Fitness fürs Gehirn

Das Gehirn ist das komplizierteste Organ unseres Körpers. Es ist fast schon surrealistisch, dass alles, was wir so denken – alle Gefühle und alle Erinnerungen von unserer Kindheit bis heute, ja, unser gesamtes Bewusstsein – in diesen knappen 1,5 Kilo grauweißer Masse unter unserer Schädeldecke untergebracht ist.

Doch unser Gehirn ist nicht nur unser komplexestes Organ, sondern auch dasjenige, über das wir am wenigsten wissen. Zu behaupten, dass es im Hinblick auf unsere Hirnfunktionen noch viel zu erforschen gibt, ist eine gehörige Untertreibung. Auch wenn die Hirnforschung enorme Fortschritte gemacht hat, haben wir bis jetzt nur ein wenig an der Oberfläche gekratzt. Doch eine Sache ist schon jetzt klar: Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen physischer Aktivität und der Funktion unseres Gehirns.

Bewegt zu mehr Wohlbefinden

Sie wissen, dass es Ihnen besser geht, wenn Sie sich bewegen. Aber wissen Sie auch warum? Bestimmt haben Sie schon einmal von Stoffen wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Endorphinen gehört. Diese Stoffe spielen eine wichtige Rolle bei der sofort spürbaren Verbindung zwischen physischer Aktivität und den Gehirnfunktionen – man wird mit einem Kick und gesteigertem Wohlbefinden belohnt.

Serotonin vermittelt uns ein Gefühl von Zufriedenheit und Ruhe. Dopamin belohnt uns mit Wohlgefühl nach dem Training, aber auch nach dem Sex, nach dem Essen oder dem Konsum von Alkohol, und regt uns zu den jeweiligen Verhaltensweisen an. Noradrenalin sorgt dafür, dass wir uns aktiv und wach fühlen.

Die Endorphine schließlich wirken ungefähr wie Morphin: Sie dämpfen Schmerzen und steigern ebenfalls unser Wohlbefinden. Dass das Gehirn sich selbst belohnen kann, indem es einen morphinähnlichen Stoff herstellt, war Mitte der 1970er-Jahre eine sensationelle Entdeckung. Der Name Endorphin bedeutet übrigens »körpereigenes Morphin«. Unser Gehirn belohnt ganz unterschiedliche Verhaltensweisen – z. B. Essen, Lachen oder Sex – mit einem Endorphinkick. Besonders intensiv ist dieser Effekt bei Bewegung: Schon durch 30 Minuten hartes Training wird eine Endorphindosis ausgeschüttet, die wie bis zu zehn Milligramm Morphin wirkt. Das ist ungefähr das, was man im Krankenhaus verabreicht bekäme, wenn man sich z. B. das Bein gebrochen hat – eine ganz schöne Menge also.

Wenn Sie körperlich aktiv sind, setzt das Gehirn all diese Stoffe frei. Das geschieht unabhängig von Alter und unabhängig davon, ob Sie sich auch schon früher körperlich betätigt haben. Der Effekt tritt sowohl bei moderatem wie auch bei intensivem Training auf. Die Ausschüttung erfolgt innerhalb von fünf bis 15 Minuten nach Ihrer Trainingseinheit, die Wirkung hält einige Stunden an. Fast jeder hat das Hochgefühl und die Zufriedenheit nach körperlichen Aktivitäten schon einmal gespürt.

Mittlerweile hat die Wissenschaft herausgefunden, dass Bewegung sich nicht auf die Erhöhung des Serotonin-, Dopamin-, Noradrenalin- und Endorphinspiegels auswirkt.

Es ist faszinierend, auf welche Weise und in welchem Ausmaß körperliche Betätigung das Gehirn beeinflusst – noch faszinierender als die Wirkung von Bewegung auf den restlichen Körper. In den letzten Jahren hat die Gehirnforschung nämlich entdeckt, dass das Gehirn weit mehr Potenzial zu Veränderungen hat als bisher angenommen – es bleibt ein Leben lang formbar. Um sich eines Vergleichs zu bedienen: Es hat eher Ähnlichkeit mit Plastilin als mit Porzellan. Durch die Entstehung neuer Nervenzellen und neue Verbindungen zwischen den Zellen wird das Gehirn stetig umgebildet. Und durch nichts lässt sich unser Gehirn so gut formen wie durch regelmäßige körperliche Aktivität.

Wenn Sie draußen spazieren gehen, wird nicht nur die Durchblutung in den Beinen, sondern auch im Gehirn angeregt!

Mental in Schwung

Das Gehirn wiegt etwas mehr als ein Kilo – das sind ungefähr zwei Prozent Ihres Körpergewichts. Trotzdem verbraucht es 20 Prozent der Energie – zehn Mal so viel wie der restliche Körper pro Kilo.

Wenn Sie körperlich aktiv sind, benötigen Ihre Muskeln mehr Sauerstoff und Energie, Ihr Herz schlägt schneller und kräftiger, um mehr Blut durch den Körper zu pumpen. Aber nicht nur Ihre Muskeln werden vermehrt mit Blut versorgt, wenn Sie sich bewegen – auch das Gehirn. Wenn Sie spazieren gehen, steigt die Durchblutung im Gehirn um 25 Prozent! Bei starker Anstrengung scheint sich die Durchblutung im Gehirn allerdings tendenziell wieder zu vermindern, dann werden Muskeln und Herz bevorzugt bedient. Das kann zum Teil erklären, warum Sie erschöpft sind, wenn Sie sich zu sehr angestrengt haben – dann bekommt das Gehirn einfach nicht mehr genug Blut und Energie.

Langfristig ist es jedoch nicht nur die Durchblutung im Gehirn, die Sie durch körperliche Aktivität beeinflussen, es werden auch neue kleine Blutgefäße (Kapillaren) in der Hirnrinde (der äußersten Schicht) gebildet, die das Gehirn besser mit Blut versorgen.

Die Frage ist, was das alles in der Praxis bedeutet: Funktioniert unser Gehirn besser, wenn wir körperlich aktiv sind? Werden wir klüger, kreativer, konzentrierter oder fröhlicher, wenn wir uns bewegen? Diese Aspekte möchten wir im Folgenden genauer unter die Lupe nehmen.

Im Rennrausch

Der vielleicht extremste Effekt körperlicher Aktivität auf unser Wohlbefinden ist die Euphorie, die nach einer längeren Zeit intensiveren Trainings auftreten kann – auch als »Runner’s High« oder »Läuferhoch« bekannt. Marathonläufer berichten von einem Gefühl des Wohlbefindens und der Kraft, das sie nach 25 bis 35 Kilometern plötzlich überkommt. Schmerzen verschwinden. Die Sinneseindrücke werden stärker, und auch wenn man noch mal an Tempo zulegt, fühlt es sich nicht anstrengender an.

Dem Hochgefühl in solchen Momenten nachzugeben und sich noch stärker zu fordern, ist allerdings keine gute Idee, weil man Gefahr läuft, die wertvollen Reserven in den Zellen eingelagerter Kohlehydrate (Glykogenspeicher) aufzubrauchen, was zu drastischen Leistungseinbrüchen führt.

Der Ausdruck »Runner’s High« wurde in den siebziger Jahren geprägt. Er entstammt einem Buch über das Laufen, das von James Fixx verfasst wurde. Die Forschung hat später gezeigt, dass nicht nur Langstreckenläufer, sondern auch Sportler in anderen Bereichen diesen Effekt erzielten, wenn sie nur lang genug aktiv waren.

Aber wie kommt dieser Effekt eigentlich zustande? Ein Erklärungsansatz ist, dass die Fähigkeit zum Zurücklegen langer Strecken in der Menschheitsgeschichte lange Zeit einen Überlebensvorteil darstellten. Auf diese Weise konnten unsere Vorfahren die Beute bei der Jagd lang genug verfolgen. Derartige Langstreckenläufe waren oft von Verletzungen oder Schmerzen begleitet. Da war es ein großer Vorteil, wenn der Körper die Fähigkeit besaß, die Schmerzen zu lindern und mit einem Gefühl des Wohlbefindens zu überlagern, damit der Jäger nicht aufgab und die Beute entkommen ließ, nur weil er sich zum Beispiel den Knöchel verstaucht hatte.

Das Runner’s High scheint außerdem konzentrierter und wacher zu machen. Diese Eigenschaften waren seinerzeit ebenfalls ausschlaggebend für den Jagderfolg. Manche Naturvölker praktizieren diese Jagdmethode immer noch, bei der eine Beute müde gehetzt wird, indem man sie über lange Strecken verfolgt.

Man weiß bis heute nicht im Detail, was beim Runner’s High im Körper passiert. Eine Studie zum Gehirn von Langstreckenläufern zeigte jedoch, dass nach zwei Stunden schnellen Laufens der Endorphinspiegel ansteigt, unter anderem im präfrontalen Cortex und im limbischen System – das sind Gehirnbereiche, die wichtig für unser Wohlbefinden sind. Die Läufer sollten selbst bewerten, wie gut es ihnen beim Laufen ging: Je mehr Euphorie sie spürten, umso höher war auch ihr Endorphinspiegel.

Aber es ist nicht gesichert, dass Endorphine die einzige Erklärung für das Runner’s High sind. Endorphine können nämlich nur schwer die Blutgefäße im Gehirn passieren und damit die Gehirnzellen erreichen. In Versuchen hat man den Läufern ein Gegengift gegen Morphin verabreicht (Endorphine sind ja eine Art von Morphin), um die Wirkung der Endorphine aufzuheben. Doch die Läufer bekamen trotzdem ihr Runner’s High. Es muss also noch andere Faktoren dafür geben.

