E
r ist hier. Ich weiß nicht, warum ich davon ausgegangen bin, dass er nicht hier sein würde. Vielleicht wegen des Spiels? Er scheint nicht auf Gesellschaft zu stehen, abgesehen von den zwei Kerlen, die ich Anfang der Woche getroffen habe. Er hält sich an Dom und Emilio, und sie bilden eine berühmt-berüchtigte Dreiergruppe. Kein Wunder, dass sie von allen die Teufel genannt werden. Sie sind immer zusammen. Und mir ist nicht entgangen, dass alle einen großen Bogen um sie machen. Klar, sie sind beliebt, aber es ist fast so, als ob sie an dem Spiel namens Highschool-Hierarchie eher unfreiwillig teilnehmen.
Herrscher, die nicht wirklich herrschen wollen.
Ich habe keine Freunde an der Sun Valley High gefunden. Niemand außer Aaron, aber ich habe gehört, wie geflüstert wird, wenn diese drei vorbeigehen. Jeder scheint irgendwie einen Teufel abbekommen wollen. Ich glaube nicht einmal, dass die Mädchen irgendeine Vorliebe für einen der drei haben.
Aaron reicht mir noch ein Bier, und ich nehme es dankbar an, bevor ich mitbekomme, dass Emilio mit einem schiefen Grinsen im Gesicht auf mich zukommt. Seine Arme sind um zwei Mädchen geschlungen. Eine Blondine mit langen Beinen, die ein knallrotes Bikinitop trägt, die andere ist eine Brünette mit einem schwarzen
Bikinioberteil und ein paar abgeschnittenen Shorts. Ist den beiden denn nicht kalt? Hier draußen sind es auf keinen Fall mehr als zehn Grad. Wir haben Herbst, und der Winter ist bald da, aber diese zwei sehen aus, als ob ihnen das entgangen ist.
„Hey, Vanille! Wie geht’s?“, ruft mir Emilio übers Feuer hinzu. Ich hasse diesen Spitznamen, und ich bin mir fast hundertprozentig sicher, dass er und Roman mich nur so nennen, um mich zu provozieren.
Ich lächele gezwungen und hebe grüßend mein Bier hoch. „Es geht“, sage ich. Hoffentlich konzentriert er sich gleich wieder auf die zwei Mädchen neben ihm. Sie fahren mit den Händen über seinen ganzen Körper, und eine versucht tatsächlich, an seinem Hals zu saugen, aber sie ist ein paar Zentimeter zu klein, und er scheint nicht geneigt, sich zu ihr herunterzubeugen.
„Komm heute Abend mal bei uns vorbei.“ Er dreht sich um und zeigt mit seinem Bier auf die riesige Hütte hinter sich. „Okay?“
„Warum will er, dass du später zu seiner Hütte kommst?“, flüstert Aaron neben mir. „Ich dachte, du stehst nicht auf die Teufel?“
„Ist auch so. Und keine Ahnung. Ich werde nicht schlau aus diesen Typen.“
Bevor ich Emilio antworten kann, beschließt Aaron, es an meiner Stelle zu tun. „Sie hat für heute Abend Pläne“, sagt er und legt einen Arm um meine Schulter. Seine Berührung ist so besitzergreifend, dass ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Ich mag Aaron. Er ist nett, und er ist süß. Aber ich habe gerade erst eine Beziehung hinter mir. Ich bin nicht darauf aus, mich gleich in eine Neue zu stürzen, und Aaron kommt mir wie ein Typ für Beziehungen vor.
Emilios Augen werden schmal und konzentrieren sich auf unsere Körperkontakt.
Ich winde mich innerlich.
„Vielleicht später dann?“, sagt er.
Ich kann die Schärfe in seinem Ton hören, aber ich weiß nicht, ob sie meinetwegen oder wegen Aaron darin ist. „Natür ...“
„Nee. Sorry, Mann. Sie ist das ganze
Wochenende beschäftigt.“ Er zieht das Wort „ganze“ in die Länge und hat dadurch diesen einen Satz in eine riesige Anspielung verwandelt.
Ich drehe mich zu ihm um und schaue ihn verwirrt an, aber er scheint mich nicht zu beachten. Seine Augen sind schmal, und auf seinem Gesicht liegt ein
triumphierender Ausdruck, als er und Emilio sich gegenseitig finster anblicken. Als ob er etwas gewonnen hätte. Als ob er mich gewonnen hätte.
Ich bin nicht der Hauptpreis bei diesem Ego-Kampf dieser Kerle. Was auch immer für ein Problem sie miteinander haben, ich will da nicht hineingezogen werden.
Ich befreie mich so nett möglich von Aarons Arm und stehe auf. „Ich schaue mich mal ein bisschen um. Ich finde dich später schon wieder.“ Er schaut mürrisch, nickt aber, und ich schlage eine Richtung ein, die mich von ihm und Emilio wegführt.
