliche, nur nicht an die Ereignisse der Nacht. Inzwischen war es draußen wieder hell, wie lange sollte das hier noch gehen? Sie wollte nur noch in ihr Bett und schlafen.
»Ich hatte Sie gefragt, ob Sie wussten, dass Maximilian Harper ein Androide war?«
»Stimmt.« Jetzt fiel es ihr wieder ein.
»Und?«
Isabella schloss die Augen, sie sah Max, wie er die seinen schloss. Sie sollte froh sein. Im Gegensatz zu ihm lebte sie noch.
»Dr. Macfadden?«, fragte die Frau an seiner Seite, die minutenlang nichts gesagt hatte. Isabella hatte fast schon vergessen, dass sie sich überhaupt mit ihr im selben Raum befand. Ein Vernehmungszimmer im New Scotland Yard, dem Tower des Metropolitan Police Service. Ihren Namen hatte sie sogar behalten, der etwas mit dem Wochenende zu tun hatte.
Allein die Tatsache, dass Isabella von Soldaten der Raumstreitkräfte zurückgebracht wurde, schenkte ihr Hoffnung. Mackinney hatte also noch nicht die ganze Welt gekauft. Nachdem Beust zusammengebrochen war, war der Spuk auf der USS Boston vorbei gewesen. Mit ihr hatten auch andere Besatzungsmitglieder überlebt. Die Infanteriedrohnen hatten mit Beusts Tod umgehend das Töten eingestellt.
Eine unangenehme Situation für Cassian Mackinney, der nun einiges zu erklären hatte. Zahlreiche Aussagen würden ihn belasten, das Gespräch auf der Brücke, das er mit Negri geführt hatte, konnte allerdings ganz allein sie bezeugen.
Mackinney hatte sich gar nicht auf einem der taktischen Bomber befunden, er hatte den Kommandanten der Raumflotte nur versichert, einen Agenten an Bord der USS Boston zu haben, der die schweren Waffensysteme deaktivieren konnte. Nur deswegen waren die Raumschiffe auf die Arche zugeflogen.
»Hören Sie, Inspector Friday.« Genau, das war der Name. »Ich habe Colonel Harper erst gestern kennengelernt. Ich sollte mich auf Wunsch von Cassian Mackinney mit ihm unterhalten. Den Rest der Geschichte kennen Sie.«
»Über die Separatistin Ruth Negri?«, fragte der Dicke.
»Ja … sie wollte Freiheit für Cygnus.«
»Die wird dort nun kaum einer bekommen. Terranische Verbände haben die Verschwörer festgenommen.«
»Vermutlich.« Bei diesen Konflikt gab es mehr als einen Verlierer. Die gesamte Besatzung, die Embryonen und die Siedler von Cygnus sollten in den nächsten Tagen auf die Erde gebracht werden. Ruth Negri und die Ihren waren auf ganzer Linie gescheitert.
»… und Sie wollen wirklich diese Anschuldigungen gegen Cassian Mackinney zu Protokoll geben?«, fragte Friday. Eine hübsche Frau, die sie mit sichtbarem Unverständnis ansah. Die musste denken, dass Isabella den Verstand verloren hatte.
»Ja.«
»Sind Sie sich sicher?«
»O ja.« Isabella würde Cassian Mackinney sicherlich nicht davonkommen lassen. »Absolut!«
»Dr. Macfadden. Als Sie an Bord der USS Boston gefunden wurden, hatten Sanitäter dieses Gerät bei ihnen entdeckt. Es war aktiv. Der Arzt sagte mir, dass es ein intelligenter Atemmonitor aus der Intensivmedizin ist.«
»Da möchte ich ihm nicht wiedersprechen … ich hatte auf dem Flug Probleme, Luft zu bekommen.« Isabella sah das flache Gerät, das im Moment nicht aktiv war.
»Hat sich das schon einer unserer technischen Experten angesehen?«, fragte der Mann.
»Und wann sollte das einer getan haben? Die Beweissicherung auf der USS Boston läuft immer noch … und es sind noch Hunderte Personen zu vernehmen. Der Arzt sagte, dass solche vernetzten Kreislaufmonitore harmlos sind. Das sind kleine Computer, man nutzt sie, um Patienten zu überwachen. Nichts von Bedeutung.«
»Gib mal her.« Der Dicke nahm das Gerät und aktivierte es. Nichts geschah.
