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Das EUPACUS-Abkommen:

Die morsche Tür

 

Sollten sich die Bürger – beispielsweise der USA – ausschließlich nach den Gesetzen des Mars richten, solange sie sich auf dem Mars befanden? Irgendwann hieß die Antwort: Ja! Der Mars ist keine Kolonie, sondern eine unabhängige Welt. Das war die juristische Entscheidung, die den Grundstein für die Unabhängigkeitserklärung legte. Diese Unabhängigkeitserklärung bestimmt unser Leben auf dem Mars und wird allen anderen Welten, die wir in Zukunft noch besiedeln werden, als Beispiel dienen.

Zu den größten Leistungen des letzten Jahrhunderts gehören die Maßnahmen, die eine Erforschung der Planeten einleiteten. Weniger beachtet wird die Tatsache, dass damals auch ein internationales Rechtssystem entwickelt wurde, das sich als praktikabel erwies.

Von Anfang an waren hier, auf dem Mars, Waffen verboten. Rauchen ist notwendigerweise verboten, nicht nur, weil es die Umwelt verpestet, sondern vor allem deshalb, weil man damit unnötigerweise Sauerstoff verbraucht. Nur schwachprozentiger Alkohol ist erlaubt. Betäubungsmittel, die süchtig machen, sind hier unbekannt. Ein unabhängiges Rechtssystem wurde schnell eingeführt. Bestimmte Arten von Forschung werden gefördert. Der Wissenschaft verdanken wir alles.

Unter der Ägide dieser Gesetze und der Naturgesetze haben wir unsere Gemeinschaft aufgebaut.

 

Wenn ich an diese frühen Tage zurückdenke, finde ich darin Trost. Meine Tochter Alpha Jefferies – inzwischen heißt sie Alpha Jefferies Greenway – hat den Mars letztes Jahr verlassen, um auf einem anderen Planeten zu leben, den sie zuvor nie gesehen hat. Ich habe Angst um sie auf dieser fremden Welt, obwohl sie jetzt einen Ehevertrag und einen Ehemann hat, der sie beschützt. Als wir noch Kontakt hatten, hat sie mir einmal gesagt, die Erde sei die Welt des Lebens. Ich stelle sie mir als Welt des Todes vor – als Welt des Hungers, des Völkermordes, des Tötens und vieler Schrecken, unten denen unsere Welt hier nicht leidet.

Meine Auseinandersetzungen mit meiner lieben, verschollenen Tochter haben mich dazu gebracht, mich noch einmal diesen ersten Jahren auf dem Mars zuzuwenden. Damals war es aufregend für uns, auf einer fremden Welt zu leben. Wir hatten durchaus noch Mythen im Kopf, die ihren Ursprung auf der Erde hatten, Mythen, die uraltes Leben auf dem Mars betrafen oder alte, landumschlossene Kanäle, die ins Nirgendwo führten. Oder auch die Suche nach großen verschollenen Wüstenpalästen, vielleicht sogar nach den Gräbern der letzten Herren von Syrtis! Nun ja, das war jugendliche Romantik und Teil der überschäumenden menschlichen Phantasie, die diese leere Welt gern bevölkert hätte. Und genau das begeistert mich immer noch: diese große leere Welt, in der wir leben!

Ich möchte mich an dieser Stelle vorstellen. Ich bin die Adoptivtochter des großen Tom Jefferies. Meine erste Bekanntschaft mit dem Leben machte ich in der übervölkerten chinesischen Stadt Chengdu, wo ich zur Lehrerin für behinderte Kinder ausgebildet wurde. Nachdem ich fünf Jahre lang an der Behindertenschule III unterrichtet hatte, sehnte ich mich danach, es auf einem anderen Planeten zu versuchen. Ich bewarb mich für ein Arbeitsprojekt der Vereinten Nationalitäten und wurde angenommen.

Um meinen Sozialdienst abzuleisten, arbeitete ich ein Jahr als Tierpflegerin für eine Hundezucht in der Mandschurei. Das Leben dort war außerordentlich hart. Ich bestand die Prüfungen im Sozialverhalten und wurde eine vollwertige JAE, eine Junge Aufgeklärte Erwachsene. Nach allen anderen Vorbereitungen, einschließlich des vierzehntägigen MIS, des Mars-Instruktionsseminars, durfte ich, gemeinsam mit zwei Freundinnen, an Bord des EUPACUS-Raumschiffes gehen. Ich war mit einer Rückfahrkarte für die Zeit ausgestattet, wenn der Mars in Opposition zur Erde stehen würde.

Wie aufregend! Wie grauenvoll!

