Die wertvolle halbe Stunde

Wir alle wissen, dass wir uns mehr bewegen sollten. Nicht nur, um unser Gewicht in Schach zu halten, sondern auch, damit es uns gut geht und um Krankheitsrisiken zu reduzieren. Warum sollten Sie dann ein ganzes Buch über dieses Thema lesen? Kurz gesagt: weil Ihnen wahrscheinlich nicht wirklich klar ist, wie wichtig Bewegung ist, und dass bereits sehr geringe körperliche Aktivität eine enorme Wirkung auf Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden hat.

Grundsätzlich sollte man Wundermitteln gegenüber skeptisch sein – sie halten selten, was sie versprechen. Bewegung bildet hier die große Ausnahme. Die medizinische Forschung belegt eindeutig, dass körperliche Aktivität ein regelrechtes Wundermittel ist, das eine ganze Reihe von Krankheiten verhindern hilft beziehungsweise zum Behandlungserfolg beiträgt und überdies den Alterungsprozess verlangsamt.

Obwohl die meisten Menschen wissen, dass Bewegung gut für sie ist, ziehen sie keine praktischen Schlüsse daraus. Untersuchungen zeigen, dass die Hälfte der Europäer zu wenig Bewegung hat. In den USA sieht es ganz ähnlich aus, und weltweit bewegt sich etwa ein Drittel der Menschheit zu wenig. Wir wollen dazu beitragen, das zu ändern. Aus gesundheitlicher Perspektive genügt schon ein halbstündiger Spaziergang am Tag, und je mehr Sie über die Vorteile wissen, die physische Aktivität mit sich bringt, desto mehr Lust werden Sie bekommen, sich zu bewegen.

Die medizinische Forschung belegt eindeutig, dass körperliche Aktivität ein regelrechtes Wundermittel ist, das eine ganze Reihe von Krankheiten verhindern hilft beziehungsweise zum Behandlungserfolg beiträgt.

Wundermittel Bewegung

Wenn man sich die Ursachen der häufigsten Zivilisationskrankheiten ansieht, stößt man immer wieder auf dieselben Faktoren: dass Rauchen, zu viel Alkohol, schlechte Ernährung, Übergewicht und hoher Blutdruck uns krank machen, ist Ihnen sicher hinlänglich bekannt.

In den letzten Jahren ist noch ein weiterer Punkt hinzugekommen: Bewegungsmangel. Bewegungsmangel nimmt heute auf der Liste der Ursachen für Krankheiten und frühen Tod der Weltgesundheitsorganisation WHO den vierten Platz ein.

Auf den drei Plätzen davor liegen – in dieser Reihenfolge – Bluthochdruck, Rauchen und erhöhte Blutzuckerwerte. Die Auswirkungen dieser drei »Spitzenreiter« lassen sich allesamt durch mehr Bewegung positiv beeinflussen.

Ruhestörer Statistik

Manch einer ist der Statistiken zu Zivilisationskrankheiten so überdrüssig, dass er nichts mehr davon hören mag. Die Forschungsergebnisse sind jedoch so eindeutig, dass wir die Augen vor diesen Zahlen nicht verschließen dürfen. Daher fassen wir – auf die Gefahr hin, Sie zu nerven – die wichtigsten Fakten noch einmal für Sie zusammen.

Wussten Sie zum Beispiel, dass jeder fünfte Fall von Herz-Kreislauf-Erkrankungen – der häufigsten Todesursache in Europa und den USA – und jeder zehnte Schlaganfall darauf zurückzuführen ist, dass wir uns zu wenig bewegen?

Oder haben Sie Angst, Krebs zu bekommen? Jeder weiß, dass man Salz in Maßen konsumieren und nicht rauchen soll. Aber wissen Sie auch, dass regelmäßige Bewegung das Krebsrisiko senkt? Das gehört zu den wichtigsten Ratschlägen zur Vorbeugung gegen viele Formen von Krebs. Jeder zehnte Fall von Brustkrebs und jeder siebte Fall von Dickdarmkrebs sind auf körperliche Inaktivität zurückzuführen. Das Brustkrebsrisiko ist bei sportlich aktiven Frauen um mindestens 20 Prozent niedriger als bei Geschlechtsgenossinnen, die ihr Leben im Sitzen verbringen. Auch beim Bauchspeicheldrüsenkrebs, einer der tödlichsten Krebsarten überhaupt, scheint sich das Risiko durch regelmäßige Bewegung zu vermindern.

Haben Sie immer noch Zweifel? Wir haben noch eine ganze Reihe weiterer Beispiele auf Lager: Das Risiko für Altersdiabetes lässt sich halbieren, wenn man sich 20 bis 30 Minuten pro Tag bewegt. Ebenso sinkt das Risiko für Osteoporose, Blutgerinnsel und Rheuma. Im Fall der Gelenkerkrankung Arthrose ist Training sogar die einzig effektive Maßnahme (es sei denn, man tauscht die Gelenke aus).

Oder Demenz – zweifellos eine schreckliche Krankheit, bei der die erbliche Veranlagung eine Rolle spielt, was beunruhigend genug ist, wenn man Eltern oder Großeltern hat, die davon betroffen sind. Doch viele wissen nicht, dass das Risiko, an Demenz zu erkranken, in den meisten Fällen stärker vom Grad der körperlichen Aktivität beeinflusst ist als von der genetischen Vorbelastung. Es ist erwiesen, dass das Demenzrisiko fast halbiert werden kann, wenn man sich regelmäßig bewegt; und bei denjenigen, die trotzdem erkranken, lässt sich der Krankheitseintritt durch Bewegung um fünf Jahre nach hinten verschieben.

Die Bedeutung von körperlicher Aktivität für unserer Gesundheit wird immer besser wissenschaftlich untersucht – und im Zuge dessen wird die Liste der Krankheitsrisiken, die sich durch regelmäßige Bewegung senken lassen, von Jahr zu Jahr länger

Und in dieser ganzen Aufzählung haben wir noch gar nicht erwähnt, dass es Ihnen durch Bewegung besser geht, Sie Ihre Lebensqualität steigern und das Risiko für psychische Probleme wie Angststörungen und Depressionen senken. Es ist einfach enorm wichtig für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden, dass wir in Bewegung bleiben.

Das Risiko, an Demenz zu erkranken, ist in den meisten Fällen stärker vom Grad der körperlichen Aktivität beeinflusst als von der genetischen Vorbelastung.

Mangelnde Bewegung ist verantwortlich für

jeden fünften Fall von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

jeden zehnten Schlaganfall.

jeden siebten Fall von Altersdiabetes.

jeden siebten Fall von Dickdarmkrebs.

jeden zehnten Fall von Brustkrebs.

Doch statt einfach nur schreckliche Krankheiten aufzulisten, wollen wir die Perspektive umkehren und Ihnen die Vorteile regelmäßiger Bewegung aufzeigen.

Körperliche Aktivität

verlängert Ihr Leben um mehrere Jahre.

verbessert Ihre Lebensqualität.

verbessert Ihr Gedächtnis und Ihre Konzentrationsfähigkeit.

senkt das Risiko für Depressionen und Angststörungen.

schützt vor Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall, Altersdiabetes, Osteoporose und Demenz.

senkt das Risiko für mehrere häufige Krebsarten, u. a. Brustkrebs und Dickdarmkrebs.

stärkt Ihr Herz und Ihre Muskeln.

senkt das Risiko für Stürze.

senkt das Risiko für Osteoporose.

hilft Ihnen, Ihr Gewicht zu halten.

Tabletten oder Training?