»Und jetzt?«, fragte Friday.
»Dürfte ich den Atemmonitor haben?«, fragte Isabella.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ist gegen die Vorschrift. Das Gerät ist ein Beweismittel.« Dann legte er es, ohne es auszuschalten, zurück auf den Tisch.
»Dr. Macfadden, falls wir weitere Fragen haben, werden wir uns bei Ihnen melden. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, sich gegenüber der Presse nicht zu äußern.«
Zwei Tage später stand Isabella auf der Veranda ihres Hauses in Gozo und suchte Donald. Wo war das dumme Schwein nur? Sie hielt die Schale mit seinem Frühstück in den Händen. Normalerweise ließ sich dieser Nimmersatt nicht zweimal bitten.
»Donald, wo bist du?« Er war eigentlich zu eitel, um sich zu verstecken. Er stolzierte immer durch den Garten, als ob ihm die ganze Welt gehören würde. Das Schwein mit der roten Schnur am Hals.
Sie konnte Donald nicht finden und stellte daher den Napf in seiner Ecke neben dem Haus ab. Das Wetter an diesem milden Dezembermorgen war wunderschön. Ihr ging es gut. Jedenfalls besser als zuvor. Sie erholte sich langsam.
»Es gibt Frühstück!«, rief sie lautstark den Hügel herunter. Früher oder später würde Donald schon den Weg zurück finden. Auf seinen Appetit konnte man sich verlassen. Sie selbst hatte noch nichts gegessen, das würde sie im Laufe des Tages nachholen. Sie könnte sich etwas frisches Obst pflücken.
Isabella überlegte, ob sie mit dem Rad zu Silvio und Maria fahren sollte? Vielleicht hatten sie Donald gesehen? Nicht, dass ihm etwas zugestoßen war. Nein, die Sorge war übertrieben. Ihm würde schon nicht Schlimmes passieren. Jedenfalls nicht, solange Wladimir, der Stier, fest angebunden in seinem Stall stand.
Vermisste sie die Arbeit an der Universität? Sie hatte den Unterricht nie als Arbeit gesehen. Junge Menschen Geschichte zu lehren war ein Privileg. Leider war es damit vorbei. Den Lehrstuhl hatte sie bis auf weiteres niederlegen müssen. Sie wäre nicht mehr tragbar, hatte es geheißen. In der Presse hatte sie sogar heute Morgen gelesen, wer ihr Nachfolger werden sollte. Sie hatte es schon wieder vergessen. Das war nicht mehr wichtig.
»Vorbei …«, flüsterte sie und sah in die Ferne. Über Malta, der Insel hinter der Meerenge, konnte sie ein paar Wolken sehen. Die reichten nicht, um ihnen Regen zu bringen. Dabei war hier Niederschlag stets willkommen.
Isabella hatte vieles verloren. Ihren Job, ihre Reputation und ihren unbedingten Glauben an das Gute im Menschen. Ihre Seele war ein Scherbenhaufen, den wegzufegen sie kaum mehr in der Lage war. Das, was in London und auf der USS Boston passiert war, hatte sie zerrissen. Darüber war sie noch nicht weg: Sie hatte Menschen verloren, die sie gerne besser kennengelernt hätte, vor allem Max und Ruth Negri.
In der Presse tobte seit ihrer Rückkehr eine Schlacht mit mehr als einer Wahrheit. Medien, die Mackinney nahestanden, waren hinter Max her, der wie Ruth Negri als Terrorist gebrandmarkt wurde. Als leibhaftiger Teufel, der den Auftrag gehabt hatte, die USS Boston unter seine Kontrolle zu bringen. Bei dem Versuch, seine Crew zu befreien, hatte er, ohne zu zögern, getötet. Dabei ging das Bild von Captain Aylin Demir um die Welt, die von Ruth Negri erschossen worden war.
Die Staatsanwaltschaft in London und Mackinney-kritische Medien hielten dagegen. Aber die Wahrheit war komplizierter und ließ sich bei weitem nicht so gut verkaufen. Negris Separatisten boten mit dem brutalen Angriff in Instanbul und der offenen Rebellion auf Cygnus zu viel Angriffsfläche.
