VIER
D ie Blicke, die ich ernte, sind nicht freundlich. Ich bin mir ziemlich sicher, das Mädchen, Silvia, würde mich am liebsten umbringen. Mir ist nicht entgangen, wie sie Roman angesehen hat, als er ihren Namen gerufen hat. Sie hat sich in seiner Aufmerksamkeit gesonnt. Bis sie mich gesehen hat. Sie will ihn. Das kann ich ihr nicht übelnehmen. Bevor ich mit meinem Ex, Ryker, zusammenkam, hätte ich ihn vielleicht auch gewollt. Der wilde Typ, den jedes Mädchen zähmen möchte. Aber ich habe meine Lektion gelernt.
Ich bin nicht masochistisch veranlagt, also muss sie sich meinetwegen keine Sorgen machen.
Er hat sie gebeten, sich um mich zu kümmern – um sein Mädchen. Hat er irgendeine Vorstellung davon, wie verdammt sehr er mich mit diesen zwei kleinen Worten in Schwierigkeiten gebracht hat? Man kann problemlos erkennen, dass Silvia eine – wenn nicht sogar die größte – Zickenkönigin hier an der Sun Valley High ist. Sie ist total herausgeputzt und hat einen so verächtlichen Gesichtsausdruck, dass sich einem die Zehennägel aufrollen. Bis zum Ende des heutigen Schultages werden mich alle Mädchen dieser Schule hassen, weil sie ihrem Beispiel folgen.
Glücklicherweise muss ich nicht neben ihr sitzen und Analysis verläuft ohne Zwischenfälle, von dem Flüstern und spöttischen Grinsen in meine Richtung mal abgesehen. Aber was kann ich dagegen schon tun?
Gar nichts. So sieht es aus.
Sun Valley High ist genauso, wie ich es erwartet hatte. Die typische öffentliche Schule. Aber ich hatte nicht bedacht, für welchen Wirbel ich als die Neue sorgen würde. Und es hilft nicht, dass ich mitten im ersten Trimester an diese Schule gekommen bin. Wenn ich, wie jeder andere auch, am ersten Schultag begonnen hätte, dann wäre es mir vielleicht gelungen, unbemerkt zu bleiben. Eventuell. Wahrscheinlich. Es sei denn, ich wäre auch am ersten Tag Roman über den Weg gelaufen.
Ich zupfe am Saum meines Shirts herum, während ich eine Welle der Befangenheit unterdrücke. Niemand hier trägt Klamotten wie meine. Janessa hat mich glauben lassen, dass das so sein würde, und hat mir ständig erzählt, was beliebte Schüler hier mögen. Aber sie lag völlig daneben.
Die meisten Kinder tragen zerrissene Jeans, Hoodies und lässige T-Shirts. Es gibt eine kleine Gruppe, die wie aus dem Ei gepellt aussieht – wie Silvia – und ich habe das Gefühl, dabei handelt es sich um die Elite von Sun Valley. Die schicken Sportler und die verwöhnten reichen Kinder. Nur ihre Version von „schick“ bedeutet Rock Revival-Jeans und Oberteile von Free People.
Meiner Meinung nach immer noch übertrieben, aber schon allein meine Schuhe haben mehr als die meisten ihrer Outfits gekostet, und das bleibt nicht unbemerkt. Mir werden viele Kommentare zugeflüstert, die Variationen von „eingebildete Ziege“ darstellen, und bis zur Mittagszeit habe ich einen neuen Spitznamen: „Daddys kleine Prinzessin“.
Den hasse ich sogar noch mehr als Romans „Vanille“.
Er wartet vorm Klassenzimmer auf mich, um mich zum Mittagessen mitzunehmen, was mich überrascht. Ich mache mir nichts vor und glaube nicht, dass wir Freunde werden. Kerle wie er sind mit Mädchen nicht befreundet. Ich kenne diese Sorte. Ich bin einfach nur seine Strafe, und es ist klar ersichtlich, dass er damit nicht glücklich ist, selbst wenn er mit mir seine Spielchen treibt. Ryker hat auch immer solchen Scheiß abgezogen.
