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»Ich bin ein ziemlicher Optimist« Erfahrungen eines Mannes mit Rheumatoider Arthritis Rheumatoide Arthritis ist die häufigste entzündliche Gelenkerkrankung. Bert S. (Jahrgang 1934), ein pensionierter Fotograf, erzählt von seinem Leben mit chronischen Gelenkschmerzen. |
Manche Dinge muss man einfach akzeptieren: Der eine hat einen Klumpfuß, der andere Rheuma. Doch anfangs wollte ich meine gesundheitlichen Einschränkungen einfach nicht wahrhaben. Ich bin eigentlich ein ziemlicher Optimist, aber Schmerz geht nicht spurlos an einem vorüber, er beeinflusst das ganze Leben. Nicht nur was die körperlichen Möglichkeiten angeht, Schmerz setzt einem auch psychisch zu. Trotzdem lasse ich mir vom Rheuma nicht die Lebensfreude nehmen. Ich dachte immer, eines Tages wird es schon wieder weggehen; das denke – oder hoffe – ich immer noch.
Wenn ich mich umschaue, sehe ich genügend Menschen, die deutlich schlimmer dran sind. Meine zehn Jahre ältere Schwester hatte auch Rheuma und keinen geraden Knochen mehr im Leib. In Mexiko bekam sie immer wieder neue Titangelenke eingesetzt. Sie ist in ihrer Wahlheimat Los Angeles bereits mit fünfundsechzig gestorben, offiziell an Arzneimittelvergiftung.
Bis zu meinem vierzigsten Geburtstag war ich kerngesund. Mit dreißig wurden mir die Mandeln rausgenommen, das war alles. Danach hatte ich nie mehr was, bis ich mir eines Tages den Fuß angestoßen habe und fürchterliche Schmerzen bekam, die einfach nicht mehr weggehen wollten. Der Hausarzt meinte, das sei Ischias, und schickte mich zu einem Rehazentrum. Als ich dort ins Wartezimmer kam, sah ich lauter Menschen im Rollstuhl. »Meine Güte!«, dachte ich. Ich machte eine entsprechende Bemerkung gegenüber dem Rheumatologen, und der meinte ganz trocken: »Das steht Ihnen auch noch bevor.«
Nach der Untersuchung stand die Diagnose fest, ich sah mich schon im Rollstuhl. Aber als ich das meinem Physiotherapeuten erzählte, meinte der, ich hätte die Folgen von Rheuma selbst in der Hand. Bewegungsübungen seien äußerst wichtig. Meine Schwester kam nie mehr aus dem Rollstuhl heraus und hat den Schmerz durch zu viel Essen kompensiert. Zum Physiotherapeuten war ich ursprünglich gegangen, weil mir das Schleppen des schweren Fotokoffers Schulterprobleme bereitet hatte. Damals war ich noch Zeitungsfotograf. Aber schon drei Monate nach der Diagnose musste ich das Fotografieren aufgeben. Sobald ich etwas zu fest auf den Kameraauslöser drückte, durchzuckte der Schmerz Hand und Arm. Ganz so, als wäre meine Hand in einen Schraubstock eingespannt. Stattdessen wurde ich Bildredakteur. Für mich war das sehr schwer, Fotografieren war meine Leidenschaft, außerdem hatte ich mir einen guten Ruf in der Branche erarbeitet. Zu allem Überfluss lebte ich damals in Scheidung und trank zu viel. Ich weiß gar nicht mehr, was zuerst kam: die Scheidung oder das Rheuma. Ich glaube, es war das Rheuma.
Meine Mutter hatte ebenfalls Rheuma. Jugendrheuma, schon im Alter von zehn. Erst hieß es, es gebe keine Folgeschäden, aber später stellte sich heraus, dass ihre Herzklappe angegriffen war. Sie hatte ihr Leben lang Herzprobleme und ist mit fünfzig gestorben. Trotzdem muss ihr Rheuma nichts mit dem von meiner Schwester und mir zu tun haben. Meine andere Schwester hat zum Beispiel kein Rheuma. Ich glaube, dass bei mir die Mandeln der Entzündungsherd waren. Die Entzündung muss sich in meinem Körper ausgebreitet und mein Immunsystem durcheinandergebracht haben. Latent war es also schon lange da.
Ich leide an einer langsam voranschreitenden Form von Rheuma, die mit Schmerzen in meinen Füßen und Knöcheln begonnen hatte. Um mir nicht die Zehen zu stoßen, trug ich damals tagsüber Schuhe mit Metallkappen. Wenn ich nachts mal raus musste, passte ich höllisch auf, im Dunkeln nicht irgendwo dagegenzulaufen. Ich hatte fünfzehn Jahre lang ständig Schmerzen, aber erst nach drei Jahren hat mir der Arzt etwas dagegen verschrieben: Indometacin, ein entzündungshemmendes Schmerzmittel. Ich habe es fünfunddreißig Jahre lang genommen, bis ich letztes Jahr einen neuen Rheumatologen bekam. Eine junge Frau mit einer ganz anderen Herangehensweise. Mein alter Rheumatologe hat immer gesagt: »Da kann man nichts machen, ich kann Ihnen nur Schmerzmittel verschreiben. Wir müssen abwarten, ob noch was anderes gefunden wird.«
Die neue Ärztin meinte, Indometacin sei schlecht für meine Nieren – die funktionieren nur noch zu fünfzig Prozent. Sie hat mir Diclofenac verschrieben, aber davon bekam ich wahnsinnige Sehstörungen. Jetzt nehme ich wieder mein altes Medikament, zwei Mal täglich 25 Milligramm. Früher habe ich zehn Mal so viel genommen. Nimmt man zu viel, wehrt sich der Magen. Nimmt man zu wenig, bekommt man Schmerzen. Ich habe das Mittel von Anfang an mit Joghurt eingenommen, um den Magen zu schonen. Ich versuche, die Dosis nach und nach zu verringern, aber wenn man morgens aufsteht und merkt, dass es heikel wird, nimmt man lieber zwei Tabletten mehr.
