DREIZEHN
Was ist das, Daddy?« Erschrocken von dem schrillen Alarm setzte Danny sich auf. Seine Augen wirkten schläfrig und doch furchterfüllt. »Was ist los?«
»Ich weiß es nicht, Kumpel. Wart einen Moment. Ich schau mal nach.«
Jim sprang aus dem Bett und schlüpfte in seine Jeans. Draußen herrschte Tumult: Leute rannten den Flur entlang, laute Stimmen waren zu hören. Jim öffnete die Tür. Barfuß und ohne Hemd schauderte er im kalten Luftzug der Klimaanlage. Der Alarm heulte unvermindert aus dem Lautsprechersystem des Gebäudes.
Ein übergewichtiger Mann hastete an ihm vorbei. Jim packte ihn an der Schulter.
»Sir, können Sie mir sagen, was hier los ist?«
Der Mann war außer Atem und blickte ihn mit mürrischer Miene an. »Notstandsversammlung, Kumpel. Genau wie bei den Übungen. Unter welchem Stein haben Sie denn gepennt?«
»Ich bin neu hier. Wir sind eben erst eingetroffen …«
»Oh, tut mir leid. Tja, wie ich sagte, eine Notstandsversammlung wird einberufen. Das heißt, dass sich alle sofort im Versammlungsraum einfinden sollen. Und um diese Uhrzeit werden nie Übungen durchgeführt. Was immer also los ist, es muss echt sein. Sehen Sie besser zu, dass Sie sich auch auf die Beine machen.«
Damit riss der Mann sich los und eilte weiter, bevor Jim ihn fragen konnte, wo der Versammlungsraum war. Jim besann sich vage, ihn während des Rundgangs durch das Gebäude mit Smokey gesehen zu haben, aber er konnte sich nicht erinnern, in welchem Stockwerk der Raum lag.
Jim ging zurück in die Wohnung und schloss die Tür, als der Alarm verstummte.
Danny saß im Bett, wirkte klein und zerbrechlich. »Gibt es Ärger, Daddy? Kommen die Monsterleute?«
»Ich weiß es nicht, Großer. Bestimmt ist alles in Ordnung. Wahrscheinlich nur eine Übung.«
Danny sah verwirrt drein. »Du meinst, wie eine Feuerübung? So etwas hatten wir in der Schule. War irgendwie lustig.«
»Weißt du was? Du ziehst dich einfach an, und wir sehen nach, was vor sich geht.«
»Okay.«
Danny kletterte aus dem Bett. Sein Haar war zerzaust, sein Gesicht vom Kissen zerfurcht. Er schlüpfte aus dem Pyjama und in Kleidung, die Jim ihm zurechtgelegt hatte. Während er sich anzog, streifte Jim ein Hemd über, dann Socken und Arbeitsstiefel. Es fühlte sich seltsam an, das schwere Schuhwerk mit den Stahlkappen wieder zu tragen, dieselben staubigen, vom Wetter gezeichneten Stiefel, die ihn aus West Virginia hierher getragen hatten. Abermals musste er an Martin denken. Und an Frankie.
Frankie …
Jim überlegte, ob sie nach ihr sehen sollten. Wenn es Schwierigkeiten gab, mussten sie sich vergewissern, dass sie in Sicherheit war und wusste, was vor sich ging. Plötzlich verspürte er das Aufflammen einer namenlosen Angst.
»Daddy?«
»Was ist, Danny?«
»Ich mache mir Sorgen um Frankie.«
Auch Danny spürte es, was immer es war.
»Ich auch.«
»Vielleicht sollten wir nach ihr sehen«, schlug Danny vor. »Um sicher zu sein, dass es ihr besser geht.«
»Ich denke, das ist eine gute Idee. Gehen wir.«
Jim schloss die Tür hinter ihnen. Der Flur war verstopft mit Leuten, und die beiden drängten sich mit den Ellbogen durch die Menge. Danny umklammerte Jims Hand, damit sie nicht getrennt wurden.
Es dauerte zehn Minuten, um zu einem Fahrstuhl zu gelangen, der nicht nach unten fuhr. Sie stiegen ein, und der Aufzug setzte sich aufwärts in Bewegung. Während sie warteten, steigerte sich Jims Anspannung.
Danny drückte seine Hand.
Jim lächelte und versuchte, seinem Sohn zuliebe tapfer zu sein. Obwohl ihm ganz anders zumute war.
DiMassi rülpste und sagte: »Was’n los, Leute?«
Branson nickte ihm zu, schwieg aber. Er beobachtete weiter den Korridor.
»Ich dachte, du hättest Tuberkulose oder so’n Scheiß«, meinte Carson. »Was tust du hier?«
»Quatsch, mir geht’s bestens«, entgegnete DiMassi und hustete. »Forrest hat gesagt, ich soll im Laufschritt hier oben antraben. Was ist bloß los, zum Henker? Hoffentlich ist es wichtig. Ich hatte gerade geschlafen.«
Branson zuckte mit den Schultern und kämpfte ein Gähnen zurück. Carson funkelte den übergewichtigen Piloten finster an.
»Hör mir jetzt gut zu«, flüsterte Quinn. »Ramsey hat den Verstand verloren.«
»Wie war das?« Der Bauch des fettleibigen Piloten hing über den Gürtel und waberte, als er lachte. Er stank nach Schweiß und Zigarettenrauch.
»Das ist mein voller Ernst«, beharrte Quinn. »Das ganze verfluchte Gebäude leidet an einer Art Lagerkoller. Alle werden allmählich verrückt. Auch Maynard und Kilker sind heute ausgerastet.«
Bei der Erwähnung der beiden verdüsterten sich Carsons Züge noch mehr.
