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»Um meinen Körper liegt ein Ring aus glühender Lava«

Erfahrungen eines Mannes mit der »Schmetterlingskrankheit«

Die Schmetterlingskrankheit (Epidermolysis bullosa) ist eine in der Regel genetisch bedingte, unheilbare Hautkrankheit, die mit Wunden am ganzen Körper und ständigen Schmerzen einhergeht. In seltenen Fällen kann sie erst im Erwachsenenalter auftreten, in Form einer nicht genetisch bedingten Autoimmunkrankheit. Bor V., ein Betroffener (Jahrgang 1978), erzählt aus seinem Leben.

Den Schmerz habe ich mit dreieinhalb Jahren zum ersten Mal so richtig wahrgenommen. Ich weiß noch, wie schlimm das gestochen hat, als ich in ein gechlortes Schwimmbecken gesprungen bin. Wenn ich heute bade, desinfiziere ich das Wasser vorher immer mit etwas Chlor, es sei denn, ich habe eine frische Wunde. Das Chlor beißt furchtbar, aber heute lache ich drüber. Leichte Schmerzen nehme ich inzwischen mit Humor. Ich versinke nicht in Selbstmitleid und jammere auch nicht. Lieber unternehme ich schöne Dinge, die mir Kraft geben.

Bei der Schmetterlingskrankheit reagiert die Haut extrem empfindlich auf Reibung und platzt auf. Es entstehen Blasen und offene Wunden, die sich rasch infizieren. Früher hat man die Krankheit in drei Hauptformen unterteilt, heute sollen es sogar sieben sein: Ich selbst leide an der dystrophischen Form, der schwersten. Die vielen Narben, die durch die Hautverletzungen entstehen, führen mit der Zeit dazu, dass Finger und Zehen miteinander verwachsen. Es hat eine Weile gedauert, bis die Krankheit bei mir richtig diagnostiziert wurde. Erst fiel mir ein Fingernagel aus, dann alle anderen Nägel. Ich bekam überall Blasen, am Körper und auch im Mund. Laut meiner Familie war ich auffällig ruhig als Baby, trotzdem werde ich sicherlich Schmerzen gehabt haben. Wenn beinahe der ganze Körper eine einzige offene Wunde ist, kann das gar nicht anders sein.

Ich habe die Krankheit von meinem Vater und von meiner Mutter geerbt, die alle beide den Gendefekt haben. Die Chance, dass zwei Träger zusammenkommen, liegt Wissenschaftlern zufolge bei eins zu 1,3 Millionen. Obwohl meine Eltern anfangs nicht wussten, dass die Krankheit genetisch bedingt ist, verzichteten sie auf weiteren Nachwuchs. Dabei hätte meine Mutter gern drei, vier Kinder gehabt. Stattdessen hatte sie eines, das Arbeit machte wie vier. Bis zu meinem achtzehnten Lebensjahr hat sie mich gepflegt. Mein Vater hatte sich da schon längst aus dem Staub gemacht. Als ich vier war, ließen meine Eltern sich scheiden.

Als Kind habe ich zwar gemerkt, dass ich der Einzige mit Schmerzen bin, doch viele Gedanken habe ich mir nicht darüber gemacht. Ich habe nur darauf geachtet, mich von Rowdys fernzuhalten. Beim Spielen zog ich mir ständig große Blasen und Schürfwunden zu, vor allem meine Füße waren extrem empfindlich. Ich lernte schnell, dass es besser ist, nicht Fußball zu spielen. Lieber dachte ich mir Spiele ohne großen Körpereinsatz aus: mit Pfeil und Bogen schießen, Sandburgen bauen. Was man als kleiner Junge eben so macht. Manchmal bekam ich davon trotzdem eine Blase mehr, aber das machte mir nichts aus. Man darf nicht jede Verletzung als Katastrophe betrachten. Damals bekam ich noch keine Schmerzmittel, und wenn es besonders wehtat, zum Beispiel beim Verbandswechsel, weinte ich eben. Ich kann Schmerz ganz gut ertragen, aber ich beschwöre ihn natürlich nicht bewusst herauf. Ich bin schließlich kein Masochist. Wäre ich einer, hätte ich das schönste Leben.

So richtig bewusst wurde mir meine Krankheit erst, als ich in die Pubertät kam. Mein Allgemeinzustand verschlechterte sich, ich konnte nachts kaum schlafen. Aber noch schlimmer war der seelische Schmerz: Irgendwann kommt man ja in ein Alter, in dem man sich für Mädchen interessiert, und dann stellt man schnell fest, dass die Leute einen nur nach dem Äußeren beurteilen. Mit meinen ganzen Verbänden sah ich oft aus wie eine ägyptische Mumie, außerdem war ich aufgrund einer extrem strengen Diät, die ich seit meinem fünften Lebensjahr einhielt, körperlich sehr schwach. Ich durfte weder zucker- noch milchhaltige Produkte essen, was schlimme Folgen hatte: Ich war so schlapp, dass ich bei der geringsten Anstrengung Herzrasen bekam. Die Diät war Teil eines Behandlungsplans, den mir der Dermatologe Pavel Kozak nach einem dreimonatigen Aufenthalt in seiner Klinik in Michelbach, einem Dorf nördlich von Frankfurt am Main, verordnet hatte. Seine Methode fußte auf drei Säulen: Man musste sechsmal täglich verbunden werden, auch nachts. So etwas hält wirklich keiner aus. Außerdem bekam man jede Menge Antibiotika, dazu die strenge Diät, die die Haut beruhigen sollte. Tatsächlich sah ich danach tadellos aus, ich brauchte nur noch einen einzigen Verband pro Tag. Nach zwei Jahren haben wir zwar die Antibiotika abgesetzt, aber die Diät habe ich all die Jahre durchgehalten.

