FÜNF

Sie ist tot«, flüsterte Jim. »Sind Sie sicher?«, fragte Martin. »Ich sehe sie nicht. Durch die Dunkelheit und den Rauch kann ich überhaupt nichts erkennen. Strom gibt es ja keinen mehr. Aber mittlerweile müssten wir sie gehört haben, oder? Sie hätte auftauchen müssen, um Luft zu schnappen. Allein der Sturz hätte gereicht. Oder vielleicht ist sie mit dem Kopf auf dem Grund aufgeschlagen. Und dieses Ding im Wasser haben Sie ja selbst gesehen «

Jim lehnte sich aus dem Fenster, aber ein weiterer Kugelhagel von unten scheuchte ihn sofort zurück.

»Wir haben keine Zeit«, warnte Don. »Diese Dinger sind immer noch da draußen.«

Martin zeigte sich beharrlich. »Wir müssen nach ihr suchen.«

»Wir können nichts tun«, widersprach Jim. »Sie muss tot sein, Martin. Damit müssen wir uns abfinden.«

»Aber«

»Es gibt keine Möglichkeit, nach draußen zu gehen.«

»Sie haben recht«, seufzte Martin.

Don eilte mit unbehaglicher Miene zur Dachkammertür. Er bedeutete den anderen, ihm zu folgen.

Martin neigte das Haupt zum Gebet. Kurz rang er nach Worten, bis er schließlich die richtigen fand.

»Herr, wir bitten dich, ihre Seele in dein Reich aufzunehmen, auf dass sie an deiner Seite weilt. Amen.«

»Also«, meldete Don sich zu Wort, »es tut mir ja wirklich leid wegen Ihrer Freundin. Ganz ehrlich. Aber wenn Sie ihr nicht folgen wollen, schlage ich vor, dass wir uns in Bewegung setzen.«

»Wohin?«, fragte Jim. »Uns sind die Ideen schon lange ausgegangen.«

»Und die Verstecke«, fügte Martin hinzu.

»Zuerst in meinen Schutzraum.« Don öffnete die Tür und lauschte. »Ich muss nachladen.«

»Ihr Schutzraum ist keine Hilfe mehr«, protestierte Jim. »Die wissen jetzt, dass wir hier drin sind. Sie werden einen Weg hinein finden. Und wenn nicht, dann brennen sie dieses Haus einfach auch nieder.«

»Genau. Deshalb habe ich nicht vor, hierzubleiben. Es ist nicht mehr sicher.«

»Was also machen wir?«

»Mein Explorer steht noch in der Garage. In den passen wir problemlos alle rein.«

»Kein guter Plan«, kritisierte Jim. »Die sind überall dort draußen. Wir haben gesehen, wie sie einen Freizeitwagen wie eine Thunfischdose zerlegt haben!«

»Ich gehe das Risiko ein. Zumal es meine Sicherheit hier direkt beeinträchtigt hat, dass ich Ihnen geholfen habe.«

Jim wurde wütend. »Jetzt passen Sie mal auf, Sie «

Danny trat zwischen die beiden und ergriff die Hand seines Vaters.

»Danke, dass Sie uns geholfen haben, Mr. De Santos, aber könnten Sie bitte nicht mit meinem Daddy streiten?«

Die beiden Männer starrten einander einen Augenblick an, dann lockerten sich ihre Mienen.

»Tut mir leid, Danny.« Don tätschelte dem Jungen den Kopf, dann schaute er zu Jim auf. »Sie sind also sein richtiger Vater?«

»So ist es.«

»Ich glaube, wir sind uns einmal kurz begegnet, als Sie ihn für den Sommer abgeholt haben.«

»Möglich. Ich kann mich nicht erinnern. Es war … schwierig, hier bei meiner Exfrau und ihrem neuen Mann zu sein. Für gewöhnlich bin ich nicht lange geblieben. Es ist eine weite Fahrt nach West Virginia.«

»West Virginia. Ich dachte mir schon, dass Sie aus dem Süden kommen.« Er nickte in Martins Richtung. »Sie auch. Ihr Akzent hat Sie verraten. Aber Ihre Freundin stammte von woanders, richtig?«

»Frankie? Ja, sie war aus Baltimore. Um ehrlich zu sein, wir wissen nicht allzu viel über sie. Nur, dass sie unlängst selbst ein Kind verloren und uns geholfen hat, Danny zu finden. Und jetzt «

»Oh. Tut mir aufrichtig leid. Aber darf ich trotzdem vorschlagen, dass wir uns in Marsch setzen? Wir sollten wirklich nicht hier herumstehen und reden. Sie werden sich bald wieder sammeln.«

Jim überlegte kurz. »Ich denke immer noch, dass es nutzlos ist, nach draußen zu gehen, Mr. De Santos. Andererseits können wir hier auch nicht bleiben. Also schätze ich, wir sollten es auf Ihre Weise versuchen.«

»Bitte nennen Sie mich Don.«

»In Ordnung, Don. Und ich bin Jim.«

»Also, Jim, lass uns wenigstens runter in den Schutzraum gehen, damit ich nachladen kann.«

Eine weitere Kugel sprengte Splitter aus der Fensterbank, als sie sich die Stufen hinunter in Bewegung setzten. Der Wind trieb zusammen mit dem Rauch vom Inferno nebenan die spöttischen Rufe der Untoten herein.

»Jim?« Martins Stimme zitterte.

»Was?«

»Was ist, wenn Sie sich irren? Wenn Frankie noch am Leben ist?«

Jim erwiderte nichts.

Eine Träne rollte über Martins zerfurchtes Gesicht.

»Frankie «

Als die Leiter unter Frankies Füßen nachgab, hatte sie gerade noch Zeit, einmal Luft zu holen, bevor sie in den Swimmingpool eintauchte. Die Aluminiumleiter klatschte einen Lidschlag darauf neben ihr ins Wasser. Rauchschwangere Luft brannte in ihren Lungen, während das kalte, schale Wasser über ihrem Kopf zusammenschwappte.

Sie sank wie ein Stein – einen halben Meter, einen Meter, anderthalb, zwei –, bevor ihre Stiefel den Grund berührten. Sie öffnete die Augen, konnte aber in der trüben Düsternis nichts sehen. Ein Kugelhagel pflügte in trägen Bögen ins Wasser. Sie tauchte tiefer und senkte sich flach auf den Grund, als die Schüsse sich näherten.

Ihre fuchtelnde Hand schloss sich um den Schulterriemen des M-16. Als sie die Waffe zu sich zog, sah sie, dass sich etwas bewegte. Etwas in ihrer Nähe. Es war schwarz, fleckig und verrottet, aber immer noch bewegungsfähig. Der armlose Zombie. Den hatte sie ganz vergessen. Er schwamm auf sie zu, indem er mit den Beinen trat. Voll Vorfreude leckte sich die Kreatur dabei über die Lippen. Verzweifelt strampelte Frankie der Oberfläche entgegen.