Ich folge Roman zur Cafeteria, und wir schnappen uns jeder das Mittagessen, bevor wir zu einem Tisch in der hinteren rechten Ecke gehen. Zwei andere Jungen sitzen schon dort. Einer ist ein großer schwarzer Kerl, der anthrazitfarbene Jogginghosen, ein schlichtes, weißes T-Shirt und ein Paar Beast Mode-Sneaker trägt.
Hm, ein Fan von Marshawn Lynch. Damit kann ich leben.
Na ja, mit Marshawn Lynch, als er für die Raiders gespielt hat. Ich war nie ein Fan der Seahawks.
Der Typ hat volle Lippen und dunkelbraune, weit auseinanderstehende Augen. Seine Haare sind eng an seinen Kopf geflochten, und an seiner linken Augenbraue hat er zwei Cuts. Ich bin mir ziemlich sicher, er hat dort Haare wegrasiert, anstatt dass es sich um die Überreste einer Narbe handelt. Die Cuts lassen ihn härter wirken und betonen sein sowieso schon gutes Aussehen.
Ich schaue mir den Kerl neben ihm an. Er ist kleiner als der andere, aber immer noch über einen Meter achtzig groß. Er ist Hispanoamerikaner genau wie Roman und ich, nur seine Augen zeigen außen leicht nach oben, und seine Wangenknochen sind etwas schärfer. Bestimmt kein Mexikaner. Vielleicht Honduras. Er ist von den Dreien, der schmalste, aber seine Arme sind trotzdem sehr muskulös. Vielleicht ist er einfach noch nicht ausgewachsen.
Er trägt ein weißes Tanktop, niedrig sitzende Jeans, die die oberen fünf Zentimeter seiner schwarzen Boxershorts zeigen, und eine dicke Silberkette um den Hals.
Er ist unglaublich gutaussehend. Alle drei sind das. Und ein Blick durch die Cafeteria sagt mir, dass diese drei die absoluten Sahneschnitten sind. Alle Mädchen starren sie voller Verlangen und Begierde an.
Geht’s vielleicht noch ein bisschen offensichtlicher?
Der andere Hispano wirft mir einen kurzen Blick zu, als ich hinter Roman her dackele. Sein Blick wirkt fragend, aber Roman scheint nicht gewillt zu sein, darauf einzugehen.
„Por qué está ella aquí?“, fragt er, als wir endlich den Tisch erreichen. Warum ist sie hier?
Roman schnaubt und antwortet nicht. Wunderbar.
Ich überlege, ob ich gehen soll. Ich kann mich in die Bibliothek setzen und dort essen. Obwohl Roman mich hierhergeschleppt hat, scheinen die zwei Kerle nicht geneigt, mich willkommen zu heißen. Ich beschließe, mich trotzdem vorzustellen.
„Me llamo Alejandra. Allie.“ Ich entschied, das auf Spanisch zu sagen. Ich will keine Zicke sein, aber ich will auch nicht, dass er glaubt, er könne über mich auf Spanisch reden, ohne dass ich mitbekomme, was er sagt.
Er grinst und lacht überrascht auf. „Oh, ich liebe es, wenn Mädchen mit mir Spanisch sprechen.“ Ich verdrehe bei seinem Flirtversuch die Augen. Er wackelt mit den Augenbrauen hoch und runter und fragt: „Was führt dich her, Vanille?“
Er jetzt auch noch? Ich versuche, nicht finster zu schauen. „Ich heiße Allie. Nicht Vanille“, sage ich und bemühe mich, nicht so einen scharfen Ton anzuschlagen. Keiner dieser Kerle hat mir etwas getan, und ich will mich nicht noch unbeliebter machen. Aber ich mag den Spitznamen wirklich nicht.