»Tut mir leid, Mann«, entschuldigte sich Quinn, bevor er sich wieder DiMassi zuwandte. »Maynard hat versucht, Carson und Dr. Stern umzubringen, und Kilker ist heute Morgen vom Dach gesprungen.«
DiMassi drehte sich zu Carson. »Stimmt das, Schwuchtel?«
»Ja.« Der junge Mann nickte zur Bestätigung. »Und ich hab dir schon mal gesagt, du fettes Arschloch, dass du mich nicht Schwuchtel nennen sollst.«
»Hört auf damit, alle beide«, fuhr Quinn zornig dazwischen. »Für diesen Mist haben wir keine Zeit. Mr. Ramsey ist ebenfalls übergeschnappt. Er ist nicht mehr imstande, das Kommando zu führen, und anscheinend bahnt sich etwas Großes an. Bates will, dass wir uns Ramsey schnappen.«
»Und ihn erledigen?«, fragte DiMassi.
Quinn schüttelte den Kopf. »Nein, wir sollen ihn nur in Gewahrsam nehmen. Dr. Stern hat einen sicheren Raum vorbereitet, in dem wir ihn einsperren können.«
»Und was ist diese große Sache, die ablaufen soll?«, wollte Carson wissen.
Branson versteifte sich und schaute zu Quinn. Der rothaarige Pilot zuckte mit den Schultern.
»Eine Armee ist unterwegs hierher«, berichtete Branson, während er sich mit dem Hemdsaum die Brille putzte. »Eine Zombiearmee. Sie haben schwere Geschütze – Panzer, Bradleys, die ganze Palette.«
»Scheiße«, stieß Carson hervor. »Wann werden sie ungefähr eintreffen?«
»Jeden Moment.«
DiMassi grinste spöttisch. »Schifferscheiße. Da bin ich grade mal ein paar Tage außer Gefecht, und dieser ganze Ort hier wird verrückt. Wie sieht Obermacker Bates’ Plan gegen diese Armee aus?«
»Keine Ahnung«, gestand Quinn. »Ich weiß nur, dass wir unsere Befehle haben.«
»Mir kommt es nicht richtig vor«, brummte DiMassi, »Mr. Ramsey einzusperren. Ich meine, wir reden hier von Darren Ramsey. Der Kerl ist eine Berühmtheit. Ein Milliardär. Vielleicht irrt sich Bates. Habt ihr schon mal daran gedacht?«
Die anderen Männer erwiderten nichts. Mit gezogenen Waffen schlichen sie den Flur entlang. Quinn holte eine Schlüsselkarte hervor, die Bates ihm gegeben hatte, und schob sie in die Bürotür. Geräuschlos öffnete sich die Tür. Das Büro dahinter präsentierte sich stockdunkel. Die Klimaanlage summte leise vor sich hin.
Quinn blieb zurück, während Carson und Branson in den Raum stürmten. Quinn folgte ihnen tief geduckt. DiMassi bildete das Schlusslicht und schaltete das Licht ein. Es sah aus, als wäre ein Wirbelsturm durch das Büro gefegt. Der Computermonitor lag zerbrochen auf dem Boden, das Gehäuse des Rechners selbst war verbeult. Überall lagen Papierschnipsel wie Konfetti verstreut. Der Inhalt des Schreibtisches war über den Fußboden verteilt. Stühle und Lampen waren umgeworfen worden, und überall lag Erde der ebenfalls umgestürzten Topfpflanze.
Quinn deutete auf Branson und zeigte zur Tür der Toilette, dann gab er Carson ein Zeichen, den Schrank zu überprüfen.
»Alles klar hier, Leute«, erklärte Carson.
»Hier ist er auch nicht«, meldete Branson.
»Warum sollte Mr. Ramsey in seinem eigenen Büro derart wüten?«, fragte DiMassi.
»Weil er«, erwiderte Quinn, während er einige Dokumente durchkramte, »wie ich schon sagte, eine Art Zusammenbruch erlitten hat.«
»Woher wissen wir, dass Bates das nicht getan hat? Vielleicht ziehen er und Forrest eine Verschwörung ab.«
»Jetzt mach aber mal halblang, DiMassi«, knurrte Branson. »Glaubst du wirklich, Bates würde über so etwas lügen?«
»Würde mich nicht im Geringsten überraschen. Jedenfalls ergäbe das mehr Sinn als diese gequirlte Scheiße darüber, dass Mr. Ramsey wahnsinnig geworden ist.«
»Das ist blanker Unsinn, und das weißt du«, herrschte Carson ihn an. »Du bist doch bloß sauer über den Anschiss, den du von Bates letzten Monat gekriegt hast, weil du ohne Genehmigung den Helikopter genommen hast.«
»Halt’s Maul, Carson«, warnte DiMassi.
»Wieso? Stimmt doch. Du hast dieser blonden Lehrerin ’nen Rundflug spendiert, damit sie dich ranlässt.«
»Wenigstens lässt mich ’ne Frau ran, du verdammte Schwuchtel.«
Carson preschte mit geballten Fäusten durch den Raum. Seine Augen blitzten vor Wut.
Quinn ging dazwischen.
»Schluss damit, alle beide! Wir haben eine Aufgabe zu erledigen. DiMassi, du bleibst für den Fall hier, dass Ramsey zurückkommt.«
»Aber ich …«
»Carson. Branson. Ihr kommt mit mir. Wir überprüfen den Rest des Stockwerks.«
»Quinn«, protestierte DiMassi, »das ist absoluter Blödsinn! Wenn sich wirklich eine beschissene Armee darauf vorbereitet, uns anzugreifen, sollten wir dagegen etwas unternehmen, statt nach dem alten Mann zu suchen.«
Die beiden Piloten bauten sich voreinander auf. Quinn trat näher, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von jenem DiMassis entfernt war. Der Atem des fettleibigen Piloten stank, und auf seiner Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Quinn rümpfte angewidert die Nase.
»Ich habe dir gesagt«, zischte er, »dass Bates die Lage unter Kontrolle hat. Wenn du dir also Disziplinarmaßnahmen ersparen willst, sobald all das vorbei ist, schlage ich vor, dass du tust, was man dir sagt. Wir sind nicht auf dich angewiesen, DiMassi. Falls du es vergessen hast, auch Steve und ich können den verdammten Vogel fliegen. Alles klar?«
DiMassi wich zurück. »Ja, Mann. Alles cool. Scheiße, Quinn, du brauchst mir doch nicht gleich den Kopf abzureißen.«
Quinn ignorierte ihn und stapfte aus dem Büro. Carson und Branson folgten ihm. Auf dem Weg nach draußen blies Carson DiMassi eine Kusshand zu und knickste.
