„Pack den Spaten ein, Schatz!“

Sie mögen es makaber nennen, aber wir hatten Hunger. So kam es, dass wir Melotti ins Nebenzimmer schleiften und zunächst ausgiebig frühstückten. Für das, was dann folgen sollte, brauchten wir schließlich Kraft.

„Wir müssen den Typen jetzt wegschaffen“, sagte ich. „Bevor er anfängt zu stinken.“

„John, dieses Omelett war wirklich lecker. Aber in all seinen Einzelteilen über den Küchentisch verstreut, macht es sich bestimmt nicht mehr so gut. Also hör bitte auf, so zu reden.“

Ich lachte. „Ach, vergiften kann Madame den Herrn. Aber die Folgen sollen bitte andere ertragen?“

„Das war Notwehr!“, verteidigte sich Rosie.

„Das ändert aber nichts daran, dass wir ihn jetzt loswerden müssen“, sagte ich. „Wem gehört eigentlich der Mercedes, der vor der Garage steht?“

„Der Wagen gehörte dem Doc“, antwortete Rosemarie.

„Perfekt!“, jubelte ich. „Der Mann, den keiner vermisst, hinterlässt ein Auto, das keiner vermisst.“ Ich überlegte einen Augenblick, wie wir die Sache möglichst geschickt in Angriff nehmen konnten. „Kann man mit dem Wagen hinter das Haus in den Garten fahren?“

„Der Platz rechts neben dem Haus müsste reichen, um mit dem Auto durchzukommen“, antwortete Rosie.

„Dann lass uns das machen.“

Rosemarie gab mir die Autoschlüssel. Ich setzte mich in den Mercedes und fuhr hinters Haus. Dort wartete Rosie bereits auf mich. „Hier können wir ungestört beladen“, sagte ich und öffnete den Kofferraum. „Wenn man so etwas vor dem Haus macht, kommt immer jemand vorbei, den man gerade nicht gebrauchen kann – vom Postboten bis zur besten Freundin. Alles schon passiert.“

„Dann mal los!“ Rosemarie war voller Tatendrang. Wir gingen zurück ins Haus.

„Du nimmst die Beine, ich den Kopf“, sagte ich, griff dem toten Melotti von hinten durch die Achseln und verschränkte meine Arme vor seiner Brust. Sein Kopf hing mit dem Kinn auf meinen Händen. Beherzt griff Rosie nach Melottis Beinen und wir trugen den Toten zum Auto.

„Puh, ist der schwer“, stöhnte Rosie.

„Ja, aber man gewöhnt sich dran“, erwiderte ich. „Spätestens beim vierten Mal kommt dir das ganz normal vor.“

„Sehr witzig. Ich hatte nicht vor, in die Bestattungsbranche einzusteigen.“

„Ehrlich gesagt ist das Beseitigen von Leichen und Spuren auch nicht mein Spezialgebiet. Dafür hatte Harry einen guten Kontaktmann, der dann mit ‚den Jungs‘, wie Harry sie nannte, in besonderen Fällen die Drecksarbeit für uns übernahm. Das lief immer ganz sauber ab. Und das Beste war: Keiner kannte den anderen. Alles diskret.“

„Was jetzt?“, fragte Rosie, nachdem wir Melotti in den Kofferraum gehievt hatten.

„Jetzt fahr ich los und sorge dafür, dass Damian Melotti für alle Zeit spurlos verschwindet.“

Rosemarie sah mich versteinert an. Ich versuchte sie zu beschwichtigen. „Süße, du musst mir jetzt vertrauen. Ich bin in ein paar Stunden wieder da. Bis dahin musst du deine sieben Sachen zusammen haben. Pack bitte nur das Nötigste in einen Koffer, den wir bei Bedarf auch am Flughafen aufgeben können.“

„Bei Bedarf?“, fragte Rosie.

„Ja, ich weiß noch nicht, ob ich so schnell neue Papiere für dich bekomme – und Flugtickets auf den neuen Namen. Gib mir bitte mal deinen Reisepass.“ Rosie zögerte einen Augenblick. Dann ging sie ins Haus und kam kurze Zeit später mit ihrem Pass in der Hand zurück. „Ich muss völlig bescheuert sein“, sagte sie und überreichte mir ihre Papiere.