Forscher in Harvard und Stanford haben sich die Mühe gemacht, über 300 verschiedene wissenschaftliche Studien durchzugehen und die Ergebnisse zusammenzuführen. Die Fragestellung lautete: Wie wirkt Bewegung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall und drohender Diabetes im Vergleich mit Medikamenten?

Dass Sport einen positiven Effekt hat, wusste man – aber nicht, wie stark dieser, verglichen mit der Wirksamkeit von Medikamenten, ausfällt. Die Ergebnisse, die Ende 2013 in einer der renommiertesten medizinischen Zeitschriften der Welt veröffentlich wurden, waren so sensationell, dass sogar Zeitungen, die selten über Medizinthemen berichten, sie auf den ersten Seiten brachten. Bei all diesen Krankheiten, die die Liste der Todesursachen in der westlichen Welt anführen, liegt die Wirkung von Bewegung gleichauf mit der medikamentösen Behandlung. In manchen Bereichen, z. B. bei der Erholung des Gehirns nach einem Schlaganfall, erwies sich Bewegung sogar als effektiver als Medikamente.

Die Forscher aus Harvard und Stanford stellten fest, dass Bewegung eine Alternative zu medikamentösen Behandlungen sein kann. Allerdings geht es uns nicht um ein Entweder-oder. Unter Umständen ist die Kombination von körperlicher Aktivität und Medikamenten besonders zielführend: Bei mindestens 35 verschiedenen Arzneimitteln konnte die Dosis bei regelmäßiger Bewegung reduziert werden.

Nun könnte man sich fragen, warum es so lange gedauert hat, bis dieser Zusammenhang erforscht wurde. Eine Antwort darauf lautet, dass die medizinische Forschung eine Vorliebe dafür hat, die Wirkung von Medikamenten zu untersuchen – und nicht von Veränderungen des Lebensstils. Erstens müssen Medikamente ohnehin getestet werden, zweitens wird ein Großteil der medizinischen Forschung von Arzneimittelfirmen finanziert, die ihr Geld mit dem Verkauf von Tabletten verdienen.

Die Liste der Krankheitsrisiken, die sich durch körperliche Bewegung erwiesenermaßen senken lassen, wird von Jahr zu Jahr länger.

Bewegung statt OP

Körperliche Aktivität hat nicht nur genauso große Effekte wie Medikamente, sondern kann in einigen Fällen auch chirurgische Eingriffe ersetzen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören weltweit zu den häufigsten Todesursachen. Die Blutgefäße des Herzens sind empfindlich, und wenn sie sich verengen, wird das Herz nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt. Die Folge kann ein Herzinfarkt sein. Ein Eingriff, der immer häufiger vorgenommen wird, ist das Einnähen eines sogenannten Stents, eines kleinen, röhrenförmigen Gittergerüsts, in das betroffene Blutgefäß. Dadurch öffnet man das Gefäß, sodass das Blut wieder ungehindert hindurchfließen kann.

Doch chirurgische Eingriffe möchte man natürlich tunlichst vermeiden, und vor ein paar Jahren unternahmen Forscher einen Versuch, bei dem sie eine Gruppe herzkranker Patienten stattdessen Sport treiben ließen. Die Betroffenen mussten täglich 20 Minuten auf dem Ergometer fahren und außerdem einmal pro Woche in der Gruppe eine Stunde Sport treiben. Nach einem Jahr verglich man ihren Gesundheitszustand mit den Patienten, denen man einen Stent eingesetzt hatte und die davon abgesehen ganz normal weitergelebt hatten also ohne Training. Das Resultat: In der trainierten Gruppe erlitten nur halb so viele einen erneuten Herzinfarkt oder andere Herzprobleme wie in der Vergleichsgruppe.

Zu ihrer Überraschung stellten die Forscher fest, dass sowohl OP als auch Training gute Ergebnisse erzielten, im direkten Vergleich jedoch das Training besser abschnitt. Nicht nur, dass sich eine Operation vermeiden ließ, das Training war zudem bedeutend billiger, trotz der Kosten für das Ergometer und die Sportstunden. Dass die Patienten durch das Training obendrein eine deutlich bessere Kondition als die Vergleichsgruppe hatten, versteht sich von selbst.

Selbstverständlich obliegt es immer der Entscheidung des Arztes, ob bei einem Herzpatienten eine medikamentöse Behandlung, das Einsetzten eines Stents, körperliche Aktivität oder eine Kombination in Betracht kommt.

Die optimale Trainingsdosis

Damit kommen wir zur 100000-Euro-Frage: Wie viel Bewegung ist notwendig, um das Krankheitsrisiko wirklich zu senken? Die kurze Antwort lautet, dass ein täglicher dreißigminütiger Spaziergang ausreicht. Wenn Sie das nicht schaffen, genügen auch fünf Tage die Woche. Ihr Fußmarsch sollte etwas anstrengender sein als Ihr normales Alltags-Schlendern, sie sollten durchaus etwas außer Atem kommen, aber Sie brauchen nicht in den Laufschritt zu fallen.

Die 30-Minuten-Regel gilt für gesunde Erwachsene. Wenn Sie eine chronische Krankheit haben, sollten Sie Ihren Arzt fragen, wie Sie sich bewegen dürfen und welche Art von Aktivität für Sie infrage kommt, denn hier kann man keine allgemeingültigen Ratschläge erteilen.

Sie fragen sich, woher man das alles weiß? Um den gesundheitlichen Gewinn körperlicher Bewegung analysieren zu können, sind riesige Studien erforderlich – Zehntausende von Menschen müssen über Jahrzehnte hinweg beobachtet werden. Solche Studien sind komplex und zeitintensiv; es gilt, Krankheitsverläufe mitzuverfolgen und Sterbedaten auszuwerten, bevor man Schlussfolgerungen ziehen kann. Aus diesem Grund liegen erst seit Kurzem entsprechende Forschungsergebnisse vor – diese sind dafür umso erstaunlicher.

Bei der Beobachtung Hunderttausender von Testpersonen hat sich herausgestellt, dass regelmäßige Bewegung das Leben um drei bis fünf Jahre verlängert.

Das Wichtigste ist die Summe der Zeit, die man sich bewegt.

Es hat sich nämlich herausgestellt, dass Menschen, die jeden Tag 30 Minuten körperlich aktiv sind drei bis fünf Jahre länger leben. Diese Zahl stützt sich nicht nur auf eine einzelne Studie, sondern ist das Ergebnis aus der Beobachtung Hunderttausender von Testpersonen.

Nun kommt es nicht nur darauf an, länger zu leben, sondern auch auf die Qualität dieser zusätzlichen Lebensjahre. Auch hierzu gibt es Erkenntnisse. Wer sich pro Tag eine halbe Stunde bewegt, lebt nicht nur länger, er wird auch seltener krank als die Inaktiven – das gilt für ganz normale Erkältungen und andere Infektionen ebenso wie für ernste Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Außerdem verbessert sich die Lebensqualität durch regelmäßige körperliche Betätigung ganz erheblich.