„Was immer du sagst, Vanille.“ Grrrr, ich könnte ihn würgen. „Ich bin Emilio.“ Er zeigt auf sich. „Der schweigsame Wichser hier ist Dom.“ Er deutet auf den Jungen neben sich. Dom nickt, scheint aber an der Vorstellungsrunde nicht allzu großes Interesse zu haben. „Gibt es einen Grund, warum du an unseren Tisch kommst? Nichts für ungut, aber dieser Tage haben wir normalerweise nicht mehr mit dem schönen Geschlecht zu tun.“
Oh. Oh. „Ich bin nur… Ich meine… Ich habe kein Problem damit.“ Ich hebe beschwichtigend meine Hände. „Echt. Wenn ihr auf Kerle steht oder auf euch gegenseitig –“
„Wir sind nicht schwul“, sagt Dom mit unbewegtem Gesicht.
Meine Wangen röten sich. Sind sie nicht? „Ähm …“
Ich habe keine Ahnung, was ich sagen soll.
Dom seufzt und rückt herum, um mich anzusehen. „Was Emilio sagen wollte …“, er hält inne und gibt ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
„Hey!“
Dom blickt Emilio finster an und fährt fort: „…ist, dass das unser Abschlussjahr ist. Wir haben keine Zeit für Bräute. Wir konzentrieren uns auf Football. Nur auf Football. Wenn du also versuchst, etwas mit Ro …“
„Tu ich nicht. Oh, mein Gott. Echt nicht.“ Meine Wangen brennen mittlerweile vor Hitze, aber ich will nicht, dass hier irgendjemand falsche Vorstellungen bekommt. „Ich bin seine Strafe. Das ist buchstäblich der einzige Grund, warum ich jetzt hier bin. Er muss mich diese Woche herumführen, damit er um das Nachsitzen herumkommt.“
Emilio pfeift. „Echt jetzt?“ Er mustert mich von oben bis unten, als ob ich ein Stück Fleisch bin, und dreht sich dann breit grinsend zu Roman um. „Wie hast du’s geschafft, mit so einer scharfen Braut bestraft zu werden?“ Er sagt es, als ob es ein Witz wäre, aber in seiner Frage schwingt ein gewisses Interesse mit.
„Es ist keine große Sache. Mrs Jennings war einfach nur wieder Mrs Jennings.“
Beide Kerle stöhnen auf. Ich achte nicht auf das, was als Nächstes gesagt wird, und checke stattdessen mein Handy.
Ich ziehe mein Smartphone heraus. Während der ersten und zweiten Stunde hat es immer wieder vibriert, aber ich wollte keinen Blick darauf riskieren – nicht, dass es möglicherweise konfisziert worden wäre. Keine Ahnung, wie streng die Lehrer hier sind.
Ich scrolle durch meine Textnachrichten. Ich habe drei von meinem Ex, Ryker.
Ryker: Baby, ich weiß, wir haben Schluss gemacht, aber ich vermisse dich.
Ryker: Wir sollten uns bald mal treffen.
Ryker: Ich vermisse deine Küsse. Deinen Geschmack…
Widerlich. Die letzte Nachricht enthält ein Foto. Ein Dick Pic. Wunderbar. Was für ein Arschloch. Er hat mit mir Schluss gemacht. An dem Tag, an dem Mom gestorben ist. Wer tut denn so etwas? Und er hat mich betrogen. Mit meiner einzigen Freundin. Und in keiner dieser Mitteilungen hat er sich dafür entschuldigt. Nicht, dass ich ihm verzeihen würde, selbst wenn er es täte. Stattdessen tut er so, als ob wir uns zum Gelegenheitssex verabreden und ich um ein blödes Bild von seinem bleistiftdünnen Schwanz gebeten hätte.
Ich lösche seine Nachrichten und mache mir gar nicht erst die Mühe zu antworten. Dann gehe ich weiter zu den zwei anderen Mitteilungen, die auf mich warten.