»Nenn mich noch mal eine Schwuchtel, wenn all das vorüber ist, du fette Qualle.«
Ein Bleistift zerbrach unter DiMassis Fuß. Er stellte Ramseys Lederstuhl auf und ließ sich darauf plumpsen. Die Federn ächzten unter seinem Gewicht. DiMassi legte die Pistole auf den Schreibtisch und knackte mit den Knöcheln. Seine Schultern sackten herab. Bald darauf schloss er die Augen und döste ein.
Ein paar Minuten später öffnete er die Lider, als er den kalten Lauf einer Schusswaffe am Hinterkopf spürte.
»Mr. DiMassi«, flüsterte Ramsey, »ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich nicht bewegen. Mein Büro ist bereits in Unordnung. Es wäre jammerschade, es zusätzlich mit Ihrer Gehirnmasse zu verschandeln.«
Gähnend und verwirrt sah Don sich in dem Getümmel um und versuchte, in dem überfüllten Versammlungsraum einen Sitzplatz zu finden. Die Reihen waren voll, und weitere Leute standen hinten und in den Gängen. Es war Dons erster Eindruck davon, wie viele Menschen tatsächlich im Wolkenkratzer lebten. Halb wach wie er selbst wankten sie umher und fragten sich, was los war. Die Geräusche von raschelndem Papier und nervösem Getuschel beherrschten den Raum.
Don suchte in der Menge nach vertrauten Gesichtern. Weder Jim noch Danny waren zu sehen, und er überlegte, wo sie stecken mochten. Dann fiel ihm Frankie ein. Er fragte sich, ob es ihr gut ging, und verdrängte den Gedanken sogleich wieder. Sein Schädel brummte. Er war mit einem Kater erwacht und musste feststellen, dass er kaum geschlafen hatte, bevor der Alarm ertönt war.
»Don! Hey, Don!«
Smokey winkte ihm vom vorderen Bereich des Raumes zu. Don schlängelte sich den Gang hinab, dann durch die Reihe und entschuldigte sich bei jedem, an dem er sich vorbeidrängte. Er nahm auf einem Sitz zwischen Smokey und Etta Platz. Etta hatte noch ihre Lockenwickler angelegt. Neben ihr hockte Leroy mit halb geöffneten Augen und umwölkter Miene.
»Wo sind deine Freunde?«, erkundigte sich Smokey.
»Frankie ist wohl noch auf der Krankenstation. Wo Jim und Danny stecken, weiß ich nicht. Was ist eigentlich los?«
»Notstandsversammlung.«
»Ich hoffe, das ist keine weitere dieser gottverdammten Übungen«, raunte Leroy.
»Das glaube ich kaum«, murmelte Smokey. »Ist euch nicht aufgefallen, wie besorgt Forrest heute Nacht schien, als er bei unserem Kartenspiel vorbeigeschaut hat? Da ist was im Busch.«
»Irgendeine Ahnung was?«, fragte Don.
»Ich schätze, das werden wir gleich erfahren«, meinte Etta und nickte nach vorne.
Bates betrat die Bühne, begleitet von Forrest und Stern. Zwar ertönten vereinzelte Jubelrufe, kurzer Beifall und ein paar schrille Pfiffe; insgesamt jedoch schien die Zuhörerschaft in gedämpfter Stimmung zu sein. Ohne innezuhalten, ging Bates zum Podium und sprach in das Mikrofon.
»Guten Morgen.«
Das Pfeifen einer elektronischen Rückkoppelung ging durch Mark und Bein. Bates setzte kurz ab, dann wiederholte er die Begrüßung.
»Guten Morgen. Mir ist klar, dass es noch sehr früh ist, deshalb danke ich allen für das prompte Erscheinen. Ich kann Ihnen versichern, dass dies keine Übung ist.«
Besorgtes Gemurmel ging durch die Menge.
»Um etwa 01:00 Uhr …«
»Halt mal«, unterbrach ihn Etta. »Haben wir nicht etwas vergessen?«
Bates überlegte kurz, dann senkte er den Kopf.
»Natürlich«, entschuldigte er sich. »Danke, Etta. Forrest, wärst du so freundlich?«
Die Menge stand auf, und Stille senkte sich über den Raum. Forrest trat ans Podium und sang die erste Strophe der Nationalhymne.
»Oh, say can you see …«
Don starrte verblüfft auf die Bühne. Forrest klang wie ein Engel. Es schien, als wäre Marvin Gaye im Körper des hünenhaften Soldaten wiedergeboren worden. Unwillkürlich bekam Don eine Gänsehaut, als er mit einstimmte. Die Stimmen der Menge schwollen zu einer einzigen an, die ihn umbrandete wie Wellen. Viele der Leute hielten sich an den Händen, noch mehr weinten.
Als die Hymne zu Ende war, ging Forrest ohne Pause zu einem anderen Lied über, das Don nicht kannte.
»In times of wounded hearts, when souls are torn apart …«
Neben ihm sangen Smokey, Etta und Leroy mit. Don lauschte auf den Text.
»We need to let them heal, and time it will reveal. For all the things that we believe in – freedom in our time, for all the people in the world. I know that we will rise.«
Don schauderte.
Nachdem das Lied zu Ende war, beugte Don sich zu Smokey und flüsterte: »Was war das?«
»Ein Song namens ›Our Dream‹ von einem Musiker namens Fiz.«
»Dem Popstar? Der stammt doch aus New York, oder?«
»Ja. Er hat das Lied über den ersten Terroranschlag auf die Stadt geschrieben, aber jetzt haben wir es für uns übernommen.«
»Was ist aus ihm geworden? Der Typ war ja riesig!«
Smokey zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich wurde er gefressen – oder er hat jemand anders gefressen.«
»Vielen Dank Ihnen allen«, übernahm Bates wieder das Mikrofon.