Viele Experten glauben, dass das Training die Produktion sogenannter Endocannabinoide steigert – das sind schmerzstillende Stoffe, die das Gehirn selbst herstellt. Gelegentlich werden Endocannabinoide als körpereigenes Cannabis bezeichnet, was tatsächlich nicht ganz falsch ist, weil sie im Gehirn dieselben Rezeptoren besetzen wie Marihuana und Haschisch.

Allerdings muss man sich ganz schön anstrengen, damit einen das Gehirn mit Endocannabinoiden belohnt. Durch einen flotten Spaziergang gelangt niemand zum Runner’s High.

Lässt sich der Wohlfühl-Effekt von Training steigern?

Studien haben gezeigt, dass die Endorphinausschüttung steigt, wenn man regelmäßig trainiert – das Hirn belohnt sich im Laufe der Zeit immer mehr für das Training. Es dauert gut drei Wochen, bevor dieser Effekt spürbar wird. In den ersten Wochen kann sich das Training hingegen noch ein wenig beschwerlich anfühlen – umso wichtiger ist es, nicht gleich nach dem ersten Mal aufzugeben.

Training und geistige Leistungsfähigkeit

Lange ist man davon ausgegangen, dass sich bei Erwachsenen keine neuen Gehirnzellen bilden und man sich mit den Gehirnzellen begnügen muss, die man seit der Kindheit hat. Ende der 1990er-Jahre konnten schwedische Forscher jedoch nachweisen, dass in bestimmten Gehirnbereichen ein Leben lang neue Zellen gebildet werden – also auch bei Erwachsenen. Wieder einmal hat sich eine altgediente medizinische Wahrheit als falsch herausgestellt, und die Lehrbücher mussten umgeschrieben werden.

Bedeutet das, dass es einem egal sein kann, wenn man ein paar Gehirnzellen einbüßt? So läuft das leider nicht. Zwar können ein Drittel der Nervenzellen in unserem Gehirn ein Leben lang immer wieder nachgebildet werden, jedoch sterben die alten Zellen mit zunehmendem Alter immer rascher ab. Deswegen schrumpft das Gehirn langsam, aber sicher, und diese Schrumpfung beginnt erschreckend früh: Am größten ist das Gehirn, wenn man zwischen 20 und 30 ist, danach verringert sich sein Volumen stetig. Jede Sekunde stirbt eine Gehirnzelle – das bedeutet, dass man in der Summe jeden Tag rund 50000 bis 100000 Gehirnzellen verliert. Jedes Jahr stirbt damit etwa ein halbes Prozent unserer Gehirnzellen. Das hört sich vielleicht alarmierend an, aber man hat einen ganz ansehnlichen Vorrat – ein Erwachsener verfügt über rund 100 Milliarden Gehirnzellen. Kurzfristig gibt es also keinen Grund zur Sorge, aber Sie wissen ja, Kleinvieh macht auch Mist.

Zwar können ein Drittel der Nervenzellen in unserem Gehirn ein Leben lang immer wieder nachgebildet werden, jedoch sterben die alten Zellen mit zunehmendem Alter immer rascher ab.

Neue Zellen fürs Gehirn

Der Hippocampus ist ein Bereich des Gehirns, der unter anderem für das Gedächtnis und das Lernen wichtig ist. Er gehört zu den Gehirnbereichen, die im Laufe unseres Lebens langsam, aber sicher schrumpfen, was dazu beiträgt, dass unser Gedächtnis sich ebenfalls langsam verschlechtert.

Kann man nichts tun, um diese wenig wünschenswerte Entwicklung – immer weniger Gehirnzellen, schrumpfender Hippocampus, immer schlechteres Gedächtnis – aufzuhalten? Doch, es gibt ein Gegenmittel. Wahrscheinlich haben Sie schon erraten, was das ist: Sie müssen sich bewegen. Die gute Nachricht: Durch körperliche Aktivität können Sie diese Entwicklung nicht nur bremsen, sondern sogar umkehren.

Dass Bewegung immense Auswirkungen auf Gedächtnis und Hippocampus hat, wurde zuerst bei Mäusen entdeckt. Bei einem Experiment bekam eine Gruppe Mäuse in ihren Käfig ein Laufrad, in dem sie rennen konnten. In einem anderen Käfig hatten die Mäuse kein Rad. Dann bekamen alle Tiere eine Spritze mit einer Substanz, anhand derer man nachweisen kann, ob Zellteilung stattfindet. Bei der Untersuchung ihrer Gehirne machte man eine gänzlich unerwartete Beobachtung: Wie sich zeigte, waren im Hippocampus neue Zellen gebildet worden. Die Gehirne der Mäuse hatten sich also selbst regeneriert und neue Zellen gebildet – ein Prozess, der als Neurogenese bezeichnet wird. Das konnte man besonders deutlich bei den Mäusen mit dem Laufrad beobachten. Bei ihnen entsprach das Ausmaß der Neubildung von Gehirnzellen ungefähr dem Muskelwachstum bei Krafttraining.

Die Unterschiede waren beträchtlich: Die Mäuse, die laufen durften, wiesen nach wenigen Wochen doppelt so viele neue Gehirnzellen im Hippocampus auf wie ihre weniger aktiven Artgenossen. Zudem schien das Gedächtniszentrum besser zu funktionieren: Bei Versuchen mit einem Labyrinth zeigte sich nämlich, dass sich das Gedächtnis der laufenden Mäuse verbessert hatte.

Durchgeführt wurde das Experiment von einem der weltweit führenden Experten für die Erforschung der Effekte körperlicher Aktivität aufs Gehirn, Fred »Rusty« Gage vom Salk Institute in La Jolla in Kalifornien. Wie er berichtet, waren die Trainingseffekte der Mäuse so beeindruckend, dass die Wissenschaftler aus seiner Gruppe ihren Lebensstil veränderten. »Als wir zum ersten Mal entdeckten, dass Training die Neubildung von Gehirnzellen bewirkt, fingen die Forscher meiner Gruppe an zu joggen oder lange, flotte Spaziergänge zu machen. Diejenigen, die schon früher Sport getrieben hatten, nahmen ihr Training wieder ernster und intensivierten es.«

Gage und seine Kollegen gingen davon aus, dass die im Gehirn physisch aktiver Mäuse festgestellte Zellneubildung auch bei Menschen funktionieren müsste. Weitere Studien bestätigten diese Annahme. Heute wissen wir, dass der Hippocampus durch körperliche Betätigung größer wird, und es wird vermutet, dass das das Risiko für kognitive Störungen und frühe Demenz senkt. So wurde im Rahmen einer Studie bei Testpersonen mittleren bis höheren Alters einmal pro Jahr das Gehirn untersucht. Ein Teil bewegte sich regelmäßig, während die anderen keinen besonders aktiven Lebensstil pflegten. Wie sich herausstellte, schrumpfte der Hippocampus bei der Gruppe mit Bewegungsmangel um 1,4 Prozent – das entspricht ungefähr dem, was man bei einem normalen Alterungsprozess erwarten kann. Bei den Studienteilnehmern hingegen, die sich regelmäßig bewegten, war der Hippocampus nicht geschrumpft, sondern sogar um zwei Prozent gewachsen.

Zwei Prozent mag sich zunächst nicht nach besonders viel anhören, aber der Unterschied zur Gehirnentwicklung Untrainierter entspricht einem Alterungsprozess von zwei Jahren. Die körperliche Aktivität scheint mit anderen Worten die Alterung des Gehirns nicht nur verlangsamt zu haben, sie hat es sogar um zwei Jahre verjüngt. Diejenigen Studienteilnehmer, die sich beim Sport noch ein bisschen mehr reinhängten, wurden für ihre Mühen belohnt: Je mehr sich die Kondition verbesserte, umso stärker war der Hippocampus gewachsen.

Gedächtnisfunktionen gezielt steigern

Es gibt verschiedene Arten von Gedächtnis, für die verschiedene Gehirnbereiche zuständig sind. Der Hippocampus und der Frontallappen sind fürs Arbeitsgedächtnis verantwortlich – dafür, was wir gerade denken, dass wir uns zum Beispiel eine Telefonnummer merken können – und für das räumliche Gedächtnis, also dafür, dass wir uns zum Beispiel in einem Wald oder in einer Stadt orientieren können.

Der Schläfenlappen hingegen ist wichtig für das episodische Gedächtnis – für die Erinnerung an Ereignisse, die wir erlebt haben. Wir benutzen also einen anderen Bereich unseres Gehirns, wenn wir an die Sommerferien unserer Kindheit zurückdenken, als wenn wir versuchen, uns zu erinnern, wo wir die Schlüssel hingelegt haben.

Wenn verschiedene Gehirnbereiche für verschiedene Gedächtnisfunktionen zuständig sind, bedeutet das dann auch, dass verschiedene Arten von Training eine unterschiedliche Wirkung haben? Um diese Frage zu beantworten, ließen Forscher der University of British Columbia in Vancouver eine Gruppe von Frauen zwischen 70 und 80, die alle ein schlechtes Gedächtnis hatten, aber nicht unter Demenz litten, regelmäßig Sport treiben. Manche gingen joggen, andere machten leichtes Hanteltraining, wieder andere Stretching. Nach einer Weile wurde das Gedächtnis durch verschiedene Gedächtnistests untersucht, zum Beispiel mussten sie sich Wörter merken oder sich erinnern, wo irgendwelche Gegenstände hingelegt worden waren. Wie sich zeigte, schnitten die Frauen, die gelaufen waren oder Hanteltraining absolviert hatten, besser ab als diejenigen, die nur Dehnübungen gemacht hatten. Doch als man sich die Ergebnisse näher ansah, machte man eine unerwartete Entdeckung: Die Fähigkeit, sich Wörter zu merken, hatte sich bei den joggenden Testpersonen stärker verbessert als bei denen, die Hanteltraining gemacht hatten. Wenn es jedoch darum ging, sich an den Ort zu erinnern, an den man irgendeinen Gegenstand gelegt hatte, zum Beispiel Portemonnaie oder Schlüssel, hatte sich das Gedächtnis sowohl bei der Hantelgruppe als auch bei den Läuferinnen verbessert. Verschiedene Arten von Training scheinen also verschiedene Bereiche des Gedächtnisses zu beeinflussen.