Den Mars selbst malte ich mir öde aus, aber ich hatte keine Vorstellung vom Leben in den Kuppeln, das bei meiner Ankunft schon unerwartet bunt war. Als Erinnerung an die halbasiatische Zusammensetzung des Reisebüros Marvelos, das alle zum Mars und zurück zur Erde beförderte, hatte man zwischen den schlichten Wohnblocks leuchtende Lampions aufgehängt. Überall standen wandgroße Aquarien, in denen sich Fische tummelten. Blühende Bäume (Ableger des prunus autumnalis subhirtella) säumten die Straßen. Am liebsten waren mir die genetisch veränderten Aras und die Papageien, die nicht krächzten, sondern mit süßen Stimmen sangen. Sie flogen frei umher und verliehen allem ein bisschen Farbe. Abgesehen von dem angenehmen Vogelgesang, war es in den Kuppeln recht still, da die kleinen Elektrobusse, die ›Jojos‹ (›Spring auf und wieder ab‹), die für den Transport der Menschen sorgten, fast geräuschlos fuhren.

Als ich die Siedlung nach und nach besser kennenlernte, stellte ich fest, dass dieser bunte Teil nur das ›Touristenviertel‹ darstellte. Jenseits davon, hinter der Percy Lowell-Straße, lag das eher karge, nüchterne Viertel der ständigen Marsbewohner.

Das alles war natürlich von Kuppeln und Baukonstruktionen umschlossen. Draußen lag ein Planet, auf dem man nicht atmen konnte und der aus zerklüfteten Felsen bestand. Mir lief ein Schauer über den Rücken, wenn ich nur hinsah. Im Westen lagen die Ausläufer der Amazonis Planitia, wir befanden uns an ihrem östlichen Rand. Die Kuppeln hatte man am 155. Breitengrad errichtet, achtzehn Grad nördlich des Äquators. Der Ort war windgeschützt. Die heftigen Stürme, von denen die Ausläufer nach Westen hin aufgetürmt worden waren, konnten ihm nichts anhaben. Unser Unterschlupf wies in östliche Richtung, in die Richtung des gewaltigen Olympus Mons. Die klippenartigen Ränder am Fuße des Gebirges waren nur rund 295 Kilometer entfernt. Jeden Abend leuchteten seine durchfurchten Hänge in der bleichen Sonne auf.

Das Pavonis-Observatorium lieferte sofort glänzende Ergebnisse. Die Erforschung der Gasriesen wurde fast zu einem neuen Zweig der Astrophysik. Das Eintauchen in Früh- und Vorzeiten trug zum Verständnis der Geburt des Universums bei. Von der Marsoberfläche aus entsandte Sonden hatten eisenharte Proben eines Ammoniak-Methan-Gemisches vom Pluto mitgebracht. Es enthielt Fremdkörper, die nahelegten, dass dieser ferne Planet seinen Ursprung jenseits des Sonnensystems hatte.

Eine Meteoritenüberwachungsstation nahm den Betrieb auf.

Thomas Gunters Schlierendetektor wurde gerade installiert, als ich meinen ersten Ausflug nach draußen unternahm. Mir war zu Ohren gekommen, dass schlaue Rechtsanwälte an den Einschränkungen herummanipulierten, die das marsianische Recht der wissenschaftlichen Forschung auferlegte. Durch großzügige Auslegung der Bestimmungen wollten sie offenbar durchsetzen, dass, falls nötig, ein größerer Ring gebaut werden konnte. Was auch daran sein mochte: Die Leitung der Forschungsstätte, die fünfhundert Meter von den Kuppeln (dem heutigen Aeropolis) entfernt eingerichtet wurde, hatte der renommierte Teilchenphysiker Dreiser Hawkwood übernommen.

Wegen seiner späteren Bedeutung muss ich an dieser Stelle von einem Gespräch berichten, das irgendwann in jenen frühen Tagen stattfand. Wie die meisten Diskussionen der ersten Jahre wurde es aufgezeichnet, das Dokument ruht jetzt im Archiv des Mars. Vielleicht fanden ähnliche Unterhaltungen auch anderswo statt. Bedeutung erlangten sie im Licht späterer Erkenntnisse.

Vier Wissenschaftler unterhalten sich im Pavonis-Observatorium, das hoch oben auf dem Tharsis-Buckel thront. Die tiefste Stimme ist als die von Dreiser Hawkwood zu erkennen. Er ist ein massiger Mann mit altmodischem Schnauzbart und düsterer Miene.

»Als wir hier hochgefahren sind«, bemerkt eine Frau, »hatte ich dauernd den Eindruck, weiße Objekte zu sehen, so ähnlich wie Zungen. Sie glitten so schnell wie Austern, die in der Speiseröhre verschwinden, unter die Erde. Sagt mir, dass ich geträumt habe.«

»Wir haben festgestellt, dass es auf dem Mars kein Leben gibt. Also hast du geträumt«, erwidert ein Kollege.