Nach zwanzig Schritten vibriert mein Handy in meiner Hosentasche. Ich bin überrascht, dass wir hier draußen Handyempfang haben. Ich schaue aufs Display, und als ich sehe, von wem die Nachricht ist, stöhne ich laut auf.
Ryker: Komm schon, A. Ich vermisse dich. Hör auf, mir die kalte Schulter wegen so etwas Blödem zu zeigen.
Die Wut brodelt in mir hoch, und bevor ich mich beruhigen kann, schreibe ich ihm zurück.
Ich: Du hast mit mir an dem Tag Schluss gemacht, als meine Mom gestorben ist!
Die drei kleinen Punkte tauchen auf und ich starre sie an, während ich auf seine Antwort warte. Aber anstatt, dass eine neue Nachricht ankommt, klingelt das Handy in meiner Hand.
Ryker.
„Chingada madre!“
Will ich mich jetzt wirklich mit ihm befassen? Während ich noch auf das beleuchtete Display starre und versuche zu einem Entschluss zu kommen, hört das Klingeln auf, sodass mir die Entscheidung erspart bleibt. Aber dann fängt es wieder an. Ich muss eine masochistische Ader haben, denn beim vierten Klingeln antworte ich.
„Was willst du, Ry?“, frage ich.
Ich gehe zur Rückseite von Aarons Hütte und trete auf die hintere Veranda. Zum Glück ist sonst niemand hier, also setze ich mich auf die Holzbank, lehne mich zurück und warte auf seine Antwort.
Er schweigt für eine Sekunde, und ich kann fast schon hören, wie die Rädchen in seinem Kopf arbeiten. Ryker war immer gut darin, die richtigen Worte zu finden, um mich zu beruhigen. Im Nachhinein fallen mir mindestens ein Dutzend Beispiele ein, wo er mich so manipuliert hatte, dass ich ihm die eine oder andere Sache verziehen habe. Er war nie ein guter Freund. Ich weiß nicht, warum es so lange gedauert hat, bis ich das kapiert habe.
Ich trinke das Bier aus, das ich in der Hand halte, und da Ryker immer noch nichts sagt, husche ich durch die Hintertür in die Hütte, um nach etwas Stärkerem zu suchen. Für das Gespräch, das jetzt kommt, werde ich es brauchen.
„Baby“, haucht er, Verlangen liegt in seiner Stimme. Ich verdrehe die Augen und entdecke eine einsame Flasche Tequila. Ich schnappe sie mir, gieße mir etwas in einen roten Becher ein und füge dann noch Sprite hinzu.
„Nenn mich nicht Baby“, sage ich zu ihm, als ich einen ordentlichen Schluck von meinem neuen Drink nehme. „Ich kann nicht glauben, dass du das getan hast, Ry. Ich kann nicht…“, die Worte bleiben mir im Halse stecken, als sich der Tequila brennend seinen Weg hinunter in meinen Magen bahnt und mich zum Husten bringt. Ich kriege die Worte einfach nicht heraus. Wahrscheinlich hätte ich einen kleineren Schluck nehmen sollen. Ich lasse mir ein paar Sekunden Zeit, trinke einen weiteren Schluck, denn, ja, ich habe wirklich eine masochistische Ader. „Du hast mir wehgetan.“ Ich weiß nicht, warum ich das sage. Vielleicht will ein Teil von mir, dass er einfach versteht, was er mir angetan hat. Eventuell lässt er mich dann, verdammt noch mal, endlich in Ruhe. „Du hast mir wehgetan, als es mir sowieso schon schlecht ging.“
„Fuck“, murmelt er. „Ich weiß, Baby. Ich weiß. Es tut mir leid. Okay? Ich hab’s verkackt. Ich war betrunken und nicht klar im Kopf. Fuck.
“
Als ich wieder hinausgehe und mich zurück auf die Bank setze, kann ich hören, dass er auf und ab läuft.
„Was soll ich dir denn noch sagen?“
„Die Wahrheit. Ein einziges Mal in deinem Leben, Ry. Kannst du einfach ehrlich zu mir sein?“ Ich weiß immer noch nicht die ganze Geschichte. Ich weiß, dass er mich mit Adriana betrogen hat, aber ich kenne keine Einzelheiten, und ich weiß nicht, warum er mit mir so Schluss gemacht hat, wie er es getan hat. Ryker war ein Arschloch, aber, bis dahin war er nie grausam gewesen.