Vor ein paar Jahren versammelte eine der weltweit bekanntesten mit Herzerkrankungen befassten medizinischen Organisationen, die American Heart Association, gemeinsam mit dem American College of Sports Medicine um die 20 Experten aus unterschiedlichen Gebieten der Medizin. Sie gingen das vorhandene Forschungsmaterial zum Thema Bewegung und Gesundheit durch, mit dem Ziel, eine einfache und konkrete Empfehlung für Erwachsene auszuarbeiten, wie sie ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden erhalten können. Zu welchem Ergebnis diese Expertengruppe kam? Auf die Gefahr hin, dass wir Ihnen langsam auf die Nerven gehen, die Empfehlung lautete:

30 Minuten mäßige körperliche Betätigung an mindestens fünf Tagen pro Woche

oder

20 Minuten intensiveres Training (z. B. Laufen) an drei Tagen pro Woche.

Sie können beides auch kombinieren, z. B. zweimal wöchentlich einen Spaziergang machen und zwei zwanzigminütige Joggingrunden absolvieren. Wenn Sie vorhaben, die halbstündigen Spaziergänge durch kürzere, aber intensivere Trainingseinheiten zu ersetzen, wie sie zum Beispiel beim Intervalltraining üblich sind, kommt es darauf an, dass Sie dabei genug Energie verbrennen. Achten Sie darauf, dass pro Einheit mindestens 150 kcal verbrannt werden. Das entspricht ungefähr der Energie, die Sie bei einem dreißigminütigen Spaziergang verbrennen. Wir werden das Thema in einem der folgenden Kapitel näher beleuchten – Sie können jedoch davon ausgehen, dass die Dauer Ihres Trainings die Zehn-Minuten-Grenze nicht unterschreiten wird.

Es geht dabei übrigens nicht nur um die Steigerung der Kondition, Krafttraining – mindestens zweimal pro Woche – ist ebenso wichtig für Gesundheit und Wohlbefinden.

Das Minimum

Wenn Sie keine halbe Stunde am Stück Zeit haben, sich zu bewegen, können Sie die 30 Minuten auch in kürzere Einheiten aufteilen. Man erzielt offenbar die gleichen positiven Effekte auf die Gesundheit, wenn man dreimal zehn Minuten spazieren geht statt einmal 30 Minuten. Aber Sie sollten diese zehnminütigen Einheiten nicht noch weiter aufteilen, auch wenn natürlich jegliche Bewegung der Gesundheit zuträglich ist. Das Wichtigste ist die Summe der Zeit, die man sich bewegt – für den Körper zählt jeder Schritt.

Wenn Sie keine 30 Minuten pro Tag zusammenbekommen, dürfen Sie trotzdem nicht aufgeben. Die Studie zeigte nämlich, dass 92 Minuten Spazierengehen pro Woche – das ist weniger als eine Viertelstunde pro Tag – im Durchschnitt drei zusätzliche Lebensjahre bedeuten. Tatsächlich steht schon eine Dreiviertelstunde Spazierengehen pro Woche – das wären dann umgerechnet nur noch sieben Minuten pro Tag – mit einem verminderten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und für verfrühtes Sterben in Verbindung (dabei sind andere Risikofaktoren wie Rauchen bereits berücksichtigt). Das wäre dann nicht mehr als ein Spaziergang um den Block!

Und wenn man täglich mehr als eine halbe Stunde zu Fuß geht? Der Schutz gegen Krankheiten dürfte sich wohl noch weiter verbessern, wenn man täglich eine Stunde hart trainiert, das schon. Aber wenn man sich einfach nur gegen bestimmte Krankheiten schützen will, sind die Effekte des halbstündigen Spaziergangs bereits ausreichend. Auch wenn Sie davon natürlich nicht dieselbe Kondition oder Kraft bekommen, als wenn Sie jeden Tag eine Stunde laufen oder Krafttraining absolvieren würden.

Wann mehr nötig ist

Es ist wichtig zu wissen, dass bei bestimmten Krankheiten und Diagnosen, z. B. wenn es gilt, die Blutfettwerte zu senken, ein umfangreicheres Trainingsprogramm erforderlich ist – in solchen Fällen reicht ein halbstündiger Spaziergang pro Tag nicht aus.

Muss Schweiß fließen?

Jahrzehntelang hat man geglaubt, dass man gründlich ins Schwitzen und richtig außer Atem kommen muss, damit die körperliche Betätigung wirklich einen positiven Effekt auf die Gesundheit hat. Doch die aktuelle Forschung zeigt, dass das falsch ist. Im Prinzip trägt jede Art von Bewegung zu einer gesundheitlichen Verbesserung bei, und sei es nur ein Spaziergang von ein paar Minuten.

Im Augenblick rollt eine riesige Fitnesswelle über die Welt; immer mehr Menschen trainieren regelmäßig – sie laufen, fahren Fahrrad oder schwimmen. Noch nie haben so viele Leute so hart trainiert, und das ist natürlich eine großartige Entwicklung. Andererseits ist ein sehr großer Teil der Bevölkerung eben vollkommen inaktiv. Die Kluft zwischen den Gruppen scheint immer weiter aufzugehen.

Sie müssen kein Fitnessfanatiker werden – bewegen Sie sich einfach eine halbe Stunde, und genießen Sie die gesundheitlichen Vorteile. Wenn Sie lieber im Garten arbeiten, tanzen oder mit dem Hund Gassi gehen als spazieren zu gehen, dann tun Sie das. Das funktioniert alles genauso gut, vorausgesetzt, Sie strengen sich ebenso sehr an wie bei einem flotten Spaziergang.

Was ist ein flotter Spaziergang?

Ist Ihnen der Begriff »flotter Spaziergang« zu vage? Das können wir präzisieren: Es sollte ein etwas höheres Tempo angeschlagen werden als die übliche Schlendergeschwindigkeit. Die Forschung hat zwar deutlich gezeigt, dass auch ein dreißigminütiger Spaziergang in ruhigem Tempo guttut, doch den besten Effekt erzielen Sie, wenn Sie schneller gehen. Sie sollten auf 50 bis 60 Prozent Ihres Maximalpulses kommen, das wäre für einen 40-Jährigen ungefähr 90 bis 100 Schläge pro Minute. Wenn Sie 50 sind, liegt er bei 85 bis 95 Schlägen pro Minute. Dazu müssen Sie einen Zahn zulegen. Als Faustregel gilt: Sie sollten zumindest leicht außer Atem geraten, sich aber noch normal unterhalten können. Wenn Sie unsicher sind, messen Sie Ihren Puls.

Gut investierte Zeit

Dass sich so viele Menschen zu wenig bewegen, obwohl es so gesund ist, liegt vielleicht an der Art, wie die Forschungsergebnisse präsentiert werden. Prozentsätze, die das Risiko eines vorzeitigen Todes angeben, sind wohl für die wenigsten sonderlich motivierend.

Versuchen Sie es anders zu sehen: Für jede Stunde, die Sie in Training investieren, bekommen Sie mindestens die doppelte Lebenszeit zurück! Mit jeder Stunde, die Sie körperlich aktiv sind, verlängert sich Ihr Leben um zwei bis fünf Stunden. Das klingt doch nicht schlecht, oder? Immerhin geht es hier um eine keine große Anstrengung, sondern um einen kleinen Spaziergang. Für jede Stunde, die Sie sich in höherem Tempo bewegen, bekommen Sie noch mehr zurück: Durch eine Stunde hartes Training gewinnen Sie zwischen fünf und elf Stunden zusätzliche Lebenszeit. Kurz gesagt: Sie bekommen eine extrem gute Rendite für die Zeit, die Sie in Bewegung investieren. Das gilt für Männer und Frauen, Junge wie Alte gleichermaßen.

Dass man überhaupt ausrechnen kann, um wie viel sich das Leben durch eine bestimmte Zahl von Stunden in Bewegung verlängert, mag sich eigenartig anhören. Tatsache ist, dass sich solche Berechnungen mithilfe moderner Software durchaus anstellen lassen. Man braucht nur die Daten einer großen Zahl von Testpersonen, am besten mehrerer Tausend. Diese müssen über Jahre hinweg beobachtet werden und berichten, wie viel sie sich bewegt haben. Zu diesen Angaben hatten die Forscher Zugang, als sie berechneten, wie die »Rendite« körperlicher Betätigung aussieht.