Adriana: Ich weiß, ich habe Scheiße gebaut. Es tut mir leid. Können wir reden? Bitte.
Löschen.
Julio: Falls dir Adriana schreibt, ignoriere sie. Sie und Ryker ficken immer noch.
Ich seufze. Wenigstens redet er Klartext.
Ich: Danke für die Warnung.
Er antwortet fast sofort.
Julio: Ich bin immer für dich da. Ich vermisse dich, Chica.
Ich: Ich dich auch, J.
Julio ist seit der Grundschule mein bester Freund. Seitdem Mimi Johnson im Park meine Eiswaffel geklaut und mich blöd genannt hat. Er hat ihr gesagt, sie sei potthässlich und sie würde von dem gestohlenen Eis fett werden. Seitdem halten wir zusammen wie Pech und Schwefel.
J kennt mich besser als jeder andere, und ich weiß, dass er immer für mich da ist. Nur, dass er nun zwei Stunden entfernt lebt. Ich hasse es, dass so eine große Entfernung zwischen uns liegt, aber ich muss es nur durch dieses eine Jahr schaffen.
Immer noch lächelnd schiebe ich das Handy zurück in meine Hosentasche. Als ich aufschaue, starrt mich Roman an. Er sagt nichts, also tue ich das auch nicht. Die anderen Kerle scheinen mich abschätzend zu mustern, und dann fragt Emilio: „Ein heißer Freund?“
Ich pruste. „Nein. Nur ein paar Leute aus meiner alten Schule“, antworte ich ihm. Ich habe keinen Grund, ihn anzulügen.
Er zieht eine Braue hoch, als ob er sagen wolle: „Ich höre.“
Als ich nichts weitersage, fragt er: „Werden dir oft Dick Pics geschickt?“
Oh mein Gott! Das hat er gesehen?
„Was? Nein.“ Ich schlage die Hände vors Gesicht, und alle drei lachen in sich hinein. „Es ist nicht so, wie es aussieht. Gott. Nein.“ Ich schüttele den Kopf, und sie lachen noch mehr.
„Verdammt, Vanille. Ich habe damit kein Problem. Du kannst alle Dick Pics haben, die du willst. Weißt du was, ich kann jetzt gleich zum Klo gehen und eines für dich machen. Gib mir deine Nummer, und wir kriegen die Sache hin.“
Mir ist das so unglaublich peinlich. „Es ist nicht…“ Ich schüttele den Kopf für ein eindeutiges Nein und atmete dann entnervt aus. „Mein Ex will mich zurück. Irgendwie.“ Ich runzele die Stirn. „Ich bin mir ziemlich sicher, er will nur ab und zu Sex, aber das wird nicht passieren. Also: Nein, ich bekomme nicht oft ein Dick Pic. Er ist einfach nur ein Idiot und hat nicht kapiert, dass es vorbei ist. Und nein, ich möchte auch keine Bilder von deinem Schwanz. Danke der Nachfrage.“
„Heilige Scheiße, Vanille. Dein Leben ist ja wie das Prequel einer Seifenoper. Was hast du denn sonst noch zu bieten?“
Ich schnaube. „Nichts. Mein Leben ist nicht spannend.“ Ein bisschen tragisch vielleicht, aber davon muss niemand etwas erfahren.
Den Rest der Mittagspause reden die Kerle über Football. Sie sind alle drei in der guten Schulmannschaft, was mich nicht weiter überrascht. Am Freitag findet ein Spiel statt, aber sie scheinen sich nicht darum zu sorgen. Das Spiel, das in zwei Wochen ansteht, bekommt die meiste Aufmerksamkeit von ihnen. Es ist das Spiel, in dem Sun Valley High gegen den Rivalen, die Saints der Suncrest Academy, spielt. Ihren Mienen nach zu urteilen, ist das eine große Sache.