Noch mehr Fluchen. „Baby, das ist nicht so einfach. Adriana, sie hat sich an
mich herangemacht, und zuerst dachte ich, dass du es wärst, nicht sie.“ Die Worte sprudeln aus ihm heraus. „Das musst du mir glauben. Ich würde niemals ...“
„Erwartest du echt, dass ich dir das glaube?“ Das kann doch nur ein Witz sein! Glaubt er echt, dass ich so
doof bin? Ich schäume vor Wut. „Ry, ich bin keine Idiotin.“
Er stöhnt auf. „Ich weiß. Ich weiß. Aber es ist die Wahrheit. Ich war total dicht, Baby. Und ich hatte nicht vor, mit dir Schluss zu machen.“
Ich schnaube. „Ach, wirklich? Was sollte es dann bedeuten, als du mir geschrieben hast, übrigens am selben Tag, an dem meine Mom gestorben ist, ‚Ich glaube, wir sollten mit anderen Leuten ausgehen. ’ Na? Wie kann das etwas anderes heißen, als dass du mit dir Schluss gemacht hast?“
Am anderen Ende der Leitung gibt es einen lauten Knall, als ob er auf irgendetwas eingeschlagen hat.
„Hör zu, ich bin nicht stolz drauf, okay? Und als ich das geschrieben habe, wusste ich nicht, dass deine Mom gestorben ist. Adriana hatte mir gesagt, dass du die Sache mit mir und ihr herausgefunden hattest. Dass du mit mir Schluss machen wolltest. Ich wollte nur“, er seufzt, „Ich war dumm und wollte die Sache mit dir beenden, bevor du Gelegenheit hattest, mit mir Schluss zu machen.“
Wow. Einfach nur wow.
Was für ein Arschloch.
Er ist für einen Moment still, und ich nehme noch einen Schluck aus dem Becher. Der Alkohol brennt, und ich genieße den Schmerz. Die Kehle wird ganz eng, also trinke ich weiter, weil ich den Schmerz, der sich in meinem Brustkorb aufbaut, verjagen will, weil es immer noch wehtut und ich das hasse. Ich hasse es, dass er mich immer noch nicht kaltlässt.
„Ich habe dich geliebt“, sage ich mit kalter Stimme zu ihm.
„Baby, ich liebe dich auch. So sehr.“
Ich schüttele meinen Kopf, obwohl er es gar nicht sehen kann. „Nein, Ry. Geliebt.
Ich habe
dich geliebt. Nicht mehr. Nicht nach dem, was du getan hast.“
„Allie, Baby. Bitte. Sei nicht so. Wir können das in Ordnung bringen. Ich weiß, dass wir es können.“
„Nope.“ Das „p“ kommt mit einem Ploppen über meine Lippen, um meinen
Entschluss zu bekräftigen. Noch ein Schluck, und mein Becher ist leer. Ich stelle ihn zur Seite und genieße das leichte Schwindelgefühl. „Vielleicht hätte ich über deinen Seitensprung hinwegkommen können, wenn du ehrlich zu mir gewesen wärst. So ernst war es mir mit uns.“ Er hatte mich zum ersten Mal geküsst. Er war meine erste Liebe. Der Kerl, der mir die Jungfräulichkeit genommen hat. Wahrscheinlich habe ich mir deshalb so viel so lange gefallen lassen. Nicht mehr. Ich habe etwas Besseres verdient. Das weiß ich. „Aber Ry, du hast mich im Stich gelassen, als ich dich am meisten brauchte. Das ist unverzeihlich. Hör auf, mir zu schreiben. Hör auf, mich anzurufen. Ich werde dir nicht verzeihen. Nicht das.“
Eine Bewegung zu meiner Linken erregt meine Aufmerksamkeit, und ich entdecke Roman, der an einem Baum lehnt und mich anstarrt. Sein Gesicht ist ausdruckslos, aber er hat seine Pilotenbrille abgenommen, sodass ich seine dunkelbraunen Augen sehen kann. Es liegt ein Feuer in ihnen, das mich zum Beben bringt. Als er merkt, dass ich ihn entdeckt habe, tritt er vor und setzt sich neben mich.
Er streckt die Hand aus und bittet wortlos um mein Telefon. Ich runzele die Stirn, aber was zum Teufel? Ich reiche es ihm.
Er legt das Handy an sein Ohr und sagt barsch: „Hör auf sie. Hör auf, anzurufen. Hör auf, zu schreiben. Zwischen euch ist es aus. Kapiert?“
„Wer, verdammt nochmal, bist du?“, höre ich Ryker schnauzen.
„Dein Ersatz“, sagt Roman ungerührt. Er gibt mir das Telefon zurück, nachdem er den Anruf beendet hat. Gleich darauf fängt es wieder an zu klingeln, aber ich stelle es auf stumm und stecke es in meine Hosentasche. Er bietet mir sein Bier an, und ich nehme es. Ich setze die Flasche an die Lippen, lasse die kühle Flüssigkeit meine plötzlich trockene Kehle hinunterrinnen.