Das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Wenn Sie den bestmöglichen Effekt für Ihr Gedächtnis erzielen wollen, müssen Sie Ihr Training variieren. Sie können zum Beispiel ab und zu Krafttraining treiben, wenn Sie normalerweise eher spazieren oder joggen gehen. Aber es gibt keinen Grund zur Sorge, wenn Sie sich nicht vorstellen könnten, jemals auch nur einen Fuß in ein Fitnessstudio zu setzen: Die Studienergebnisse zeigen ganz deutlich, dass es das Wichtigste ist, sich überhaupt zu bewegen. Welche Art von Bewegung Sie bevorzugen, spielt keine so große Rolle. Allerdings tun Sie sich einen zusätzlichen Gefallen, wenn Sie für ein wenig Abwechslung sorgen.

Heute wissen wir, dass der Hippocampus durch körperliche Betätigung größer wird, und es wird vermutet, dass das das Risiko für kognitive Störungen und frühe Demenz senkt.

Der Schub für das Gedächtnis

Die Forschung hat neben der Erkenntnis, dass verschiedene Arten von körperlicher Aktivität das Gedächtnis auch verschieden beeinflussen, noch weitere überraschende Entdeckungen gemacht. Unter anderem scheint physische Aktivität einen kurzfristigen Gedächtnisschub zu verursachen. Als irische Wissenschaftler eine Gruppe junger Männer regelmäßig Sport treiben ließen und sie dann mit körperlich inaktiven Altersgenossen verglichen, schnitten Letztere schlechter bei Gedächtnistests ab. Den besten Effekt auf das Gedächtnis erzielten diejenigen Teilnehmer, die direkt vor dem Test eine Runde Konditionstraining absolvierten. Worauf diese kurzfristige Steigerung der Gedächtnisleistung beruht, weiß man nicht im Detail. Es könnte damit zu tun haben, dass sich die Durchblutung des Gehirns verbessert, wenn man sich bewegt.

Die missglückte Operation

In der medizinischen Forschung ist Henry Molaison – auch bekannt als »Patient HM« – einer der bekanntesten Patienten aller Zeiten. Molaison wurde 1926 geboren und erlitt als Siebenjähriger einen Hirnschaden durch einen Autounfall. Danach litt er unter schwerer Epilepsie mit bis zu zehn Krampfanfällen pro Tag. Das bedeutete für ihn eine so starke Einschränkung, dass er am Ende weder arbeiten noch ein normales Leben führen konnte. In den 1950er-Jahren war er so verzweifelt, dass er beschloss, sich einer Gehirnoperation zu unterziehen. Diese verlief mittelprächtig, um es vorsichtig auszudrücken. Bei der OP entfernte man einen großen Teil der Schläfenlappen, beschädigte aber auch große Teile des Hippocampus. Als Molaison aus der Narkose aufwachte, war er zwar von seiner Epilepsie befreit, hatte aber auch noch etwas anderes verloren, nämlich die Fähigkeit, neue Erinnerungen zu speichern. Seine Erlebnisse von der Kindheit bis zum Zeitpunkt der Operation waren ihm noch genauso im Gedächtnis wie vorher, doch er hatte die Fähigkeit eingebüßt, Neues zu lernen.

Molaisons Leben vor der Operation war mühselig gewesen, aber nach dem Eingriff wurde es noch viel schlimmer. Er erkannte Menschen nicht wieder, die er erst nach der Operation kennengelernt hatte. Jedes Mal, wenn er jemand traf, war es so, als hätte er diese Person noch nie gesehen – obwohl er sie vielleicht schon hundert Mal getroffen hatte. Alle Orte, die er besuchte, erlebte er als neu, auch wenn er schon oft dort gewesen war. Nur an die Orte, an denen er bereits vor der Operation gewesen war, konnte er sich erinnern. Es muss fast ein wenig surrealistisch für ihn gewesen sein, die Zeitung aufzuschlagen, weil er überhaupt nichts über seine Gegenwart wusste. Er wusste zwar vom großen Börsencrash in den 1920er-Jahren und von den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs, doch was sich seit den 1950er-Jahren in der Welt getan hatte und wer gerade Präsident der USA war, konnte er nicht sagen. Davon abgesehen war er derselbe Mensch wie vorher – seine Persönlichkeit und seine Intelligenz hatten sich überhaupt nicht verändert.

Zahlreiche Wissenschaftler interessierten sich für Molaisons Fall, denn ihnen war klar, dass er wichtige Hinweise darauf geben konnte, wie das Gedächtnis funktioniert. Obwohl er allen Grund gehabt hätte, verbittert über das Gesundheitswesen und die Wissenschaft zu sein, stellte er sich der Wissenschaft zur Verfügung. Er nahm an Hunderten von wissenschaftlichen Studien teil und absolvierte eine endlose Zahl von Gedächtnistests. Durch die Betrachtung der Schäden in seinem Gehirn und der schweren Probleme, mit denen er zu kämpfen hatte, begannen die Forscher das Phänomen Gedächtnis immer besser zu begreifen – insbesondere die Rolle des Hippocampus.

Henry Molaison starb 2008 und vermachte sein Gehirn der Forschung. Es wird heute in einer Universität in San Diego verwahrt. Sein Schicksal berührt die Menschen noch heute, auch außerhalb der Welt der Wissenschaft. Immer noch werden Bücher und Artikel über ihn geschrieben, und die Macher des Films »Memento« haben sich angeblich auch von seinem Leben inspirieren lassen.

Lernen auf dem Laufband?

Dass Sport sowohl kurz- als auch langfristig positiv auf unser Gedächtnis wirkt, ist also wissenschaftlich bewiesen, ebenso wie die Tatsache, dass Bewegung unsere Gedächtnisleistung punktuell steigern kann. Aber wie genau erreicht man diesen kurzfristigen Gedächtnisschub? Welche Art von Bewegung erleichtert uns das Lernen? Ist es besser, sich körperlich zu betätigen, bevor man lernt, oder muss man sich während des Lernens bewegen, also dabei spazieren gehen oder joggen?

Um das herauszufinden, ließ man im Rahmen einer Studie eine Gruppe jüngerer Frauen Vokabeln lernen, indem man ihnen eine Aufnahme vorspielte, bei der die Vokabeln und ihre Übersetzung wiederholt wurden. Eine Gruppe musste vor dem Lernen in mäßigem Tempo Rad fahren, eine andere Gruppe fuhr, während sie sich die Vokabeln anhörte, und eine Vergleichsgruppe war weder vor dem Lernen noch währenddessen körperlich aktiv. Das Ergebnis war eindeutig: Diejenigen, die während des Radfahrens Vokabeln gelernt hatten, erinnerten sich am besten, gefolgt von denen, die davor trainiert hatten. Das schlechteste Resultat war der Gruppe der Inaktiven beschieden.

Wenn es dem Gedächtnis zuträglich ist, während des Lernens körperlich aktiv zu sein, stellt sich als Nächstes die Frage, wie intensiv man sich betätigen sollte, um den optimalen Effekt zu erzielen. Hier hat sich gezeigt, dass die Betätigung nicht zu intensiv ausfallen sollte. Wenn Sie auf dem Laufband richtig schnell laufen und gleichzeitig lernen, merken Sie sich den Stoff nicht besser – in so einem Fall scheint sich das Gehirn vielmehr auf die körperliche Aktivität zu konzentrieren und nicht auf das, was Sie sich einzuprägen versuchen. Außerdem müssen Sie etwas Geduld mitbringen, denn die Wirkung stellt sich nicht sofort ein: Versuche haben gezeigt, dass Personen, die sich während des Lernens bewegten, sich ein paar Stunden später nicht besser erinnern können. Ein Unterschied lässt sich erst nach zwei Tagen beobachten.

Wenn Sie etwas nur ein paar Stunden im Gedächtnis behalten wollen, hat Bewegung also keinen Einfluss. Dem Ziel, sich über mehrere Tage an einen Lerninhalt zu erinnern, scheint Training vor dem Lernen oder währenddessen aber zuträglich zu sein.

Praktisches Lerntraining

Wenn Sie sich die Wirkung von Training auf den Lernerfolg zunutze machen wollen, etwa vor einer Prüfung, sollten Sie

vor dem Lernen oder währenddessen körperlich aktiv sein.

sich körperlich nicht zu intensiv anstrengen.

sich vor Augen halten, dass sich die Wirkung in Form eines besseren Erinnerungsvermögens erst nach ein paar Tagen einstellt.

Bewegung und Persönlichkeit

Nicht nur im Gedächtniszentrum Hippocampus werden durch körperliche Aktivität neue Gehirnzellen gebildet. Auch der hinter der Stirn liegende sogenannte präfrontale Cortex wird etwas größer, wenn Sie Konditionstraining betreiben. Der präfrontale Cortex ist wichtig für Ihre Persönlichkeit, Ihr Urteilsvermögen und Ihre Entscheidungsfähigkeit. Dieser Gehirnbereich übt außerdem eine äußerst wichtige soziale Funktion aus, indem er uns davon abhält, alles umzusetzen, was uns so durch den Kopf schießt. Wenn Sie zum Beispiel jemand mit einer unglaublich hässlichen Krawatte sehen, gehen Sie wahrscheinlich nicht hin und sagen ihm das direkt auf den Kopf zu. In solchen Situationen wirkt der präfrontale Cortex als eine Art Filter. Menschen, bei denen dieser Hirnbereich geschädigt ist, zum Beispiel nach einem Schlaganfall, können eine Persönlichkeitsveränderung durchmachen und völlig distanzlos werden.