Die Menge nahm Platz und verstummte wieder, abgesehen von vereinzeltem Schniefen und dem Schluchzen einiger Frauen.
»Um etwa 01:00 Uhr hat unsere Kommunikationszentrale eine große, mobile Streitkraft der Zombies entdeckt. Wir mussten feststellen, dass sie hierher unterwegs ist, zum Ramsey Tower.«
Der Äußerung folgten entsetztes Japsen und sogar ein erstickter Aufschrei.
»Diese Streitkraft ist schwer bewaffnet. Wir haben sowohl durch ständige Überwachung als auch durch Sichtkontakt bestätigt, dass sie sich mittlerweile innerhalb der Stadtgrenzen befindet. Ihre Absicht ist ein Angriff auf dieses Gebäude. Wir müssen davon ausgehen, dass es jeden Moment so weit sein kann, daher fasse ich mich kurz.«
»Worüber sollen wir uns Sorgen machen?«, rief ein Mann aus den hinteren Reihen. »Angeblich kann dieses Bauwerk allem standhalten.«
Zustimmende Rufe ertönten. Bates räusperte sich, woraufhin wieder Ruhe einkehrte.
»Es ist richtig, dass Mr. Ramsey uns wiederholt versichert hat, dieses Gebäude könnte jedem Angriff standhalten. Allerdings wurde es mit Terroranschlägen und Naturkatastrophen im Hinterkopf geplant. Es entspricht meiner Meinung und der von anderen im Befehlsstab, dass es der immensen Feuerkraft nicht gewachsen ist, die unserer Vermutung nach gegen uns eingesetzt werden wird.«
»Sie haben uns doch schon früher angegriffen«, brüllte ein anderer Mann. »Wieso sollte es diesmal anders sein?«
»Weil es sich diesmal um einen vollwertigen Angriff militärischen Maßstabs handeln wird. Im Gegensatz zu jetzt hatten sie damals weder Panzer noch schwere Artillerie. Zudem haben sie mittlerweile einen Anführer.«
Don dachte an etwas, das Jim ihm gegenüber erwähnt hatte – nämlich, dass es einen Zombie namens Ob gab, der die anderen anführte. Aber Bates konnte doch unmöglich von derselben Kreatur reden, oder?
»Sein Name ist Ob«, fuhr Bates fort, »und obwohl wir noch nicht viel über ihn wissen, scheint klar zu sein, dass er auf unsere Zerstörung aus ist. Also müssen wir kämpfen. Sobald die Versammlung zu Ende ist, wird an alle einsatzfähigen Männer und Frauen eine Waffe ausgegeben. Sie werden sich denjenigen anschließen, die bereits Wachdienst haben. Zur Debatte steht das nicht. Ich erwarte von jedem und jeder Einzelnen von Ihnen, dass Sie sich und Ihre Mitbürger verteidigen. Wir können es nicht für Sie tun. Forrest übernimmt das Kommando in den unteren Etagen, ich selbst in den oberen. Wer sich weigert, beim Schutz dieses Gebäudes zu helfen, wird auf die Straße gesetzt.«
Ein alter Mann stand auf. »Das können Sie nicht machen!«
»Stellen Sie mich doch auf die Probe. Ich mache hier keine Witze, meine Damen und Herren.«
»Was ist mit Mr. Ramsey?«, rief eine Frau. »Warum hat er nicht das Sagen?«
Dr. Stern trat vor und übernahm das Mikrofon. »Mr. Ramsey ist krank und nicht in der Lage, das Kommando zu übernehmen. Es ist nichts Lebensbedrohliches, aber er hat die ausdrückliche Anordnung erteilt, dass Mr. Bates dieses Gefecht anführen soll.«
Bates brüllte eine weitere Frage nieder. »Wir müssen uns unverzüglich vorbereiten. Keiner von uns hätte sich je vorstellen können, was unserer Welt widerfahren würde. Es gleicht einem Horrorfilm. Aber es ist echt, und es will uns allen ans Leder. Wir haben keine Zeit für weitere Debatten.«
Kurz setzte er ab und stemmte die Hände auf das Podium. Als er weitersprach, kippte seine Stimme.
»Ich weiß, es sieht hoffnungslos aus, das können Sie mir glauben. Wir fragen uns spätnachts, was das alles noch für einen Sinn hat. Soweit wir wissen, könnten wir durchaus die letzten noch lebenden Menschen auf dieser Welt sein. Diese Kreaturen sind überall, und sie scheinen sich täglich zu vermehren. Sie brauchen nur darauf zu warten, dass wir sterben. Warum sollten wir also überhaupt noch gegen sie ankämpfen?«
Auf die Frage folgte zustimmendes Gemurmel, begleitet von nickenden Köpfen. Bates fuhr fort.
»Weil wir den letzten Widerstand verkörpern. Denken Sie daran, was die Menschheit im Verlauf der Geschichte vollbracht hat. Wollen wir wirklich, dass es letzten Endes bedeutungslos war? Sollen unsere Errungenschaften wertlos gewesen sein – nur zum Vergnügen dieser Kreaturen dort draußen? Wir stehen am Rand der totalen Ausrottung, aber ich werde nicht kampflos untergehen.«
Vereinzelter Applaus kam von der Menge, aber die Mehrheit der Leute blieb stumm und wirkte unschlüssig.
»Vielleicht denken Sie, das hört sich melodramatisch an. Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich bin kein guter Redner. Ich bin ein Krieger. Ich besitze kein großartiges rhetorisches Talent, und es fällt mir nicht leicht, Menschen durch Worte zu inspirieren. Glauben Sie mir, ich bin in Situationen gewesen, in denen Männer bei mir Inspiration suchten. Ich gab sie ihnen durch Führung. Ich inspirierte sie durch mein Beispiel. Hoffentlich gelingt mir heute dasselbe bei Ihnen. Aber lassen Sie mich Ihnen ein anderes Beispiel geben. Vor ein paar Tagen brachten unsere Kundschafter einen Vater und seinen Sohn hierher.«
Don setzte sich kerzengerade auf und lauschte gespannt.