»Dann hab ich wohl auch geträumt«, wirft ein anderer ein. »Ich habe ebenfalls gesehen, wie diese weißen Dinger aus dem Boden auftauchten und wieder verschwanden, als wir näherkamen. Das kam mir so unwahrscheinlich vor, dass ich nichts erwähnt habe.«

»Könnten es Würmer sein?«

»Wie das, ohne Mutterboden?«, fragt Dreiser Hawkwood. Er lacht, und seine Kollegen stimmen gehorsam mit ein. »Wir werden mit der Zeit eine natürliche geologische Erklärung für das Phänomen finden. Vielleicht stellen die Dinger eine Art Tropfgestein dar.«

Das vierte Mitglied der Gruppe beteiligt sich bisher nicht an diesem Gespräch. Der Mann sitzt etwas abseits von seinen Freunden und starrt durch das Kantinenfenster auf den Olympus Mons, der nur ein paar Kilometer entfernt ist. »Wir müssen eine Expedition auf die Beine stellen, die sich den merkwürdigen Vulkan ansieht«, bemerkt er. »Die größte Besonderheit auf diesem Planeten – und wir schenken ihr kaum Beachtung.«

Olympus Mons erstreckte sich über eine Fläche von rund fünfhundertfünfzig Kilometern und ragte bis zu 25 000 Metern über der Marsoberfläche auf. Deshalb konnte man ihn schon damals sehen, als nur die Teleskope auf der Erde zur Verfügung standen. Olympus galt als eines der bemerkenswertesten Phänomene im ganzen Sonnensystem. Doch trotz des Interesses der Wissenschaftler schränkte der ständig steigende Bedarf an Sauerstoff und Wasser die Feldforschungsarbeit beträchtlich ein. Der Treibstoff für die Geländewagen bedeutete zusätzlichen Verbrauch von Sauerstoff. Es sollte noch einige Zeit dauern, bis Olympus Mons erforscht wurde – oder wir uns seiner Bedeutung bewusst wurden.

Ich bin nicht daran gewöhnt, mich als Historikerin zu betätigen. Warum habe ich mir diese Aufgabe gestellt? Weil ich damals dabei war, als Tom Jefferies aufstand und erklärte: »Ich werde eine morsche Tür eintreten. Ich werde Licht für die menschliche Gesellschaft hereinlassen. Ich werde dafür sorgen, dass wir das, was wir in unseren Träumen gern sein möchten, auch ausleben: dass wir große und weise Menschen werden – umsichtig, wagemutig, erfindungsreich, liebevoll, gerecht. Menschen, die diesen Namen auch verdienen. Dazu müssen wir nur wagen, das Alte und Schwierige abzuwerfen und das Neue, Schwierige und Wunderbare willkommen zu heißen!«

 

Aber ich greife voraus. Am besten beschreibe ich einfach, wie es in jenen frühen Tagen auf dem Roten Planeten gewesen ist. Ich möchte all die Schwierigkeiten und Einschränkungen festhalten, mit denen wir, die ersten Menschen auf einem fremden Planeten, konfrontiert waren – und all unsere Hoffnungen.

EUPACUS hat uns hierher gebracht, EUPACUS hat diese Reise in jeder Hinsicht bestimmt. Abgesehen von allem, was später falsch lief, muss man einräumen, dass beim Transit der JAE- und VES-Raumschiffe unter ihrer Leitung nie Verluste von Schiffen oder von Leben zu beklagen waren.

Zweifellos war man der Natur oder den ›ewigen Wahrheiten‹, wie eine meiner Freundinnen es ausdrückte, auf dem Mars sehr nahe. Der Mangel an Sauerstoff und Wasser machte einem ständig zu schaffen. Das Wasser war auf dreieinhalb Liter pro Person und Tag beschränkt; die Gemeinschaftswäscherei verbrauchte weitere drei Liter pro Kopf und Tag. Alle erhielten einen gerechten Anteil an den Vorräten. Das hatte zur Folge, dass nur selten ernsthafte Klagen laut wurden. So spartanisch diese Rationierung auch klingen mag: Im Vergleich zur Wassersituation auf der Erde waren wir noch ganz gut dran. Dort hatte sich aufgrund des langsamen, aber stetigen Bevölkerungswachstums der industrielle Bedarf an Frischwasser bis zu dem Punkt entwickelt, an dem das Wasser überall nur noch dosiert abgegeben werden konnte und so teuer wie Maschinentreibstoff mittlerer Güte war. Praktisch bedeutete das für die wirtschaftlich schwache Hälfte der Erdbevölkerung, dass ihr weniger als die marsianische Ration zugeteilt wurde.

Der Zwang, sparsam mit allem umzugehen, führte dazu, dass wir unser Essen gemeinsam einnahmen. Wir setzten uns in zwei Schichten zu Tisch, ließen uns bei unseren kargen Mahlzeiten viel Zeit und versuchten, sie durch Gespräche zu verbessern. Manchmal las uns jemand aus der Gruppe während des Abendessens etwas vor – aber das kam erst später.

Anfangs war ich schüchtern, als ich mitten unter all diesen fremden Menschen, umgeben von Stimmengewirr, herumsaß. Mit einigen dort habe ich mich später angefreundet (allerdings nicht mit Mary Fangold …), mit Hal Kissorian, Youssef Choihosla, Belle Rivers, mit dem lustigen Crispin Barcunda – ach ja, und vielen anderen. Aber glücklicherweise fand ich zufällig einmal neben einer hübschen Frau mit munterem Gesicht aus der Gruppe der JAEs Platz. Mit ihrer dunkelbraunen Lockenmähne wirkte sie völlig anders als ich mit meinen glatten schwarzen Haaren. Sie half mir, meine Schüchternheit zu überwinden. Offenbar sah sie alles, was mit dem Aufenthalt auf einem fremden Planeten zusammenhing, als wunderbares Abenteuer an. Sie hieß Kathi Skadmorr.