„Wir ziehen das jetzt durch“, sagte ich und war mir nicht sicher, wen ich mit diesen Worten mehr ermutigen wollte: Rosie oder mich selbst. „Ich fahr jetzt los!“

„Warte, Schatz“, rief Rosie und sah mich wimpernklimpernd an. „Pack den Spaten ein!“

„Verdammt!“, fluchte ich, weil ich mich über mich selbst ärgerte. Ich war so sehr in Gedanken, dass ich das Wichtigste beinahe vergessen hatte. Ich holte mir die Schippe und eine ganze Menge anderer Sachen aus dem Gartenschuppen. Dann ging ich ins Haus und packte Kleidung, ein paar Flaschen Mineralwasser und Seife in einen Korb.

„Was willst du mit dem ganzen Zeug?“, fragte Rosie.

„Glaub mir, Schatz, das willst du nicht wissen“, antwortete ich.

Dann fuhr ich los.

Ich beschreibe Ihnen nicht genau, wo ich hingefahren bin. Das haben Sie sich bestimmt schon gedacht. Einen Menschen spurlos verschwinden zu lassen, ist gar nicht so einfach. Da ist es besser, wenn nicht jeder weiß, wo man suchen muss. Ich fuhr eine Stunde, bis ich zu einem Wald kam, in den ich auf einem kleinen Weg einbog. Schon nach kurzer Zeit endete dieser Weg an einer Lichtung.

Dort ließ ich den Wagen stehen und ging an der am dichtesten bewachsenen Stelle am Rande der Lichtung in den Wald. Nach gut fünfzig Metern kam ich an eine Stelle, an der der Boden sehr weich war. Hier grub ich ein tiefes Loch. Danach ging ich zur Lichtung zurück, und wieder in die entgegengesetzte Richtung in den Wald. Nach rund hundert Metern grub ich ein zweites Loch – nicht so tief wie das erste. Dann ging ich zum Wagen zurück. Ich zog den toten Melotti aus dem Kofferraum und trennte ihm mit einer Säge den Kopf, die Hände und die Füße ab. Es war eine Riesensauerei und dauerte ewig.

Ich möchte nicht, dass Sie schlecht von mir denken. Es gab bis zu diesem Zeitpunkt bereits viele Dinge in meinem Leben, auf die ich nicht besonders stolz war. Aber während ich so vor mich hin sägte, war ich sicher: Ich war an einem persönlichen Tiefpunkt angelangt.

Nachdem ich Melotti zerlegt hatte, trug ich seinen Rumpf zu dem rund fünfzig Meter entfernten, tiefen Loch. Ich warf ihn hinein und übergoss ihn mit Benzin aus dem Reservekanister des Autos. Ein Streichholz, eine Stichflamme und kurz darauf ein ekelerregender Gestank. Ich ließ es brennen und ging erneut zum Auto zurück.

Dort zertrümmerte ich Melottis Gebiss, sammelte die Reste davon ein und ging wieder in den Wald. Ich schaufelte an zehn verschiedenen Stellen kleine, tiefe Löcher und vergrub dort jeweils Teile seines Gebisses. Dann sammelte ich seine Hände und Füße ein und ging zu der Stelle, an der ich das zweite Loch gegraben hatte. Dort entzündete ich erneut ein Feuer. Ich ließ Melottis Hände und Füße brennen und machte mich wieder auf den Weg zu Loch Nummer eins. Das Wenige, was dort noch von Melotti übrig war, begrub ich. Das Ganze wiederholte ich an Loch Nummer zwei.

Danach wusch ich mich mit Mineralwasser und Seife und zog mich um. Für meine verdreckte, alte Kleidung schaufelte ich erneut ein Loch und ließ es zum letzten Mal brennen. Dann fuhr ich zum Passfälscher, zum Flughafen, wo ich Tickets für drei verschiedene Länder für uns buchte, und zurück zu Rosemarie.

„Wie lief’s?“, fragte Rosie.

„Toll“, sagte ich. „Alles bestens.“

Wir sprachen nie wieder über diesen Tag.