Als ich siebzehn war und von der Behinderten- auf die Regelschule wechselte, hatte ich bereits einen Rollator. Drei Jahre zuvor hatte ich eine schlimme Wunde an der rechten Achillessehne gehabt. Die führte zu einer Verkürzung der Sehne, weshalb ich seitdem mit dem rechten Fuß nur noch auf Zehenspitzen laufen kann und auch das nur über kleine Strecken. Ich hoffe, dass ich das weiterhin schaffe, denn sonst wird mein Bewegungsradius immer kleiner. Seit ich zwanzig bin, sitze ich ohnehin meist im Rollstuhl.

Kurz nach dem Wechsel auf die neue Schule habe ich die Entscheidung getroffen, mich nicht mehr an den Fingern operieren zu lassen. Durch die Schmetterlingskrankheit wurden sie krumm, und die Zwischenräume wurden kleiner, sodass die Finger immer wieder miteinander verwuchsen. Das ist für sich genommen gar nicht mal so schmerzhaft, sondern eher unpraktisch. Dafür ist das Auseinanderschneiden und Begradigen umso schmerzhafter, vor allem wegen der vielen Verbandswechsel. Die offene Wunde muss nämlich ganz stramm verbunden werden. Ich bin zweiunddreißig Mal an den Fingern operiert worden, das erste Mal im Alter von sechs. Aber irgendwann hat das kaum noch etwas gebracht, ich konnte nicht mal mehr einen Stift halten! Da dachte ich: dann lieber ohne Finger.

Zwischen meinem achtzehnten und zwanzigsten Lebensjahr wurde ich kein einziges Mal operiert! Doch dann bekam ich Hautkrebs – auch eine Folgekrankheit. Die Ärzte können ihn nicht bestrahlen, sondern müssen ihn wegschneiden. Manche Tumoren spürt man nicht, andere jucken, aber in den letzten Jahren tun sie mir sehr weh. Sie fühlen sich an wie Messerstiche, um die herum sich ein Ring aus glühender Lava gelegt hat. Inzwischen bin ich wegen des Hautkrebses siebenundzwanzig Mal unter dem Messer gewesen, sechsundzwanzig Mal musste an meinen Händen geschnitten werden, einmal an meinem Fuß. Am 25. Februar 2009 wurden mir drei Finger der linken Hand abgenommen. Ich habe nach langem Zögern zugestimmt, weil das eigentlich gegen meine Überzeugung verstößt. Ich bin mit vollzähligen Gliedmaßen zur Welt gekommen und möchte sie auch so wieder verlassen. Ich habe die Finger einige Wochen später einäschern lassen. Die Leute vom Krematorium haben ganz schön gestaunt! Ein guter Freund von mir arbeitet beim Fernsehen, es wurde sogar ein Film darüber gedreht. Mittlerweile ist der Krebs so weit fortgeschritten, dass mir vielleicht auch noch der Daumen amputiert werden muss. Eine Zeitlang hatte ich auch eine Magensonde, weil meine Speiseröhre eine einzige offene Wunde war, sodass ich nichts mehr essen konnte.

Der Schmerz beherrscht meinen Alltag, auch wenn ich inzwischen gelernt habe, dass er in den Hintergrund tritt, wenn man sich intensiv mit etwas anderem beschäftigt. Gegen die normalen Schmerzen der Schmetterlingskrankheit nehme ich alle fünf Stunden zwei Paracetamol, außerdem inhaliere ich arzneiliches Cannabis. Aber bei extremen Schmerzen nehme ich stärkere Mittel wie Arcoxia, wenngleich nur widerwillig. Manchmal hilft es, oft aber auch nicht. Der Krebsschmerz raubt einem alle Energie, man fühlt sich wie gelähmt. Die Welt schrumpft. Man liegt auf dem Sofa, lässt sich mit verblödenden Sendungen berieseln und fragt sich, wie man seinem Leben so noch etwas abgewinnen soll. Sollte der Krebs eines Tages auf meine Lunge und mein Gehirn übergreifen, will ich nicht mehr weiterleben.

Vor allem letztes Jahr hatte ich extreme Schmerzen durch den Hautkrebs. Zum Glück geht es mir inzwischen etwas besser, und ich kann mich wieder um Dinge kümmern, zu denen ich wegen der Krebsschmerzen nicht mehr gekommen bin. Ich tummle mich wieder auf Partnervermittlungsseiten im Internet, außerdem habe ich mit Freunden eine Stiftung gegründet, die die Schmetterlingskrankheit international bekannter machen soll. Im Übrigen bin ich einer der wenigen Erwachsenen, die diese Krankheit so lange überlebt haben. Die meisten sterben jung. Mit meiner eigenen Stiftung möchte ich zeigen, dass man trotz meiner schweren Form der Schmetterlingskrankheit viel erreichen kann.