»Ich habe wirklich Glück gehabt«, erzählte sie mir. »Ich komme aus einer ganz armen Familie in Hobart, der Hauptstadt von Tasmanien. Ich bin eines von fünf Kindern.«

Das versetzte mir einen Schock. Da, wo ich herkam, waren fünf Kinder gar nicht erlaubt.

»Ich habe mein soziales Jahr in Darwin abgeleistet«, sagte sie, »und für die IWR, die ›International Water Ressources‹, gearbeitet. Dort habe ich viel über die seltsamen Eigenschaften des Wassers gelernt. Zum Beispiel, dass es in festem Zustand weniger wiegt als in flüssigem. Dass es aufgrund der Kapillarwirkung der Erdanziehung zu trotzen scheint. Wie es Licht leitet …« Sie brach ab und lachte. »Ich langweile dich bestimmt mit all dem.«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich habe mich nur gewundert, dass du überhaupt mit mir reden willst.«

Sie sah mich lange und eingehend an. »Wir alle müssen hier wichtige Rollen übernehmen. Die Welt ist zusammengeschrumpft. Ich bin mir sicher, dass auch du eine wichtige Rolle spielen wirst. Du musst sie zu einer wichtigen Rolle machen. Genau, wie ich es vorhabe.«

»Aber du bist so hübsch.«

»Das wird mich nicht daran hindern.« Sie gab ein reizendes Kichern von sich.

Fast alle dieser ersten Marsbewohner waren sich darin einig, dass zum Überleben auf dem Mars eine enge Zusammenarbeit notwendig war. Das einzelne Ego musste sich den Bedürfnissen der ganzen menschlichen Gemeinschaft auf dem Mars unterordnen. Durch regelmäßige Fernsehberichte vom Mars wurde die Welt dort unten (wie wir die Erde mit der Zeit nannten) auf die Gerechtigkeit der marsianischen Verwaltung und unsere egalitäre Gesellschaft aufmerksam. Sie hoben sich in bemerkenswerter Weise von der Ungerechtigkeit und Ungleichheit auf der Erde ab.

 

Ich will hier nicht von meinen eigenen Problemen erzählen, aber die Reise von der Erde zum Mars hatte mich ziemlich aus dem Gleis geworfen – so sehr, dass man mich an eine Psychurgin überwiesen hatte, eine Frau namens Helen Panorios. Helen hatte eine düstere kleine Kabine auf einem der äußeren Wohntürme, dort empfing sie ihre Patienten. Sie war eine stämmige Frau mit knallrot gefärbtem Haar. Ich sah sie nie anders als in einem schwarzen, zeltartigen Overall. Sie war eine sanftmütige Frau und interessierte sich offenbar tatsächlich für meine Probleme. Die sechsmonatige Reise im Kälteschlaf hatte mich, wie ich ihr erklärte, in einen Angstzustand versetzt. Ich hatte mich von meinem Leben gelöst, und es gelang mir anscheinend nicht, mich wieder mit meinem Selbst zu verbinden. Es hatte etwas mit meiner Persönlichkeit zu tun.

»Manche Menschen verabscheuen diese Erfahrung, andere genießen sie als eine Art spirituelles Abenteuer. Man kann sie als einen Tod betrachten, allerdings ist es ein Tod, von dem man auferweckt wird – manchmal mit einem neuen Verständnis von sich selbst.« Das sagte sie mir wieder und wieder. Im Grunde sagte sie damit, dass die meisten Menschen den Kälteschlaf als neue Erfahrung akzeptierten. Schon die Reise zum Mars und die Ankunft auf dem Mars waren ganz neue Erfahrungen.

Nun ja, ich war inzwischen so weit, dass ich bereits beim Namen EUPACUS zusammenzuckte. Der Gedanke, mich auf der Heimreise zurück zur Erde noch einmal dieser Prozedur unterziehen zu müssen, die mein Ich auslöschte, machte mich starr vor Angst. Es musste doch einen besseren Weg geben, Abermillionen von Raummeilen zu durchqueren – die Matrix zu durchqueren, wie es jetzt hieß. Die interstellare Matrix wimmelte nur so von Strahlungen und Teilchen, deshalb hatte inzwischen schon aufgrund bloßer Erfahrung der Ausdruck ›Raum‹ einen altmodisch-viktorianischen Beigeschmack.