»Der Vater, Jim Thurmond, hat sich durch die Berge von West Virginia bis zur Küste nach New Jersey durchgeschlagen. Bei jedem Schritt dieser Reise mussten er und seine Gefährten unvorstellbarem Grauen trotzen – Dingen, die wir uns hier in unserer Festung gar nicht vorstellen können. Mr. Thurmond hatte dafür einen einzigen Beweggrund: die Liebe zu seinem Sohn. Sie hat ihm Kraft gegeben und ihn auf den Beinen gehalten.
Bitte sehen Sie sich mal um. Ist jemand hier, den Sie lieben? Würden Sie Ihr Leben lassen, damit die Menschen weiterleben können, die Ihnen am Herzen liegen? Vielleicht sind Ihre Lieben ja auch nicht hier. Vielleicht sind sie draußen und ihre Körper von diesen Dingern geschändet. Vielleicht haben unsere Feinde diejenigen, die Sie lieben, in einen perversen Abklatsch der Personen verwandelt, die sie früher waren. Wie viele von Ihnen mussten mit ansehen, wie Ihre Liebsten zu Zombies wurden? Wünschen Sie sich nicht auch eine Gelegenheit, die Dinge wieder ins rechte Lot zu rücken? Dies ist vielleicht die letzte Chance, die wir dafür erhalten. Wir gegen sie. Ich sage, wir stellen diesen Dingern den Tod vor. Zeigen wir ihnen, was es wirklich bedeutet zu sterben. Zeigen wir ihnen, wozu die Menschheit fähig ist, wenn sie mit dem Rücken zur Wand steht! Also, werden Sie kämpfen?«
Tosender Applaus füllte den Versammlungsraum. Die Menschen sprangen auf die Beine und jubelten überschwänglich. Bates streckte ein paar Mal die geballte Faust in die Luft, womit er weiteres Gebrüll heraufbeschwor.
»Melden Sie sich beim Arsenal«, brüllte er. »Sie alle erhalten eine Waffe und einen Schnellkurs in deren Verwendung. Danach wird Ihnen mitgeteilt, wo Sie gebraucht werden. Zeigen wir ihnen, dass wir uns nicht vor dem Tod fürchten, dass wir auf ihr Versprechen, was nach dem Tod kommt, spucken. Zeigen wir ihnen, dass wir nicht still und leise untergehen werden! Fordern wir unsere Körper zurück – und unser Leben!«
Damit verließ Bates die Bühne. Forrest und Stern folgten ihm. Alle drei sprachen bereits in ihre Funkgeräte.
»Tja«, scherzte Leroy, »ich schätze, es war doch keine Übung.«
Beim Hinausgehen fühlten Dons Beine sich taub an, als wären sie eingeschlafen. Angst erfüllte ihn, gleichzeitig aber fühlte er sich entschlossen – und stolz. Abermals fragte er sich, wo Jim und Danny stecken mochten und wie es Frankie ging – ob sie überhaupt wusste, was los war. Dann erfasste ihn der Strom der Menge, und er wurde mitgerissen.
DiMassis Pistole steckte im Bund von Ramseys maßgeschneiderter Hose. Die eigene Pistole hielt Ramsey in einer leberfleckigen Hand direkt auf DiMassis Brust gerichtet.
»Ich versichere Ihnen, Mr. DiMassi, ich bin keineswegs verrückt. Ich versuche lediglich, uns zu retten.«
»Ich bitte um Verzeihung, Sir, aber warum richten Sie dann diese Pistole auf mich?«
»Bates ist machtversessen«, fuhr Ramsey mit ruhiger, selbstsicherer Stimme fort. »Er versucht einen Umsturz, und Dr. Stern und Forrest stecken mit ihm unter einer Decke. Denken Sie doch mal nach, DiMassi. Wir stehen unmittelbar vor einem Angriff. Erscheint Ihnen das als der geeignete Zeitpunkt, mich in Gewahrsam zu nehmen?«
DiMassi musste zugeben, dass es seltsam wirkte.
»Sie haben Dr. Maynard und den armen Kilker umgebracht, die mich beide vor ihren Plänen warnen wollten.«
»Aber werden wir wirklich angegriffen, Sir?«
»Schauen Sie aus dem Fenster«, forderte Ramsey ihn auf. »Nur zu. Sehen Sie selbst.«
DiMassi drückte das Gesicht gegen die Scheibe und blickte auf die Stadt hinab. Auf den Straßen schimmerten tausende stecknadelkopfgroße Lichter. Ameisengroße Fahrzeuge und winzige Zombies umringten das Gebäude, weitere waren unterwegs. Barrikaden waren errichtet worden, die den Häuserblock abriegelten. Während er hinsah, begannen die Kreaturen, die angrenzenden Gebäude in Brand zu stecken.
»Heilige Scheiße«, stieß DiMassi hervor. »Das müssen Tausende sein!«
»Sehr richtig«, bestätigte Ramsey und nickte. »Verstehen Sie es jetzt? Bates hat die Kontrolle verloren, und Sie wurden getäuscht, damit Sie mitspielen.«
»In Ordnung«, sagte DiMassi nickend. Er war außerstande, die Augen von der Szene unten zu lösen. »Ich glaube Ihnen. Eigentlich habe ich Ihnen immer geglaubt. Früher habe ich Sie oft im Fernsehen gesehen und hatte Aktien Ihres Unternehmens.«
Ramsey lächelte und senkte die Pistole.