Dass der präfrontale Cortex bei körperlich aktiven Personen etwas größer ist, könnte zur Folge haben, dass sich durch regelmäßige Bewegung sowohl das Urteilsvermögen als auch die Entscheidungsfähigkeit verbessern und man weniger impulsiv handelt. Möglicherweise ändert sich sogar die Persönlichkeit ein wenig. Die Forschung hat nämlich gezeigt, dass Menschen, die regelmäßig Sport treiben, ganz einfach weniger neurotisch sind. Das provoziert natürlich die alte Frage, was zuerst da war: Henne oder Ei? Es könnte ja auch sein, dass weniger neurotische Personen eher trainieren, statt dass sie erst durch das Training weniger neurotisch werden.

Bewegung fördert die Konzentration

Das Gedächtnis ist nicht die einzige Gehirnfunktion, die sich verändert, wenn wir altern – auch die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit verschlechtern sich allmählich. Aber auch in diesen Bereichen lässt sich die Entwicklung durch Bewegung bremsen. Forscher der Harvard-Universität haben bei einer Untersuchung an etwa 20000 Frauen festgestellt, dass diejenigen, die sich regelmäßig bewegten, beim Älterwerden nicht nur ihr Erinnerungsvermögen, sondern auch ihre Leistungsfähigkeit bei Aufmerksamkeit und Konzentration behielten. Wie die Untersuchung zeigte, reicht schon ein zwanzigminütiger Spaziergang pro Tag aus, um diese Wirkung zu erzielen. Die aktivsten Frauen waren rein kognitiv gesehen sogar drei Jahre jünger als ihre weniger aktiven Altersgenossinnen.

Unterschätzte Sportskanonen

In amerikanischen Collegefilmen ist die Aufteilung ganz klar: Auf der einen Seite stehen die hochbegabten Nerds mit dicker Brille, auf der anderen die einfach gestrickten Sportskanonen. Viele stellen sich unter einem intelligenten Menschen eher einen Bücherwurm vor als jemand, der viel laufen geht. Doch dieses Stereotyp deckt sich nicht mit der Wirklichkeit. Der beste Beweis dafür wurde in Schweden erbracht. Noch vor ein paar Jahren war die Musterung vor dem Militärdienst obligatorisch für alle 18-Jährigen des Landes. Zu den Tests gehörten sowohl Konditions- und Krafttests als auch ein Intelligenztest. Aus den Testergebnissen von über 1,2 Millionen Personen ließ sich ein deutliches Muster erkennen: Diejenigen mit der besten Kondition erzielten auch bessere Resultate beim Intelligenztest. Ausdauernde 18-Jährige waren also klüger als ihre kurzatmigen Altersgenossen.

Der Intelligenztest bei der Musterung prüfte verschiedene Formen von Intelligenz, darunter sprachliches Verständnis, dreidimensionales Denken und die Fähigkeit, mathematische Probleme zu lösen. Eine gute Kondition war in allen Bereichen an hohe Punktzahlen gekoppelt. Die Unterschiede zogen sich sogar durch das weitere Leben der Testkandidaten: Diejenigen mit guter Kondition hatten eine bessere Ausbildung und besser bezahlte Jobs, als man sie nach vielen Jahren erneut testete. Außerdem litten sie weniger häufig an Depressionen als diejenigen, die untrainiert zur Musterung angetreten waren.

Aber lässt sich daraus folgern, dass man durch Training klüger wird? Es könnte ja genauso gut sein, dass intelligentere Personen einfach mehr Sport treiben. Um darauf eine Antwort zu erhalten, haben sich die Forscher angesehen, ob sich die Kondition der Gemusterten im Alter von 15 und 18 Jahren änderte. Dabei beobachtete man, dass diejenigen, die ihre Kondition verbessert hatten, bessere Ergebnisse im Intelligenztest erzielten als diejenigen, die ihre körperliche Form nicht verbessert hatten – und zwar ungeachtet der Ausgangslage. Eine solche Verbesserung erreicht man nur durch regelmäßiges Training. Mit anderen Worten: Diejenigen, die viel trainierten, waren klüger.

Die Wissenschaftler gaben sich mit diesem Resultat noch nicht zufrieden. Man könnte ja wiederum einwenden, dass klügere Jugendliche einfach mehr trainierten und dass sie nicht erst durch das Training klüger geworden waren. Da sowohl Intelligenz als auch Kondition bis zu einem gewissen Grad erblich beeinflusst sind, analysierte man die Musterungsergebnisse von eineiigen Zwillingen. Eineiige Zwillinge sind im Prinzip genetisch identisch und außerdem meistens unter ähnlichen Bedingungen aufgewachsen. Deswegen sind Unterschiede in ihrer Kondition nicht auf ihre Veranlagung zurückzuführen, sondern nur auf Unterschiede in der Lebensweise, sprich: den Grad ihrer körperlichen Aktivität.

Es gab eine Reihe von Zwillingsbrüdern, bei denen der eine Ausdauertraining machte und eine gute Kondition hatte, während der andere eher einen sitzenden Lebensstil pflegte. Das Ergebnis der Analyse war eindeutig: Der trainierte Zwilling erzielte im Intelligenztest bessere Resultate als sein untrainierter Bruder.

Offenbar beeinflusst physische Aktivität also tatsächlich unsere Intelligenz. Wenn Sie Ihren IQ durch Training steigern wollen, sollten Sie die Joggingrunde nicht durch das Fitnessstudio ersetzen. Es gab bei der Musterung nämlich keinen Zusammenhang zwischen Muskelkraft und hohen Punktzahlen im IQ-Test – diese Aussagen gelten nur für die Kondition.

Offenbar beeinflusst physische Aktivität tatsächlich unsere Intelligenz.

Besser in der Schule?

In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob die Kopplung von körperlicher Aktivität an eine höhere Intelligenz und bessere Lernfähigkeit auch für Kinder gilt. Dieser Aspekt ist nicht zuletzt dann interessant, wenn es darum geht, wie viel Raum dem schulischen Sportunterricht im Stundenplan eingeräumt werden soll. Dass körperliche Betätigung das Risiko für Diabetes und Übergewicht bei Kindern senkt, ist ja nichts Neues. Weniger bekannt ist der Umstand, dass sich bei Kindern, die körperlich aktiv sind, auch die Konzentrationsfähigkeit und das Selbstwertgefühl verbessern. Außerdem hat man beobachtet, dass Kinder, die sich regelmäßig bewegen, rein körperlich nicht so stark auf Stress reagieren.

Aber werden die Kinder wirklich besser in der Schule? Es spricht tatsächlich eine ganze Menge dafür, dass sie sich durch regelmäßige Bewegung auch in den theoretischen Fächern verbessern können.

An einer Grundschule in Bunkeflo in Malmö hat man jeweils zwei Klassen einer Jahrgangsstufe besonders viel Sportunterricht erteilt. Statt der üblichen zwei Wochenstunden hatten die Kinder täglich Sport. Die dritte Klasse blieb als Vergleichsgruppe beim alten Stundenplan mit zwei Wochenstunden Sport. Abgesehen von der Zahl der Sportstunden gab es keinen Unterschied zwischen den Klassen. Die Kinder wurden in denselben Fächern unterrichtet, hatten dieselben Lehrer und kamen aus demselben Umfeld. Außerdem bewegten sie sich außerhalb der Schule ungefähr genauso viel wie vorher. Die Klassen waren also absolut vergleichbar, was bedeuten müsste, dass sie auch ungefähr gleich gute Ergebnisse im Unterricht hätten erzielen müssen. Taten sie aber nicht.

Die Kinder, die täglich Sport getrieben hatten, erzielten durch die Bank bessere Noten in Mathematik, Schwedisch und Englisch, und es fielen weniger Schüler durch. Besonders deutlich war dieser Zusammenhang bei den Jungen. Dass auch die Sportnoten besser waren, ist vielleicht nicht sonderlich überraschend, wenn sie so viel mehr Sport trieben.

In den USA erbrachte eine Untersuchung an 12000 Schulkindern ein ähnliches Resultat. Die Ausgangsfrage lautete: Gibt es eine Verbindung zwischen der Kondition und den Prüfungsergebnissen in Mathematik und Englisch? Um es kurz zu machen: Die gibt es. Übergewicht schien keine Rolle zu spielen, aber die Kinder mit guter Kondition erzielten auch die besseren Resultate in den genannten Fächern.

Aber warum werden Kinder besser in Mathematik und Englisch, wenn sie sich mehr bewegen? Wie wir bereits erläutert haben, wird das Hirn durch Bewegung so vielfältig positiv beeinflusst, dass hier verschiedene Faktoren eine Rolle spielen könnten. Ein wichtiger Grund ist vermutlich der, dass sich das Gedächtnis bei Kindern, die sich mehr bewegen, verbessert – genauso wie bei Erwachsenen. Eine gute Kondition scheint dem Gedächtnis der Kinder auf die Sprünge zu helfen, vor allem bei schwierigeren Gedächtnisübungen. Je schwerer die Übung, umso mehr Nutzen ziehen die Kinder aus einer guten Kondition.

Bei körperlich aktiven Kindern verbessern sich auch Konzentrationsfähigkeit und Selbstwertgefühl.

Motivation für Bewegungsmuffel

Mag Ihr Kind den Sportunterricht in der Schule nicht? Keine Sorge, es gibt ja genügend andere Möglichkeiten. Als Wissenschaftler in den USA übergewichtige Kinder, die Sport langweilig fanden und in ihrer Freizeit viel still saßen, dazu anhielten, nach der Schule regelmäßig in eine Sportgruppe zu gehen, stellten sie fest, dass das deren Mathematikleistungen verbesserte. Je aktiver sie waren, umso besser wurden die Noten. Die besten Noten erzielten diejenigen Kinder, die 40 Minuten pro Tag besonders aktiv waren – richtig intensives Training, bei dem ihr Puls auf über 150 Schläge pro Minute stieg.