Der Reiseverkehr zwischen Erde und Mars nahm ständig zu, besser gesagt: er nahm zu, bis die Katastrophe eintrat. Das Reisebüro Marvelos, eine Tochtergesellschaft von EUPACUS, hatte alle Hände voll zu tun, um die Nachfrage zu befriedigen. Raumschiffe wurden mit behördlicher Genehmigung im Erdorbit montiert. Praktisch jede Industrienation war an ihrem Bau beteiligt – und wenn die Beteiligung nur darin bestand, Kissen für die sargähnlichen Kojen herzustellen. Die Raumschiffe – allesamt höchst aufwendig ausgestattet und doppelt und dreifach gesichert – waren milliardenschwere Objekte. Die Kapitalgeber scheuten davor zurück, in eine noch schnellere Entwicklung zu investieren. Unter dem Dach von EUPACUS wurden ständig Unternehmen aufgekauft oder Fusionierungen vorangetrieben.

Helen sprach mit mir die Reise von A bis Z durch. Die Raumfähren des Konsortiums brachten die Passagiere von der Erde zu den interplanetarischen Raumschiffen, die sich im Orbit um Erde und Mond aufhielten. Mir war von Anfang an übel, trotz der druckausgleichenden Medikamente. Ich bin wirklich nicht sonderlich für solche Reisen geeignet. Dann legten wir bei den Passagierschiffen an, allgemein als ›Kühlwaggons‹ bekannt. Den seltsamen Geruch in einem solchen Kühlwaggon vergisst man nie. Ich glaube, sie lassen darin irgendein Narkotikum zirkulieren.

»Ich mochte es gar nicht, dass die Kabinen so nach Kühlsärgen aussahen«, erzählte ich Helen. Noch ehe sich das Schiff aus der Umlaufbahn gelöst hatte, tauchte man in das dunkle Niemandsland des Kälteschlafs ab, während die Körperfunktionen sich verlangsamten. Das versetzte mich in Angst und Schrecken …

»Darauf hat man dich doch vor Reiseantritt vorbereitet, meine liebe Cang Hai«, erwiderte Helen. »Du weißt, dass wir uns immer noch in dem Stadium befinden, in dem wir alle unnötigen Kosten vermeiden müssen. Der Kälteschlaf der Passagiere spart Nahrungsmittel und Wasser ein, und man braucht nicht viel Sauerstoff. Andernfalls, nun ja, könnten eben keine Reisen stattfinden …«

Ich durchlebte noch einmal den rasend schnellen Aufstieg von der Erde. Bei den meisten Leuten war die Abenteuerlust stärker als irgendwelche Gefühle von Übelkeit, nicht bei mir. 256 Kilometer über uns zeichnete sich bedrohlich der fassförmige Umriss des Kühlwaggons ab, der in seiner Umlaufbahn dahin glitt. Von unten hatte er klein gewirkt, jetzt war sein Umfang einschüchternd. Die Zulassungsnummer war mit riesigen Ziffern auf die Außenhülle gemalt. Man muss zugeben, dass es in Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der sich beide Flugkörper bewegten, ein sauberes Manöver war – beim Andocken war kaum ein Knacken zu hören. Kurz bevor wir in den Waggon hinüberwechselten, riskierte ich einen letzten Blick nach draußen, auf die Erde, die wir jetzt hinter uns ließen. Kühlwaggons haben keine Aussichtsluken.

Ich konnte nicht anders, als ein paar Tränen zu vergießen, während ich das erzählte. Wie eine Mutter (die ich nie gehabt habe) legte mir Helen zärtlich eine Hand auf die Schulter. Sie sagte nichts. Auf der Erde hatte ich meine andere Hälfte zurückgelassen. Da unten, in Chengdu. Das würde niemand verstehen können.

Sobald wir uns in dem seltsam riechenden Innenraum befanden, in dem überall das leise Rauschen irgendwelcher Maschinen zu hören war, führte man uns zu einer kleinen Kabine, genauer gesagt: in einen Umkleideraum. Dort zog man sich unter Aufsicht eines geschlechtslosen Androiden aus, verstaute seine Habseligkeiten und unterzog sich einer Strahlendusche. Es war fast so, als bereite man sich auf den Gang in die Gaskammer vor. Auf Anweisung des Androiden musste man als nächstes die bloßen Füße in Wandrillen festschnallen und die Stangen in der gewölbten Wand oberhalb des Kopfes fest umklammern. Dann schwang die kleine Kabine herum und rollte zu einer leeren Sargzelle. Dazu spielte Musik: die Arie ›Über meinen Füßen will Rosen ich genießen‹ aus Delaports Oper ›Superspielzeuge‹. Danach kann man sich aus irgend einem Grund kaum noch bewegen. Überwachungsgeräte entrollen sich wie Schlangen. Winzige Saugnäpfe pressen sich an den Körper. Ehe der Waggon die Umlaufbahn verlässt, sinkt die Körpertemperatur etwa nahezu auf die Temperatur von tiefgefrorenem Fleisch. Man könnte genauso gut tot sein. Man ist tot.

Helen und ich sprachen die Desorientierung durch, die ich erlebte, als ich in der Umlaufbahn des Mars wieder erwachte – während wir über das Durcheinander aus Felsgestein, Wüste und uraltem, zerklüftetem Land hinwegrasten. »Man muss sich wohl wirklich gern auf neue Erfahrungen einlassen, um überhaupt so weit zu kommen!«, sagte ich irgendwann.