»Die Frage ist«, fuhr DiMassi fort, »was wir dagegen unternehmen.«
»Wir müssen fliehen«, erklärte Ramsey. »Hier können wir nicht blieben.«
»Aber ich dachte, das Gebäude könnte …«
»Dieser Turm kann allem standhalten, was diese Kreaturen ihm entgegenschleudern. Das bereitet mir keine Sorgen. Nur würde Bates uns nun auf keinen Fall mehr am Leben lassen. Er ist völlig wahnsinnig. Durchaus möglich, dass er sogar mit den Zombies unter einer Decke steckt. Es schmerzt mich, das zu sagen, aber unsere einzige Chance auf Überleben – ja, die einzige Chance der Menschheit besteht darin, umgehend zu fliehen.«
»Aber wohin? Quinn und ich waren in der ganzen Gegend. Die Zombies sind überall.«
»Überlassen Sie das mir.«
»Wir sollten einen Zwischenstopp einlegen und uns eine dieser M-60 schnappen. So eine Großkaliberwaffe hätte schon etwas Beruhigendes. Wenn wir zu Fuß gehen, werden wir eine Menge Feuerkraft brauchen.«
»Wir reisen nicht zu Fuß. Unter diesem Gebäude wurde ein U-Bahn-Tunnel gebaut, allerdings wurde er bedauerlicherweise nie fertiggestellt. Und auf die Straßen können wir offensichtlich nicht hinaus.«
»Der Helikopter?« DiMassi schaute auf, als könnte er durch die Decke sehen.
»Der Helikopter. Wie weit kann er fliegen?«
»Kommt drauf an, wie viel Kraftstoff im Tank ist. Quinn und der Kanadier sind zuletzt damit geflogen. Keine Ahnung, ob sie aufgetankt haben.«
»Könnten wir es bis zum Jachthafen Haverstraw schaffen?«
»Oben in der Nähe von Brackard’s Point? Sicher – dafür reichen ein paar Tropfen. Aber das Flugfeld in Brackard’s Point ist überrannt.«
»Sie könnten uns doch in der Nähe des Jachthafens landen, oder?«
»Ja. Dort ist nicht viel. Hauptsächlich Boote von Leuten der Arbeiterklasse.«
»Sie wären überrascht.« Ramsey zwinkerte. »Ich habe dort fernab der neugierigen Blicke der Medien selbst ein Boot.«
»Warum stehlen wir nicht eines hier in der Stadt? Vielleicht eines der bewaffneten Boote der Küstenwache?«
»Sie haben die Lage unten gesehen. Glauben Sie wirklich, dass unsere Feinde so etwas nicht vorhergesehen und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen haben?«
»Schätze, da haben Sie recht.«
»Sie fliegen uns nach Haverstraw, und von dort treten wir den zweiten Abschnitt unserer Reise an.«
»Auf eine Insel?«
»Etwas in der Art.« Ramseys Lächeln verblasste. »Ich besitze viele Bollwerke. Eines befindet sich direkt unterhalb dieses Gebäudes, weit unter den Tunneln, der Kanalisation, den Rohrleitungen und den Fiberglaskabeln. Aber ich fürchte, wir würden es nie erreichen, vor allem nicht als Gruppe.«
»Als Gruppe?« DiMassi sah sich um und vergewisserte sich, dass nur sie beide anwesend waren.
»Natürlich werden wir andere brauchen. Zumindest eine Frau für die Fortpflanzung. Nach Möglichkeit zwei Frauen. Wir müssen die menschliche Rasse am Leben erhalten.«
DiMassi nickte zustimmend, obwohl er nur mit einem Ohr zuhörte. Er beobachtete wie gebannt die lodernden Gebäude und die Zombies, die rings um den Wolkenkratzer wuselten. Seine Gedanken kreisten immer noch um das Boot. Er überlegte, wie gefährlich eine Fahrt auf offener See werden würde. Dann konzentrierte er sich wieder auf die Szenen draußen, und er gelangte zu dem Schluss, dass es unmöglich so gefährlich sein konnte wie hierzubleiben.
»Eine Frau wäre gut«, sagte er.
»Vielleicht die junge Dame in Dr. Sterns Obhut?«, schlug Ramsey vor. »Sie ist kräftig und wunderschön – wild. Sie wurde erst vor zwei Tagen hergebracht.«
»Sicher. Hab sie zwar selbst noch nicht gesehen, weil ich unter Quarantäne war, aber ich glaube Ihnen aufs Wort.«
Ein rötliches Licht durchdrang die Dunkelheit vor dem Fenster. Die beiden Männer drehten sich danach um.
»Sie schießen Leuchtsignale ab«, stieß DiMassi hervor. »Was haben die bloß vor?«
»Eine Art Zeichen, könnte ich mir denken. Wir sollten wohl besser gehen. Ich denke, unsere Zeit läuft ab.«
»Vielleicht sollten wir auf die Tussi pfeifen«, meinte DiMassi. »Und uns einfach schleunigst aus dem Staub machen.«
»Unsinn. Es obliegt uns, die menschliche Rasse zu retten. Wie sollen wir das machen, wenn wir uns nicht fortpflanzen können?«
Der Pilot zuckte mit den Schultern und ergriff seine Pistole vom Schreibtisch, wohin sie Ramsey zurückgelegt hatte.
»Gehen Sie auf den Flur und sehen Sie nach, ob die Luft rein ist«, befahl Ramsey.
DiMassi spähte hinaus. Von Quinn oder den anderen war weit und breit nichts zu sehen.
»Alles in Butter«, sagte er.
»Hervorragend. Gehen wir.«
Die beiden Männer eilten zu den Fahrstühlen.
Selbst nachdem die heulende Sirene bereits verstummt war, hallte sie noch in Frankies Kopf nach.
»H-hallo?« Ihre Kehle fühlte sich wie Sandpapier an, und ihre Stimme schnarrte, als sie es erneut versuchte. Ihr Schädel brummte.
»Ist hier jemand?«
Sie erhielt keine Antwort. Die Gerätschaften rings um sie summten und piepten in der Stille. Es roch nach Desinfektionsmitteln.