Durch das Licht des in Flammen stehenden Hauses hoben sich der Hof und der Swimmingpool von der Dunkelheit ab. Frankies Kopf tauchte aus dem Wasser auf. Hustend rang sie nach Luft. Sofort schwirrte etwas über die Oberfläche, das sich wie ein Schwarm wütender Hornissen anhörte. Eine halbe Sekunde später hörte sie die Schüsse. Hastig tauchte sie wieder unter.

Das Wasser brannte in ihren Augen, trotzdem öffnete Frankie sie und suchte nach einem Ausweg. Die aufgedunsene Kreatur lief am Grund entlang auf sie zu, verlangsamt durch das Wasser. Frankie huschte zur Seite und schwang den Kolben des Gewehrs, der den Kopf des Dings traf. Trotz des Umstands, dass der Schlag durch das Wasser gedämpft ausfiel, brach er den Schädel des Zombies. Frankie schwang die Waffe ein zweites Mal, und diesmal platzte er. Der Zombie sank zum Grund, während die grauschwarzen, klumpigen Überreste seines Gehirns nach oben trieben.

Ihre Schläfen pochten, und ihre Lungen fühlten sich an, als müssten sie explodieren. So dicht am Grund, wie sie konnte, schwamm sie zur Seite. Die Schreie der Zombies oben drangen durch das Wasser verzerrt zu ihr. In der Nähe der Beckenleiter verharrte sie.

Von ihrer Waffenschulung durch einen von Schows Soldaten wusste Frankie, dass es sich beim M-16 um eine so gut wie wasserdichte Waffe handelte, allerdings verließ sich das Gewehr auf ein gasbetriebenes Auswurfsystem. Die erste Kugel abzufeuern, sollte kein Problem darstellen. Aber die anderen

Nun, wenn danach Ladehemmung eintrat, wäre sie tot. Schlicht und ergreifend. Aber vermutlich war sie ohnehin tot.

Mit verbissenen Zähnen und dem Gewehr fest in einer Hand griff Frankie nach der Leiter, schwang die Füße auf die Sprossen und kletterte zur Oberfläche.

Von Grauen erfüllt starrte Danny auf den schimmelnden Leichnam und presste die Hand auf die Nase.

»Ist … ist das …?«

Don ließ den Kopf hängen, während er Munition in die leeren Magazine schob.

»Ja, Danny«, antwortete er leise. »Das ist Mrs. De Santos.«

Verschreckt wandte Danny sich ab, schlang die Arme um das Bein seines Vaters und vergrub das Gesicht an Jims Hüfte.

»Tut mir leid wegen Ihres Verlustes«, sagte Martin.

Don zuckte mit den Schultern und lud weiter.

»Nachdem ich … na ja, nach dem da«, meinte er mit einem Nicken in Richtung des Leichnams, »habe ich mich vergewissert, dass das Haus sicher ist. Die Türen und Fenster habe ich mit Sperrholz vernagelt, das Garagentor ist mit einer Kette geschützt. Ich fürchte, das wird sie zwar jetzt nicht mehr aufhalten können, aber vielleicht lange genug, damit wir uns vorbereiten können.«

»Bist du in diesem Raum geblieben?«, erkundigte sich Jim.

»Die ganze Zeit. Zum Glück wussten sie nicht, dass ich hier drin bin. Wenn ich euch nicht gehört hätte, würde ich mich wohl immer noch hier verschanzen.«

Jim hob Danny hoch und küsste ihn auf die Stirn. Dieser Mann, Don De Santos, hatte hier in vergleichsweise gemütlicher Sicherheit gehockt, während sein Sohn endlose Nächte des Grauens, der Gefahr und des Hungers allein in der Dachkammer im Nebenhaus ausharren musste. Er knuddelte Danny.

»Du hast mir gefehlt, kleiner Mann. Du hast mir so sehr gefehlt.«

»Du mir auch, Daddy.«

»Wie sehr?« Jim drückte ihn.

»So sehr!« Danny drückte ihn noch fester.

»Wie sehr ist das?«

»Mehr als unendlich.«

Beide lachten, und Martin wandte sich ab, um die Tränen zu verbergen, die ihm in die Augen traten.

»Okay.« Don steckte die Reservemagazine ein. »Ich bin bereit. Ich wünschte, ich hätte Munition für dein Gewehr, aber ich habe mich nie sonderlich fürs Jagen interessiert.«

Jim grinste. »Selbst wenn, bezweifle ich, dass du etwas hättest, das in das M-16 passt. Das sind nicht unbedingt Jagdgewehre.«

»Wie ich schon sagte, ich bin ein Stadtmensch.« Don zuckte mit den Schultern. »Dort auf dem Tisch ist ein Messer. Das kann einer von euch haben, wenn ihr wollt.«

»Ich nehme es«, meldete Martin sich zu Wort. »Dann können Sie Danny tragen.«

Nach ihren erleichterten Gesichtsausdrücken zu urteilen, schien die Aussicht darauf sowohl Vater als auch Sohn zu erfreuen.

»Wenngleich es wohl nicht viel auszurichten vermag.« Mit einem Seufzen ergriff der Priester die Klinge. »Es sei denn, ich steche kräftig genug damit zu, dass es durch den Schädel dringt.« Er schauderte, als er daran dachte, dass er genau das zuvor an jenem Tag getan hatte, um sich eines anderen Menschen zu erwehren, nicht eines Zombies. Es schien Jahre zurückzuliegen.

»Warum das?«, fragte Don, während er Wasserflaschen in einem Rucksack verstaute. »Warum muss es den Schädel durchdringen?«

»Das Gehirn zu zerstören, ist die einzige Möglichkeit, sie endgültig zu töten.«

»Das ergibt Sinn. Irgendwie dachte ich mir das schon, weil es das war, was … Myrna letztlich ausgeschaltet hat.«

»Ich hab sie gemocht«, meldete Danny sich zu Wort. »Sie hat mich immer mit Rocky spielen lassen, und sie hat oft auf mich aufgepasst, als ich noch kleiner war.«

»Tja«, meinte Jim leise, »also hat wenigstens irgendjemand auf dich aufgepasst.«

»Was meinst du damit, Daddy?«

»Gar nichts, Großer. Mir scheint nur, deine Mutter und Rick haben nicht besonders gut mitgedacht. Sie hätten dich von hier wegschaffen müssen, sobald all das begann.«

Dannys Züge verfinsterten sich. »Ich wünschte, du würdest nicht schlecht über sie reden. Das mag ich nicht.«

Jim öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Martin kam ihm zuvor.

