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ch bin eigentlich keine große Shopperin, aber ich räume Target komplett, als wir in die Damenabteilung kommen. Ich bin nicht wählerisch, also greife ich mir die Basics. Sachen, die ich problemlos miteinander kombinieren kann. Ein paar einfache weiße Shirts und ein paar mit Bandlogos. Einige schwarze, zerrissene Skinny-Jeans und Shorts, auch wenn der Herbst vorbei und der Winter im Anmarsch ist. Ein Bikini, nur für alle Fälle. Und Leggings und dann noch ein Hoodie.
Aaron ist kein Spielverderber, hilft mir, die Kleiderstapel zu tragen, während ich zwischen den Reihen herumwandere, und beschwert sich kein einziges Mal. Als ich das Gefühl habe, dass es reicht, steuern wir auf die Kasse zu.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, als die Kassiererin mein ganzes Zeug scannt und mir die Summe sagt: Vierhundertdreizehn Dollar. Ich schlucke schwer, als ich Geralds Kreditkarte zücke. Schuldgefühle durchströmen mich und bringen mir in Erinnerung, dass ich einen Job finden muss, damit ich nicht auf das Geld von Gerald angewiesen bin. Bald bin ich achtzehn und will darauf vorbereitet sein.
Aber nur wenige Minuten, nachdem mir die Kassiererin den Kassenbon gereicht hat, erinnere ich mich daran, dass Gerald sich die ganze Woche nicht
bemüht hat, Zeit mit mir zu bringen, obwohl meine Mom gerade gestorben ist. Was für ein Vater tut denn so etwas?
Das hilft mir, die Schuldgefühle wegzuwischen, die ich immer noch wegen meines Großeinkaufs habe. Ich werde mir aber trotzdem einen Job suchen müssen.
„Wow, Allie. Du siehst toll aus“, sagt Aaron, als ich aus dem Waschraum komme.
Sobald ich bezahlt hatte, habe ich so schnell wie möglich von meinen neu erstandenen Sachen die zerrissene schwarze Jeans und ein weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt angezogen. Ich habe mir sogar ein paar goldfarbene Kreolen gegönnt. Wie konnte ich nur so blöd sein und glauben, ich könne jemand anderes als ich selbst sein? Ich hasse all die teuren weißen und rosa Klamotten, die mir Janessa gekauft hat. Und ich hasse es wirklich, wie mich die Leute verurteilen, wenn ich sie trage.
„Danke.“ Ich streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr und lächele.
Ich fühle mich wohl. Ich bin wieder ich selbst.
Ich habe mich diese Woche vermisst.
Meine Hände sind voll und Aaron hilft mir, meine Beute zu seinem Auto zu tragen, wo wir alles hinten in seinen Subaru WRX hineinwerfen. Beim Shoppen hat er mir von der Hütte erzählt, in der wir übernachten werden. Ich war erleichtert zu hören, dass ich mir weder ein Zelt noch einen Schlafsack besorgen müsse. Camping mit Aaron klingt eher wie ein Urlaub im Hotel, weshalb ich auch nur Kleidung und Hygieneartikel brauche.
Man merkt, dass Aarons Familie Geld hat. Nicht so viel wie Gerald. Das ist noch mal ein völlig anderer Maßstab. Aber Aarons Familie ist wohlhabender, als dass sie einfach nur gut auskommen. Daher frage ich mich, was er wohl von meinem früheren Zuhause gedacht hätte. Ob er immer noch mit mir befreundet sein wollte, wenn er mein altes Ich getroffen hätte? Das Ich, bevor meine Mom gestorben war, das in einer Wohnung mit einem Schlafzimmer und einem Badezimmer im falschen Viertel der Stadt lebte, wo man zur Sicherheit Gitter an den Fenstern hatte.
Dann schiebe ich diesen Gedanken beiseite, weil mir klar wird, dass ich ihn im Stillen genauso verurteile, wie die Schüler von Sun Valley mich verurteilen. So bin ich nicht.
Die Fahrt nach Shadle Creek dauert eine gute Stunde. Aaron und ich hören
The Red Jumpsuit Apparatus
, All American Rejects
und Panic! At the Disco
. Und zum ersten Mal seit mehr als einer Woche spüre ich, wie ich mich entspanne. Durch den Fahrtwind lösen sich ein paar meiner Haarsträhnen, und ich kann gar nicht anders, als breit zu lächeln, während Aaron das Fahrzeug die sich dahin windenden Straßen hinunter steuert und die Sonne in unsere geöffneten Fenster scheint.
Hier gibt es keinen Druck. Keine hasserfüllten Blicke. Aaron ist überraschend lustig und trotz seiner grausigen Singstimme hat er kein Problem damit, den Text von I Write Sins Not Tragedies
mit mir mitzuschmettern.
Ehe man sich versieht, wird der Asphalt zu Schotter, und wir fahren in eine Lichtung ein, die von Hütten eingerahmt ist. Dutzende Teenager , einige erkenne ich aus der Schule, andere nicht, laufen umher, quatschen und trinken Bier. Manche stellen Zelte auf, und eine weitere Gruppe versucht, in der Mitte des Platzes ein Lagerfeuer in Gang zu bringen.
