Kapitel 7
Ein Fluch weckte sie. Vivien blinzelte träge. Sie hatte kein Wort verstanden, entweder war sie noch zu verschlafen oder Grhey hatte in seiner seltsamen Dämonensprache geflucht. Doch die Art, wie der Laut ausgesprochen worden war, ließ keinen Zweifel zu. Grhey war mächtig angepisst. Eine Welle von Zufriedenheit breitete sich in ihrem Körper aus. Was auch immer geschehen war, Grhey hatte es verdient. Alleine dafür, dass er den Kuss bereute! Sie schloss die Augen wieder.
Verdammt. Obwohl sie nur an diesen Kuss dachte, stieg ihr Grheys Geruch in die Nase und es war, als spürte sie den festen Druck seiner Lippen auf ihrem Mund. Warum war er nur so ein Idiot?
Vielleicht, weil er aus der Hölle kommt? Auf diese Erinnerung ihres Verstandes hätte sie gut und gerne verzichten können. Wieso fühlte sie sich zu ihm hingezogen, wenn sie genau wusste, dass er ein Dämon war? Das war absurd! Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Es war noch düster, doch das sanfte Orange am Himmel verriet ihr, dass die Sonne bald aufgehen würde.
Vivien hörte ein Poltern und schob seufzend die Decke von sich. Die meisten Möbel ihrer Großmutter waren ihr zwar echt zu altmodisch, aber das hieß nicht, dass Grhey das Recht hatte, am frühen Morgen zu randalieren. Abgesehen davon hätte sie mindestens eine weitere Stunde schlafen können. Sie stapfte gähnend ins Wohnzimmer. Was sie jetzt brauchte, war Kaffee und noch mehr Kaffee.
Sie fand Grhey im Wohnzimmer, wie er mit fassungslosem Blick an sich hinuntersah. Irgendetwas roch komisch. »Warum schreist du hier herum?«, fragte Vivien mürrisch. Dass er den Kuss für einen Fehler hielt und dreist genug war, das auszusprechen, verzieh sie ihm garantiert nicht so schnell.
»Diese verdammte Katze hat mich angepinkelt!« Sein Entsetzen klang echt, dennoch prustete Vivien los. Das erklärte den seltsamen Geruch. Finster sah Grhey nun zu ihr hinüber. »Sehr witzig«, knurrte er.
Vivien konnte ein Grinsen nicht unterdrücken und deutete in den Flur zur Badezimmertür. »Geh einfach duschen. Ist doch klar, dass die Katze mal pinkeln muss.«
Wenn die Geschäfte öffneten, würde sie eine Katzentoilette und Streu kaufen gehen. Und mehr Katzenfutter. Einen weiteren Fluch vor sich hinmurmelnd, stapfte Grhey aus dem Wohnzimmer und ließ die Badezimmertür laut in den Rahmen fallen. Vivien zuckte mit der Schulter und ging in die Küche. Nachdem sie die Kaffeemaschine angeschaltet hatte, sah sie in den Napf der Katze. Das kleine Monster hatte das gesamte Nassfutter verschlungen. Grheys Brüllen hatte sie wahrscheinlich wieder unter die Couch verjagt.
Nach wenigen Minuten füllte Vivien ihre Lieblingstasse mit dem dampfenden Kaffee und kippte Milch hinein. Fröstelnd drehte sie die Heizung höher. Das dämliche Ding schien nur Eiszeit und Sahara-Hitze als Einstellungen zu kennen. Sie nahm in der Küche Platz, umfasste mit beiden Händen die heiße Tasse und blickte aus dem Fenster. Vom Küchenfenster sah man direkt auf die Einkaufsstraße hinab. Die meisten Geschäfte öffneten erst in zwei Stunden, hier und da leuchteten schon die Lichterketten, es blinkte und funkelte an jeder Ecke. Noch waberte Nebel über die Straßen von Frost Creek.