Mit jeder Stunde körperlicher Aktivität verlängern Sie Ihr Leben um zwei bis fünf Stunden.

Ignorieren Sie die Waage

Für viele besteht eine wichtige Trainingsmotivation darin, dass sie besser aussehen und ein paar Kilo loswerden wollen. Das ist vollkommen legitim, aber es ist zu kurz gedacht, den Trainingseffekt nur an Aussehen und Gewicht zu messen. Die Waage ist ein schlechtes Instrument, wenn man die Wirkung auf die Gesundheit messen möchte, denn oft ist mehr als eine halbe Stunde Training erforderlich – und dazu eine verringerte Energieaufnahme um Gewicht zu verlieren. Wenn Sie sich an Ihre tägliche halbe Stunde halten, werden Sie vielleicht nicht rasant abnehmen, aber trotzdem gesundheitlich profitieren. Wenn Sie Krafttraining machen, ist die Waage sogar noch schlechter als Gradmesser für den Erfolg geeignet. Wenn Sie Muskeln aufbauen und Fett verbrennen, nehmen Sie vielleicht sogar zu, da Muskeln mehr wiegen als Fett.

Gewichte und Gesundheit

Bei Übergewicht denken viele sofort an Gefahren für die Gesundheit. Es besteht aber kein zwangsläufiger Zusammenhang. Zwar kann Übergewicht je nach seiner Ausprägung ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krankheiten mit sich bringen, aber generell ist es aus medizinischer Sicht wesentlich besser, übergewichtig und durchtrainiert zu sein als schlank und untrainiert. Die Amerikaner bringen das mit dem Slogan »Lieber fett und fit« auf den Punkt. Es ist klar, dass solche Sätze gern gehört werden in einem Land, in dem ein Drittel der Bevölkerung mit einem BMI (Body Mass Index) über 30 tatsächlich stark übergewichtig ist … Trotzdem ist dieser Ausspruch keine leere Floskel. Ein übergewichtiger Mensch mit guter Kondition läuft nämlich weniger leicht Gefahr, krank zu werden und vorzeitig zu sterben als jemand, der normalgewichtig und untrainiert ist.

Ein gutes Beispiel für diesen Zusammenhang ist der Herzinfarkt – wie gesund Herz und Gefäße sind (und das hängt unter anderem von der Kondition ab) spielt für das Risiko eine größere Rolle als ein paar Kilo Übergewicht.

Ein grundsätzliches Wort zum Body Mass Index: Der BMI bewertet das Verhältnis zwischen Körpergewicht und Größe. Man berechnet ihn aus dem Gewicht in Kilo geteilt durch die Körpergröße in Metern im Quadrat. Im »normalen« Bereich liegen Werte von 20 bis 25 kg/m für Männer und 19 bis 24 kg/m für Frauen. Lange war es sehr populär, sich am BMI zu orientieren. In jüngerer Zeit wird der BMI als gesundheitlicher Indikator jedoch immer mehr infrage gestellt, da viele Forscher der Meinung sind, dass der BMI eines Menschen wenig über sein Erkrankungsrisiko aussagt. Die Kondition hat hierauf einen wesentlich größeren Einfluss.

Ein Beispiel: Angenommen, Sie nehmen Medikamente, die das Risiko für Erkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken. Eine Verbesserung der Kondition hat einen derart enormen positiven Effekt auf diese Krankheitsrisiken, dass hier kaum ein Präparat mithalten kann – schon gar nicht, wenn es darum geht, das Risiko für mehrere Krankheiten gleichzeitig zu reduzieren. Wenn es irgendetwas gibt, woran Sie sich nach der Lektüre dieses Buches erinnern sollten, dann ist es das.

Zuckerbrot oder Peitsche?

Meist argumentieren Fachleute mit den Vorteilen körperlicher Aktivität. Im Hinblick auf Gesundheitsgefahren lohnt es sich jedoch, die Betrachtungsweise umzukehren und sich anzusehen, welche Risiken man eingeht, wenn man sich nicht bewegt. Also Peitsche statt Zuckerbrot: Wenn Sie keinen fünfzehn- bis dreißigminütigen Spaziergang täglich machen, verkürzen Sie Ihr Leben im Schnitt um drei bis fünf Jahre. Sie steigern das Risiko von Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes und Schlaganfall um 20 bis 30 Prozent. Diese Zahlen sprechen für sich.

Menschen über 65, die einmal pro Woche körperlich aktiv sind, reduzieren das Risiko, vorzeitig zu sterben, um 40 Prozent.

Zu spät für Sport?

Viele ältere Menschen sind der Meinung, dass es keinen Sinn hat, jetzt noch mit dem Sport anzufangen, wenn sie das bisher nicht getan haben. Welch ein fataler Irrtum! Körperliche Aktivität schützt auch ältere Menschen vor Krankheiten und verlängert ihr Leben. Menschen über 65, die sich einmal pro Woche intensiv bewegen, haben ein um 40 Prozent geringeres Risiko, vorzeitig zu sterben, als ihre Altersgenossen. Dieser Unterschied lässt sich nicht durch Faktoren wie Rauchen oder unterschiedliche Lebensstile erklären. Auch sporadisches Training hat einen Effekt – geben Sie also nicht auf, nur weil Sie es einmal eine Woche nicht geschafft haben, sich zu bewegen.

Wer länger sitzt, ist früher tot

Sich 30 Minuten pro Tag zu bewegen mag für manchen zu einfach klingen, um wahr zu sein. Tatsächlich ist es nicht die ganze Wahrheit. Forscher haben nämlich herausgefunden, dass es noch etwas anderes gibt, was Sie neben Ihrem täglichen halbstündigen Spaziergang tun sollten – vermeiden Sie es, allzu viel still zu sitzen.

Große Teile des Tages im Sitzen zu verbringen, steigert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und sogar für ein frühzeitiges Ableben. Das gilt sogar unabhängig davon, ob Sie ansonsten körperlich aktiv sind. So seltsam sich das auch anhören mag: Das bedeutet, dass Sie Ihre Gesundheit gefährden, wenn Sie jeden Tag eine Stunde Sport treiben, sich dann zu Hause aufs Sofa fallen lassen und dort sitzen bleiben.

Auch wenn die Risiken des Stillsitzens schon länger bekannt sind, hat die Forschung erst in den letzten Jahren nachweisen können, wie gefährlich es tatsächlich ist. Im Rahmen einer großangelegten Studie wurden 220000 Testpersonen über mehrere Jahre hinweg beobachtet. Dabei hat sich ein eindeutiger Zusammenhang gezeigt: Menschen, die einen großen Teil des Tages im Sitzen verbringen, laufen nicht nur Gefahr, krank zu werden, sondern haben tatsächlich auch ein höheres Sterberisiko.

Vielleicht wenden Sie jetzt ein, dass die Testpersonen vielleicht schon alt oder krank waren. Doch die Teilnehmer, die hier untersucht wurden, waren Menschen ab 45, von denen sich die meisten völlig gesund fühlten. 87 Prozent zum Beispiel schätzten ihren Gesundheitszustand als gut bis sehr gut ein. Die Studie zeigte sogar, dass das Sterberisiko mit der Länge der Zeit im Sitzen zunahm. Diejenigen Studienteilnehmer, die mindestens elf Stunden pro Tag saßen, hatten ein um 40 Prozent erhöhtes Risiko, frühzeitig zu sterben, als diejenigen, die weniger als vier Stunden saßen. Und das ließ sich definitiv nicht dadurch erklären, dass Menschen, die viel stillsitzen, gleichzeitig auch mehr rauchen, sich schlechter ernähren oder weniger Sport treiben.