»Danny, ich wette, nach der abenteuerlichen Kletterei bist du durstig. Soll dir Mr. De Santos eine dieser Wasserflaschen aufmachen?«

Danny zuckte mit den Schultern. »Okay.«

»Guter Junge.«

»Sollten wir uns nicht einen Plan ausdenken?«, fragte Jim. »Immerhin wissen diese Dinger da draußen, dass wir hier sind.«

»Dauert nur eine Sekunde«, versicherte Martin ihm.

»Macht schnell«, mahnte Don die beiden. »Das Sperrholz wird sie nicht mehr lange aufhalten.«

Jim stellte Danny auf den Boden, und der Junge trippelte durch den Raum. Martin bedeutete Jim, ihm aus dem Schutzraum hinaus zu folgen. Sie gingen ins Schlafzimmer.

Dort wandte Jim sich ihm mit ernster Miene zu.

»Was gibt’s?«

Der Tonfall der geflüsterten Worte des alten Mannes war barsch. »Was ist los mit Ihnen, Jim?«

»Was meinen Sie denn?«

»Was soll das, wie Sie über die Mutter und den Stiefvater des Jungen reden?«

»Wagen Sie es bloß nicht, mir Moralpredigten zu halten, Martin. Sie haben keine Ahnung, was die beiden mich – uns – haben durchmachen lassen.«

»Leute«, rief Don aus dem Schutzraum, »das ist wirklich nicht der beste Zeitpunkt für Familienpolitik. Die werden gleich ins Haus eindringen!«

Martin legte Jim die Hand auf die Schulter. »Ich weiß, dass sie Ihnen Ihren Sohn weggenommen haben, und das ist zweifellos hart. Sehr hart. Aber sie haben dafür gesorgt, dass er ein Dach über dem Kopf und ordentliche Kleidung hatte. Danny liebt Sie – das sehe ich jedes Mal, wenn er Sie anschaut. Allerdings hat er die beiden auch geliebt. Und dass Sie so etwas sagen, vor allem nach dem, was Danny durchgemacht hat, ist noch härter. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Haare des Kleinen vor zwei Monaten noch nicht weiß waren. Er musste mit ansehen, wie seine Mutter, sein Stiefvater und alle um ihn herum von diesen Dingern geholt wurden. Er hat immer noch einen Schock davon, dass Sie plötzlich aufgetaucht sind, zusammen mit zwei fremden Leuten, denen er noch nie begegnet ist. Und jetzt brennt sein Haus nieder, und er musste gerade einen Drahtseilakt zwei Stockwerke über dem Erdboden bewältigen. Den Umstand, dass er noch lebt und unversehrt ist, kann man getrost als Gottes Werk bezeichnen. Ich bin an die Ostküste gereist, um Ihnen zu helfen, Danny zu finden, und wir sind zusammen durch die Hölle gegangen. Aber wir haben es geschafft. Wir haben ihn gerettet. Also hören Sie mit diesem verfluchten Mist sofort auf. Sorgen wir lieber dafür, dass nicht alles vergebens war.«

Verdutzt wich Jim einen Schritt zurück.

»Ja, es tut mir leid. Das war völlig daneben.«

»Jetzt sehen Sie bloß, was Sie angerichtet haben.« Martin lächelte. »Sie haben mich dazu gebracht, zu fluchen.«

Jim kicherte, als sie in den Schutzraum zurückkehrten. Er ging hinüber zu Danny und hob ihn wieder hoch.

»Es tut mir leid. Daddy ist bloß müde. Ich wollte diese Dinge über deine Mama und Rick nicht sagen.«

»Schon gut.« Danny lächelte. »Sie haben auch manchmal schlecht über dich geredet, schon bevor sie zu Monsterleuten wurden.«

»Willst du ihn tragen?«, erkundigte sich Don.

»Ich denke schon.«

»Hier.« Er reichte Jim ein kleines Beil. »Dann nimm das besser auch. Das kannst du mit einem Arm schwingen.«

Vom Swimmingpool drang wieder der Lärm von Schüssen zu ihnen herauf.

»Ich schätze, das ist unser Stichwort«, drängte Don die anderen. »Wir sollten besser los!«

»Hör doch«, bremste ihn Jim und hob eine Hand. »Das hört sich wie ein M-16 an.«

Don seufzte frustriert. »Wir haben keine Zeit mehr!«

»Ist das Frankie?«, fragte Martin.

Jim schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein.«

»Sie hatte zwar fast keine Munition mehr, aber sie könnte es trotzdem sein – wenn sie den Sturz überlebt hat.«

»Martin «

»Es muss so sein, Jim.«

Don wirbelte herum. »Sie lebt?«

»Los!«, rief Martin.

»Das sage ich doch schon die ganze Zeit«, raunte Don.

Sie rannten zur Garage.

Frankie trat aus dem seichten Ende des Beckens und eröffnete das Feuer, indem sie kurze Salven entfesselte, während sie die Waffe hin und her schwenkte. Als sie sah, dass sie umzingelt war, stemmte sie die Füße in den Boden, hielt den Abzug gedrückt und ließ sich vom Rückschlag der Waffe im Kreis drehen.

»Kommt her, ihr Dreckskerle«, schrie sie. »Ich hab was für euch!«

Als sie den Abzug losließ, grinste sie über die rings um sie ausgestreckt am Boden liegenden Körper – dann begann sie erneut.

Einige der Kreaturen schrien ihr spöttisch zu, doch das Gebrüll des M-16 übertönte sie. Frankie wechselte wieder zu kurzen Salven, damit sie neu zielen konnte. Wenige Meter entfernt tobte das Inferno, in dem das Haus von Jims Exfrau in Rauch und Asche aufging. Sie verengte die tränenden Augen zu Schlitzen. Leere Messinghülsen übersäten den Hof, aus dem Lauf quoll Rauch. Unbeirrt feuerte sie weiter und zerfetzte alles, was ihr in die Quere kam – sie fürchtete zwar, die Waffe könnte sich in ihre Bestandteile auflösen, doch es kümmerte sie kaum noch. Köpfe explodierten, Glieder wurden verstümmelt und in Stücke gerissen. Was im ersten Kugelhagel nicht zerstört wurde, mähte sie in der zweiten Runde nieder. Das Gewehr vibrierte, sandte Schockwellen durch ihren Körper und wurde in ihren Händen heiß.

Ein junges Mädchen, kleiner als der Rest, duckte sich unter ihre Schusshöhe und schwang einen Krocketschläger. In einer einzigen, flüssigen Bewegung wich Frankie zurück, ließ den Gewehrkolben hinabsausen, schlug den Schädel des Kindes ein und hob die Waffe wieder an.