Aber wie hatten die Wissenschaftler die übergewichtigen Kinder dazu gebracht, sich körperlich so richtig reinzuhängen – wo sie sich doch offensichtlich ausgesprochen ungern bewegten? Ganz einfach: Das Training berücksichtigte die Vorlieben der Kinder. Manche Kinder liefen lieber, andere spielten lieber Basketball oder Fußball. Sinn der Sache war, dass sie Spaß haben sollten, nicht, dass sie in einer bestimmten Sportart Leistungen erbrachten. Die Noten verbesserten sich unabhängig von der Sportart.

Helfen Sie Ihren Kindern also, etwas zu finden, das ihnen Spaß macht – es kommt nicht darauf an, welchen Sport sie treiben, die Auswirkungen sind immer positiv.

Die Forscher beobachteten neben den Mathematiknoten noch einen anderen Effekt, der mindestens genauso faszinierend ist: Auch die Entscheidungsfähigkeit der Kinder verbesserte sich. MRT-Aufnahmen ihrer Gehirne zeigten, dass die Aktivität im präfrontalen Cortex zunahm – in dem Gehirnbereich, der nicht nur als Filter zwischen Gedanke und Handlung fungiert, sondern der auch eine wichtige Rolle für unsere Fähigkeit spielt, uns zu konzentrieren und Entscheidungen zu treffen. Ob die verbesserte Konzentrationsfähigkeit die Erklärung für die besseren Mathenoten ist, kann man nicht mit Sicherheit sagen, doch immerhin gelang den Forschern der Nachweis, dass sich die Gehirne von Kindern verändern, wenn sie sich regelmäßig bewegen.

Kondition und Konzentration

Dass physische Aktivität Kinder konzentrierter macht, wurde in mehreren Untersuchungen nachgewiesen. In einem der spektakuläreren Experimente hat man eine Gruppe von Zehnjährigen eine verkehrsreiche Straße überqueren lassen, um zu sehen, ob sie den vorbeifahrenden Autos ausweichen konnten. Klingt das fragwürdig in Ihren Ohren? Vielleicht sollte man hinzufügen, dass es virtuelle Autos waren, die in einem Zentrum für Verkehrsmedizin auf großen Bildschirmen gezeigt wurden.

Bevor die Kinder den virtuellen Gefahren ausgesetzt wurden, testete man auf einem Laufband ihre Kondition. Dann begann man mit dem Experiment. Wenn sich die Kinder nur darauf konzentrierten, die Straße zu überqueren, kamen im Grunde alle gut mit der Situation zurecht und gelangten sicher auf die andere Straßenseite. Doch dann fügte man Störfaktoren hinzu. Die Kinder mussten die Straße überqueren, während sie mit dem Handy telefonierten oder Musik hörten. Kinder mit besserer Kondition schafften es eher, die virtuelle Straße unfallfrei zu überqueren. Wenn man gleichzeitig Musik hören oder mit dem Handy telefonieren und die Autos im Blick behalten will, braucht man Konzentration und die Fähigkeit zum Multitasking. Die Ergebnisse waren eindeutig – die Kondition der Kinder stand in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Konzentrations- und Multitaskingfähigkeit. Man kann nur spekulieren, worauf das zurückzuführen ist. Eine Möglichkeit wäre die, dass das Gehirn bei fitten Kindern besser mit Sauerstoff versorgt ist. Eine andere wäre die, dass sich das Wachstum von Gehirnzellen und die Zellvernetzung bei physisch aktiven Kindern verbessern.

Eines sollte allerdings zu denken geben: Alle Kinder, auch die fitten, setzten sich größeren Gefahren aus und machten mehr Fehler, wenn sie mit dem Handy am Ohr herumliefen. Das ist sicher gut zu wissen in Zeiten, in denen es schon fast die Ausnahme ist, Kinder (oder Erwachsene) zu sehen, die nicht irgendwie mit ihrem Handy beschäftigt sind.

Optimal vernetzt

Fahrradfahren oder Schwimmen lernen kann mühsam sein, aber wenn man es mal raushat, fällt es einem nicht mehr schwer. Tatsächlich benutzt man umso weniger Gehirnbereiche für eine Tätigkeit, je besser man sie beherrscht. Das Gehirn greift sozusagen auf eine Art »Programm« oder ein System von Denkbahnen zurück, das für verschiedene Tätigkeiten angelegt wurde. Diese funktionellen Netzwerke kann man sich vielleicht als eine Art Smartphone-Apps vorstellen: Jedes Mal, wenn Sie Fahrrad fahren, benutzen Sie ein bestimmtes Programm. Wenn Sie schwimmen, ist es ein anderes.

Je mehr Sie etwas üben, umso effektiver wird das entsprechende Programm, und umso weniger Gehirnbereiche werden dafür aktiviert – so wie ein effektives Programm auf Ihrem Computer oder Ihrem Smartphone nicht allzu viel Rechnerkapazität beansprucht. Wenn Sie etwas perfekt beherrschen, wird es nahezu zu einem Automatismus – ohne dass sich Ihr Gehirn dabei anstrengen müsste. Wenn Angelique Kerber eine Vorhand oder Toni Kroos einen Pass spielen, benutzen sie wahrscheinlich weniger Gehirnzellen, als wir das in so einer Situation tun müssten. Für sie passiert das alles automatisch, ohne die Anstrengung, die ein Untrainierter verspüren würde.

Das heißt im Umkehrschluss, dass wir mehr Gehirnkapazität aufwenden müssen, wenn wir etwas neu lernen. Ein Anfänger, der eine einfache Melodie auf dem Klavier einübt, wird schnell ermüden. Ein Konzertpianist hingegen kann ein langes, komplexes Stück spielen, ohne es im Mindesten anstrengend zu finden. Das liegt daran, dass sich das Gehirn des Anfängers mehr anstrengen muss. Die Denkbahnen sind noch nicht so stark ausgebaut und verlangen dem Gehirn größere Anstrengungen ab.

Durch Fortschritte bei den bildgebenden Verfahren der Medizintechnik, etwa mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET) und funktionelle Magnetresonanztomografie (MRT), kann die Forschung allmählich detaillierter darstellen, wie das Gehirn arbeitet und welche Programme ablaufen, wenn wir verschiedenen Tätigkeiten nachgehen. Dabei hat man eine bahnbrechende Entdeckung gemacht: Körperliche Aktivität sorgt offenbar dafür, dass auch die funktionellen Netzwerke in unserem Gehirn aktiviert werden und unser Gehirn insgesamt effektiver arbeitet. Diese Veränderungen laufen nicht innerhalb eines Bereichs ab: Sie verbessern sich zum Beispiel nicht nur im Fußballspielen, wenn Sie viel bolzen, sondern auch in anderen Bereichen. Schließlich hat Ihr Gehirn nicht nur funktionelle Netzwerke für Bewegungsabläufe, sondern auch für abstrakte Funktionen – etwa, wenn Sie Problemlösungen entwickeln oder Zukunftspläne schmieden.

So eigenartig es klingt: Regelmäßige Joggingrunden oder Tennismatches leisten tatsächlich einen Beitrag dazu, dass das Hirn besser arbeitet, wenn Sie Klavier spielen oder ein logisches Problem lösen.

Offenbar verbessern sich durch Bewegung die Verbindungen zwischen verschiedenen Gehirnbereichen. Körperliche Aktivität sorgt unter anderem dafür, dass der Stirnlappen besser mit dem Schläfenlappen und dem Hinterhauptslappen kommuniziert – und je besser die verschiedenen Gehirnbereiche zusammenarbeiten, umso effektiver arbeiten auch die funktionellen Netzwerke und damit das ganze Gehirn.

Allerdings reichen vereinzelte Bewegungseinheiten nicht aus, um diese Effekte zu erzielen. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass dazu regelmäßiges Training, und zwar mehrmals die Woche über mindestens ein Jahr hinweg, nötig ist.

Die Verbindungen zwischen den verschiedenen Bereichen des Gehirns werden übrigens auch mit steigendem Lebensalter schlechter. Durch regelmäßiges Training stärken Sie diese Verbindungen zwischen den Gehirnregionen, wirken den Alterungsprozessen entgegen und halten sich auch geistig fit.

Körperliche Aktivität sorgt offenbar dafür, dass auch die funktionellen Netzwerke in unserem Gehirn aktiviert werden und unser Gehirn insgesamt effektiver arbeitet.

Aktiv und kreativ

Kreativität ist eine der meistgefragten menschlichen Eigenschaften. Denken Sie mal daran, wie viel Energie und Geld wir darauf verwenden, um die Kreativität unserer Kinder anzuregen. Obwohl wir nicht besonders viel darüber wissen, was im Gehirn geschieht, wenn wir neue Ideen entwickeln und »querdenken«, scheint eines festzustehen: Körperliche Betätigung macht Sie kreativer. Es gibt diverse Beispiele. Einstein zum Beispiel soll beim Fahrradfahren auf seine Relativitätstheorie gekommen sein. Wahrscheinlich haben Sie selbst schon einmal gemerkt, wie ein Spaziergang oder eine Joggingrunde Ihnen den Kopf für neue Ideen freigemacht haben.

Doch Anekdoten sind keine wissenschaftlichen Beweise, auch nicht, wenn sie sich um Einstein drehen. Wir alle haben eine subjektive Vorstellung davon, was Kreativität ist; in der Forschung geht es aber darum, Dinge messbar zu machen, und deswegen gibt es Tests für Kreativität.