Ich versuche, ihrem Gespräch zu folgen. Julio und ich haben immer zusammen Football angesehen. Ryker spielt für meine alte Schule, aber ich bin nie zu seinen Spielen gegangen. Ich habe nur die landesweiten Spiele der NFL, der National Football League, mit Julio angeschaut. Und manchmal kurze Ausschnitte der Highschool-Spiele, wenn das Spiel so bedeutend war, dass in den Nachrichten darüber berichtet wurde.
Adriana war allerdings immer dort gewesen. Sie war im Cheerleader-Team. Vielleicht hat er mich deshalb nie gefragt, ob ich zum Spiel kommen wollte?
Durch das Gespräch der Kerle finde ich heraus, dass Dom der Quarterback der Schule ist. Roman ist der Wide Receiver. Und Emilio ist ein Cornerback. Alle drei scheinen nur für den Football zu leben. Emilio legt Wert darauf, mich in ihr Gespräch einzubeziehen, was mich ein bisschen überrascht, da er anfangs von meinem Auftauchen nicht begeistert schien.
Er bombardiert mich mit Fragen, aber ich habe nicht viel beizusteuern. Ich verstehe das Spiel. Ich weiß, wie Spielzüge ablaufen, und komme zum Glück mit. Bis Dom vom Thema abschweift und von einem Überraschungsangriff erzählt, den die Saints letzte Woche in einem Spiel gegen eine andere Schule eingesetzt haben und der für sie gut funktioniert hat. Die Jungs sind voll in ihrem Element und wissen genau, worüber sie sprechen. Ich fange an, mich ein bisschen weniger verlassen zu fühlen.
Die Kerle unterscheiden sich nicht so viel von meinen Kumpels, die ich zu Hause hatte. Roman ähnelt Julio sehr. Der Anführer der Gruppe, aber er ist eindeutig einschüchternder und geht mehr Richtung Aufreißer. Emilio ist genauso unbeschwert wie Felix. Er macht ständig Witze und hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Und Dom ist der starke, schweigsame Typ wie Gabe.
Ich bekomme langsam das Gefühl, dass heute doch nicht komplett ätzend ist, aber ich mache mir keine Illusionen darüber, ob die Jungs noch mit mir sprechen werden, wenn Romans kleine Strafe erst einmal vorbei ist. Emilio hat bereits klargestellt, dass sie sich nicht mit den Mädchen dieser Schule befassen. Sie können keine Ablenkung gebrauchen. Außerdem ist eindeutig klar, dass wir unterschiedlichen sozialen Kreisen angehören. Sie sind die Typen, die von den weiblichen Wesen hier umschwärmt werden, und alle anderen Kerle wollen so sein wie sie. Man sieht das daran, wie jeder sie beobachtet. Und ich bin nur das Mädchen, das ihr Abschlussjahr überstehen möchte.
Es klingelt, Roman bringt sein Tablett weg und geht wahrscheinlich zum Spanischunterricht. Er macht sich nicht die Mühe, auf mich zu warten. Ich überlege, ob ich nach ihm rufen soll, entscheide mich aber sofort dagegen. Er schien während der Mittagspause immer unruhiger zu werden. Ich habe ihm nichts getan, weiß also nicht, warum er so einen Stock im Arsch hat.
Niemand spricht mich an, als ich den Schulflur entlanglaufe und versuche, meinen Spanischkurs zu finden. Roman hat immer noch meinen Stundenplan, und ich weiß nicht, wo ich hinmuss. Ich frage ein paar Schüler, aber die grinsen mich nur höhnisch an oder verdrehen die Augen. Keine Worte. Keine Hilfe.
Ja, ich bin die Neue.
Ja, ich habe in der Mittagspause bei den süßen Jungs gesessen. Den Spitzensportlern der Schule.
Und nein, ich hatte nicht vor, in der blöden Sozialhierarchie der Highschool für Wirbel zu sorgen.