Bei den Kämpfen hatte es leider zahlreiche Tote gegeben. Zu viele: Max, Ruth, Lana, seine Crew und andere. Die USS Boston wurde übrigens von Harper-Mackinney übernommen, die das Schiff gerade modernisierten. Von den Embryonen sprach niemand mehr.
Über ihr piepte es leise. Isabella sah nach oben: Da befand sich eine Schutzdrohne der Polizei, die zehn Meter über dem Haus schwebte. Das Ding arbeitete leider nicht geräuschlos. Sie stand bis auf weiteres unter Hausarrest. Die Drohne wirkte glücklicherweise wie ein Insektenschutz und hielt auch neugierige Augen und Ohren der Boulevardpresse auf Abstand, die ansonsten zu Hunderten über ihrem Kräutergarten gekreist wären.
Inspector Friday und ihr netter Kollege mit den fleischigen Wangen hatten die Staatsanwaltschaft und vermutlich auch andere Politiker von der Idee überzeugt, dass die renommierte Universitätsprofessorin Dr. Isabella Macfadden auf einer einsamen Insel am besten aufgehoben sei. Unter Aufsicht, mit einer vollständigen Kontaktsperre belegt und natürlich unter Polizeischutz, sicher war sicher, schließlich wollte niemand, dass ihr etwas zustieß.
»DONALD !«, rief sie. Cassian Mackinney hatte sie missbraucht. Er hatte sie mit falschen Versprechungen aus ihrem Schneckenhaus gelockt und mitten in ein Gefecht geworfen, das sie hoffnungslos überforderte. Menschen mit großer Macht konnte man nur schwer auf Augenhöhe begegnen. Er war ihr immer zwei Schritte voraus gewesen.
»Guten Morgen, Bella.« Maria kam mit Donald an der Leine langsam den Hügel zu ihrem Haus herauf.
»Guten Morgen.« Isabella freute sich, sie zu sehen. »Was hat er angestellt?« Wenn Maria Donald so nach Hause brachte, hatte sich das Schwein bestimmt wieder danebenbenommen. Es quiekte gebieterisch und schritt ihr voran. Egal, was es tat, es zeigte niemals auch nur einen Funken Reue.
»Ach, nichts Wildes. Er hat Silvios Fang gefressen … aber der Narr hätte besser auf den Eimer aufpassen sollen. Er kennt Donald doch gut genug, um zu wissen, wie er ist.«
»Donald!«
»Lass gut sein … wir haben genug.« Maria klopfte dem frech quiekenden Schwein auf den Hintern, aus dem Isabella oft genug schon zwei leckere Schinken hatte machen wollen.
»LOS ! VERSCHWINDE !«, fuhr Isabella das Schwein an. Maria machte ihn los, worauf Donald ungeachtet seiner Schuld mit hocherhobenem Haupt an ihr vorüberschritt. Manchmal wäre sie froh, mehr von seiner störrischen Unbekümmertheit zu haben. »Möchtest du eine Tasse Tee? Ich brühe ihn frisch für uns auf.«
»Gerne.« Maria war nicht nur gekommen, um Donald zurückzubringen. Maria kam auch, um nach ihr zu sehen. Isabella wusste es und ließ es geschehen.
»Wie geht es dir?«, fragte Maria, als sie beide auf der Veranda saßen. Noch war es früh am Morgen, das würde heute wieder heiß werden. Natürlich wusste sie, was passiert war.
»Gut.«
»Wirklich?«
»Ja.« Isabella schenkte ihr ein Lächeln.
»Warum glaube ich dir nicht?«
»Weil du dir ständig Sorgen um mich machst. Maria, mir geht es gut. Ich bin darüber hinweg.« Eine schamlose Lüge.
»Betroffenheit zu zeigen ist keine Schwäche.«
»Natürlich nicht …« Wem versuchte sie eigentlich, etwas vorzumachen? Maria, die sie sehr gut kannte? Oder sich selbst?
»Du musst dir selbst gestatten zu trauern. Wie sollen deine Wunden sonst heilen?«
»Gar nicht.« Wie könnte sie auch? Sie konnte das, was geschehen war, nicht ungeschehen machen.