Elf Stunden Stillsitzen pro Tag mag sich extrem anhören, aber wenn man die Zeit zusammenrechnet, die man sitzend vor dem Computer verbringt, im Job, im Auto, im Bus oder vor dem Fernseher, hat man diese Zeit ganz schnell beisammen.

Offenbar gibt es Faktoren, die Stillsitzen gefährlich machen, und zwar ganz unabhängig davon, dass es Übergewicht und Diabetes begünstigt.

Das Sofa, die dunkle Bedrohung

Es stimmt zwar, dass Stillsitzen das Risiko für Übergewicht und Diabetes erhöht, aber das erklärt nicht, warum auch das Risiko für andere Erkrankungen bis hin zur Gefahr eines verfrühten Todes so stark steigt, nur weil man den Großteil des Tages still sitzt.

Es scheint weitere Faktoren zu geben, die Stillsitzen so gefährlich machen. Verantwortlich könnte ein Stoff namens Lipoproteinlipase sein, der im Blut als eine Art Fettstaubsauger fungiert und damit Ihr Cholesterin und andere Blutfette reguliert – eine wichtige Aufgabe, weil hohe Blutfettwerte unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall erhöhen. Wenn Sie sich bewegen, wird die Lipoproteinlipase rasch aktiv und fängt an, Blutfette abzubauen. Im Ruhezustand wird der Stoff wieder deaktiviert. Wie viel genau man sich bewegen muss, um für konstante Aktivität der Lipoproteinlipase zu sorgen, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt.

Heute wissen wir überdies, dass aktive Muskeln einen Stoff namens Myokin freisetzen, eine Art Botenstoff, der offenbar nicht nur Blutzuckerspiegel und Blutfettwerte beeinflussen kann, sondern auch die Zusammensetzung des Körperfetts. Wenn Sie sich nicht bewegen, werden auch keine Myokine aus Ihren Muskeln freigesetzt.

Vertreten Sie sich ab und zu kurz die Beine, um die Gefahren, die ein sitzender Lebensstil mit sich bringt, in Schach zu halten.

Stehen Sie auf!

Jetzt werden Sie vermutlich fragen, wie man Stillsitzen denn bitte vermeiden soll, wenn man einen Bürojob hat? Man kann ja schlecht ständig herumlaufen und die Kollegen stören. Da können wir Sie beruhigen: Es genügt, wenn Sie Ihre Muskeln ein bisschen bewegen, damit sie wieder Myokine freisetzen und den »Fettstaubsauger« Lipoproteinlipase aktivieren können. Vertreten Sie sich also einfach ab und zu kurz die Beine, um die Gefahren, die ein sitzender Lebensstil mit sich bringt, in Schach zu halten. Außerdem verbessert es Ihre Blutzucker- und Blutfettwerte, wenn Sie ein paar Schritte gehen.

Was können Sie noch tun? Nehmen Sie die Treppen statt den Aufzug, zumindest für ein paar Stockwerke. Halten Sie Ihre Besprechungen ab und zu im Gehen ab, statt sich zusammen hinzusetzen. In diesem Fall sind Sie in guter Gesellschaft: Steve Jobs war bekannt dafür, dass er seine Besprechungen gerne beim Spazierengehen abhielt, Barack Obama praktiziert das bis heute. Wenn sich das gerade nicht realisieren lässt, können Sie zumindest ab und zu aufstehen und im Stehen am Computer arbeiten. Schon so etwas Einfaches hat tatsächlich einen feststellbaren positiven Effekt auf Ihre Gesundheit. Kleiner Einsatz – große Wirkung.

Diese Ratschläge haben Sie wahrscheinlich schon oft gehört. Womöglich bekommen Sie jetzt eine neue Bedeutung für Sie, nachdem die Forschung so eindeutig vor den Gefahren des Stillsitzens warnt und es so wenig Mühe macht, diese Risiken zu mindern.

Vertreten Sie sich öfters mal kurz die Beine, am besten einmal pro Stunde.

Wenn Sie einen sitzenden Job ausüben, z. B. im Büro, versuchen Sie, einen Teil der Arbeit im Stehen zu erledigen.

Vermeiden Sie es, zu viele Stunden pro Tag vor dem Fernseher oder dem Computer zu hocken.

Sitzkrank

Wenn Sie raten sollten, welche Krankheiten es verursacht, wenn man zu viel sitzt, würden Sie vermutlich auf Fettleibigkeit und Diabetes tippen, oder? Nur wenige wissen, dass auch das Risiko für verschiedene Krebsarten durch Stillsitzen steigt. In den USA gibt es für die Stillsitz-Krankheiten eine eigene Bezeichnung: »the diseasome of physical inactivity«. Die Liste dieser von Bewegungsmangel verursachten chronischen Krankheiten umfasst neben Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch Depressionen, Demenz, Brust- und Dickdarmkrebs. Für all diese Krankheiten besteht ein erhöhtes Risiko, wenn man große Teile des Tages im Sitzen verbringt – und zwar unabhängig davon, ob Sie sich ansonsten richtig viel bewegen.

Künftig wird die Forschung noch detailliertere Antworten auf die Frage liefern, warum Stillsitzen so gefährlich ist. Aber das Wichtigste ist ja eigentlich nicht zu wissen, warum es so ist, sondern zu wissen, dass es so ist, und etwas dagegen zu tun. Viele Menschen haben Jobs, bei denen sie fast den ganzen Tag vor dem Computer sitzen. Wenn sie nach Hause kommen, verbringen sie wieder viel Zeit vor dem Bildschirm – sei es der Fernseher und der Computer –, und wenn sie dann dreimal die Woche ins Fitnessstudio gehen, glauben sie, dadurch hätten sie kompensiert, dass sie sich ansonsten kaum bewegen. Hier ist ein dringendes Umdenken erforderlich.

Wie eine Lösung aussehen kann, haben wir ja bereits skizziert: Gehen Sie täglich eine halbe Stunde lang zügig spazieren, und vermeiden Sie zu langes Stillsitzen. Letzteres kann tatsächlich genauso wichtig sein wie die körperliche Aktivität. Allein durch die Kombination dieser beiden Strategien erzielen Sie sehr umfangreiche positive Effekte auf Ihre Gesundheit – selbst, wenn Sie untrainiert sind.

Morris und die Busfahrer

Dass auch weniger intensive Aktivitäten wie Gehen oder einfach nur Stehen gesundheitsförderlich sind, ist nichts Neues. Der Vater der Heilkunst, Hippokrates, der seiner Zeit in vielerlei Hinsicht voraus war, warnte schon vor 2400 Jahren vor dem Stillsitzen und betonte, dass auch weniger fordernde Arbeit wichtig für den Körper ist.

Ende der 1940er-Jahre hat der schottische Arzt Jeremy Morris die gesundheitlichen Gefahren, die vom Stillsitzen ausgehen, nachgewiesen und die Grundlage für alle weiteren Studien gelegt. Er untersuchte Busfahrer und Schaffner in London. Die Fahrer lenkten den Bus und saßen im Grunde den ganzen Tag nur am Steuer, während die Schaffner die Treppen in den Doppeldeckerbussen rauf- und runtergingen, um die Fahrscheine abzuknipsen. Morris fiel auf, dass die Fahrer mehr als doppelt so häufig von Herzinfarkten betroffen waren wie die Schaffner. Außerdem waren die Infarkte der Fahrer größer und ernster – unter den Herzinfarktpatienten starben doppelt so viele Fahrer wie Schaffner. Ein ähnliches Muster entdeckte Morris, als er Briefträger, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß ihre Post austrugen, mit Postbeamten verglich, die ihren Arbeitstag am Schreibtisch verbrachten: Die Beamten mit sitzender Tätigkeit wurden öfter krank.