Zum Glück ist der Schmerz jetzt nicht mehr so schlimm wie damals, als ich noch bei der Zeitung war. Da brauchte ich nur mit dem Zeigefinger gegen eine Tasse zu stoßen und schon hatte ich fünf Minuten lang höllische Schmerzen. So als hätte ich mir die Finger am Gasherd verbrannt. Nachts hatte ich regelmäßig heftige Attacken. Ich nahm Schlaftabletten, die den Schmerz einigermaßen unterdrückt haben. Aber sobald ich mich umdrehte, bekam ich wahnsinnig stechende Schmerzen im Knie. Dann lag ich wach und ging am nächsten Tag völlig erschöpft in die Arbeit. Ich musste um halb acht in der Redaktion sein, aber wenn man Rheuma hat, kommt man morgens nur schwer aus dem Bett. Die Füße tun weh, und man muss erst mal eine Viertelstunde auf der Bettkante sitzen bleiben. Schon der Weg ins Bad ist die Hölle. Gegen zwei Uhr mittags machte ich regelmäßig schlapp und ging zum Schlafen nach Hause. Eine der Nebenwirkungen der Tabletten war, dass ich mich unglaublich müde gefühlt habe. Jahrelang habe ich mich so durchgewurstelt, bis der Betriebsarzt meinte, ich solle nur noch halbtags arbeiten. Danach ging es mir besser. Ich war nicht mehr so extrem kaputt und hatte manchmal sogar die Energie, etwas Gymnastik zu machen. Der Physiotherapeut meinte, ich müsse über die Schmerzgrenze hinausgehen, aber an manchen Tagen hat meine Willenskraft dafür nicht gereicht. Zum Glück hat mein Haus viele Treppen, ich musste mich also zwangsläufig bewegen.
Als ich noch gearbeitet habe, hat mich meine Schwester zu allen möglichen Alternativtherapeuten geschickt. Zu Urindeutern, Akupunkteuren, Irisdiagnostikern. Die Akupunktur hat kein bisschen geholfen – ein unglaublicher Quatsch. Ich bin sogar nach Schottland gefahren, weil meine Schwester meinte, es gebe dort jemanden, der mich heilen könne. Nach der »Behandlung« sagte der Mann: »Und, fühlen Sie sich schon besser?« Als ich verneinte, meinte er: »Wenn Sie nach Hause kommen, werden Sie sich besser fühlen.« Viele Betroffene greifen nach jedem Strohhalm, hoffen auf Linderung. Aber ich habe nicht daran geglaubt. Ich habe das nur meiner Schwester zuliebe getan, weil sie sich wahnsinnige Sorgen um mich gemacht hat.
Damals begann das auch mit den Gelenkverwachsungen. Inzwischen sind keine Knorpel mehr da, und ich habe Berührungsschmerzen. Man kann sich neue Gelenke implantieren lassen, aber das möchte ich nicht, obwohl die Einschränkungen immer massiver wurden. Ich bin schon immer ein leidenschaftlicher Heimwerker gewesen, doch das ging bald nicht mehr. Ich wurde wahnsinnig wütend, wenn ich einen Hammer in die Hand nehmen wollte, und ihn nicht mehr halten konnte. Auch ganz simple Dinge, wie eine Flasche mit Drehverschluss öffnen, gingen nicht mehr. Dafür nehme ich jetzt einen Nussknacker, irgendwie gibt es für alles eine Lösung.
Wenn ich mich jetzt stoße, tut es nach wie vor weh, aber meine Schmerzwahrnehmung hat sich verändert. Ich weiß, dass der Schmerz vorbeigeht, und ich habe nicht mehr das Gefühl, dass meine Hand in einem Schraubstock steckt. Stattdessen habe ich schlimme Rückenschmerzen, weil ich durch die Medikamente Osteoporose bekommen habe. Als ich mir die Hüfte brach, stellte man fest, dass die Knochendichte nur noch bei 10 Prozent lag. Jetzt ist sie wieder bei 40, 50 Prozent, weil ich ein Kalkpräparat einnehme. Ich habe zwei eingebrochene Wirbel, dadurch sind meine Nerven eingeklemmt. Eine Zeit lang habe ich auch Prednison bekommen: eine Spritze – und schon hat man eine Woche keine Schmerzen. Das war herrlich, aber der Rheumatologe meinte: »Das ist ja alles gut und schön, aber wenn wir so weitermachen, brechen Ihre Knochen wie Streichhölzer.«
Trotzdem habe ich nicht das Gefühl, dass mich der Schmerz beherrscht. Ich hatte ein paar schwierige Jahre, aber die Arbeit bei der Zeitung hat mir sehr geholfen. Ich habe nie gedacht: Mist, schon wieder zur Zeitung! Ich habe sehr gern gearbeitet. Wer weiß, hätte ich keinen so schönen Job gehabt, würde ich vielleicht schon lange im Rollstuhl sitzen.