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»Als hätte ich eine Wunde in der Schläfe«

Die dreizehnjährige Emma über ihre Migräneattacken

Sie fehlt oft in der Schule, kann kaum Hobbys nachgehen und muss dauernd Verabredungen absagen, doch Emma gibt die Hoffnung nicht auf. Ihre Schmerzen gehören zu ihr, aber es wäre schöner, sie wäre sie los, sagt sie.

Ich bin nie wütend, aber frustriert bin ich schon, so wie damals mit zwölf, als ich nicht an der Schulaufführung unseres Musicals teilnehmen konnte. Wir haben drei Monate lang dafür geprobt. Am Tag der Aufführung bekam ich um elf Uhr vormittags Kopfschmerzen. Ich musste die Generalprobe abbrechen und nach Hause gehen, mich hinlegen. Am Nachmittag bin ich aufgestanden und habe etwas gegessen, aber es ging einfach nicht. Ein anderes Mädchen hat meine Rolle übernommen, und ich habe ziemlich geweint. Zwei Tage lang war ich krank. Wegen dieser Attacken musste ich schon viele Dinge, auf die ich mich sehr gefreut habe, absagen. Zum Beispiel schon zwei Mal im allerletzten Moment meine Geburtstagsparty. Ich gehe auch nicht mehr zum Babysitten, was ich sehr schade finde. Ich wusste nie, ob ich den Termin wirklich halten kann, was mir super unangenehm war.

Meine Tante ist Ärztin. Sie hat mir erklärt, dass Kopfschmerz eine Stressreaktion ist, auch wenn man gar keinen richtigen Stress hat. Ich habe alle sieben, acht Tage Migräne. Beim ersten Mal war ich neun. Mir war hundeelend, und ich musste mich übergeben, aber meine Eltern wussten erst nicht, was ich habe. Wir sind dann ins Krankenhaus gegangen, und der Arzt hat mir Medikamente gegeben. Migräne liegt bei meinem Vater in der Familie. Er hatte als Kind auch Migräne, genau wie meine Oma und deren Mutter, aber irgendwann war es vorbei. Heute leidet er nur noch wenige Male im Jahr darunter. Mein kleiner Bruder hat keine Migräne, dafür aber Darmprobleme. Und zwar seit ihm der Blinddarm herausgenommen wurde. So gesehen sind die Probleme bei uns fair verteilt.

Meist weiß ich schon vorher, dass ich Kopfschmerzen bekommen werde. Ich bin dann ganz müde. Angeblich kann man es auch an meinen Augen sehen. Manchmal wache ich schon damit auf oder schrecke wegen der Schmerzen mitten in der Nacht hoch. Im Lauf des Tages werden die Kopfschmerzen dann immer stärker, sie sitzen hauptsächlich in der rechten Schläfe. Als hätte ich dort eine Wunde, auf die ständig jemand drückt. Aber ich sehe weder Flecken noch Blitze und muss mich auch nicht jedes Mal übergeben. Das Einzige, was mir dann hilft, ist, im Dunkeln bei zugezogenen Vorhängen auf dem Bett zu liegen. Es muss auch ganz still um mich herum sein. Wenn draußen nur ein Vogel zwitschert, könnte ich schon durchdrehen. Meine Gedanken fahren Karussell, und in meinem Kopf spielen sich die verrücktesten Geschichten ab. Aber anschließend kann ich mich an nichts mehr erinnern.

Die Attacken kommen unregelmäßig; an Tagen, wo ich nur so einen Druck spüre, weiß ich, dass es wieder vorbeigeht, und gehe zur Schule. An anderen Tagen muss ich erst gar nicht aufstehen, da weiß ich, dass das keinen Sinn macht. Dann verpasse ich wieder alle möglichen wichtigen Dinge und denke schon manchmal: Warum ausgerechnet ich?

Rins, Emmas Mutter: Emma hat eine schwer behandelbare Form von Migräne. Es tut mir in der Seele weh, dass sie deswegen so viele schöne Dinge verpasst, wie damals bei dem Musical. Wenn sie starke Kopfschmerzen hat, legt sie sich ihren Stoffaffen auf den Kopf und darüber noch ein Kissen. Sie weint dann und stöhnt vor Schmerzen, schleudert ihr Stofftier quer durchs Zimmer. Bis zu ihrem elften Lebensjahr hat sie häufig geschlafwandelt, aber das tut sie jetzt kaum noch. Vielleicht lassen die Migräneattacken nach, wenn sie ihre Tage bekommt, aber davon ausgehen können wir nicht. Schon ihre Oma und ihre Uroma haben ein Leben lang darunter gelitten.