Mir ist nicht entgangen, dass die Kerle nicht beim Rest der Footballspieler sitzen, die man leicht an ihren Collegejacken mit den aufgenähten Buchstaben und ihrem ungehobelten Verhalten erkennen kann. Aber wenn man wie Dom der Quarterback ist, gehört man praktisch zur Schularistokratie. Falls die Kerle also immer unter sich bleiben, dann ist es beim Rest der Schule nicht gut angekommen, dass ich bei ihnen gesessen habe.
Was mir eindeutig klar wird, als ich zur nächsten Unterrichtsstunde komme, nachdem ich mir im Sekretariat noch einmal meinen Stundenplan habe ausdrucken lassen.
Der Lehrer lässt mich nicht aufstehen und die ganze Vorstellungsroutine durchmachen, wofür ich dankbar bin. Ich hasse es, die Neue zu sein, und ich hasse es, wenn man mich in Verlegenheit bringt. Ich bin hier sowieso fehl am Platz, und durch die zusätzliche Aufmerksamkeit und die prüfenden Blicke fühle ich mich nicht wohl in meiner Haut. Das Mädchen, das hinter mir sitzt, tritt während der Unterrichtsstunde mindestens viermal mit voller Absicht gegen meinen Stuhl. Nach der Stunde nennt sie mich eine Schlampe und wirft im Vorbeigehen mein Heft zu Boden.
Wunderbar.
Roman sieht das alles und grinst nur spöttisch. Dieser Kerl ist wirklich ein harter Brocken. In der einen Minute ist er irgendwie nett und hilft mir, und in der nächsten ist er unverhohlen feindselig und ermutigt die anderen, sich mir gegenüber auch so zu benehmen. Langsam frage ich mich, ob er mich in der letzten Stunde nur „sein Mädchen“ genannt hat, um es mir schwer zu machen. Er wusste, welche Reaktion er damit auslösen würde.
Als das Mädchen an ihm vorbeigeht, legt er sehr offensichtlich seinen Arm um sie und geht mit ihr aus dem Zimmer.
So blöd.
Aber ich kümmere mich nicht darum und gehe zu meinem letzten Kurs des Tages: Schweißen.
Nach einem Abstecher zur Toilette komme ich kurz nach dem Stundenklingeln im Kurs an. Ein Meer entgeisterter Gesichter blickt mir entgegen, als ich in der offenen Tür stehe. Etwa zwanzig Schüler sind in der Klasse, und es sind nur Jungs. Nicht überraschend. Der Unterricht hat schon begonnen, und ich will nicht stören. Der Lehrer bemerkt, wie verwirrt alle hinter ihm jemanden anstarren, da dreht er sich um und entdeckt mich.
„Haben Sie sich verlaufen?“, fragt er mich stirnrunzelnd.
Ich schüttele den Kopf. „Nein. Ich habe Schweißen in der vierten Stunde“, sage ich zu ihm und reiche ihm meinen Stundenplan. „Ich bin neu an der Schule“, füge ich verlegen hinzu.
Sein Stirnrunzeln verstärkt sich, seine fast weißen Brauen ziehen sich zusammen und erinnern mich an zwei haarige Raupen.
„Hat man Sie hier hineingesteckt, weil woanders kein Platz mehr war?“, fragt er, immer noch verwirrt.
„Nein. Ich habe Schweißen als mein Wahlpflichtfach angegeben.“
Das wirft ihn aus der Bahn.
„Sind Sie eine von denen, die ganz verrückt nach Jungs sind?“ Sein Ton klingt verärgert.
Ich schnaube. An meiner alten Schule habe viele Mädchen im Sportunterricht Gewichtheben als Wahlfach genommen, weil alle Spitzensportler in dem Unterricht waren. Es war eine gute Möglichkeit, um mit den coolen Leuten in Kontakt zu kommen, aber ich habe nicht zu diesen Schülerinnen gehört. Ich mochte den Kurs tatsächlich.