Morris war ein Pionier der Erforschung der Wirkung von körperlicher Aktivität auf das Krankheitsrisiko, und seine Erkenntnisse haben bis heute Gültigkeit. Im Übrigen scheint er seine Erkenntnisse selbst gelebt zu haben. Bis er über 90 Jahre alt war, ging er jeden Tag mindestens 30 Minuten spazieren, fuhr mit dem Fahrrad oder ging schwimmen. Jeremy Morris starb vor ein paar Jahren wenige Monate vor seinem hundertsten Geburtstag.

Fernsehen stiehlt uns Lebensjahre

Vor wenigen Jahren nahm eine Untersuchung die Fernsehgewohnheiten der Australier ins Visier. Dabei beobachtete man, dass Erwachsene im Schnitt jeden Tag zwei Stunden fernsehen. Gleichzeitig sammelte man Fakten zu ihren Krankengeschichten. Die Analyse der Daten ergab, dass die zwei Stunden vor dem Fernseher einen durchschnittlichen Australier knapp eineinhalb Jahre seines Lebens kosteten. Wer sechs Stunden am Tag fernsah, verkürzte sein Leben um fünf Jahre. Nun könnte man einwenden: Na ja, wer hockt denn schon sechs Stunden am Tag vor dem Fernseher? Die Australier sind hier tatsächlich moderat, aber der Durchschnittsamerikaner zum Beispiel verbringt fünf Stunden pro Tag vor seinem Fernseher, in Europa sind es knapp vier Stunden. Wenn man zur Fernsehzeit die Stunden vor dem Computer addiert, qualifizieren sich doch einige für den Sitzmarathon vor dem Bildschirm.

Die Zahlen sprechen eine sehr deutliche Sprache: Die Forscher, die an dieser Studie gearbeitet haben, haben berechnet, dass ein Erwachsener mit jeder Stunde Fernsehen seine Lebenszeit um 22 Minuten verkürzt. Natürlich bedeutet das nicht, dass Sie sofort Ihren Fernseher abschaffen sollen. Wir wollen niemandem den Filmgenuss vermiesen. Aber vielleicht helfen Ihnen diese Zahlen im besten Sinne »auf die Sprünge«.

Ein Erwachsener verkürzt mit jeder Stunde Fernsehen seine Lebenszeit um 22 Minuten.

Schritt für Schritt Gewicht verlieren

Auch wenn die Waage ein schlechtes Instrument ist, um die gesundheitlichen Effekte zu messen, gibt es wohl kaum einen Menschen, dem sein Gewicht gleichgültig ist. Sie werden sich freuen zu hören, dass kleine Pausen vom Sitzen nicht nur gegen Krankheiten schützen, sondern auch in Hinblick auf das Körpergewicht Wunder wirken können.

Rechnen wir uns mal aus, was es in Kilo und Gramm bedeutet, wenn Sie aufstehen. Im Liegen oder Sitzen verbrennen Sie ungefähr eine Kalorie pro Minute. Wenn Sie stehen, verbrennen Sie ein bisschen mehr, und wenn Sie gehen, sind Sie schon bei vier bis fünf Kalorien pro Minute. Beim Treppensteigen schnellen die Zahlen in die Höhe: Sie verbrennen zehnmal so viel Energie wie im Sitzen.

Was bedeutet das für die Zahl auf der Waage? Über den Daumen gepeilt entsprechen zehn Kalorien ungefähr einem Gramm Körperfett. Wenn Sie durch Bewegung – zum Beispiel einen zwanzigminütigen Spaziergang – 100 Kalorien mehr verbrennen, verschwinden zehn Gramm Körperfett. Das mag sich nach wenig anhören, aber es summiert sich, und im Laufe der Zeit bringen die kleinen Schritte große Resultate.

Ein Beispiel: Sie könnten auf dem Weg zur Arbeit zum Beispiel eine Haltestelle früher aussteigen und die letzten 500 Meter zu Fuß gehen – und es auf dem Weg zurück genauso handhaben. Lassen Sie wenigstens einmal am Tag den Aufzug links liegen und gehen stattdessen die vier Stockwerke zu Fuß hinauf und hinunter. Zusammen verbrennen Sie damit 70 Kalorien pro Tag, 50 auf dem Fußweg und 18 auf der Treppe. Das entspricht sieben Gramm Fett. In einem Monat sind das schon 150 Gramm, und in einem Jahr haben Sie zwei Kilo Körperfett verloren.

Wenn Sie außerdem noch eine Stunde pro Woche mit einem Meeting im Gehen verbringen, verlieren Sie insgesamt knapp drei Kilo Körperfett im Jahr, ohne dass Sie sich auch nur in die Nähe eines Fitnessstudios begeben oder die Laufschuhe anziehen müssten. Das entspricht genau der Gewichtsreduktion, die Sie durch eine Ernährungsumstellung erreichen können. Wenn Sie abnehmen wollen, bewegen Sie sich also einfach ein bisschen mehr. Es wird auf jeden Fall Wirkung zeigen.

Das funktioniert natürlich nur, wenn Sie nicht mehr als zuvor essen. Das ist sicher leichter gesagt als getan, denn der Körper wird sich die verbrauchten Kalorien zurückholen wollen, indem er uns hungrig werden lässt. Auf der anderen Seite haben manche Menschen einfach kein zusätzliches Zeitbudget für Sport. Da ist es gut zu wissen, dass es eine spürbare Wirkung auf das Gewicht hat, wenn man Bewegung in den Alltag integriert. Die folgende Tabelle zeigt Ihnen, wie viel Sie durch Alltagstätigkeiten abnehmen können. Wenn Sie schneller Gewicht abbauen wollen und Zeit für das Training investieren können, erfahren Sie im Kapitel über hochintensives Intervalltraining und Fettverbrennung mehr über diesen Themenkomplex.

Abnehmen durch Alltagstätigkeiten

Tätigkeit

Energie-
verbrauch
in kcal
pro Min.

Energie-
verbrauch in
kcal pro Min.
Stillsitzen

Energie-
verbrauch
in g Fett
pro Tag

Energie-
verbrauch
in kg Fett
pro Jahr

500 m zu Fuß gehen,
statt Bus zu fahren
(4 Minuten)

5

1

16 kcal
= 1,8 g

0,4 kg

vier Stockwerke
hochgehen
(1 Minute)

10

1

9 kcal
= 1,0 g

0,3 kg

ein Meeting pro
Woche im Gehen
halten (60 Minuten)

5

1

240 kcal
= 27 g

1,1 kg

täglich eine Stunde
im Stehen arbeiten

2

1

60 kcal
= 7 g

1,5 kg

Alles zusammen

3,3 kg

Eine Weile zu stehen sollte jeder schaffen, auch wenn er sich nicht gerne bewegt.

Der Steh-Marathon

Eine Weile zu stehen sollte jeder schaffen, auch wenn er sich nicht gerne bewegt. Wenn Sie eine Stunde pro Arbeitstag im Stehen vorm Computer arbeiten, verbrauchen Sie 60 Kalorien. In einer Woche mit fünf Arbeitstagen sind es schon 300 Kalorien, die sich im Laufe eines Jahres zu 10000 Kalorien summieren. Das ist so viel, wie man bei drei Marathonläufen verbrennt. Dazu kommt, dass Sie die Risiken des Stillsitzens abschwächen.