»Kommt schon! Was habt ihr sonst noch für mich? Häh? Was? Ihr habt gar nichts!«

Etwas schlug heftig in ihr Bein ein. Sie schaute hinab und sah Blut. Eine zweite Kugel traf ihren Arm. Eine weitere surrte an ihr vorbei und ließ De Santos’ Küchenfenster zerspringen. Ein Zombie zu ihrer Rechten warf einen Ziegelstein nach ihr. Er landete auf dem Hof, verfehlte sie aber denkbar knapp. Das Blut floss weiter ihr Bein hinunter und sammelte sich in ihrem Schuh. Die Wunde brannte.

»Scheiße.«

Ein weiterer Gegenstand traf sie am Hinterkopf. Ein Stein, dachte sie, als sie vor Schmerz aufschrie. Dann sah sie, worum es sich handelte, als das Ding zu Boden fiel: eine weiße, nunmehr mit ihrem Blut beschmierte Billardkugel.

Sie fragte sich, wie viel Munition sie noch übrig hatte, verdrängte den Gedanken jedoch sogleich wieder. Das Magazin fasste dreißig Kugeln, doch in all dem Chaos hatte sie keine Zeit gehabt, ihre Schüsse zu zählen. So feuerte sie weiter, da sie wusste, wenn sie nun aufhörte, um den Stand ihrer Munition zu überprüfen, würde sie von den Kreaturen überrannt. Ihr Bein fühlte sich an, als leckten Flammen daran. Weitere Köpfe explodierten, deren Besitzer schlaff zu Boden sackten. Der rechte Arm eines Zombies wurde getroffen und blieb nur noch an einem dünnen Stück Knorpel hängen. Er nagte daran, bis der Arm sich löste, dann schlurfte er weiter auf sie zu und schwang das Anhängsel wie einen Knüppel.

»Doppelte Scheiße.«

Frankies Kopf begann immer heftiger zu pochen, und ihr linkes Knie gab nach, da das Bein allmählich taub wurde. Sie schaute hinab und sah, dass mittlerweile das gesamte Hosenbein scharlachrot war. Der abgetrennte Arm krachte gegen ihre Wange und erschütterte ihre Zähne.

Ein untoter Spatz landete in ihren Haaren und riss ein Stück Fleisch aus der Wunde an ihrem Kopf. Frankie kreischte. Während sie versuchte, weiter zu feuern, schlug sie mit einer Hand nach dem Vieh. Unwillkürlich senkte sich ihre Schusslinie zu Boden und ließ Dreck aufstieben. Frankie krümmte den Rücken, hob die Waffe dadurch wieder an und zerrte den Vogel aus ihren Haaren. Dann schleuderte sie das Vieh zu Boden und zerstampfte es unter ihrem blutigen Stiefel.

Ein einäugiger, dreibeiniger Deutscher Schäferhund schlich mit gebleckten Zähnen auf sie zu. Ein Stein traf sie zwischen die Schulterblätter. Ihr Bein, ihr Arm und ihr Kopf pulsierten vor Schmerz. Ihre Sicht rötete sich.

Frankie zielte auf den Hund und drückte den Abzug.

Das nutzlose Klicken des leeren Magazins ertönte.

»Dreifache Scheiße.«

Der Kreis der Zombies rings um sie verengte sich.

Sie mussten brüllen, um sich über den Lärm in der Garage Gehör zu verschaffen. Draußen hämmerten die Kreaturen mit Stöcken, Brecheisen und Fäusten gegen das Tor. Danny umklammerte Jims Schulter, und Jim zuckte zusammen. Die aufgebrochene Wunde pochte, als Danny fester drückte.

»Mein Gott«, stöhnte Martin. »Sie haben uns umzingelt!«

»Wir müssen das schnell durchziehen.« Don griff in die Tasche und zog seinen Schlüsselbund hervor. »Ihr anderen steigt ein, während ich das Garagentor aufschließe. Haltet euch bereit.«

»Wer fährt?«, wollte Jim wissen.

»Ich«, antwortete Don. »Du setzt dich mit Danny hinten rein.«

»Wenn Frankie noch lebt «, setzte Martin an.

Don schnitt ihm das Wort ab. »Selbst wenn sie den Sturz überlebt hat, haben diese Dinger sie inzwischen mit Sicherheit übermannt.«

»Das können wir nicht wissen.«

»Haben Sie eine Ahnung, wie viele dieser Kreaturen vor diesem Tor sind? Wachen Sie auf, Mann. Außerdem können Sie gar nicht sicher sein, dass sie es ist, nur weil Sie dort draußen ein M-16 hören!«

»Wir müssen nach ihr suchen«, beharrte Martin. »Sie würde dasselbe für uns tun.«

Don seufzte. »Na schön. Wenn wir rausfahren und sie sehen, halten wir an. Aber lassen Sie uns eins von vornherein klarstellen: Das gilt nur, wenn es den Rest von uns nicht das Leben kostet, ihr zu helfen.«

»Das ist hohles Geschwätz!«, verlor Martin die Fassung. »Sie kaltherziger Mist…«

»Okay, Hochwürden. Dann gehen Sie raus und suchen selbst nach ihr. Sind Sie mit Jim tatsächlich den weiten Weg aus West Virginia hergekommen, um mit anzusehen, wie diese Dinger Danny kriegen?«

Martin erwiderte nichts.

Don presste die Kiefer aufeinander. »Wir haben keine Zeit für Diskussionen.«

Jim räusperte sich. »So schwer es mir fällt, das zu sagen, Martin, aber er hat recht. Ich werde Danny auf keinen Fall opfern. Eher opfere ich mich selbst, als zuzulassen, dass diese Kreaturen ihn in die Finger bekommen.«

Martin zuckte mit den Schultern.

»Natürlich. Das können wir nicht tun. Es erscheint mir nur so «

»Ich weiß. Es ist beschissen.«

Don klirrte mit den Schlüsseln. »Also gut. Auf geht’s.«

Damit drückte er auf die Fernbedienung. Die Alarmanlage gab in der Düsternis einen leisen Piepton von sich, als die Türen des Wagens automatisch entriegelt wurden. Don warf Martin die Schlüssel zu und kroch zum Garagentor.

»Noch nicht starten«, flüsterte Don zu Martin. »Wir müssen sie ja nicht auf uns aufmerksam machen.«

Der Explorer war rückwärts in die Garage gelenkt worden. Jim gurtete Danny auf dem Rücksitz an und nahm neben ihm Platz. Martin stieg auf der Beifahrerseite ein, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und warf Don einen beunruhigten Blick zu.

Behutsam drehte Don das Rad am Kombinationsschloss. Schweiß tropfte ihm von der Stirn und brannte in seinen Augen. Es war glühend heiß in der Garage, und der Gestank verwesenden Fleisches überlagerte die üblichen Gerüche von Motoröl, Lackdosen und Rasenrückständen. Don brauchte drei Versuche, doch dann öffnete sich das Schloss. Er nickte Martin zu und ließ die Kette fallen.