Einer davon sieht so aus, dass man ein Wort vorgegeben bekommt, z. B. »Stift« oder »Löffel«. Dann soll man innerhalb kürzester Zeit auf möglichst viele Anwendungsmöglichkeiten für dieses Wort kommen. Das hört sich einfach an, aber versuchen Sie es selbst einmal unter Zeitdruck. Es geht nicht nur um die Menge der Anwendungsbereiche, sondern auch darum, wie sehr sie sich voneinander unterscheiden. Die Antworten sollten auch weit voneinander entfernte Bereiche abdecken. Außerdem sollen sie originell sein, d.h. andere, die den Test gemacht haben, sollten noch nicht darauf gekommen sein. Wenn Sie sagen, dass man mit dem Löffel nicht nur Tomatensuppe, sondern auch Erbsen- und andere Suppen essen kann, ist das weder abwechslungsreich noch originell, dafür bekommen Sie also nur wenige Punkte.

Diese Tests haben gezeigt, dass man durch körperliche Aktivität kreativer wird. Das gilt besonders, wenn man den Aspekt der Flexibilität betrachtet, der einer von mehreren Maßstäben für Kreativität ist. Wenn Sie vorhaben, ein Buch zu schreiben oder auf eine tolle Geschäftsidee kommen, die die Welt in Staunen versetzen wird, dann widmen Sie sich Ihrem Projekt innerhalb der zwei Stunden direkt nach Ihrer Trainingseinheit. Die Kreativitätssteigerung nach dem Training scheint nämlich ungefähr zwei Stunden anzuhalten.

Um die Gehirnwindungen auf Hochtouren zu bringen, scheint ziemlich intensives Training nötig zu sein, etwa dreißig-minütiges Laufen in gesteigertem Tempo. Kürzere oder weniger anspruchsvolle Trainingseinheiten scheinen nicht denselben positiven Effekt auf die Kreativität zu haben. Andererseits – Sie wissen ja: Wenn Sie sich wirklich diese halbe Stunde Zeit nehmen, dann verbessert sich nicht nur Ihre Kreativität, sondern auch Ihr Gedächtnis, Ihre Aufmerksamkeit, Problemlösungsfähigkeit, Abstraktionsfähigkeit und Ihre Entschlussfähigkeit.

Gibt es einen Haken? Ja, denn wenn man durch Training kreativer werden will, muss man körperlich ziemlich gut in Form sein. Wenn man völlig untrainiert ist und eine halbe Stunde in schnellem Tempo laufen geht, dann ist das Risiko groß, dass die Idee zum großen Wurf ausbleibt. Wahrscheinlich ist man danach eher eine Weile platt – und dann scheint es mit der Kreativität eher bergab zu gehen.

Sie wollen durch Bewegung Ihre Kreativität steigern? Dann denken Sie daran, dass

Sie mindestens 30 Minuten lang intensiv körperlich aktiv sein müssen – ein flotter Spaziergang genügt nicht.

der Effekt nach ungefähr zwei Stunden wieder abzuklingen scheint.

körperliche Fitness eine Voraussetzung für den Effekt ist.

Erschöpfung hingegen kontraproduktiv wirkt – passen Sie die Anstrengung also Ihrer Form an.

Psychisch stabil durch Bewegung

10 bis 20 Prozent aller Menschen erkranken irgendwann in ihrem Leben einmal an Depressionen. Tatsächlich hat die WHO vor ein paar Jahren Depressionen als viertgrößtes Gesundheitsproblem weltweit eingestuft. Das Wissen darüber, was bei einer Depression im Gehirn vor sich geht, ist enorm gewachsen. Heute weiß man, dass durch Depressionen tatsächlich Teile des Gehirns leicht schrumpfen können. Das gilt insbesondere für unser Gedächtniszentrum, den Hippocampus. Überdies hat die Forschung gezeigt, dass im Gedächtniszentrum neue Zellen gebildet werden, wenn man sich von einer Depression erholt. Bewegung sorgt ebenfalls dafür, dass im Hippocampus neue Zellen gebildet werden. Könnte das der Grund dafür sein, dass Bewegung gegen Depressionen hilft? Darauf deutet einiges hin: Es gibt Rattenstämme, die depressionsähnliche Zustände entwickeln – sie werden dann passiv, isolieren sich und hören auf zu essen. Doch wenn sie viel laufen dürfen, verändert sich ihr Verhalten. Sie werden munterer, ihr Appetit kehrt zurück, und sie interessieren sich wieder für andere Tiere. Genau dasselbe geschieht, wenn man den Tieren Antidepressiva verabreicht. Gehirnuntersuchungen zeigten, dass sowohl die Medikamente als auch die Bewegung für die Bildung neuer Zellen im Hippocampus sorgen.

Bewegung hat also denselben Einfluss auf das Verhalten und das Gehirn der Tiere wie Psychopharmaka.

Wie viel und wie intensiv ist Bewegung nötig, um Depressionen zu mildern? Bei leichten und mittelschweren Depressionen scheint regelmäßige körperliche Aktivität ungefähr so gut zu wirken wie Medikamente. Klären Sie mit Ihrem Arzt ab, ob er das befürwortet und gehen oder laufen Sie über zwei Monate hinweg zwei- bis dreimal pro Woche mindestens 30 bis 45 Minuten.

Alltagsängste wegtrainieren

Die meisten von uns durchleben hin und wieder Zeiten, in denen sie verstärkt von Ängsten geplagt werden. Angst hat viele wichtige Funktionen: Sie hilft uns, wachsam zu bleiben, Gefahren zu vermeiden, für die Zukunft zu planen, und erhöht damit letztlich unsere Überlebenschancen.

Man weiß, dass körperliche Aktivität den Angstlevel kurzfristig senken kann. Die angstdämpfende Wirkung setzt nicht während, sondern erst nach dem Training ein. Am stärksten ist sie eine Viertelstunde, nachdem Sie das Training beendet haben, danach hält sie noch zwei bis vier Stunden an. Welche Art der Aktivität Sie wählen, etwa Krafttraining oder Konditionstraining, ist weniger entscheidend. Leichtere Anstrengungen wie Spaziergänge lindern die Angst auch schon etwas, doch den besten Effekt erzielt man durch intensive Bewegung. Eine wissenschaftliche Untersuchung verglich die Wirkung von Spaziergängen mit der von intensivem Lauftraining. Das Ergebnis war eindeutig: je intensiver die Aktivität ist, desto stärker fällt der angstdämpfende Effekt aus.

Wenn Sie häufig mit Angst und Nervosität zu kämpfen haben, stehen die Chancen gut, dass Ihnen Bewegung hilft. Die Forschung zeigt nämlich eindeutig, dass Menschen, die mindestens eine Stunde pro Woche physisch aktiv sind, weniger unter solchen Beschwerden zu leiden haben. Außerdem scheint sich auch die Persönlichkeit zu verändern. Die körperlich aktiven Personen sind offenbar weit weniger neurotisch und dafür sozial aktiver. Aber hier sind wir wieder beim Problem von Ursache und Wirkung: Diese Beobachtungen bedeuten ja nicht automatisch, dass das Training die Angst lindert oder die Menschen weniger neurotisch macht, es kann ebenso gut sein, dass Menschen mit Angstproblemen weniger trainieren.

Kann Training Antidepressiva ersetzen?

Tatsächlich schneidet Bewegung gut ab, wenn man ihre Wirkung mit der von antidepressiven Medikamenten vergleicht. Mit körperlicher Aktivität scheint man leichte bis mittelschwere Depressionen behandeln und generell das Risiko einer depressiven Erkrankung senken zu können. Regelmäßige Bewegung scheint mindestens ebenso gut zu wirken wie Medikamente, wenn es um die Vorbeugung einer Neuerkrankung bei von Depressionen geheilten Patienten geht. Auch Menschen, die bereits Antidepressiva einnehmen, profitieren von Bewegung.

Wenn Sie häufig mit Angst und Nervosität zu kämpfen haben, stehen die Chancen gut, dass Ihnen Bewegung hilft.

Panik und Phobien mildern

Dass Sport hilft, Alltagsängste besser zu bewältigen, ist eine Sache. Doch bei manchen Menschen nehmen Ängste ernstere Formen an und manifestieren sich in Panikattacken. Wie körperliche Aktivität insbesondere Panikattacken beeinflusst, haben deutsche Forscher 2005 in einem Experiment untersucht, an dem die meisten wohl lieber nicht teilnehmen würden. Die Forscher spritzten gesunden Versuchspersonen einen Stoff namens CCK-4 (Cholecystokinin-4), der eine extrem unangenehme Wirkung hat: Er kann Panikattacken hervorrufen. Wenn Sie eine solche Spritze bekämen, würden Sie wahrscheinlich von schrecklicher Angst heimgesucht, einhergehend mit Herzrasen und Atemnot.

Das Gefühl ist so unangenehm, dass viele, die eine Panikattacke erleben, meinen, sie müssten sterben. Als 15 mutige Freiwillige die CCK-Spritze bekamen, trat bei den meisten genau dieser Effekt ein. Zwölf von ihnen bekamen eine Panikattacke, obwohl sie früher noch nie solche Beschwerden gehabt hatten. Nach einer Weile wiederholte man den Versuch, jedoch mit einem wichtigen Unterschied: Bevor das CCK-4 gespritzt wurde, mussten dieselben Teilnehmer 30 Minuten Konditionstraining mit vergleichsweise hoher Intensität absolvieren (70 Prozent der maximalen Sauerstoffkapazität). Mit einem überraschenden Ergebnis: Nur sechs der 15 Versuchspersonen bekamen eine Panikattacke. Das Training hatte eine schützende Wirkung gegen Panikattacken, die noch dazu rasch eintrat.