Als uns die Katastrophe traf, waren diejenigen, die sich gern auf neue Erfahrungen einließen, wirklich gut vorbereitet. Und das wirkte sich nachhaltig auf alle weiteren Geschehnisse aus.

Helen hielt mir gern Vorträge. Sie nannte es ›einen Zusammenhang herstellen‹. Marvelos organisierte zwei Arten von Marsreisen, mit jeweils unterschiedlichem Rückreise-Modus: Mit KRT (dem ›Konjunktion-Rückreise-Ticket‹) startete man dann, wenn Erde und Mars in Konjunktion standen, mit ORT (›Opposition-Rückreise-Ticket‹), wenn sie sich in Opposition befanden. In jedem Fall dauerte die Hinreise ein halbes Jahr. Es war unvermeidlich, dass man diese Reisen im Kälteschlaf hinter sich bringen musste. (Vielleicht sollte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass ich mit ›Jahr‹ immer ›Erdjahr‹ meine. Die Erde hat dem Denken auf dem Mars genauso ihre Zeitrechnung aufgedrängt, wie den meisten Nationen der Erde der christliche Kalender aufoktroyiert worden war, ob sie nun christlich waren oder nicht. Auf die übrigen Aspekte des marsianischen Kalenders komme ich später zu sprechen.) Die Schwierigkeit lag in der Organisation der Rückreisen. Helen wurde bei diesem Punkt ganz aufgeregt. Sie zeigte mir Vidaufnahmen. Während man mit ORT ein ganzes lästiges Jahr für die Rückreise brauchte, dauerte sie mit KRT nur sechs Monate – nicht länger als die Hinreise. Der Haken dabei war, dass ORT-Reisende nur dreißig Tage auf dem Mars verbringen konnten (was allgemein jedoch als durchaus ideale Aufenthaltsspanne angesehen wurde), während KRT einen Marsaufenthalt von mehr als anderthalb Jahren erforderlich machte. Für mich war ORT gebucht worden, und schon der bloße Gedanke an die Rückreise machte mich schaudern. Helen hatte KRT gebucht, also würde sie achtzehn mal länger als ich von der Erde weg sein. Zwar stand ich mit meiner anderen Hälfte in Chengdu in Verbindung, aber eine so lange Trennung hätte ich nicht ertragen können. Und jetzt stellte ich fest, dass ich die Aussicht auf das lange Jahr im Kälteschlaf nicht ertragen konnte.

Natürlich hatte jeder, der zum Mars kam, diese Entscheidungen vorab treffen müssen. Doch trotz solcher Hindernisse bewarben sich von Monat zu Monat mehr Menschen für die Flüge, denn die meisten Heimkehrer erzählten von einer Erfahrung, die für sie das größte emotionale Erlebnis ihres bisherigen Lebens gewesen war. Die Vereinten Nationalitäten und EUPACUS hatten sich also auf eine Begrenzung der Anzahl an Marsreisenden geeinigt. Wer zum Mars wollte, musste seine Unbescholtenheit nachweisen.

Die Vorbereitungen für den Flug waren umständlich und langwierig. Je größer EUPACUS wurde, desto bürokratischer und verwirrender wurde alles gehandhabt. Allerdings wurde es schnell zur Regel, dass nur zwei Personenkategorien überhaupt zugelassen wurden, und selbst dann mussten sie ganz bestimmte Kriterien erfüllen. (Ausgenommen war nur das Personal, das man für die öffentlichen Dienste auf dem Mars benötigte.) Den Hauptanteil machten die JAEs aus, die Jungen Aufgeklärten Erwachsenen. Genau wie Kathi Skadmorr zählte ich zu dieser Kategorie, und ich hatte ein grässliches Jahr mit der Aufzucht von Hunden in der Mongolei zugebracht, um mich zu qualifizieren. Außerdem erfüllten die VES, die Verdienstreichen Senioren (die Taiwanesen hatten diese Bezeichnung eingeführt) die gesetzlichen Anforderungen. Tom Jefferies war ein VES.

Sobald diese Besucher auf dem Mars ankamen – ich rede hier davon, wie es in den 2070er Jahren gehandhabt wurde –, mussten sie sich eine Woche lang der Revitalisierung und Akklimatisierung, der verhassten ›R&A‹-Prozedur, unterziehen. Es konnte auch vorkommen, dass sie Gespräche mit einem Psychurgen führen mussten. ›R&A‹ fand im Empfangsgebäude statt (wie es damals genannt wurde), einer Kombination aus Krankenhaus und Pflegestätte. Die Leiterin war Mary Fangold. Ich kam mit ihr nicht aus. Das war in Amazonis. Später wurden auch anderswo Empfangsgebäude eingerichtet.

»Im Krankenhaus«, erinnerte mich Helen, »wurdest du einer Physiotherapie unterzogen, sie sollte möglichen Schäden an Knochen und Gewebe entgegenwirken und deine Gesundheit völlig wiederherstellen. Warum hast du dich nicht an Ort und Stelle auf eine psychurgische Behandlung eingelassen?«

An diesem Punkt musste ich ihr gegenüber zugeben, dass ich anders als andere Menschen bin.