Martin schluckte und drehte den Zündschlüssel. Als die schwere Stahlkette auf dem Zementboden landete, erwachte das Fahrzeug brüllend zum Leben.

»Sie sind in der Garage!«, brüllte ein Zombie in der Auffahrt. »Hierher! Sie sind hier! Auf der Vorderseite!«

Don rannte zur Fahrerseite, sprang in den Wagen und schlug die Tür hinter sich zu. Das Garagentor erbebte in seinem Rahmen, als die Zombies dagegen hämmerten.

»Alle bereit?«

Jim und Martin nickten.

Mit einem Knopfdruck verriegelte Don die Türen des Explorers und schloss sie im Fahrzeug ein. Durch das Drücken eines zweiten Knopfes begann das vom Akku auf dem Dach gespeiste Garagentor, sich zu öffnen. Schon durch den ersten schmalen Spalt quoll Rauch vom brennenden Nebenhaus. Als das Tor sich weiter öffnete, erblickten sie Füße, einige in Turn- oder Abendschuhen, andere barfuß und verschieden stark verwest. Das Tor schwang weiter auf.

Don schaltete die Scheinwerfer ein.

Ein Dutzend Schulter an Schulter stehender Zombies zeichnete sich im Garageneingang ab und versperrte ihnen den Weg. Die Kreatur in der Mitte hob eine Schrotflinte Marke Mossberg an und feuerte.

Danny schrie.

Nass, frierend und zitternd vor Schmerzen und Schock sah Frankie sich panisch um. Der Deutsche Schäferhund humpelte auf drei Beinen auf sie zu. Zu ihrer Rechten schlichen sich sechs menschliche Leichname und eine untote Katze an. Einer der Zombies schwang einen Golfschläger, zwei andere hatten Fleischermesser im Anschlag. Von links näherte sich eine Kreatur in den zerrissenen Überresten einer Sanitäteruniform. Die Haut des Dings war verkohlt und schälte sich in Schichten. In einer verbrannten Hand hielt es eine kleine Pistole Kaliber .22. Dahinter stand ein weiterer, frischerer Leichnam mit einem Schürhaken. Frankie graute davor, sich umzudrehen und zu erblicken, was sich hinter ihr befinden mochte.

Der Gestank wurde schlimmer, je näher die Horde kam. Sie hielt den Atem an. Der Rauch brannte ihr in den Augen und ließ diese tränen. Ihre Sicht verschwamm, und sowohl ihr verwundetes Bein als auch ihr verletzter Arm fühlten sich schwer wie Blei an.

»Es ist einfacher, wenn du dich nicht wehrst«, schnarrte der verkohlte Zombie. Seine Stimme klang wie Sandpapier. »Für uns ist es dadurch zwar weniger spaßig, aber trotzdem einfacher.«

»Leck mich«, hustete sie hervor und versuchte, sich dabei tapfer anzuhören. Allerdings hörte sie sich für sich selbst alles andere als tapfer an.

Ein weiterer Leichnam humpelte näher. Angeekelt beobachtete Frankie, wie ein fetter Wurm von seinem Unterarm fiel.

»Wie viele Menschen waren bei dir?«

Frankie wich zurück. Der Atem der Kreatur stank wie ein Abwasserkanal.

Der Hund knurrte. Es war ein belegter, dennoch bedrohlicher Laut. Schwarze Flüssigkeit tropfte aus den Augen und der Nase des Tieres.

Die verkohlte Schauergestalt ergriff ihren Arm. Die Finger fühlten sich wie kalte, rohe Würste an.

»Wir haben vier gezählt, dazu den Typ im anderen Haus. Sind noch mehr hier?«

Sie spuckte dem Leichnam ins Gesicht. Selbst diese geringe Anstrengung erschöpfte sie, und der dichte Rauch machte das Atmen zu einer einzigen Qual.

»Na, egal.« Das Ding grinste, wodurch es geschwärzte, abgebrochene Zähne entblößte. »Wir werden es bald herausfinden.«

Der Griff um ihren Arm verstärkte sich, der Rest der Horde rückte nach. Frankie versteifte sich.

»Ich hoffe, ihr fangt euch alle Herpes ein, wenn ihr mich fresst.«

Damit schnellte ihre Hand zum Gesicht des verbrannten Zombies vor. Zwei Finger gruben sich in seine Augen und ließen ihn erblinden. Überrascht wankte die Kreatur rücklings, und Frankie entwand sich ihrem Griff. Ohne innezuhalten, schlug sie dem Ding mit dem leeren Gewehr den Schädel ein.

Der Hund sprang. Weiße Fänge blitzten in der Finsternis auf. Frankie ließ sich fallen und rollte sich ab. Der Hund landete der Länge nach hinter ihr.

Über das Gebrüll hörte Frankie, wie ein Motor angelassen wurde.

»Sie sind in der Garage! Hierher! Sie sind hier! Auf der Vorderseite!«

Der Rauchschleier verdichtete sich und verhüllte alles, außer den Zombies, die sie umzingelt hatten. Frankie nützte die Ablenkung und hechtete in den Qualm.

Der erste Schuss der Schrotflinte zersprengte den Scheinwerfer auf der Beifahrerseite. Der Zombie lud die Mossberg durch. Martin beobachtete gebannt, wie die leere Hülse scheinbar in Zeitlupe ausgeworfen wurde und durch die Luft segelte.

»Erschießen Sie ihn, Martin!«, brüllte Jim.

»Nein.« Don ergriff Martins Handgelenk. »Verschwenden Sie keine Munition. Wir wissen nicht, wann wir eine Möglichkeit finden, uns Nachschub zu besorgen.«

Die Kreatur feuerte erneut und zerstörte den verbliebenen Scheinwerfer. Lachend schwärmten die anderen Zombies aus und versperrten den Eingang völlig.

»De Santos!« Jim stieß ihn vom Rücksitz in die Schulter. »Fahr los!«

Don kauerte mit geweiteten Augen wie erstarrt hinter dem Lenkrad. Panik hatte ihn überwältigt, sodass er keinen klaren Gedanken fassen konnte.

Danny wimmerte und presste die Hände auf die Ohren.

»Was sollen wir denn sonst tun, außer zu schießen?«, fragte Martin.

»Das.« Jäh löste Don sich aus seiner Lähmung und trat das Gaspedal durch.

Das Gelächter der Zombies verstummte, als der SUV auf sie zuschoss. Die frischeren Leichname sprangen aus dem Weg. Die langsameren pflügte Don um. Der Aufprall erschütterte den Wagen, und Don betete, dass die Airbags nicht aufgehen würden. Abermals holperte der Wagen, dann waren sie frei und rasten die Auffahrt hinab.