Vivien blinzelte. Die Tränen stiegen ihr jedoch unaufhaltsam in die Augen. Weihnachten war immer das Fest ihrer Oma gewesen. Und nun saß sie alleine in ihrer Wohnung, ohne jegliche weihnachtliche Deko, von einem Tannenbaum ganz zu schweigen. Das Familienfest war ohne ihre Granny einfach kein Familienfest. Und es sah nicht so aus, als würde ihre Großmutter jemals wieder aus dem Pflegeheim entlassen werden. Als sie Schritte hörte, löste sie eine Hand von ihrer Tasse und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Auf dumme Fragen konnte sie jetzt verzichten.
»Willst du auch Kaffee?« Sie drehte sich zur Tür um. Ihr Blick traf auf Grheys. Seine dunklen Augen zogen sie in den Bann und es dauerte einen Moment, bis ihr Blick an ihm nach unten wanderte. Heftig begann sie zu husten.
Grhey stand vor ihr. Nackt. Sie spürte Hitze in ihre Wangen schießen und wandte sich hastig ab. Geschäftig öffnete sie die Küchenschränke, bis sie eine Tasse für Grhey fand.
»Hast du etwas zum Anziehen für mich? Ist egal, wie es aussieht, Hauptsache ich passe rein.«
Gerne hätte sie ihm irgendeine tolle Antwort gegeben, doch vor ihrem geistigen Auge sah sie noch immer seinen nackten Körper vor sich. Zwischen ihren Beinen pochte es verlangend.
Nein. Daran durfte sie nicht einmal denken! Sie schluckte.
»Schau im Schlafzimmer im Schrank nach. Bitte.« Viel Auswahl hatte er da nicht, doch das war besser, als ihn nackt in der Küche stehen zu haben. Besser er trug etwas, ehe sich ihr Verstand vollends verabschiedete.
»Danke.« Er verschwand. Sein Geruch blieb in der Luft hängen. Zwischen dem frischen Duschgel hing Grheys eigener Duft. Sie hatte keine Vergleichsmöglichkeit um ihn zu beschreiben, doch für sie roch er nach der puren Verführung.
»Au!« Schmerz durchfuhr ihre Finger, unwillkürlich zuckte ihre Hand zur Seite. »Verdammt!« Der Fluch hallte durch die Küche, während sie sich ihre pochenden Finger ansah. Sie war mit der Kaffeekanne abgerutscht und hatte sich den heißen Kaffee übergekippt. Erneut stiegen Tränen in ihren Augen auf. Das alles war einfach nur so dämlich! Sie stapfte zum Wasserhahn und ließ kühles Wasser über ihre gerötete Haut laufen.
»Alles Okay?« Plötzlich stand Grhey hinter ihr. Viel. Zu. Nah. So nah, dass sie seine Wärme spüren konnte.
»Ja, alles bestens«, presste sie hervor und drehte das Wasser wieder ab. Zum Glück war die Haut lediglich gerötet und warf keine Blasen. Morgen würde nichts mehr auf ihren Fingern zu sehen sein. Sie drehte sich um. Grheys Anblick brachte sie fast zum Lachen. Er trug eine weite Wollhose ihrer Großmutter. Sein Oberkörper war noch nackt, doch in der Hand hielt er eines von Viviens großen Schlafshirts. Er schlüpfte hinein. Was sie als Schlafshirt nutzte, passte ihm beinahe perfekt. Die dunkelgrüne Hose schien sich an seinen Beinen zu bewegen. Vivien blinzelte und rieb sich mit der heilen Hand über die Augenlider. Als sie wieder klar sehen konnte, trug Grhey eine schwarze Jeans. Mit offenem Mund sah sie von seinen Beinen nach oben in sein Gesicht. »Wie machst du das?«
Grhey zuckte nur mit den Schultern. »Materie ist veränderbar, wenn man weiß, wie man es angehen muss. Ich könnte auch meine Haarfarbe verändern oder mich zwanzig Zentimeter größer machen. Dämonische Körper sind anders als Menschenkörper, wir sind weder von DNA noch von Glück abhängig. Außer wir befinden uns in unserer übernatürlichen Form. Die können wir nicht beeinflussen.«
Vivien sah ihn an, wurde nachdenklich. »Zeigst du mir diese Gestalt?«
»Wie bitte?« Grhey hob die Augenbrauen. Warum wollte sie wissen, wie er als Dämon aussah? Hatte sie zu viele Fantasyfilme gesehen oder womit sich die Menschen heutzutage die Zeit vertrieben? Er schüttelte entschieden den Kopf. »Ganz sicher nicht.« Der Anblick würde sie ohnehin nur verstören. Er war nicht unbedingt das Ebenbild Satans, der unter den Höllenwesen den Jackpot gezogen hatte. Naja, aber das war wohl dessen Vorteil als gefallener Engel.