Nicht nur Panikattacken, sondern auch Phobien können offenbar durch physische Aktivität gelindert werden. In England machte man in den 1970er-Jahren einen Versuch mit einer Gruppe von Personen, die unter Platzangst (Agoraphobie) litten und sich besonders stark vor dem Busfahren fürchteten. Jedes Mal, wenn sie einen Bus besteigen sollten, wurden sie von großer Nervosität, Herzklopfen und Schweißausbrüchen geplagt. Aber als man sie vor dem Einsteigen zur Bushaltestelle rennen ließ, verringerte sich ihre Angst. Es war, als ob die Tatsache, dass sie schon auf Hochtouren liefen, dem Körper signalisierte, dass er nicht noch einen Gang hochschalten konnte, und so fiel es den Betroffenen leichter, in den Bus zu steigen.

Sicher wird kaum jemand jedes Mal wie verrückt herumrennen, bevor er einen Bus oder ein Flugzeug besteigt – doch der Versuch zeigt, dass körperliche Aktivität auch bei schwereren Erscheinungsformen von Angst einen beruhigenden Effekt haben kann.

Weniger Blut, weniger Angst?

Viele der Effekte von Bewegung auf unser Wohlbefinden sind auf die Botenstoffe Serotonin, Dopamin, Noradrenalin und Endorphine zurückzuführen, doch es gibt auch noch eine andere Erklärungsmöglichkeit dafür, warum Bewegung Depressionen und vor allem Angsterkrankungen vorbeugt. Wenn wir intensiv trainieren, benötigen die Muskeln mehr Sauerstoff und Energie, und deswegen werden sie besser durchblutet. Das bedeutet gleichzeitig, dass das Gehirn weniger gut mit Blut versorgt wird. Und wenn das Gehirn weniger gut mit Blut versorgt wird, führt das dazu, dass gewisse Aktivitäten im Hirn als weniger relevant eingestuft und heruntergefahren werden, solange sie nicht lebenswichtig sind. Vor allem der Frontallappen scheint bei intensivem Training ziemlich stark herunterzuschalten – und genau dieser Gehirnbereich spielt bei Angststörungen und Depressionen eine ganz zentrale Rolle. Etwas zugespitzt formuliert könnte man sagen, dass das Gehirn während des Trainings nicht genug durchblutet ist, um ängstlich zu agieren – denn das Blut wird von den Muskeln benötigt. Diese Theorie trägt den Namen »transiente Hypofrontalitätshypothese«.

Emotionen filtern

Tief im Inneren des Gehirns sitzt die Amygdala – ein Bereich, der sich im Laufe der Evolution nicht nennenswert verändert hat und zu dem gehört, was man als Stammhirn oder als »Reptilienhirn« bezeichnet. Die Amygdala spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Gefühlen, vor allem, wenn wir uns fürchten oder Angst haben. Unsere fernen Vorfahren hat dieser Gehirnteil angesichts der vielen Gefahren der Savanne vorsichtig gemacht, aber in der heutigen Gesellschaft wäre es weniger gut, unser Verhalten vollauf von der Amygdala steuern zu lassen, denn das würde bedeuten, dass wir extrem gefühlsgesteuert agieren. Wenn die Amygdala bestimmen dürfte, würden wir uns konsequent für das entscheiden, was uns in diesem Moment am bequemsten erscheint und am wenigsten Unbehagen verursacht – und damit häufig schlechte Entscheidungen treffen. Höchstwahrscheinlich würden wir massenhaft Süßigkeiten und Alkohol konsumieren, um uns einen kurzfristigen Kick zu holen. Alles, was auch nur im Mindesten lästig wäre, würden wir vermeiden. In Stresssituationen und bei potenziell bedrohlichen Erlebnissen, etwa bei Konflikten am Arbeitsplatz, würden wir schnurstracks zum Angriff übergehen oder ungeachtet aller Konsequenzen einfach weglaufen.

Glücklicherweise hat die Amygdala einen Gegenspieler, der diese Impulse bremst. Ein wichtiger Teil davon ist der präfrontale Cortex, die Hirnrinde direkt hinter der Stirn. Hier sitzen große Teile des Intellekts und des anspruchsvolleren Denkens, das uns von den Tieren unterscheidet. Dieser Teil des Cortex ist dafür verantwortlich, dass Sie nicht völlig emotionsgesteuert sind und schreien oder zuschlagen, sobald Sie im Job irgendetwas aufregt.

Damit der Cortex die Amygdala bremsen kann, muss die Verbindung zwischen ihnen stark sein. Dann kann der Cortex wie eine Art Filter fungieren, der uns davon abhält, allzu gefühlsgesteuert zu agieren. Was hat nun körperliche Aktivität mit all dem zu tun? Nun, es hat sich herausgestellt, dass regelmäßiges Training die Verbindung zwischen dem präfrontalen Cortex und der Amygdala stärkt, was wiederum dem Cortex bessere Möglichkeiten gibt, die Amygdala zu bremsen. Das macht uns wahrscheinlich nicht nur weniger impulsiv, sondern dämpft auch Gefühle wie Angst oder Nervosität.

Bewegung scheint Menschen weniger anfällig für Drogenkonsum zu machen, vielleicht weil man seinen Kick schon durch die körperliche Betätigung bekommen hat.

Süchtig nach Sport?

Dass Bewegung einen stark angst- und stressdämpfenden Effekt hat, führt uns auf ein Gebiet, für das auch die Forschung sich immer mehr interessiert: Sucht. Der Kick, den man sich durch Training holen kann, wird für manche so wichtig, dass sie kaum noch ohne ihn können – sie werden sportsüchtig. Für die meisten ist das kein Problem, und der Kick funktioniert eher wie ein Motor, der sie vom Sofa holt. Aber wenn Sport zwanghaft wird und nicht mehr betrieben wird, weil es Spaß macht und es einem gut geht, handelt es sich um Suchtverhalten.

Interessanterweise sind es dieselben Mechanismen wie bei Alkohol, Nikotin und Rauschgift, die uns süchtig nach Sport werden lassen. Sportsucht scheint außerdem viele Ähnlichkeiten und Überschneidungen mit Essstörungen zu haben und ist mittlerweile zu einem festen Forschungsgegenstand innerhalb der Suchtforschung geworden – gewissermaßen als Kehrseite des Gesundheitsbooms. Offensichtlich ist nicht jeder gefährdet, sondern nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung.

Wie können Sie feststellen, ob Sie sportsüchtig sind? Wenn Sie nur trainieren, weil es Ihnen schlecht geht, wenn Sie nicht trainieren, dann ist das schon ein Warnsignal. Ein anderes ist es, wenn das Training wichtiger wird als alles andere und Sie Ihren Alltag komplett nach dem Training ausrichten.

Aber Sportsucht hat auch positive Folgen: Bewegung scheint Menschen weniger anfällig für Drogenkonsum zu machen.

Kanadische Forscher haben diesen Effekt an Ratten untersucht, die völlig verrückt nach Kokain waren (das sind Ratten generell), und haben entdeckt, dass die Anziehungskraft der Droge sank, sobald die Tiere sich intensiv bewegen konnten. Wenn man die Ratten in einem Rad laufen ließ, bevor man ihnen die Droge vorsetzte, war das Kokain plötzlich gar nicht mehr so interessant. Worauf das zurückgeht, weiß man nicht, aber vielleicht gab die physische Aktivität den Tieren einen so starken Kick, dass sie es nicht mehr nötig hatten, ihn sich auf künstlichem Wege zu verschaffen. Für uns Menschen scheint das ebenfalls zu gelten.

Hirnerkrankungen aktiv vorbeugen

Bewegung hat nicht nur große Effekte auf unser Wohlbefinden, unsere Intelligenz, Kreativität und unser Konzentrationsvermögen, sondern hilft auch bei der Vorbeugung gegen verschiedene Erkrankungen des Gehirns. Es ist erwiesen, dass physische Aktivität nicht nur vor Depressionen schützt, sondern auch vor Alzheimer und Parkinson. So sinkt zum Beispiel das Risiko für die Demenzerkrankung Alzheimer bei über 70-Jährigen ganz erheblich – nämlich um 30 bis 40 Prozent –, wenn sie sich täglich mindestens 30 Minuten bewegen.

Es genügt, wenn man in flottem Tempo spazieren geht, und das Wichtigste ist, dass man sich oft und regelmäßig bewegt. Es ist nie zu spät, damit anzufangen, denn auch wenn man sich früher nicht bewegt hat und erst in fortgeschrittenem Alter mit dem Spazierengehen anfängt, entfaltet sich die schützende Wirkung.

Doch nicht nur das Risiko einer Demenzerkrankung sinkt, wenn Sie sich bewegen. Auch wenn man bereits an Demenz erkrankt ist, spielt Bewegung eine wichtige Rolle. Patienten mit beginnender Demenz können die Krankheit durch Bewegung noch mehrere Jahre hinausschieben. Bewegung scheint schlicht die Geschwindigkeit zu bremsen, mit der man in die Demenz rutscht. Das Allerwichtigste, das man tun kann, wenn eine Alzheimerdiagnose gestellt wurde, ist nicht, Medikamente zu nehmen, sondern sich regelmäßig zu bewegen, sagt eine Oberärztin in Stockholm, die zum Thema Alzheimer forscht. Ihre Aussage wird von den Ergebnissen anderer Forscher gestützt.

Geschäftsfeld Gehirngesundheit

Gehirngesundheit ist ein populärer Begriff geworden, um den sich eine regelrechte Millionenindustrie entwickelt hat. Es gibt eine schier unüberschaubare Menge von Methoden, Kursen, Büchern und Nahrungsergänzungsmitteln, die angeblich das Gehirn unterstützen und Sie gesünder, klüger, fröhlicher, kreativer und konzentrierter machen sollen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Wirkung dieser Maßnahmen, zum Beispiel bei den Nahrungsergänzungsmitteln, nicht immer klar nachweisbar ist.