Der Negativtrend

Sieht man die Entwicklung über einen längeren Zeitraum an, ist leider ein deutlicher Trend zu erkennen: Wir bewegen uns immer weniger. Im Vergleich zum frühen 20. Jahrhundert gehen wir heute nur noch halb so viel zu Fuß. In der Summe ist das ein Marathonlauf weniger pro Woche.

Um das wissenschaftlich fundiert zu untersuchen, hat man die Amish People in den USA beobachtet, die aus religiösen Gründen im Großen und Ganzen so leben wie wir vor 100 bis 150 Jahren, das heißt ohne Fernseher, Computer, Handy, elektrischen Strom und Auto. Die Männer gehen pro Tag im Schnitt 18000 bis 19000 Schritte, die Frauen etwas weniger. Man vergleiche das mit den 6000 bis 8000 Schritten, die der moderne Amerikaner im Schnitt tut. Bei Büroangestellten sind es auch hierzulande oft nur 600 Schritte. Es spricht eine deutliche Sprache, dass bei den Amish nur ein Prozent fettleibig ist (mit einem BMI über 30), im Vergleich zu knapp 30 Prozent der Amerikaner; auch in Europa steigen die Zahlen, wie Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zeigen; aktuell sind etwas mehr als 15 Prozent der Europäer adipös.

Obwohl es wissenschaftlich belegt ist, dass es gefährlich ist, sich nicht zu bewegen, sitzen wir immer mehr. Erwachsene sitzen im Schnitt mindestens acht Stunden pro Tag, das ist ungefähr die Hälfte unserer wachen Zeit. Wenn Sie dazu noch die Zeit rechnen, die wir schlafen, kommen wir auf mindestens 16 Stunden am Tag, an denen wir uns keinen Millimeter bewegen. Der Hauptfeind unserer Gesundheit ist in diesem Zusammenhang wie gesagt der Bildschirm. Die Europäer verbringen knapp die Hälfte ihrer sitzenden Zeit vor der Flimmerkiste (oder mit Computer oder Smartphone). Während uns die neue Technik fantastische Möglichkeiten eröffnet, uns passiv zu unterhalten, sinkt zugleich der Grad an Bewegung, der uns in der Arbeit abverlangt wird – und das ist eine fatale Kombination. In den 1960er-Jahren war ungefähr die Hälfte aller Jobs mit körperlicher Aktivität verbunden. Im Jahr 2008 lag der Anteil noch bei 20 Prozent – das heißt, nur jeder fünfte Arbeitsplatz erfordert physische Aktivität.

Weltweit hat sich der Anteil der fettleibigen Menschen innerhalb der letzten 30 Jahre verdoppelt: Heute haben über 500 Millionen Menschen einen BMI über 30 und sind damit adipös. Forscher haben ausgerechnet, in welchem Ausmaß die verringerte physische Aktivität unser durchschnittliches Körpergewicht beeinflusst. Die errechnete Gewichtszunahme stimmt mit dem tatsächlichen Anstieg des durchschnittlichen Körpergewichts überein. Zweifelt noch jemand daran, dass unser Bewegungsmangel einer der Superschurken bei der Entstehung von Übergewicht ist?

Aktive Couch-Potatoes

Manch einer mag sich über dies Statistiken wundern: Wie kann es sein, dass die Zeit, die wir durchschnittlich im Sitzen verbringen, immer länger wird, wo doch immer mehr Leute Sport treiben? Für Leute, die einerseits viel Sport treiben, andererseits jedoch einen Großteil ihrer Zeit im Sitzen verbringen, hat man einen Begriff geprägt: »aktive Couch-Potatoes«. Aktive Couch-Potatoes sind zahlreicher, als man denkt, sogar unter denen, die mit Abstand am meisten Sport treiben. Als 200 per Zufall ausgewählte amerikanische Marathonläufer befragt wurden, wie viele Stunden sie pro Tag still sitzen, stellte sich heraus, dass sie im Schnitt zehn Stunden ihrer wachen Zeit im Sitzen verbrachten, also etwa genauso viel wie die restliche Bevölkerung. Und die besten Läufer saßen nicht weniger als diejenigen, die langsamer liefen.

Wie Sie bereits gesehen haben, passt die Kombination von Training mit stundenlangem Stillsitzen nicht zu dem, was wir brauchen, um gesund zu bleiben. Man könnte die Forschungsergebnisse wie folgt zusammenfassen: Im Hinblick auf unsere Gesundheit kommt es vor allem auf die Summe der Energie an, die wir durch Bewegung verbrennen. Auch wenn wir Ihnen den halbstündigen Spaziergang pro Tag so sehr ans Herz gelegt haben: Was Sie in den restlichen 23,5 Stunden des Tages tun, spielt natürlich auch eine Rolle.

Im Hinblick auf unsere Gesundheit kommt es vor allem auf die Summe der Energie an, die wir durch Bewegung verbrennen.

Sitzen ist das neue Rauchen

Viele Forscher sprechen vom Bewegungsmangel wie von einer ansteckenden Krankheit – einer Pandemie, die die Welt überrollt. Es ist ganz ähnlich wie beim Übergewicht oder beim Rauchen. Man geht heute davon aus, dass jedes Jahr über fünf Millionen Menschen vorzeitig sterben, weil sie sich zu wenig bewegen – das entspricht der Zahl der jährlichen Todesopfer durch Rauchen. Jeder zehnte Todesfall auf der Welt, der nicht auf das Konto einer ansteckenden Krankheit geht, ist also auf unzureichende körperliche Aktivität zurückzuführen. Fünf Millionen Tote pro Jahr, das macht knapp 15000 Tote pro Tag. Stellen Sie sich vor, ein tödliches Virus würde sich ausbreiten, und die Forscher würden verkünden, dass es jeden Tag 15000 Menschenleben kosten wird. Wahrscheinlich würde heillose Panik ausbrechen. Aber obwohl Bewegungsmangel genau diese Todesrate zur Folge hat, haben wir uns schon so sehr daran gewöhnt, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken. Vermutlich erscheint uns diese Entwicklung nicht so drastisch wie die Verbreitung eines Killervirus, weil sie sich schleichend vollzogen hat. Das gibt weniger dramatische Schlagzeilen.

Unsere Haltung zur physischen Inaktivität ähnelt der Haltung früherer Generationen zum Rauchen: Schon in den sechziger Jahren war bekannt, dass Rauchen gefährlich ist. Die Leute qualmten trotzdem weiter. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis das Rauchen in Europa und in den USA unpopulärer wurde – Jahre, in denen unzählige Lebensjahre buchstäblich in Rauch aufgegangen sind. Wir sind davon überzeugt, dass uns unser bewegungsarmer Lebensstil in zehn bis 20 Jahren genauso dumm und unverständlich erscheinen wird wie heute das Rauchen. Aber das Allerbeste wäre natürlich, wenn wir das heute schon einsehen würden. Dadurch könnten Millionen Menschen sich über mehr Lebensjahre mit einer höheren Lebensqualität freuen.

»Unsere gesamte Nation bewegt sich zu wenig. Wir schauen zu, statt mitzuspielen. Wir fahren, statt zu laufen. Unser Dasein beraubt uns des Minimums an physischer Aktivität, das die Grundvoraussetzung für ein gesundes Leben ist.«

John F. Kennedy

Weltproblem Bewegungsmangel

Wir stehen weltweit im Hinblick auf Gesundheitsfragen vor großen Herausforderungen; körperliche Betätigung ist einer der wichtigsten Ansatzpunkte, um diese Herausforderungen zu meistern. Viele ehemalige Entwicklungsländer haben in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich aufgeholt und Infektionskrankheiten und Kindersterblichkeit in den Griff bekommen. Das ist natürlich eine wunderbare Entwicklung, doch der steigende Wohlstand bringt auch neue Herausforderungen mit sich. Doch sobald die Menschen dort angefangen haben, den europäischen und nordamerikanischen Lebensstil zu übernehmen, der geprägt ist von einer überwiegend sitzenden Körperhaltung und einer Ernährung, die uns in Form von fettreichem Fastfood voller schneller Kohlehydrate zu viel Kalorien zuführt, haben sich chronische Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck verbreitet.