Kaum dass wir aus dem Auto ausgestiegen sind, schließe ich die Augen und atme die Waldluft tief ein.
Meine Schultern entspannen sich, mein Atem wird langsamer. Ich atme aus, und es fühlt sich an, als ob die Spannung der gesamten Woche von mir abfiele.
Ich erwische Aaron dabei, wie er mich über das Dach seines Autos hinweg angrinst.
„Froh, dass du mitgekommen bist?“
Ich nicke, schnappe mein Zeug und folge ihm, während er zur ersten Hütte von rechts vorausgeht. „Ja. Dieser Ort ist echt cool“, sage ich, als er die Tür aufschließt und wir eintreten. Genau hinter der Tür lässt er seine Tasche auf den Boden fallen, und ich betrachte das Innere der rustikalen, aber sauberen Finnhütte. Sie ist schlicht, und ich kann sie zweifelsfrei als Teenagertreff identifizieren, als ich die nicht zueinander passenden Sofas und die roten Partybecher sehe, die schon auf dem Esstisch aufgestellt sind. Heute Abend steht definitiv eine Runde Bier-Pong an. Nicht, dass ich mich darüber beschweren würde…
In jeder Ecke ist ein Surroundsound-System eingerichtet, und auf dem Entertainment-Center aus Kirschholz steht ein altmodischer Ghettoblaster mit Mini-Subwoofern. Ich entdecke die CD-Mappe, die daneben liegt, und kann es kaum erwarten, sie durchzusehen. MP3-Player und Streaming werden völlig überbewertet. CD-Sammlungen sind das einzig Wahre.
„Danke. Diese Hütte und die gleich neben uns gehören meiner Familie, aber ich überlasse die andere ein paar meiner Kumpels. Wir werden wahrscheinlich heute Nacht einige Gäste hier auf dem Sofa haben. Normalerweise sind unsere Hütten offen für jeden, der hier übernachten will. Aber hinten gibt es ein Schlafzimmer, also werden wir etwas Privatsphäre haben.“
Oh.
Wir?
Scheiße.
Ich beiße mir auf die Unterlippe, als Aaron mich in der ganzen Hütte herumführt. Es ist ein offener Grundriss. Rechts von uns gibt es eine Küche. Der Kühlschrank ist schon voller Bier und nicht viel mehr. Als ich Aaron nach Nahrung frage, lacht er und sagt, dass draußen gegrillt wird und das meiste Essen in Kühlboxen aufbewahrt wird. Ich zucke mit den Schultern und beschließe, mir darum keinen Kopf zu machen. Ich esse ja sowieso nicht viel.
Als Nächstes zeigt er mir den Wohnzimmerbereich zu unserer Linken, und dann führt er mich einen breiten Flur entlang in den hinteren Bereich der Hütte.
„Das hier ist das große Badezimmer. Die Leute werden die ganze Nacht ein und ausgehen, um es zu benutzen, aber hier“, sagt er und öffnet eine weitere Tür, die zu dem separaten Schlafzimmer führt, „gibt es ein angrenzendes Bad, das nur für uns ist. Niemand kommt in den Schlafraum, es sei denn, man kennt den Hüttenbesitzer und hat seine Erlaubnis. Du musst dir also keine Sorgen machen, dass hier irgendjemand hineinplatzt.“
Ich nicke und beäuge das einzige Bett in der Mitte des Zimmers, ein französisches Doppelbett mit geschwungenem Holzrahmen. Aber es gibt nur ein Bett, und ich kenne Aaron nicht sehr gut,
Da er meine Besorgnis spürt, legt mir Aaron eine Hand auf die Schulter. „Alles ok?“ Seine Brauen ziehen sich nach unten und eine kleine Falte entsteht auf seiner Stirn.
Ich nicke. „Ja. Ich habe mich nur gefragt… ähm … wo soll ich schlafen?“
Er räuspert sich und tritt von einem Fuß auf den anderen, bevor er sagt: „Ich war irgendwie davon ausgegangen, dass du hier pennst, bei mir. Ich meine, wenn das in Ordnung ist.“
Ich schaue kurz zu ihm und dann zum Bett, während ich an dem türkisfarbenen
Flechtarmband herumzupfe, das mein Handgelenk ziert.
„Ich erwarte nicht, dass irgendetwas zwischen uns passiert“, fügt er schnell hinzu. „Wahrscheinlich habe ich das nicht richtig durchdacht, aber ich dachte, du könntest eine Seite nehmen und ich die andere. Ist das okay?“
Ich beiße mir auf die Lippe. Das ergibt Sinn. Ich bin abgeklärt genug, um mit einem süßen Jungen im gleichen Bett zu schlafen. Das kriege ich hin. Nicht wahr? Keine große Sache.
Ich schiebe meine Besorgnis beiseite und sage: „Ja. Okay.“
Er grinst.
„Na, dann los. Lass uns rausgehen und ein Bier trinken. Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber nach der Fahrt könnte ich eines vertragen.“