Für eine Sekunde verschwimmt alles vor meinen Augen, aber ich zwinkere schnell, um wieder scharf sehen zu können. Dann reiche ich ihm die Flasche zurück. Hitze steigt meinen Hals empor, und ich kann die Wirkung des Alkohols jetzt noch mehr spüren. Gut.
Ich will nicht nüchtern sein. Nicht heute Abend.
Keiner von uns sagt etwas. Wir sind zufrieden damit, den sternlosen Nachthimmel anzuschauen. Roman nimmt ein paar Züge aus seiner Bierflasche, und ich beobachte, wie sein Adamsapfel sich bei jedem Schluck auf und nieder bewegt.
Als die Sekunden zu Minuten werden, fühle ich, dass meine Wangen taub werden und sich alles dreht. Ich vertrage keinen Alkohol. Trinken und Partys waren noch nie mein Ding. Ich hätte nicht geglaubt, dass der Schnaps so schnell wirken würde, auch wenn ich nicht behaupten kann, dass ich das bedauere. Ich wünsche mir schon, dass ich mehr Alkohol hätte.
Roman schubst mich mit seiner Schulter an, und ich schaue ihm in die Augen. Die ausdruckslose Maske ist immer noch da, und seine Miene ist nicht zu deuten. Eine dunkelbraune Haarsträhne ist ihm ins Gesicht gefallen, ich strecke die Hand aus und streiche sie zurück.
Seine Hand schießt nach oben um mein Handgelenk. Ich japse auf. Aber statt seinen Griff zu verstärken, streichelt er mit seinem Daumen kreisförmig an meinem Puls entlang, während er meine Hand zwischen uns hinunterzieht. Er lässt mich nicht los. Er malt weiterhin langsame Kreise über meine Haut und Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen. Er zupft an dem türkisfarbenen Armband, das ich am Handgelenk trage, und lenkt so meine Aufmerksamkeit auf sich.
Wieder treffen sich unsere Blicke, und diesmal kann ich ihn sehen. Ich sehe das Verlangen und Bedürfnis in seinem Blick. Das Begehren.
Ich schlucke schwer, und mein Magen zieht sich vor Nervosität zusammen.
„Der Ex?“, fragt er. Seine Stimme ist sanft, und er streichelt immer noch diese verdammten Kreise auf meine Haut. Ich kann nicht denken, wenn er mich berührt.
„Ja.“ Meine Antwort klingt atemloser, als ich es will, aber irgendwie kann ich plötzlich nicht genug Luft in die Lungen bekommen. Lauf fort, Allie. Du musst nicht auf noch ein Arschloch reinfallen.
„Er hat dich betrogen?“
Ich nicke.
„Und deine Mom ist tot?“
Noch ein Nicken.
Er scheint über meine Worte nachzudenken. „Und bei wem wohnst du dann jetzt? Deinem Paps?“
Ich nicke. „Ja. Bei meinem biologischen Dad.“
Er legt fragend seinen Kopf schief und rückt sich so zurecht, dass unsere Körper näher aneinander sind. Ein Arm legt sich um meine Schulter, die andere
immer noch an meinem Handgelenk. Ich kann die Hitze von seinem Körper nun spüren, so nah ist er.
„Ich, äh… will darüber eigentlich nicht reden“, stottere ich hervor. So dicht bei Roman zu sein, macht mich nervös. Mir ist es diese Woche so gut gelungen, ihn zu meiden, dass ich schon geglaubt hatte, er habe mich vergessen. Ein dummer Gedanke, denn nun ist er höchstpersönlich hier. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass er dieses Treffen geplant hat. Warum sonst wäre er mir zur Rückseite von Aarons Hütte gefolgt? Welchen anderen Grund gibt es dafür, dass er hier ist?
„Allie?“ Seine Stimme ist tonlos und doch irgendwie voller unterdrückter Emotionen.
Ich schlucke schwer und entziehe ihm meine Hand.
Stille legt sich wieder zwischen uns, und ich stehe auf. „Ich hole mir noch etwas zu trinken“, sage ich, weil ich einen Grund brauche, um seiner Gegenwart zu entkommen. Ich spüre, dass er gefährlich ist, und doch fühle ich mich gleichzeitig zu ihm hingezogen.
Er sagt nichts und versucht nicht, mir zu folgen. Er fährt sich mit einer Hand durch sein dichtes, dunkles Haar, seine Nasenflügel sind gebläht, aber er gibt keinen Ton von sich. Ich halte an der Tür inne, erlaube mir eine letzte Sekunde lang, seinen Anblick in mich aufzunehmen, bevor ich nach drinnen flüchte und mich dabei für meine Dummheit verfluche. Roman bedeutet Ärger, und ich werde nicht noch einmal dieselben schlechten Entscheidungen treffen.