Dichter, schwarzer Rauch verhüllte alles, und ohne Scheinwerfer konnte Don nur wenige Meter weit sehen. Von Grauen erfüllt und immer noch keines vernünftigen Gedankens fähig, blieb er mit quietschenden Reifen stehen und schaute in den Rückspiegel. Der Zombie mit der Schrotflinte rappelte sich auf die Beine.

»Runter!«

Jim schützte Danny mit seinem Körper. Eine Sekunde später zerbarst die Heckscheibe und ließ Glasscherben auf sie regnen. Abermals kreischte Danny.

»Was machen Sie denn?«, brüllte Martin. »Fahren Sie!«

Don drehte den Motor hoch.

»Jemand getroffen?«, erkundigte er sich.

»Nein, wir sind nicht verletzt«, antwortete Jim, ehe er sich Danny zuwandte. »Es wird alles gut. Du musst nur durchhalten.«

»Ich hab solche Angst, Daddy! Ich will nach Hause! Ich will zu Mama!«

Abermals quietschten die Reifen, als Don auf die Straße hinauspreschte. Der Rauch lichtete sich, und er überfuhr einen weiteren Zombie. Ein Schauder der Befriedigung durchlief ihn, als er das Knirschen unter den Reifen spürte.

»Wenn Sie das weiterhin machen, wird uns dieses Ding nicht weit befördern«, mahnte Martin.

Ohne ihm Beachtung zu schenken, riss Don das Lenkrad herum und hielt auf eine weitere Gestalt zu, die aus dem Qualm wankte.

»Halt!«, brüllte Jim. »Das ist Frankie!«

In blutdurchtränkter Kleidung und mit hängendem Kopf humpelte sie über den Hof. Matt hob sie die Hände, um ihnen ein Zeichen zu geben. Eine Horde der Kreaturen verfolgte sie.

»Scheißdreck!« Don trat heftig auf die Bremse. Der Explorer brach aus und rammte den aufgegebenen HumVee. Jims Kopf prallte gegen das Seitenfenster.

Martin ließ das Fenster hinunter und zielte. Seine Hände zitterten.

»Runter, Frankie!«

Sofort ließ sie sich flach auf das Gras fallen.

»O Herr, führe meine Hand.«

Martin drückte den Abzug und schaltete den vordersten Zombie aus. Den zweiten Schuss richtete er auf den Schäferhund, doch die Kugel durchschlug lediglich die Brust des Tieres. Don legte den Parkgang ein und ließ das Fahrerfenster hinunter. Er beugte sich halb hinaus und begann, über die Motorhaube hinweg zu schießen. Das donnergleiche Gebrüll des Colt .45 übertönte das Knallen von Martins kleinerer Pistole.

Jim sah sich um. Aus jeder Richtung näherten sich ihnen Zombies.

»Sie rücken uns auf die Pelle!«

Frankie kroch auf sie zu. Blut strömte ihr über das verschmutzte Gesicht. Martin riss die Tür auf und rannte auf sie zu.

»Martin!«, brüllte Jim. »Was tun Sie denn da?«

Don duckte sich zurück in den Wagen. »Ich hab kein freies Schussfeld. Der alte Mann ist im Weg.«

Martin machte zwei Schritte und feuerte, dann lief er drei Schritte weiter und schoss erneut. So verringerte er beständig den Abstand zwischen sich und der verwundeten Frau.

»Zum Teufel, was soll das, Prediger?«, keuchte Frankie. »Verschwinden Sie zurück in das Auto, bevor die Sie auch noch kriegen.«

»Wohl kaum«, gab Martin zurück. »In Hellertown haben Sie mich gerettet, jetzt revanchiere ich mich dafür.«

Don fuhr über den Randstein und über den Hof auf sie zu. Der Wind wehte kräftiger und blies den Rauch von der Straße. Orangefarbene Flammen züngelten über das Dach seines Hauses. Wut und Traurigkeit keimten in ihm auf. Er musste an sich halten, um nicht die Beherrschung zu verlieren.

Leb wohl, Myrna, dachte er. Ich liebe dich, und es tut mir leid. Es tut mir so leid

Vor Anstrengung grunzend, zerrte Martin Frankie auf die Beine. Während er sie mit einem Arm stützte, zielte er abermals auf den Hund und drücke den Abzug. Das Magazin der Pistole war leer.

»Was jetzt?«, brummte Frankie.

»Wir haben immer noch das hier.« Während er sie über das Gras schleifte, zog er das Messer hervor. Frankie knirschte mit den Zähnen, als Martin versehentlich mit dem Oberschenkel ihre Kopfverletzung streifte.

Don hielt auf sie zu, doch der Hund tat dasselbe. Das Tier war schneller. Seine Kiefer schlossen sich um Frankies verwundetes Bein. Kreischend drosch sie ihm auf den Kopf.

Die anderen beobachteten die Szene voller Entsetzen, und Don wurde unweigerlich an Rocky erinnerte.

Martin stach mit dem Messer zu. Die Klinge drang zwischen den Ohren in den Schädel des Hundes. Grunzend versuchte er, sie wieder zu lösen, doch das Messer rührte sich nicht.

»Nehmen Sie das Vieh von mir weg!«, stöhnte Frankie.

»Die Klinge steckt im Schädel fest.«

Eine Kugel schlug in den Dreck neben seinen Füßen ein. Martin biss die falschen Zähne zusammen und riss erneut am Griff. Die Klinge bewegte sich keinen Millimeter.

»E-es tut so weh «, presste Frankie hervor. »Vergessen Sie das Messer!«

»Kommen Sie.«

Martin zog sie zum Explorer. Den Kadaver des Hundes, dessen Kiefer selbst im endgültigen Tod gnadenlos um Frankies Bein geschlossen blieben, schleiften sie hinter sich her.

Don feuerte erneut, und die herannahenden Zombies zauderten und gingen in Deckung. Weitere Kreaturen strömten aus den anderen Häusern.

Jims Hand wanderte zum Türgriff. »Danny, du bleibst hier.«

»Nein, Daddy! Geh nicht da raus!«

»Ich muss. Sie stecken in der Klemme.«

Mit dem Beil im Anschlag öffnete Jim die Tür und rannte zu den beiden. Mit vier gezielten Schlägen trennte er den Kopf des Hundes vom Körper ab. Frankies Augen rollten nach oben, als sie das Bewusstsein verlor. Rasch luden Martin und Jim die ohnmächtige Frau auf die Ladefläche des Wagens. Der Schädel des Hundes haftete immer noch wie ein Blutegel an ihrem Bein.

Don duckte sich ins Auto zurück.

»Ich habe keine Munition mehr!«

»Egal«, rief Jim. »Fahr einfach.«

Sie rasten los. Die Zombies wurden im Rückspiegel kleiner. Das Feuer verwandelte sich in einen matten, orangefarbenen Schimmer, dann verschwand es, als Don in eine Seitenstraße bog.