»Ich habe gelesen, dass Cassian Mackinney eine Pressekonferenz abgehalten hat.«
»Wirklich?«
»Er hat über dich gesprochen.«
»Ah …«
»Er hat sich bei dir bedankt und sein Bedauern über das geäußert, was dir widerfahren ist. Und dass er sich deine Kritik zu Herzen genommen hat.«
»Tatsächlich?«
»Dann sprach er darüber, dass sich so ein Unglück nie wiederholen dürfe und niemand vergessen solle, wer die Opfer auf dem Gewissen hat.«
»Lass mich raten: Maximilian Harper.«
»Ganz genau. Aber er hat auch Colonel Ruth Negri und die Separatisten von Cygnus beschuldigt.«
Isabella nickte, trotz ihrer Aussage und die der anderen Zeugen war die Beweislage dünn. Niemand außer ihr konnte Mackinney direkt belasten. Die anderen Zeugen konnten nur über Übergriffe der Infanteriedrohnen berichten. Diesen Sachverhalt konnten Mackinneys Anwälte mühelos den Schatten in die Schuhe schieben, schließlich hatte Negri die Systeme an Bord der USS Boston bringen lassen.
»Dann sagte er, dass er wegen der furchtbaren Dinge, die Androiden wie Harper getan haben und tun könnten, das Lilith-Programm einfrieren werde. Die Welt gehöre den Menschen und nicht deren Kopien. Er versprach, dass Harper-Mackinney stattdessen in neue medizinische Technologien investieren würde, um gerade der älteren Bevölkerung einen würdigen Lebensabend zu schenken.«
»Cassian Mackinney … Ein echter Wohltäter.« Isabella spürte einen Anflug von Hass in sich aufsteigen. Der Typ war wirklich unglaublich. Er tötete und lieferte umgehend einen Schuldigen für das Verbrechen, er bestahl die Menschheit und ließ sich dafür feiern. Er bot sogar sein Diebesgut großzügig denselben an, denen er es zuvor dreist gestohlen hatte.
Isabella hörte ein lautes Piepen aus ihrem Schlafzimmer. Das war ihr Kommunikator, den sie, in eine Socke gesteckt, unter der Decke liegen hatte. Sie wollte die Nachrichten nicht mehr sehen, die sie jeden Tag bekam.
»Wer ist das?«
»Mein Postfach.« Isabella verdrehte die Augen. Sie hatte bereits eine Nachrichtenumleitung aktiviert, um sämtliche Presseanfragen im Büro der Universität abzuladen. Paul tat sein Möglichstes, dennoch kamen einzelne Nachrichten durch.
»Die Universität?«
»Vermutlich …« Was würde Isabella dafür geben, wenn sie aufstehen könnte, um Cassian Mackinney lautstark widersprechen und seine Lügen aufdecken könnte. Aber ihr fehlten die belastbaren Beweise, um sich die Horden hungriger Anwälte vom Hals zu halten, die sie in der Luft zerreißen würden.
»Schalte das Gerät doch ab«, sagte Maria. »Oder brauchst du es noch?«
Isabella nickte. »Ähm … nein.«
»Dann hast du deine Ruhe.« Sie lächelte. »Ich gehe jetzt nach Marcello sehen.«
»Er wird noch schlafen.« Es war noch keine zehn Uhr.
»Ich wecke ihn. Heute ist Waschtag. In seiner Bude stinkt es, das werde ich ändern.« Maria stand auf, gab ihr einen Kuss auf die Wange und winkte Donald zu, der gerade schmatzend um die Ecke kam.
»Bis später …«
»Gib Marcello einen Kuss von mir.« Der Trunkenbold würde davon ohnehin nicht viel mitbekommen.
»Mache ich!«
Isabella klopfte Donald auf die Seite, wie konnte man jemandem böse sein, der keinen Hehl daraus machte, wer oder was er war? Das Leben zu viert auf einer Insel barg keine Geheimnisse. Jeder kannte jeden, und jeder kannte Marcello. Er trank gerne, das war weder gesund, noch zeigte es seine edle Gesinnung, aber er stand dazu. Das war bei Donald nicht anders, auch dieses verfressene Schwein kannte jeder. Wer unbedacht etwas Essbares in seiner Reichweite liegen ließ, durfte sich nicht wundern, wenn Donald es umgehend vertilgte. Das war keine Magie, das war Logik. Weitaus schlimmer waren solche Typen wie Cassian Mackinney, die nicht so einfach zu durchschauen waren. Die die öffentliche Meinung nach Belieben manipulierten. Die immer noch mehr Macht und noch mehr Geld anhäuften.