Die Behandlung von Diabetes und Bluthochdruck ist teuer, und nicht alle Länder werden es sich leisten können, Menschen mit diesen Krankheiten angemessen zu versorgen … Programme, die die Bevölkerung dazu bringen, sich mehr zu bewegen, können diese Lücke füllen. Nur wenige haben es so prägnant ausgedrückt wie der amerikanische Präsident John F. Kennedy, der schon 1961 das Ausmaß der Probleme voraussah, die unser inaktiver Lebensstil mit sich bringt:

»Unsere gesamte Nation bewegt sich zu wenig. Wir schauen zu, statt mitzuspielen. Wir fahren, statt zu laufen. Unser Dasein beraubt uns des Minimums an physischer Aktivität, das die Grundvoraussetzung für ein gesundes Leben ist.«

Dieses Zitat ist über 50 Jahre alt, doch es ist heute aktueller denn je. Es trifft nicht nur auf die USA zu, sondern auch auf Europa und weite Teile der übrigen Welt.

Die Couch-Potato-Karte

Eine der angesehensten medizinischen Fachzeitschriften der Welt hat sich kürzlich angesehen, in welchen Ländern man sich am meisten bzw. am wenigsten bewegt, und eine Liste erstellt, die man schon bald die »Couch-Potato-Karte« nannte. Die Ergebnisse: Weltweit bewegt sich ein Drittel aller Erwachsenen zu wenig – d. h. weniger als ein dreißigminütiger Spaziergang an fünf Tagen pro Woche oder 20 Minuten anstrengenderes Training an drei Tagen pro Woche. Bei den 13- bis 15-Jährigen liegt die Zahl sogar bei 80 Prozent. Generell bewegen sich die Menschen in reichen Ländern weniger als in armen. Außerdem sind Frauen in den meisten Ländern körperlich weniger aktiv als Männer.

Die Länder mit den meisten inaktiven Einwohnern (Angaben in Prozent)

Malta 72

Swasiland 69

Saudi-Arabien 69

Argentinien 68

Serbien 68

Die Länder mit den am wenigsten inaktiven Einwohnern (Angaben in Prozent)

Bangladesch 5

Mosambik 7

Mongolei 9

Kambodscha 11

Guinea 12

Die USA findet man, anders, als die meisten vielleicht annehmen würden, in der Mitte der Couch-Potato-Liste: 41 Prozent aller erwachsenen Amerikaner bewegen sich zu wenig. In Deutschland bewegen sich 28 Prozent der Menschen zu wenig, also jeder Vierte. Allerdings beruht die Studie auf den eigenen Angaben der Teilnehmer, insofern ist davon auszugehen, dass die wirkliche Situation in den meisten Ländern noch viel schlimmer ist, da die Menschen eher dazu neigen, ihr Bewegungsquantum als zu hoch einzuschätzen.

Sport aus der Apotheke?

Vielleicht keimt nun in dem einen oder anderen die Hoffnung: Je mehr wir die Prozesse verstehen, die sich bei sportlichen Aktivitäten in unserem Körper abspielen, umso leichter sollte es doch fallen, die Wirkung physischer Aktivität künstlich hervorzurufen. Eine Tablette, die im Körper die gleiche Wirkung wie Bewegung hervorruft, und nach deren Einnahme man sich guten Gewissens aufs Sofa legen kann. Als man vor Kurzem das Hormon Irisin entdeckte, schien sich Hoffnung zu bestätigen. Bei physischer Aktivität steigt der Irisinspiegel im Körper, was unter anderem die Fettzusammensetzung beeinflusst. Übereifrige Journalisten berichteten schon vom »Sporthormon«, und man spekulierte, dass eine Behandlung mit Irisin bald die Joggingrunde oder das Fitnessstudio ersetzen könnte.

Ähnlich war es bei einem Protein mit dem schwierigen Namen REV-ERB. Als man übergewichtigen Mäusen in einer Studie dieses Protein verabreichte, stieg ihr Energieumsatz, und sie nahmen ab. Außerdem verbrauchten sie mehr Sauerstoff. Die Auswirkungen waren ähnlich, als wären die Tiere, die dieses Protein aufgenommen hatten, joggen gegangen. Eine Tablette, die zum einen den Stoffwechsel anregt und außerdem das Gewicht senkt – das kommt einer Joggingrunde doch schon sehr nahe, oder?

Ist die Hoffnung realistisch, dass man ein Medikament auf Irisin- oder REV-ERB-Basis entwickeln wird, das körperliche Aktivität ersetzen kann? Wir sind der Meinung, dass solche Versuche zum Scheitern verurteilt sind, insbesondere, wenn es darum geht, sämtliche Effekte körperlicher Betätigung in einem Präparat zu vereinen. Es werden zwar Medikamente entwickelt werden, die einen oder mehrere dieser Effekte nachahmen können, doch Bewegung setzt eine Kaskade verschiedener Körperreaktionen in Gang, die so umfassend sind, dass man sie niemals durch eine einzige Tablette hervorrufen könnte. Um ein solches Präparat entwickeln zu können, wäre es außerdem nötig, dass wir sämtliche Auswirkungen von körperlicher Aktivität bis ins Detail kennen, und davon sind wir noch sehr weit entfernt. Wer auf so eine Tablette hofft, wird noch lange warten – und aller Voraussicht nach vergeblich.

Bewegung setzt eine Kaskade verschiedener Körperreaktionen in Gang, die so umfassend sind, dass man sie niemals durch eine einzige Tablette hervorrufen könnte.

Tipps für die Praxis

Sie brauchen kein Marathonläufer oder Gesundheitsfanatiker zu werden, um von den Effekten körperlicher Aktivität zu profitieren.

Bewegen Sie sich so viel, dass es einem dreißigminütigen Spaziergang pro Tag entspricht – das erhöht die Chance, dass Sie drei bis fünf Jahre länger leben und verringert das Risiko einer ganzen Reihe von Krankheiten.

Gartenarbeit, Tanzen oder Golfspielen haben denselben positiven Effekt auf die Gesundheit wie ein flotter Spaziergang. Finden Sie die Art von Bewegung, die zu Ihnen passt und die Sie regelmäßig praktizieren können.

Sie können Ihre halbe Stunde Bewegung auch in kürzere Einheiten aufteilen, z. B. drei zehnminütige Spaziergänge. Diese zehn Minuten am Stück sollten Sie allerdings nicht unterschreiten.

Wenn Sie joggen, genügen 20 Minuten am Tag, falls sie schneller laufen, sind schon zehn Minuten ausreichend – aber auch hier gilt: Zehn Minuten am Stück sind das Minimum.

Vermeiden Sie es, große Teile des Tages einfach nur still zu sitzen. Vertreten Sie sich zwischendurch die Beine und stehen Sie an jedem Tag mindestens eine Stunde auf, wenn Sie eine sitzende Bürotätigkeit ausüben. Abgesehen von all den positiven Auswirkungen auf Ihre Gesundheit wird es Ihnen auf diese Weise auch gelingen, Ihr Gewicht zu halten.