Martin seufzte vor Erleichterung. »Wir haben es geschafft. Danke, o Herr.«

»Irgendwelche Vorschläge, wohin wir fahren sollen?«, fragte Don.

»Nur weg von hier«, gab Jim zurück. Er tastete an den Zähnen des Hundes herum und suchte nach einer Lücke. Ringsum quoll Frankies Blut hervor. Jim vollführte einen kräftigen Ruck, und die Kiefer öffneten sich. Statt sich weiter in Frankies Bein zu verbeißen, schnappte der abgetrennte Kopf nun nach ihm. Eine lange, raue Zunge baumelte aus dem Maul des Hundes.

»Grundgütiger – er bewegt sich immer noch!«

»Die Klinge ist wohl nicht tief genug eingedrungen«, sagte Martin.

Jim packte den Schädel an den Ohren, ließ das Fenster hinunter und warf ihn hinaus.

Frankies Lider zuckten. Ihr Atem ging stoßweise.

»Wohin will die Schlampe mit meinem Baby?«, stöhnte sie.

»Kommt sie wieder in Ordnung, Daddy?«

»Ich weiß es nicht, Danny. Ich weiß es nicht.«

Weitere dunkle Häuser und eine Einkaufsstraße flogen an ihnen vorbei.

Don verlangsamte die Fahrt.

»Was tun Sie?«, wollte Martin wissen.

»Die Scheinwerfer sind zerschossen. Das Letzte, was wir brauchen können, ist ein Unfall.«

»Richtig.«

»Es tut mir leid, dass ich in der Garage derart die Nerven verloren habe«, entschuldigte sich Don.

»Machen Sie sich deshalb keine Gedanken«, beruhigte ihn Martin. »Ist nicht so einfach, sich an diese Dinge zu gewöhnen.«

Don schaute auf den Rücksitz. »Wie schlimm ist es?«

»Ihr wurde ins Bein geschossen«, erklärte Jim. »Außerdem hat sie eine üble Platzwunde am Hinterkopf. Der Hund hat genau auf die Schussverletzung gebissen. Sie hat eine Menge Blut verloren. Ich vermute, sie hat einen Schock. Hast du irgendwo im Auto zufällig saubere Lappen?«

»Unter dem Sitz ist eine Decke. Die haben wir früher für Rocky verwendet, aber sie müsste einigermaßen sauber sein. Zumindest sauberer als die Kleider, die wir tragen.«

»Wer ist Rocky?«

»Unser – unser Hund.«

Jim öffnete eine Wasserflasche und wusch Frankies Wunden. Dann verband er sie, so gut er konnte, indem er die dünne Hundedecke in Streifen riss.

Zu ihrer Linken ragte die Skyline von New York City in den nächtlichen Himmel. Die Gebäude erinnerten an riesige Grabsteine. Don schauderte. Die Stadt wirkte gespenstisch. Er war mit einer Aussicht auf die Skyline aufgewachsen und hatte sein gesamtes Leben als Erwachsener in ihrem Schatten verbracht. Außer anlässlich eines allgemeinen Stromausfalls hatte er die Stadt noch nie so völlig dunkel gesehen. Die hoch aufragenden Wolkenkratzer waren in tiefe Finsternis gehüllt.

Bis auf einen.

Er deutete hin. »Seht euch das mal an!«

Der Ramsey Tower, das zweithöchste Bauwerk von New York City, präsentierte sich schillernd wie ein Weihnachtsbaum mit lichtgefluteten Fenstern. Auf dem Dach wechselte ein farbiges Stroboskoplicht zwischen Rot und Blau und warf einen gleißenden Strahl an den nächtlichen Himmel.

Jim stieß einen leisen Pfiff aus, kurz darauf ahmte Danny ihn nach. Die beiden grinsten einander an.

»Könnten wir es bis dorthin schaffen?«, fragte Martin.

»Es gibt einfachere Wege, Selbstmord zu begehen«, meinte Don dazu. »Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Zombies es in den fünf Vierteln geben muss? Wie hoch war der Bevölkerungsstand von New York? Acht Millionen Menschen? Eine Evakuierung wurde erst eingeleitet, als es zu spät war, und während der Krawalle und Plünderungen wurden unzählige Leute getötet. Ganz zu schweigen von all dem Viehzeug – Tauben, Ratten, Katzen, Hunde.«

»Das sind eine Menge Zombies«, pflichtete Jim ihm bei.

»Außerdem«, fügte Don hinzu, »muss das eine Falle sein.«

»Wie kommen Sie darauf?«, wollte Martin wissen.

»Denken Sie mal darüber nach, Herr Pfarrer. Wenn Sie sich in einem Wolkenkratzer verschanzt hätten, würden Sie das Gebäude dann beleuchten und all die Kreaturen darauf aufmerksam machen, dass sie sich darin befinden? Das ist so, als würde man die Glocke fürs Abendessen läuten.«

»Sie haben vermutlich recht.« Martin strich sich übers Kinn. »Wofür halten Sie das dann?«

»Wie ich schon sagte, ich denke, es ist eine Falle. Ich kann mich erinnern, darüber gelesen zu haben, wie unabhängig dieses Gebäude war. Angeblich ist es in der Lage, so gut wie alles zu überstehen. Wahrscheinlich haben ein paar Zombies die Stromversorgung darin zum Laufen gebracht und die Lichter in der Hoffnung angemacht, Überlebende wie uns anzulocken.«

»Wie ein Locklicht für Stechmücken«, meinte Jim von der Rückbank. »Wir müssen Hilfe für Frankie finden. Besser wäre es, aufs Land zu fahren, weg von der Zivilisation. Selbst dort sind wir alles andere als sicher. Aber wenigstens ist es dort besser als hier.«

»In der Nähe ist ein Krankenhaus«, erklärte Don. »Es wurde erst vor ein paar Monaten fertiggestellt. Dort könnten wir uns beschaffen, was Frankie braucht. Vielleicht finden wir sogar einen Arzt, der noch lebt.«

»Wie bevölkerungsreich ist die Gegend, in der es sich befindet?«

»Wie jede andere hier. Aber vielleicht könnte sich einer von uns reinschleichen und zumindest ein paar Medikamente stehlen.«

Jim schüttelte den Kopf. »Zu riskant. Fahren wir zuerst raus aufs Land. Vielleicht finden wir dort eine Arztpraxis oder so etwas. Was ist mit diesen Pine Barrens, von denen ich schon so oft gehört habe? Wie weit ist es dorthin?«

Don lachte. »Die liegen im Süden. Wenn du es ländlich haben willst, sind die Pine Barrens ideal, viel ländlicher geht es kaum. Der Tank ist noch etwa halb voll, also könnten wir es dorthin schaffen. Aber ich weiß nicht, wie wir nachtanken sollen, wenn uns der Treibstoff ausgeht. Ohne Strom wird keine Pumpe funktionieren.«

»Gott wird uns helfen«, verkündete Martin. Seine Stimme hörte sich verträumt an, während seine Aufmerksamkeit dem Wolkenkratzer galt.