Emma: Ich bin schon bei vielen Ärzten gewesen. Mit zehn hatte ich ein halbes Jahr Krankengymnastik. Ich bin Linkshänderin, angeblich habe ich meinen Füller falsch gehalten. Aber das hat alles nichts geholfen. Ein Psychologe meinte, mein Hals sei verspannt. Deshalb bin ich zu einem Physiotherapeuten gegangen, der mich in den Nacken gekniffen und meinen Kopf bewegt hat. Außerdem war ich bei einem Homöopathen, aber seine Behandlung hat auch nicht angeschlagen. Akupunktur haben wir nicht gemacht, denn ich fürchte mich vor den Nadeln. Wir sind bei vielen Ärzten gewesen, die haben mir immer wieder andere Medikamente gegeben. Von einem Mittel wurde ich ganz müde. Geholfen hat keines.

Rins: Emma bekam zum Beispiel Migrafin, aber das behielt sie nicht bei sich. Zur Prophylaxe – also zum Verhindern einer Migräneattacke – sollte sie Depakin schlucken. Sie wurde wirr im Kopf und vergesslich davon, außerdem hat es nicht gewirkt. Anschließend entschied man sich für einen Betablocker, für Propranolol. Als auch das nicht half, schlug der Arzt Flunarizin vor, aber davon wurde sie benommen, und wegen der Schule fanden wir das unvernünftig. Bei akuten Attacken bekam sie Maxalt-Schmelztabletten und Domperidon, aber von Domperidon musste sich Emma immer übergeben. Maxalt brachte auch keine Linderung. Wir haben uns dann eine Zeit lang von Ärzten ferngehalten. Emma hat nur noch Paracetamol genommen: drei Zäpfchen à 100 mg pro Attacke. Aber das war auf Dauer natürlich auch keine Lösung. Unser Hausarzt hat uns schließlich an ein Kinderkrankenhaus überwiesen; dort wurden Kinder mit starker Migräne zu einem Psychologen geschickt, um zu sehen, ob seelische Probleme vorliegen. Bei Emma konnte nichts dergleichen festgestellt werden. Keine Spannungen, sie hatte auch genug Ausgleich von der Schule.

Emma: Über das Kinderkrankenhaus kamen wir dann zu Dr. Bruijn. Er sagte, ich müsse sofort die Mittel absetzen, die ich bei den Attacken schluckte. Bei den Mengen, die ich bekam, könne man süchtig werden. Er hat mir Zäpfchen gegeben, die helfen einigermaßen. Ich gehe dann schlafen, und nach drei Stunden lassen die Kopfschmerzen etwas nach. Dr. Bruijn will auch, dass ich ein Schmerztagebuch führe, und das mache ich seit drei, vier Monaten. In dem Tagebuch gibt es drei Seiten mit Spalten, in denen alle möglichen Fragen stehen: Wie lange die Attacke gedauert hat. Ob mir übel war. Wie ich in der Nacht davor geschlafen habe. Und ob ich mich übergeben musste. Man muss dann das genaue Datum und den Zeitraum angeben. Ich habe damit keine Probleme, denn man muss bloß vorgegebene Felder ausfüllen. Müsste ich es selbst beschreiben, wäre es schwieriger.

Rins: Emma muss zwar nach wie vor einen Tag pro Woche wegen Migräne zu Hause bleiben, sie leidet aber viel weniger. Dr. Bruijn will jetzt die Frequenz senken, seiner Meinung nach ist eine Attacke pro Woche viel zu viel. Emma hat auch angefangen, Topamax zu nehmen, 25 mg. Die Dosis sollte auf vier Tabletten pro Tag erhöht werden, aber davon wurde sie todmüde, sodass wir das Mittel abgesetzt haben.

Emma: Ich habe ganz schön damit zu kämpfen. Trotzdem denke ich nie: Hoffentlich habe ich das nicht mein Leben lang! Stattdessen gehe ich davon aus, dass ich da irgendwann rauswachsen werde. Ich hätte schon gern Medikamente, die den Schmerz vertreiben: Trotzdem: Die Kopfschmerzen gehören zu mir, auch wenn ich sie gern für immer los wäre. Es würde mir schon helfen, wenn sie schwächer würden.