„Nein, Sir. Schweißen macht mir Spaß.“
Er zieht eine Augenbraue nach oben. „Haben Sie schon mal geschweißt?“
Ich nicke. „Meine alte Schule hat es angeboten, ich bin jetzt im dritten Jahr. Ich bin ganz gut im MIG-Schweißen und Lichtbogenschweißen. Beim WIG-Schweißen“, ich mache eine abwägende Bewegung mit der Hand, „bin ich halbwegs okay.“
Seine Augen werden groß, aber er nickt und gibt mir meinen Stundenplan zurück. „In Ordnung. Suchen Sie sich einen Platz. Wir machen heute sowieso eine kleine Wiederholung.“
Ich gehe zum einzigen freien Stuhl. Ein Junge lehnt sich über seinen Tisch zu mir. „Hey, du bist neu hier, oder?“
Ich nicke und wappne mich wofür auch immer, er gleich sagen wird.
„Ich heiße Aaron. Und du?“
„Allie“, antworte ich, überrascht davon, dass er sich vorstellt.
„Cool. Schön dich kennenzulernen, Allie.“ Er schenkt mir ein freundliches Lächeln. Er ist süß. Wirklich süß . Er hat verwuschelte, blonde Haare, die ihm ins Gesicht hängen, und strahlend grüne Augen. Mit seiner schwarzen Volcom-Hose und dem O’Neill-Shirt wirkt er wie ein Skater, aber das ist cool und passt zu ihm. Meine Annahme bestätigt sich, als ich das Skateboard sehe, das neben seinem Tisch auf dem Boden steht.
Ich lächele ihn auch an, bevor ich meine Aufmerksamkeit auf unseren Lehrer richte.
Das Meiste, wovon er spricht, weiß ich schon. Er geht mit uns die Sicherheitsmaßnahmen durch. Ich denke mal, dass sich am Vortag jemand verletzt hat.
Immer den Gesichtsschutz aufsetzen. Immer geschlossene Schuhe tragen. Beim Schweißen ein langärmeliges, nicht-entflammbares Shirt zusätzlich zur Schweißerjacke anziehen. Handschuhe tragen.
Er zeigt uns, wo die Augenwaschstation ist, und geht dann die Ausrüstung durch. Die meisten Schüler hören ihm nicht zu, aber ich passe auf für den Fall, dass sich irgendetwas von dem unterscheidet, was ich zuvor gelernt habe.
„Im ersten Trimester befassen wir uns mit MIG-Schweißen“, erzählt mir Aaron, als wir uns wieder hinsetzen. Das überrascht mich nicht, da das die einfachste Form des Schweißens ist. Es ist wie die Heißklebepistole der Schweißerwelt.
Der Lehrer, Mr Moyer, erklärt, wie ein Schweißer arbeitet und gerade, als er erklären will, wie man sich auf das Schweißen vorbereitet, läutet die Klingel das Unterrichtsende ein.
„Morgen machen wir dann hier weiter“, sagt er zur Klasse. „Schauen Sie sich das Kursprogramm an, und lassen Sie Ihre Eltern die Einverständniserklärung unterschreiben“, erinnert er mich, als ich meine Sachen zusammenpacke, um zu gehen.
Ich ziehe nickend mein Handy aus der Hosentasche und bemerke, dass ich eine Nachricht bekommen habe.
Sie ist von Janessa.
Janessa: Das Meeting deines Vaters dauert länger als geplant. Bestelle dir ein Uber.
Ich runzele die Stirn, beschließe dann aber, dass es wahrscheinlich gut ist, dass sein Meeting länger dauert. Ich habe mich nicht gerade darauf gefreut, mit Gerald nach Hause zu fahren. Im App Store auf dem Smartphone suche ich nach der Uber-App und lade sie herunter. Ich habe vorher noch nie ein Uber bestellt, aber das ist keine Hexerei.
Aaron kommt langsam von der Seite her an mich heran und linst über meine Schulter auf mein Telefon.
„Irgendwas nicht in Ordnung?“
„Nein. Ger… Mein Dad verspätet sich, also rufe ich mir ein Uber.“
„Ich kann dich fahren.“
„Du kennst mich doch nicht einmal.“ Ich werfe ihm einen ungläubigen Blick zu.