»Niemand da?«
Als eine Antwort abermals ausblieb, setzte sie sich auf, holte mehrmals tief Luft und erlangte allmählich die Kraft zurück. Die Schwäche in ihren Gliedern verebbte nach ein paar Minuten. Abgesehen von den Kopfschmerzen, ihrem Durst und dem dringenden Bedürfnis zu pinkeln fühlte sie sich gut. Besser als zu irgendeinem Zeitpunkt, seit sie nicht mehr auf Heroin war. Die Nähte juckten, aber das Fleisch rings um sie schimmerte in einem gesunden Rosa, nicht mehr so rötlich entzündet wie am Tag zuvor.
»Das muss man ihnen lassen«, sprach sie laut aus. »Sie haben mich wirklich zusammengeflickt.«
Sie glitt aus dem Bett, schluckte mehrmals, um die Kehle zu befeuchten, und trottete ins Badezimmer. Dort setzte sie sich auf den kalten Toilettensitz und schauderte vor Erleichterung.
Während Frankie dort hockte, überlegte sie, welche Möglichkeiten sie hatte. Sie konnte ins Bett zurückkehren und warten, bis der Arzt oder eine Krankenschwester auftauchte. Oder sie konnte sich Kleider suchen, sich anziehen und Jim, Danny und Don aufspüren.
Sie entschied sich für Letzteres, stand auf und spülte. Sofern der Alarm keine Übung gewesen war, ging offenbar irgendetwas vor sich. Auch die Abwesenheit des medizinischen Personals bereitete ihr Kopfzerbrechen.
Als sie das Badezimmer verließ, stand ein Mann neben dem Bett, der eine Pistole auf sie richtete. Sie kannte ihn aus dem Fernsehen – Darren Ramsey, der Baumilliardär. Allerdings sah er ohne ein Team von Maskenbildnern und PR-Beratern alt aus. Krank. Auch den Blick in seinen Augen erkannte Frankie. Sie hatte ihn schon öfter in der Miene einiger Freier gesehen. Ramsey war verrückt. Neben ihm stand ein fetter, schmieriger, nervös wirkender Kerl.
»Bitte«, sagte Ramsey, »erschrecken Sie nicht. Wir wollen Ihnen nichts tun.«
»Haben Sie vor, den Schießprügel bald mal runterzunehmen? Dadurch fiele es mir gleich um etliches leichter, mich zu entspannen.«
»Selbstverständlich.« Lächelnd ließ er den Arm mit der Waffe zur Seite sinken. »Sie müssen das schon entschuldigen. Wir waren nicht sicher, wer oder was aus dem Badezimmer kommen würde.«
Die Augen des fetten Kerls krochen über ihren Körper, verharrten auf ihren Brüsten und auf dem Dreieck ihrer Schamhaare zwischen ihren Beinen, das unter dem Saum des Krankenhaushemdes hervorlugte. Frankie zog den Kittel nach unten, so weit es ging, und funkelte den Mann an.
»Alles, was über einen Blick hinausgeht, kostet mindestens ’nen Zwanziger«, meinte sie bissig.
In seinem Gesicht stieg eine dunkle, zornige Röte auf.
Ramsey öffnete den Mund. »Mein Name ist …«
»Ich weiß, wer Sie sind«, schnitt Frankie ihm das Wort ab. »Ich hab Sie ein paar Mal im Fernsehen gesehen. Sie sind Darren Ramsey. Und der da?«
»Frank DiMassi«, knurrte der Fette. Dann wandte er sich an Ramsey. »Wir müssen los, Sir.«
Der alte Mann nickte ungeduldig.
»Sie müssen schon entschuldigen – tut mir leid, Ihr Name ist mir entgangen.«
»Frankie.«
»Sie müssen schon entschuldigen, Frankie, aber das Gebäude wird gleich angegriffen.«
»Was?«
»Ich fürchte, es ist so. Wir sind völlig umzingelt. Die Zombies haben eine Armee zusammengestellt, wie ich sie noch nie gesehen habe. Mr. DiMassi und ich brechen zu einem sicheren Ort auf. Es wäre uns eine Ehre, wenn Sie uns begleiten.«
Frankies Augen zuckten zu der Pistole und wieder zurück zu seinem Gesicht. Sein Lächeln verblasste unter der eingehenden Musterung etwas, und sowohl auf seiner Oberlippe als auch auf seiner Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet.
»Danke«, sagte sie und ging seitlich an ihm vorbei, »aber ich habe Freunde, die mit mir hergekommen sind. Ich muss nach ihnen sehen und mich vergewissern, dass es ihnen gut geht.«
»Ich kann Ihnen versichern, Frankie, dass Ihre Freunde sich auf den unteren Etagen aufhalten und ihr Schicksal besiegelt ist. Es wäre besser – sicherer –, wenn Sie mit uns kämen.«
Frankie entfernte sich weiter von ihm, gelangte dadurch aber unweigerlich näher zu DiMassi. Der fettleibige Mann leckte sich die Lippen und stierte auf ihre Schenkel.
»Danke noch mal«, wiederholte Frankie, »aber wenn’s recht ist, gehe ich trotzdem lieber das Risiko ein, sie zu suchen.«
Ramsey hob die Pistole wieder an.
»Ich fürchte, ich muss darauf bestehen. Ich hatte gehofft, es würde nicht so weit kommen, aber Sie sind unerlässlich für meinen Plan, den Planeten neu zu bevölkern. DiMassi, wären Sie so freundlich?«
Der fette Kerl sprang los und begrub sie unter seinem Gewicht.
Der Ramsey Tower erhob sich in den vormorgendlichen Himmel und war bereits halb vom Rauch verhüllt, der aus den lodernden umliegenden Gebäuden drang. Außerhalb der Reichweite der Flammen bildeten tausende Zombies Ränge und umzingelten den Häuserblock.
Ob blickte über seine untote Streitmacht und ergötzte sich an der schieren Größe seiner Armee. Dann wandte er die Aufmerksamkeit wieder dem Wolkenkratzer zu.
In dessen Inneren gingen die Menschen an den Fenstern in Position oder trippelten dahinter nervös auf und ab wie ängstliche Mäuse. Berge zersplitterter, zerbrochener Möbel übersäten den Platz und die Gehwege rings um das Gebäude und bildeten eine grobe, aber wirksame Barrikade. Die Außentüren und die Fenster der ersten fünf Stockwerke sowie die großen Flachglasscheiben der Eingangshalle waren mit Brettern vernagelt worden.