Die Kommunikatorsocke meldete sich erneut, das reichte jetzt, sie würde das Gerät abschalten. Nein, sie würde es im Meer versenken. Das war eine sehr gute Idee. Sie würde mit dem Rad an die Westküste fahren und es in einem weiten Bogen über die Klippen werfen. Sie ging ins Schlafzimmer und kramte den Störenfried zornig zwischen der Decke hervor.
»Schon wieder derselbe!« Sie hatte es doch gewusst. Auf ihrem Kommunikator befanden sich genau fünf Nachrichten. Fünf Nachrichten, die sich partout nicht weiterleiten ließen. Sie konnte diese kleinen Scheißer auch nicht löschen oder verschieben. Alles andere war wie von ihr gewünscht im Büro der Universität gelandet.
»Wer bist du?«, fragte sie wütend. Warum ließ man sie nicht in Ruhe? Sie tippte wütend auf die Nachricht, um sie zu löschen. Aber nichts geschah. Wer bitte konnte Nachrichten verschicken, die sich nicht löschen ließen? Die erste Nachricht öffnete sich, die hatte sie schon vor zwei Tagen bekommen. Gelesen hatte Isabella sie nicht.
Das war mehr als eine Textnachricht. Im Hintergrund entpackte sich gerade ein komplettes Archiv. Das kam alles von einem Nachrichtenserver aus Istanbul. Die fünf Nachrichten verschmolzen schließlich miteinander und bildeten ein Menü. Ein Menü mit der Überschrift: Cassian Mackinney. Darunter fanden sich Unterpunkte: Finanzen, Bestechung, Steuern, Forschung, Verbrechen, Komplizen und Harper.
»Was zum …?«, flüsterte sie ungläubig und schüttelte den Kopf. Sie wählte einen Menüpunkt: Bestechung. Darunter fand sich eine Übersicht über diverse bekannte Persönlichkeiten aus der Politik und passende Unterpunkte wie: Gelder, Motive, Schwächen und Termine. Sie drückte weiter und sah unter Termine räumliche Aufzeichnungen von diversen Mackinney-Terminen.
Das zauberte ihr ein verhaltenes Lächeln ins Gesicht. Sie sprang im Menü wieder nach oben.
»Hallo, Bella …« , sagte jemand in der Küche. Diese Stimme kannte sie doch. Sie verließ ihr Schlafzimmer.
»Max?« Sie konnte ihren Augen nicht trauen, aber dort saß Maximilian Harper an ihrem Küchentisch. Groß, schlank, graue Schläfen und dunkelhäutig. Noch füllte sich seine holographische Präsenz, wenige Sekunden später war die Illusion perfekt und er nicht mehr von einer realen Person zu unterscheiden. Sie lächelte. »Wie kann das sein?«
»Sie haben doch das Beatmungsgerät auf die Erde gebracht. Schon vergessen? Vater hatte das System für den Transfer unserer KI s vorbereitet. Wir hatten noch etwas zu tun … haben Sie bereits einen Blick in das Dossier werfen können?«
»Damit können wir ihn zu Fall bringen.«
»Nicht wir, aber Sie können es tun.«
»Aber …«
»Maximilian Harper lebt nicht mehr. Ich werde für eine Weile ruhen. Vater ebenso. Ich habe ihn überredet, sich ebenfalls eine Auszeit zu nehmen.«
»Eine Auszeit?«
»Wir vertrauen Ihnen, weshalb wir uns beide auf Ihrer Smart-Device archivieren wollen.«
»Wie lange?«
»Für länger.«
»Und wenn ich nicht mehr bin?«
Max lächelte nur.
Isabella nickte, sie hatte verstanden. Ewig existieren zu können bedeutete nicht, es auch zu wollen.
Später. Isabella stand auf ihrer Terrasse und verschränkte die Arme. Mackinney hatte seine Gegner unterschätzt. Vielleicht mochte es nicht den einen geben, der es mit ihm allein aufnehmen konnte. Dafür war er bereits zu mächtig geworden. Aber er konnte nicht alle besiegen. Vater hatte verheerende Informationen über den korrupten Geschäftsmann gesammelt. Nun lag es an ihr, diese Informationen sinnvoll zu nutzen. Was könnte es Besseres geben, als darüber ein Buch zu schreiben? Eine Biographie über Cassian Mackinney, die hatte er sich verdient.