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ch weiß nicht, warum es mir so viel bedeutet, dass Roman mein Bikini-Oberteil trägt. Es ist nur ein blödes Oberteil. Aber er trägt es, und es gehört mir. Mein Magen schlägt Purzelbäume, und ich spiele mit dem türkisfarbenen Armband an meinem Handgelenk herum. Ich folge ihm, als er aus Aarons Zimmer tritt, und versuche, mein wild schlagendes Herz zu beruhigen. Die Menge umringt uns, zwingt uns einige Schritte zurück, bis Roman einen der Football-Spieler mit beiden Händen aus dem Weg schubst. Er trägt sein Trikot, wie ein paar andere auch, und ist dadurch leicht zu erkennen.
Der Kerl wirbelt mit erhobener Faust zu Roman herum, als ob er zuschlagen will, doch dann hält er plötzlich inne und lässt seine Hand sinken. „Hey, Rom. Mein Mann, äh…“ Er reibt sich mit einer Hand den Nacken. „Tut mir leid, Mann. Ich wusste nicht, dass du das warst.“
Roman sagt nichts. Er starrt ihn nur mit zu Schlitzen verengten Augen an, und der Kerl zieht sich mit erhobenen Händen zurück. „Ja. Sorry. Ich lass dich schon durch.“ Er lacht nervös und verzieht sich.
Ich erwarte, dass sich Roman an ihm vorbeidrückt und mich hier stehen lässt, aber stattdessen dreht er sich zu mir, schnappt mein Handgelenk und zieht mich
mit sich. Ich quieke und stolpere, wobei ich gegen ein paar andere Spieler pralle, doch sobald ich sie berühre, treten sie zurück. Warum nimmt er mich ständig am Handgelenk? „Ich bin durchaus in der Lage, allein zu laufen“, sage ich, aber entweder hört er mich nicht, oder er ignoriert mich.
Wir treten aus dem Haus heraus und sehen, dass Emilio ein neon-pinkes Bikini-Oberteil über seiner nackten Brust trägt, und dazu einen Stringtanga über seine dunkelblauen Boxershorts. Ich habe keine Ahnung, wie es ihm gelingt, darin gut auszusehen, aber so ist es jedenfalls.
Emilio hat auch Tattoos und sein Brustdesign wird voll zur Schau gestellt. Das Porträt einer Frau im Gothic-Stil, deren Haare nach hinten wehen. Um sie herum fliegen Spatzen und Raben, die Strähnen ihrer Haare mit den Schnäbeln hochheben.
Das Bild ist überraschend schön. Als er mich beim Glotzen erwischt, reibt er sich über die Brust und beißt auf seine Unterlippe. Seine Augen sind halb geschlossen, und er hebt lasziv eine Braue. Roman tritt mit einem Knurren vor mich, und Emilio bricht in Gelächter aus.
Neben ihm entdecke ich Dominique. Seine Schultern beben, seine Lippen sind zusammengepresst, und ich kann sehen, dass er versucht, sich das Lachen zu verkneifen, aber letztlich gelingt ihm das nicht.
„Rom, wenn du jetzt dein Gesicht sehen könntest.“
Ich trete nach vorn, um mir seinen Ausdruck anzusehen, aber wie immer wirkt sein Gesicht wie eine Maske. „Also, äh, ich lasse euch Kerle mal euer Ding machen.“ Ich gehe langsam um Roman herum und begebe mich zurück zum Lagerfeuer. Mit den Augen suche ich nach Aaron, doch als ich ihn sehe, sitzt ein Mädchen auf seinem Schoß und küsst seinen Hals. Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen, aber…
Ich bleibe stehen.
Ich schaue nochmal hin, und ja, es ist Sarah. Die Zicke von vorhin. Wunderbar.