»In welcher Hinsicht anders?«

»Einfach … anders.« Ich wollte nicht deutlicher werden, was möglicherweise ein Fehler war.

Wenn man in der Geschichte nicht bewandert ist, mag es verwundern, dass überhaupt jemand all diese anstrengenden Reisebedingungen auf sich genommen hat. Tatsache ist, dass Menschen fast jede Unannehmlichkeit und Gefahr auf sich nehmen, um einen neuen Ort zu entdecken. In der Geschichte der Menschheit ist das immer so gewesen. Außerdem muss man berücksichtigen, dass sich auf der Erde eine Epoche ihrem Ende näherte. Die früher weit verbreitete Hoffnung, im materiellen Überfluss leben zu können, war dahin. Weder Ausbeutung noch Eroberung oder technologische Entwicklung würden ein solches Leben künftig garantieren. Die Gattung Mensch hatte sich als Heuschreckenschwarm erwiesen, der sich weigerte, seine Fortpflanzungslust und Habgier zu bremsen. Aus dem Erdball und seinen Gewässern hatten die Menschen fast alles, was gut war, herausgesaugt. Die angenehmen Zeiten des 20. Jahrhunderts, als der individuelle Reiseverkehr per Straße, Schiene oder Wasser noch gang und gäbe war, waren ein für allemal vorbei. Deshalb bedeuteten die rauen Bedingungen auf dem Mars für junge Menschen, für uns JAEs, eine Herausforderung – und eine Einladung. In unseren Augen war die Erfahrung, auf dem Mars zu leben, sich mit dem Mars zu identifizieren, es allemal wert, im Vorfeld so viel Zeit in den Gemeinschaftsdienst und die Reise durch die Matrix zu investieren. Aber irgendwie war es bei mir … nun ja, anders. Wahrscheinlich brauchte ich einfach länger, um mich an die Bedingungen auf dem Mars zu gewöhnen. Es hatte mit meiner Persönlichkeit zu tun.

 

Uns steht eine Videoaufzeichnung des Berichtes einer früheren Marsbesucherin, der dreiundzwanzigjährigen Maria Gaia Augusta, zur Verfügung, wo es wie folgt heißt:

»Oh, es war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Ich möchte Reiseschriftstellerin werden. Den Gemeinschaftsdienst zur Qualifizierung als JAE habe ich im australischen Busch abgeleistet. Dort habe ich neue Waldgebiete aufgeforstet und gehegt. Ich war für die Abwechslung dankbar. Im Hinterkopf hatte ich mir vorgenommen, Material über den Mars zu sammeln, um ein verkaufsträchtiges Buch zu schreiben. Ich meine, der Mars war damals für mich ja nur irgendein düsterer Felsbrocken am Himmel. Ich begriff nicht, was daran so reizvoll sein sollte, außer dass er Neugier weckte. Aber als ich dann wirklich dort war … nun ja, es war eine andere Welt, wirklich anders. Ein anderes Leben, wenn man so will.

Wissen Sie, was die Marsoberfläche ist? Zu Stein erstarrte Einsamkeit, steinharte Einsamkeit.

Selbstverständlich musste man sich einschränken, aber das gehörte eben dazu. Mir gefielen all die phantasievoll gestalteten Kuppeln, die sie jetzt in Amazonis Planitia hochziehen. Wirklich mitten in der Wüste. Der Anblick versetzt einen in die Stimmung von Tausendundeiner Nacht. Und man denkt: Meine Güte, was haben die Araber früher genügsam gelebt. Das schaffe ich doch auch. Und man schafft es.

Während der Revitalisierungs- und Akklimatisierungsphase nach der Landung habe ich die vorgeschriebenen Aerobic-Kurse mitgemacht, nach und nach hat's mir Freude gemacht. Ich hatte ein bisschen Übergewicht mitgeschleppt. Bei verringerter Schwerkraft sind Aerobic-Übungen echt verrückt, ein großer Spaß. Dabei habe ich einen ganz süßen Jungen kennengelernt, Renato aus San Francisco. Wir haben uns gut verstanden. Der Sex bei verringerter Schwerkraft hat uns Spaß gemacht. Vielleicht haben wir ein paar Positionen erfunden, die nicht einmal im Kamasutra stehen. Wenn wir in ein paar Jahren die Jupitermonde besiedeln, wird man den Mars vergessen können. Da draußen wird der Sex bestimmt toll sein, bei so geringer Schwerkraft! Bis dahin hat der Mars in dieser Hinsicht wohl noch am meisten zu bieten.

Renato und ich ließen uns für eine vierköpfige Expedition ins Gebiet jenseits der Kuppeln vormerken. Damals waren vier Teilnehmer üblich. Ich weiß, dass es heute anders ist. Zweier-Expeditionen hielt man für zu riskant, es hätte ja einer krank werden können. Nicht, dass es auf dem Mars besonders viele Krankheiten gibt, aber man kann ja nie wissen.