Einer von Obs Adjutanten näherte sich ihm. Die Eingeweide des Zombies hingen lose aus dem Leib und wogten bei jedem Schritt hin und her. Fliegen krabbelten über die Stränge.
Ob drehte sich zu ihm um. »Hat das letzte Leuchtzeichen bedeutet, dass alles in Ordnung ist?«
»Alles ist in Position, Herr. Unsere Streitkräfte sind bereit.«
»Hervorragend«, zischte Ob und blies dabei fauligen Atem aus. »Bringen wir dies hier zu Ende, damit unsere verbleibenden Brüder endgültig aus der Leere befreit werden. Beginnt mit dem Angriff.«
Der Adjutant gab die Anordnung über die Befehlskette weiter. Wenige Minuten später rollte ein Kastenwagen die Straße herab und hielt vor dem Wolkenkratzer an. Der Zombie hinter dem Steuer jagte den Motor zu einem bösartigen Crescendo hoch, dann preschte der Wagen los. Er polterte über den Randstein und raste den Gehweg entlang.
Oben im Gebäude wurden Fenster geöffnet, und die Menschen feuerten auf das Fahrzeug. Sogleich stürzten sich untote Vögel auf die Schützen. Die Menschen taumelten zurück, kreischten und schlugen nach den Tieren, die durch die offenen Fenster strömten. Eine Schrotflinte fiel herab und landete klappernd auf dem Asphalt. Ein Zombie löste sich aus den Reihen, um sie zu holen, landete aber ausgestreckt auf dem Rücken, als ihm eine Kugel den Kopf wegsprengte.
Ein weiterer Zombie trat vor und zog den Stift aus einer Granate. Bevor er sie werfen konnte, schlug eine Kugel in sein Handgelenk ein und trennte ihm die Hand ab. Die Hand samt Granate fiel ihm vor die Füße. Eine Sekunde später zerfetzte die Explosion die Kreatur.
»Eine Handgranate im wahrsten Sinne des Wortes«, witzelte Ob. »Das kommt davon, wenn man Befehle nicht befolgt.«
Sein Adjutant schwieg.
Der Kastenwagen beschleunigte noch immer und schoss wie eine Rakete auf das Bauwerk zu. Krachend durchbrach er die Barrikaden und raste brüllend auf den Haupteingang zu.
»Das wird gut«, freute sich der Adjutant.
Ob pflichtete ihm bei. »Dann wollen wir mal anklopfen und sehen, ob jemand zu Hause ist.«
Cullen und Newman hassten die Mitternachtsschicht grundsätzlich, noch mehr aber hassten sie es, in der Eingangshalle Dienst zu versehen. Unter gewöhnlichen Umständen wären sie im Morgengrauen von der nächsten Schicht abgelöst worden. Nun aber, da der Angriff unmittelbar bevorstand, hatte Bates angeordnet, ihre Position zu halten. Er hatte ihnen versprochen, dass bereits Verstärkung unterwegs sei.
Keiner der beiden war vor der Auferstehung ein Soldat gewesen. Newman hatte in einem Aufnahmestudio gearbeitet, Cullen war Anwalt gewesen. Nun waren sie Freiwillige der Sicherheitsmannschaft im Ramsey Tower. Nie hatten sie diese Pflicht so sehr bedauert wie in diesem Augenblick. In der Eingangshalle stank es, nicht nur vom ständigen Moder verwesenden Fleisches, der von draußen hereindrang, sondern auch nach Rauch. Der Qualm kroch durch verschiedene Ritzen der Fenster und durch die Belüftungsanlage in das Gebäude.
»Was passiert denn gerade?«, zischte Cullen hinter dem mit Sandsäcken gesicherten Rezeptionsschalter. Er blieb geduckt, da er nicht wollte, dass Newman sah, wie heftig er zitterte.
»Ich kann durch den Rauch nicht viel erkennen.« Newman spähte durch ein Guckloch. »Diese Dreckskerle brennen alles nieder, Mann.«
»Typisch«, schnaubte Cullen. »Der Regen hat mal wieder gerade dann aufgehört, wenn wir ihn gebraucht hätten.«
»Ja«, gab Newman ihm recht. »Andererseits spielt es wohl keine Rolle mehr. Ich glaube kaum, dass wir den Sonnenaufgang heute erleben werden.«
»Ich hoffe, die Verstärkung ist bald da«, meinte Cullen. »Ich bin verdammt müde, Mann. Immerhin waren wir die ganze Nacht auf.«
»Kumpel, wir werden jeden Moment angegriffen. Glaubst du allen Ernstes, dass du in nächster Zeit zum Schlafen kommst?«
»Nein«, gestand Cullen, »aber ich dachte, vielleicht könnte ich nach Rebecca sehen.«
»Wer ist das? Die Krankenschwester?«
»Nein, das ist Kelli. Rebecca arbeitet im Gewächshaus in der vierzehnten Etage. Hab sie vor ein paar Tagen im Fitnessstudio kennengelernt. Ich mache mir Sorgen um sie.«
»Mach dir besser Sorgen um dich selbst. Konzentrier dich besser auf unsere Lage hier.«
Der Fahrstuhl gongte, und die Türen glitten auf. Zehn schwer bewaffnete Männer kamen heraus, eilten auf sie zu und gingen in Position. Ihre Ausrüstung klirrte, als sie rannten.
»Wie sieht’s aus?«, rief einer der Männer herüber.
»Wir sind nicht sicher«, gab Newman zurück.
»Wie viele sind da draußen?«
Plötzlich sog Newman erschrocken die Luft ein. Jäh zuckte er von dem Guckloch zurück, als Scheinwerfer auf die verbarrikadierten Türen zurasten.
»O Schei…«
Gleich darauf erlebten sie den Sonnenaufgang doch noch.
Er fand in der Eingangshalle statt.