Ein warmer Atem an meinem Hals überrumpelt mich und ich höre ihn sagen „Sieht so aus, als ob dein Kerl heute Abend beschäftigt ist.“ Seine Stimme ist leise, sein Tonfall vielsagend. „Idiot. Stellt so etwas nach, wenn er stattdessen das hier bekommen könnte.“ Seine Finger streichen mein Rückgrat entlang und mich überkommt unwillkürlich ein Schauer.
„Niemand bekommt das hier
“, blaffe ich, weil ich es hasse, was er andeutet. „Außerdem sind wir nur Freunde. Er kann nachstellen, wem immer er will.“
Noch ein Streicheln. Diesmal hinten an meiner Hüfte. „Ja?“
„Ja.“
Romans Finger umklammern meine Hüfte so fest, dass es fast wehtut, als er mich dicht an seinen Körper zieht. „Was, wenn ich beschließen würde, dass ich dich will?“
Mein Atem geht stoßweise, und er steht immer noch hinter mir, während er mit den Lippen meinen Hals entlangwandert. Es ist kein Kuss. Die Berührung ist zu leicht, aber es fühlt sich an, als ob er mich markiert, mich als die seine kennzeichnet. „Ich würde dir sagen, dass du dich verpissen sollst.“
„Lügnerin.“
Ich trete von seinem Körper weg, vermisse aber sofort seine Wärme.
„Komm mit.“ Er verschränkt seine Finger mit meinen und entgegen aller Vernunft erlaube ich ihm, mich zu einer der größeren Hütten zu ziehen.
Ich stolpere ihm nach, aber er hält weder an, noch verlangsamt er seine Schritte. Er zieht nur fester an meiner Hand, sodass ich schneller laufen muss. „Wohin bringst du mich?“, frage ich, als ich endlich meine Stimme wiederfinde.
Er grinst über seine Schulter. „Hast du etwa Angst, Vanille?“
Ich schnaube verächtlich und folge ihm weiterhin. Ich muss mich beeilen, um mit seinen langen Schritten mithalten zu können. „Wohl kaum.“
Die Hütte ist bis auf uns zwei leer, und ich schaue mich um. Wie auch von außen wirkt sie eher wie ein normales Haus als eine Hütte. Eine Couchgarnitur aus Leder nimmt vor dem Kamin fast den ganzen Raum ein. Und die Küche und der Essbereich sehen aus, als ob sie einem Wohnmagazin entsprungen wären.
Roman beobachtet mich, während ich mich umschaue. Er scheint meine Reaktion abschätzen zu wollen, aber ich weiß nicht, was er sich erhofft. Alles hier sieht teuer aus, die Einrichtung ist geschmackvoll, und man erkennt, dass jedes Teil im Zimmer sorgfältig ausgewählt wurde.
Ich erinnere mich an die Filmabende, die ich mit Freunden zusammengekuschelt vorm Kamin verbracht habe. Julio, Adriana und ich haben das manchmal gemacht. Ab und an haben sich auch Gabe oder Felix zu uns gesellt. Also, bevor
sie die gewisse Sache getan hat. Und bevor meine Mom gestorben ist.
Wir haben immer idiotische Filme angesehen und Popcorn gefuttert. Julio hat eine Tüte Gummibärchen in meine Schüssel geschüttet. Wir haben uns immer um das letzte Gummibärchen gestritten, und der Abend endete fast ständig damit, dass sich Adriana auf unserem Sofa ausgestreckt hat, während Julio und ich auf dem Fußboden saßen. Er lehnte gegen das Sofa und ich lag neben ihm, mein Kopf auf seinem Schoß.
Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich an Roman gekuschelt vor dem Kaminfeuer säße, und Wärme breitet sich in meiner Brust aus. Es wäre nicht so, wie mit Julio Filme zu schauen. Es gäbe keine unschuldigen Zärtlichkeiten.
„Woran denkst du?“, fragt er und tritt dichter an mich heran.
„Nichts.“
„Mentirosa.“ Lügnerin,
sagt er.