Ohne uns zu weit aus dem Fenster zu lehnen, können wir Ihnen sagen, dass nur wenige der untersuchten Produkte überhaupt irgendeine feststellbare Wirkung zeigten, ganz egal, was die Hersteller versprechen. Unser einfacher Tipp lautet daher: Verwenden Sie Ihre Zeit und Ihr Geld auf etwas, das erwiesenermaßen funktioniert, nämlich regelmäßige körperliche Betätigung, mindestens 30 Minuten pro Tag. Wenn Sie sich eine verbesserte Gedächtnisleistung, mehr Kreativität und Konzentrationsfähigkeit erhoffen, darf das Training gerne etwas intensiver ausfallen. Den Schutz gegen eine ganze Reihe von Erkrankungen wie Depressionen und Demenz bekommen Sie noch obendrauf.

Das Allerwichtigste, das man tun kann, wenn eine Alzheimerdiagnose gestellt wurde, ist nicht, Medikamente zu nehmen, sondern sich regelmäßig zu bewegen.

Die einfache Lösung

Bewegung bietet also eine ganz einfache Lösung für eine ganze Reihe komplexer Problemstellungen. Dass die Effekte körperlicher Aktivität aufs Gehirn nicht bekannter sind, ist eigenartig. Gäbe es ein Medikament, das dieselben Effekte aufs Gehirn hätte wie eine tägliche Joggingrunde, wäre es wahrscheinlich das meistverkaufte Arzneimittel der Welt. Es würde für Schlagzeilen sorgen, wenn sich die Menschen von ein und derselben Tablette besser fühlen und weniger an depressiven Verstimmungen leiden würden, intelligenter, konzentrierter, kreativer und entscheidungsfreudiger wären, und das Risiko für diverse körperliche und psychische Krankheiten obendrein auch noch sinken würde.

Warum erregen diese Erkenntnisse also nicht mehr Aufmerksamkeit? Eine Erklärung ist wahrscheinlich die, dass der Mensch schon immer wusste, wie zuträglich Bewegung dem Wohlbefinden ist, doch wir in der heutigen Gesellschaft haben es ganz einfach vergessen. In den letzten 150 Jahren haben wir eine phänomenale Entwicklung auf dem Gebiet der Medizin erlebt. Die Fortschritte reichen von der Entwicklung von Antibiotika, Impfstoffen und Insulin bis hin zu den modernen Magnetkameras und Robotern, die bei chirurgischen Eingriffen eingesetzt werden. Angesichts all dieser technischen Errungenschaften haben wir vergessen, wie wichtig etwas so Simples wie Bewegung für uns ist. Dazu kommt, dass in unserer modernen Welt die meisten Menschen einen Job haben, bei dem sie nur still sitzen, während früher die meisten Tätigkeiten mit körperlicher Anstrengung verbunden waren.

Die neuere Gehirnforschung zeigt deutlich, wie wir unsere »mentalen Muskeln« durch Beanspruchung der physischen trainieren können. Es bleibt zu hoffen, dass das zu einer Aufwertung körperlicher Aktivität führen wird. Dass Bewegung auch für unser Gehirn enorm wichtig ist, ist eigentlich nicht besonders überraschend. Während der gesamten Menschheitsgeschichte gehörte die Regulierung der Körperbewegung zu den wichtigsten Aufgaben des Gehirns. Deswegen wäre es seltsam, wenn Bewegung keine Wirkung aufs Gehirn haben sollte. Einfacher ausgedrückt: Ohne Gehirn kann sich kein Körper bewegen. Ohne Bewegung funktioniert auch das Gehirn nicht, wie es soll.

Zum Gehirntraining gehören nicht nur Sudoku und Kreuzworträtsel, sondern auch flotte Spaziergänge.

Dünger fürs Gehirn

Was genau bei all diesen Auswirkungen von Sport in unserem Gehirn passiert, ist eine Frage, an der die Forscher weltweit intensiv arbeiten. Viele Untersuchungen widmen sich einem Stoff namens BDNF, das ist der »Brain-derived neurotrophic factor«. Wenn man in der medizinischen Datenbank Pubmed sucht, findet man über 5000 wissenschaftliche Beiträge dazu.

BDNF ist ein Stoff, der im Gehirn gebildet wird (aber auch im restlichen Körper), insbesondere im Hippocampus und in der Hirnrinde. Er hilft den Gehirnzellen in vielfacher Hinsicht. Er fördert die Bildung neuer Gehirnzellen, scheint aber auch alte, absterbende Gehirnzellen retten zu können. Wenn man Gehirnzellen im Labor mit BDNF behandelte, zeigte sich, dass sie Axone ausbilden, Nervenzellen-Fortsätze, die Verbindung zu anderen Gehirnzellen aufnehmen – was ganz entscheidend dafür ist, dass wir Neues lernen können. Nicht ohne Grund wird BDNF manchmal als »Dünger fürs Gehirn« bezeichnet.

Nun könnte man ja auf die Idee verfallen, ein wenig nachzuhelfen: Tabletten mit BDNF zu schlucken klingt vielleicht ganz gut, funktioniert aber leider nicht. BDNF wird im Magen abgebaut, und wenn es wider Erwarten das Bad in der Magensäure überstehen würde, würde es doch nicht ins Gehirn gelangen. BDNF ins Gehirn zu spritzen wäre zwar eine Möglichkeit, aber wahrscheinlich würden sich die meisten nur sehr ungern ein Loch in die Schädeldecke bohren lassen, um sich ein Medikament spritzen zu lassen.

Sich zu bewegen hat sich hingegen als hervorragende Methode erwiesen, mehr von diesem Wunderstoff zu produzieren. Wenn wir körperlich aktiv sind, wird nämlich mehr BDNF gebildet; das lässt sich durch Bluttests nachweisen. Intensiveres Training scheint den BDNF-Spiegel besonders anzuheben, doch auch mäßigere Anstrengung hat positive Auswirkungen. So wie es aussieht, müssen Sie nicht jeden Tag ran, es reicht, wenn Sie zwei- bis dreimal die Woche trainieren. Und wer dranbleibt, wird belohnt – je mehr man trainiert, umso mehr BDNF bildet das Gehirn. Tierversuche zeigen, dass die BDNF-Produktion immer weiter ansteigt, wenn man über mehrere Wochen an seinem Trainingsprogramm festhält, auch wenn die Trainingsintensität gleich bleibt.

Auch aus evolutionärer Sicht lässt sich eine Verbindung zwischen körperlicher Aktivität, BDNF und unserem Gehirn feststellen. Einige Forscher sind der Auffassung, dass die Ausprägung der physischen Aktivität eine zentrale Ursache für den Unterschied zwischen Menschen und Tieren ist. Menschen haben, ebenso wie Hunde, im Verhältnis zu ihrer Körpergröße ein großes Gehirn. Viele Säugetiere mit großen Gehirnen haben eine besonders große Ausdauer.

Möglicherweise besteht also ein evolutionärer Zusammenhang zwischen Kondition und Gehirngröße. Eine Forschungsthese besagt, dass es unter unseren Vorfahren ein paar gab, die körperlich besonders aktiv waren, dadurch viel Beute machen und Gefahren gut vermeiden konnten, sodass sie auch am ehesten überlebten und ihre Gene weitergeben konnten. Die körperliche Aktivität ließ den BDNF-Spiegel steigen und das Gehirn wachsen. Das verschaffte ihnen noch größere Überlebensvorteile. Ihre Gene gaben sie an ihre Kinder weiter. Auf diese Art brachte die Körperaktivität die Gehirnentwicklung voran, was – überspitzt formuliert – tatsächlich bedeuten könnte, dass körperliche Aktivität einer der Gründe für die Intelligenz des heutigen Menschen sein könnte.

Es deutet viel darauf hin, dass BDNF eine wichtige Rolle bei den positiven Auswirkungen von Bewegung auf das Gehirn spielt – etwa bei der Verbesserung von Gedächtnisleistung und Konzentration oder bei der Reduktion von Ängsten und depressiven Verstimmungen. Eher unwahrscheinlich ist, dass alle positiven Effekte auf BDNF zurückzuführen sind – so einfach ist es in der Molekularbiologie selten. So werden zum Beispiel mindestens 100 verschiedene Gene in den Gehirnzellen aktiviert, wenn Sie sich körperlich betätigen, was darauf hindeutet, dass hier viele verschiedene Mechanismen beteiligt sind.

Dennoch lassen sich aus den Forschungsergebnissen zu BDNF ein paar praktische Empfehlungen ableiten:

Konditionstraining scheint die richtige Wahl zu sein, um den BDNF-Spiegel zu erhöhen, gerne auch mit intensiven Intervallen. Krafttraining scheint hier weniger effektiv – was jedoch nicht bedeutet, dass Krafttraining keine positive Wirkung aufs Gehirn hätte.

Bleiben Sie dran – durch kontinuierliches Training steigt der BDNF-Spiegel noch mehr. Sie müssen jedoch nicht täglich trainieren: Der BDNF-Spiegel steigt sehr rasch, wenn Sie sich bewegen. Bei Mäusen steigt der Spiegel schon wenige Stunden, nachdem sie im Laufrad gerannt sind. Wenn sie aufhören, sich zu bewegen, hält der erhöhte BDNF-Spiegel bis zu zwei Wochen an, um dann wieder zu sinken.

Eine Forschungsthese besagt, dass es unter unseren Vorfahren ein paar gab, die körperlich besonders aktiv waren, dadurch viel Beute machen und Gefahren gut vermeiden konnten, sodass sie auch am ehesten überlebten und ihre Gene weitergeben konnten.