Er zuckt mit den Schultern und schenkt mir ein spitzbübisches Lächeln. „Ich weiß. Ich würde dich gern besser kennenlernen.“
Hitze steigt mir ins Gesicht, aber bevor ich antworten kann, steht Roman plötzlich neben mir. „Hau ab, Henderson.“ Er schubst Aaron rückwärts in die Spinde.
Mein Kiefer klappt hinunter, und ich greife nach seinem Arm. „Was zum Kuckuck, Roman?“
Er zieht eine Braue hoch, und seine Mundwinkel verziehen sich zu einem teuflischen Grinsen. „Zum Kuckuck? Echt jetzt?“
Ich blicke ihn wütend an. Als Aaron sich vom Spind wegdrückt, sein Gesicht rot und wutverzerrt, springe ich zwischen die beiden. Mit dem Rücken zu Aaron stehend, schaue ich Roman finster an. „Die Schule ist aus. Du brauchst nicht mehr meinen Babysitter zu spielen.“ Außerdem hat er seine Aufgabe sowieso nicht gut gemacht.
Dom und Emilio kommen und stellen sich neben ihn. Beide schauen den Jungen hinter mir drohend an.
„Was ist denn euer Problem?“, frage ich, weil ich nicht verstehe, wo all die Feindseligkeit herkommt.
„Du kennst ihn?“, fragt Emilio, während er mit dem Kinn auf Aaron deutet.
Ich zucke mit den Schultern. „Irgendwie schon. Ja. Wir haben zusammen Schweißen.“ Ich kann die Wut spüren, die der vor mir stehende Roman ausstrahlt. Seine Augen sind schmal, seine Hände sind an seinen Seiten zu weißen Fäusten geballt, aber er sagt nichts. Er starrt nur Aaron hinter mir an, als ob er ihn mit einem Blick töten könnte.
„Er ist kein guter Umgang, Vanille. Steig mit dem Kerl bloß nie in ein Auto“, sagt Emilio.
„Könntest du aufhören, mich so zu nennen? Ich habe einen Namen.“ Und was geht es ihn an, ob ich mit Aaron mitfahre? Ist er etwa ein verantwortungsloser Fahrer, oder was?
Mehrere Sekunden lang sagt niemand etwas. Einen Moment später fühle ich Aarons Hand an meiner Hüfte, und ich drehe mich um, um ihn anzusehen. „Wir sehen uns“, presst er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich lächele ihn angespannt an und nicke.
Was kann ich sonst schon machen? So viel also zur Mitfahrgelegenheit.
Die drei Kerle vor mir beobachten mit unterschiedlich stark ausgeprägter Feindseligkeit, wie sich Aaron entfernt. Als ich mich umdrehe, um in die gleiche Richtung zu gehen, schnellt Romans Hand vor und greift nach meinem Handgelenk.
„Henderson macht nichts als Ärger.“
Ich ziehe mich von ihm zurück. „Und das soll ich dir einfach so abkaufen?“
Er nickt.
„Hör zu. Ich weiß nicht, was dein Problem ist, aber Aaron ist der Einzige, der nett zu mir gewesen ist. Ich werde mich nicht von ihm fernhalten, nur weil du das sagst.“
„Hey! Wir waren auch nett“, ruft Emilio.
Ich zucke mit den Schultern. „Ihr zwei, ja“, sage ich auf ihn und Dom zeigend. „Aber er“, ich zeige mit einem Finger in Romans Richtung „und der Rest dieser Schule haben sich wie totale Arschlöcher benommen.“
In Romans Kiefer beginnt ein Muskel zu zucken, doch das ist mir egal. Ich mag wie ein schüchternes Mauerblümchen aussehen, aber das bin ich nicht.
Ich stürme zum Ausgang und ignoriere ihn, als er hinter mir herruft.