Er nahm die Kaffeetasse entgegen, die Vivien ihm hinhielt.
»Danke, Vivien.« Ihm gefiel es, wie sie sich für einen kurzen Moment versteifte, wenn er ihren Namen aussprach.
»Ich habe einen Plan«, sagte er und lehnte sich gegen die Arbeitsplatte, während er vorsichtig an seinem schwarzen Kaffee nippte. »Wir werden heute ein Ritual durchführen. Also, um ehrlich zu sein, wirst du diesen Zauber in die Tat umsetzen.«
»Was?« Erneut sah sie ihn schockiert an, fast wirkte sie genauso überrascht, wie zuvor, als er nackt vor ihr gestanden hatte. Er grinste innerlich und musste zugeben, er hatte es genossen, sie dermaßen aus dem Konzept zu bringen. Und egal, was Vivien auch von ihm denken mochte: Er bedauerte den Kuss keine Sekunde lang. Viel mehr bereute er, dass Vivien seine Selbstbeherrschung zum Bröckeln brachte.
»Du wirst heute ein Ritual durchführen. Während du geschlafen hast, habe ich die Bücher deiner Oma studiert und möglicherweise eine Möglichkeit gefunden, wie du die Verbindung zwischen uns lösen kannst.«
»Ich bin keine Hexe. Ich. Kann. Nicht. Hexen. Soll ich es für dich buchstabieren?« Vivien schüttelte ungläubig den Kopf. Er trat zu ihr und nahm ihre freie Hand. Sachte, aber unnachgiebig legte er ihre Finger auf seine Brust. »Ich bin ein Dämon. Du hast mich beschworen. Akzeptiere es.« Er wusste, dass sie kein Pochen spürte. Ihre Fingerspitzen würden vergeblich nach einem Herzschlag suchen. Er besaß keines. Dämonische Körper waren nicht mit denen von Menschen zu vergleichen. Um zu leben, brauchten sie kein Organ, das Blut durch den Körper transportierte.
Irritiert starrte sie auf seinen Brustkorb, auf ihre eigenen Finger, die dort lagen. »Du bist kein Mensch. Das ist mir bewusst«, sagte sie. »Aber ich begreife nicht, was es bedeutet, dass du ein Dämon bist.«
Er ließ ihre Hand los. Für einen kurzen Moment spürte er ihre kühlen Finger noch auf seiner Brust, dann zog sie die Hand zurück.
»Das ist unwichtig, Vivien. Bald bin ich lediglich eine staubige Erinnerung für dich. Mit viel Glück vergisst du mich ganz.«
Sie schluckte, sah von seiner Brust auf. »Aber was, wenn ich dich gar nicht vergessen will, Grhey?«
Was? Wieder ergaben ihre Worte keinen Sinn für ihn. »Warum solltest du das nicht wollen? Willst du mich hier als dein Haustier halten, willst du, dass ich bei dir bleibe, weil ich an dich gebunden bin? Ich wäre nur ein Anhängsel für dich.«
Sie presste die Lippen aufeinander. »Für einen Dämon bist du ein verdammter Idiot, Grhey.« Ohne ein weiteres Wort stellte sie die fast leere Kaffeetasse ab und verließ die Küche.
Warum redeten sie dauernd aneinander vorbei? Grhey fluchte leise. Ständig schienen sie sich misszuverstehen. Ihre Frage geisterte durch seinen Kopf.
Was, wenn ich dich nicht vergessen will?