Wir sind nicht besonders weit gekommen, nur bis Margarite Sinus, Richtung Äquator, wegen der Treibstoffrationierungen. Aber das reichte auch. Natürlich gehörte zu jeder kleinen Vierer-Expedition auch eine Forschungsausrüstung – der Geländewagen sah wie ein kleines Labor aus und war mit Kameras, Elektrolysegeräten und weiß Gott was ausgestattet. Natürlich auch mit Funk, damit wir uns auf dem laufenden halten konnten und eventuelle Warnungen vor Staubstürmen mitbekamen. Wir erkundeten die Canyons in Margarite und stießen auf eine große Felswand, die der Wind glatt poliert hatte. Renato und ich waren von einer verrückten Idee besessen. Wir schlüpften in Schutzanzüge – die muss man dort tragen, der Luftdruck beträgt etwa zehn Millibar, auf der Erde dagegen tausend Millibar – jedenfalls konnte man die Luft nicht atmen. Aus dem Gepäckraum des Wagens holten wir Farbe. Dann stiegen wir aus und machten uns daran, die Felswand zu verschönern. Das andere Paar hat auch mitgemacht. Da waren wir tatsächlich ganz allein unter freiem Himmel! Es war unglaublich!

Wir malten einen reizenden, leuchtenden Marsdrachen, einen Drachen, der hoch zu den Sternen fliegt. Wir haben bis zum Einbruch der Nacht gearbeitet und nur rote, grüne und goldene Farben verwendet. Um unser Werk zu vollenden, mussten wir sogar noch die Wagenscheinwerfer einschalten. Bei all dem hatten wir eine Art … na ja, fast hätte ich ›religiöses Gefühl‹ gesagt. Als wären wir Ureinwohner des Mars und damit beschäftigt, den Felsen mit heiligen Hieroglyphen zu versehen.

Als wir dann wieder im Basislager waren, haben wir Fotos von dem Drachen herumgezeigt. Damit hätten wir fast eine Panik ausgelöst. Manche dachten, das sei wirklich das Werk marsianischer Ureinwohner! Wider jegliche Wahrscheinlichkeit, natürlich, aber manche Leute sind eben rettungslos abergläubisch.

Nein, die Zeit auf dem Mars habe ich wirklich genossen. Es war ein völlig anderes Leben. Eine Erfahrung, die mich geprägt hat. Ich wäre so gern mal allein da draußen gewesen oder nur mit Renato, doch das galt als zu riskant, jedenfalls bis zu meinem letzten Monat da oben. Nur das Gefühl, nachts da draußen zu sein, in der Wüste, in einem Sauerstoffzelt … man kann es gar nicht in Worte fassen. Man ist allein im Kosmos. Die Sterne rücken näher, sie berühren einen beinahe. Man wünscht sich, dass sie den ganzen Körper durchdringen, man möchte sie in sich aufnehmen …

Es ist eine widersprüchliche Erfahrung. Einerseits ist man völlig isoliert – man könnte der einzige Mensch sein, der je gelebt hat. Und dennoch empfindet man sich zutiefst mit allem anderen verbunden. Man weiß, dass man – wie soll ich es ausdrücken –, nun ja, dass man irgendwie ein integraler Bestandteil des Universums ist. Das Bewusstsein des Universums. So, als sei man das mit Sehkraft begabte Auge dieses unermesslich weiten Dingsda dort draußen … Ich hab ja gesagt, es ist widersprüchlich. Ich meine, die Wahrnehmung kommt einem widersprüchlich vor, weil man so etwas noch nie erlebt hat. Und man wird es auch nie vergessen. Als trage die Seele ein Brandmal oder so …

Oh, selbstverständlich gab es auch Dinge, die ich da draußen vermisst habe. Es gab Dinge, auf die ich verzichten musste, ohne sie zu vermissen, und andere Dinge, die mir wirklich fehlten. Welche? Oh, mir haben die Bäume gefehlt. Die Bäume haben mir anfangs sogar sehr gefehlt. Aber mein Leben hat sich verändert, seit ich dort war. Ich kann nie wieder dort hin, aber ich werde den Mars auch nie vergessen. Aufgrund dieser Erfahrung bemühe ich mich, ein besseres Leben zu führen. Und das ist gar nicht so leicht bei dem Chaos, das wir hier unten auf der Erde haben.«

Damit endet die Aufzeichnung.

Die von Maria Gaia Augusta erwähnten phantasievoll gestalteten Kuppeln sind die runden Außentürmchen auf den gleichförmig gestalteten Unterbauten, die den Grundstock für das bildeten, was mit der Zeit ›Mars City‹ beziehungsweise ›Areopolis‹ werden sollte. Die Einförmigkeit dieser Bauelemente wurde durch miteinander verbundene, vierflächige Strukturen aufgelockert. Sie sahen so ähnlich aus wie die Bauten, die einige Jahre zuvor im Norden Sibiriens entstanden waren. Vom Orbit aus stach diese ausladende Architektur, die sich mit ihrem weißen Anstrich scharf vom bräunlichen Regolith des Mars abhob, regelrecht ins Auge.