»Wenn Sie das sagen«, gab Don zurück. »Allerdings stellt sich Gott bislang nicht besonders geschickt dabei an.«

»Wir leben doch noch, oder?« Martin löste die Augen vom fesselnden Licht des Wolkenkratzers. »Er hat uns das Schlimmste überstehen lassen. Demnach wird er seine treuen Diener auch jetzt nicht verlassen.«

Don schaute in den Rückspiegel und erstarrte.

»O nein «

»Was ist denn jetzt schon wieder?«, seufzte Jim.

Dons Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

»Habt ihr die Schlüssel in dem HumVee gelassen?«

»Wovon reden Sie denn?«, fragte Martin. »Das spielt doch keine Rolle. Wir können einen anderen finden.«

»Brauchen wir nicht. Wir sind gerade von einem gefunden worden.«

Jim und Martin blickten durch die Heckscheibe.

Ihr zurückgelassener HumVee raste auf sie zu. Die Scheinwerfer leuchteten wie die Augen eines heranstürmenden Drachens.

»Scheiße, wer fährt das Ding denn?«, schrie Don.

»Was glaubst du wohl?« Jim tastete nach einer Waffe. »Die Zombies!«

Weitere Scheinwerfer tauchten hinter ihnen auf. Autos, Laster und ein Motorrad beteiligten sich an der Jagd.

Don wischte sich Schweiß von der Stirn. »Es hört nie auf, oder? Es hört einfach nie auf.«

»Können sie uns einholen?«, fragte Martin.

»Ich hoffe nicht.« Don trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch, und der Explorer schoss vorwärts.

In der Dunkelheit blitzte etwas auf, und ein gedämpfter Schuss ertönte hinter ihnen.

»Sieht so aus, als hätten sie nachgeladen«, stellte Jim fest. »Das sollten wir auch tun.«

»Ich hab keine Kugeln mehr«, brummte Don.

Martin nickte. »Ich auch nicht. Sie sind alle bei der Rettung von Frankie draufgegangen.«

Jim griff nach hinten und nahm sich Frankies M-16. Er überprüfte das Magazin, dann schlug er frustriert auf den Sitz.

»Sie hat auch nichts mehr.«

Der Explorer holperte über Eisenbahnschienen. Eine weitere Explosion ließ sie zusammenzucken. Der Schuss schlug mit einem lauten Knall in die hintere Stoßstange ein.

»Wir haben immer noch das Beil«, sagte Don.

»Na prima. Und was sollen wir damit machen – sie damit bewerfen?«

Ihre Verfolger holten auf. Ein roter Mazda schoss hinter dem HumVee hervor und zog mit ihnen gleich. Ein Zombie lehnte sich mit einer Sprühdose in der Hand aus dem Fenster. Mit der anderen Hand hob die Kreatur ein Feuerzeug an.

»Was zum Geier «

Das Ding zündete das Feuerzeug an und drückte den Knopf auf der Dose. Eine Stichflamme schnellte ihnen entgegen und züngelte über das Fenster auf der Fahrerseite.

»Herrgott!«, rief Jim aus. »Wer ist dieser Typ – McGyver?«

Erschrocken drehte Don ab. Der Fahrer des Mazda folgte ihm und prallte seitlich gegen den größeren Wagen. Ein grässliches metallisches Kreischen ertönte, als die beiden Fahrzeuge sich ineinander verkeilten, dann löste der Explorer sich mit einem Ruck.

»Ein behelfsmäßiger Flammenwerfer«, keuchte Don. »Ich weiß, ihr habt gesagt, dass diese Dinger listig sind, aber das «

Danny begann zu weinen. Jim schlang ihm einen Arm um die Schultern und versuchte, ihn gleichzeitig zu stützen und zu trösten.

»Es wird alles gut. Es wird «

Plötzlich raste der HumVee aus der Finsternis heran. Die Scheinwerfer gleißten durch die Heckscheibe des Explorers. Ein Ruck durchlief den SUV, als das Militärfahrzeug ihn von hinten rammte. Der HumVee beschleunigte und prallte erneut gegen sie.

Martins Kopf wurde zur Seite geschleudert und schlug gegen das Fenster. Seine falschen Zähne klapperten. Er zuckte zusammen und schmeckte Blut im Mund.

Don löste eine Hand vom Lenkrad und wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Wenn sie so weitermachen, bringen sie sich selbst auch um.«

»Und?« Jim drückte Danny fester. »Sie sind bereits tot. Es ist ihnen egal, wenn sie ihre Körper zerstören. Sie holen sich einfach neue.«

Der HumVee krachte ein drittes Mal gegen ihr Auto und brach ihnen die hintere Stoßstange ab. Don hatte alle Hände voll zu tun, um den Wagen unter Kontrolle zu halten. Mit schlitternden Reifen steuerte er auf eine andere Straße, gesäumt von hohen Eichen und Ulmen, die das Mondlicht abhielten.

»Das ist nicht gut«, grunzte er. »Ich kann überhaupt nichts sehen.«

»Aufpassen.« Martin stemmte sich gegen das Armaturenbrett. »Da kommen sie wieder!«

Dannys Tränen durchtränkten Jims Hemd. Das Licht der herannahenden Scheinwerfer füllte den Innenraum und blendete sie. Im Ladebereich begann Frankie erneut zu stöhnen.

»Mein Baby … sie haben mir mein Baby weggenommen … ich will einen Schuss «

Wie eine Dampframme prallte der HumVee gegen den Explorer und stieß ihn vorwärts. Gleichzeitig raste der Zombie auf dem Motorrad voraus. Grinsend zog er an ihnen vorbei, streckte ihnen den Mittelfinger entgegen und brachte das Motorrad absichtlich zu Fall.

Sowohl die Maschine als auch der Fahrer verschwanden unter den Reifen des Explorers. Stahl und verwesendes Fleisch begegneten weiterem Stahl und Asphalt. Ein Funkenschauer sprühte in die Luft. Unkontrolliert drehten sie sich. Der Explorer holperte über den Randstein, streifte einen Baum und schoss eine Böschung hinab auf eine verglaste Wächterhütte vor einer Parkgarage zu.

Don hatte gerade noch Zeit zu denken: Das ist eine Parkwächterhütte.

Jim und Danny klammerten sich aneinander.

Martins Lippen bewegten sich in einem leisen Gebet.

»Dein Wille geschehe. Beschütze uns erneut, o Herr «

Dann krachten sie in die Hütte und bekamen nichts mehr mit.