Vielleicht bin ich das, doch ich werde mich hüten, ihm meine wahren Gedanken zu verraten, also sage ich: „Ich habe darüber nachgedacht, wie schön dieses Haus ist. Gemütlich. Ich weiß, es ist wahrscheinlich ein Vermögen wert, aber es strahlt auch Wärme aus.“ Nicht wie mein neuer Wohnort.
Das spreche ich nicht aus. „Es gefällt mir hier.“
Er nickt, geht dann zur Küche und ich folge ihm. Er öffnet den Kühlschrank und holt Lebensmittel heraus. Karotten, Sellerie, ein Paket Hackfleisch. Aus den Küchenschränken nimmt er Zwiebeln, Knoblauch, Kartoffeln, Gewürze, ein paar Dosen, sieht aus wie Mais und Tomaten, und dann noch eine Tüte Reis.
„Was machst du denn?“
„Ich koche.“
Ein Lachen entschlüpft mir. „Das sehe ich, aber was kochst du und warum?“
„Ich habe nach dem Spiel nichts gegessen.“ Ein Schulterzucken, bei dem sich seine breiten Schultern anspannen. Ich kämpfe gegen das Verlangen an, jede Kontur seines Körpers mit meinem Blick nachzufahren. In meinem Bikini-Oberteil sollte er lächerlich aussehen, aber das tut er nicht. Es ist zum Verrücktwerden.
Ich habe noch nicht entschieden, ob er Freund oder Feind ist. In einem Moment ist er voller Wärme und Verlangen, im anderen kalt und abweisend. Ich kann ihn nicht richtig einschätzen.
„Ich mache albóndigas
.“
Mein Herz krampft sich zusammen, weil mich Erinnerungen an meine Mom und unsere gemeinsamen Kochabende überkommen. „Das… Das kochst du?“ Ich drehe mich weg, um die Tränen, die mir plötzlich in die Augen steigen, zu verbergen, und bekomme sein Nicken kaum mit.
Glücklicherweise schaut er nicht von seiner Arbeit auf. Er schält die Zwiebel und schneidet sie in Windeseile in gleichmäßige, kleine Würfel. „Hier.“ Er gibt mir ein zweites Schneidebrett und ein scharfes Messer. „Schneide das bitte in Würfel.“ Dann reicht er mir den Sellerie, die Kartoffeln und die Karotten.
Ich nehme sie und tue wie geheißen. Die plötzlichen Gefühle, die mir die Kehle abschnüren, ignoriere ich. „Du weißt, dass man für Albóndigas mindestens zwei Stunden braucht, oder?“ Und selbst dann sind die verschiedenen Aromen noch nicht vollständig verschmolzen. Meine Mom hat die Suppe immer mehrere Stunden auf dem Herd köcheln lassen, um sicherzugehen, dass alles schön miteinander verbunden war. Die Suppe wird unmöglich heute Abend zum Essen fertig werden.
Er nickt. „Ich weiß. Ich schummele.“
Ich schaue von meiner Arbeit auf und sehe, dass er auf einen Schnellkochtopf zeigt, der auf der hinteren Herdplatte steht. Ich kann nicht anders, das Lachen sprudelt nur so aus mir heraus.
„Meine Mutter wäre absolut entsetzt.“
Er wirft mir ein teuflisches Lächeln zu. „Meine auch. Und meine Großmutter würde mich wahrscheinlich enterben. Das ist also streng geheim. Wehe, du plauderst Firmengeheimnisse aus, Vanille.“ Er zwinkert. „Ich will keine Burger oder Würstchen. Ich möchte richtige Nahrung. Essen, das ich zu Hause bekommen würde.“ Noch ein Schulterzucken. „Der Topf spart uns Zeit. Wenn wir erst einmal alles drin haben, haben wir innerhalb von fünfzehn Minuten frische Suppe, die so schmeckt, als ob sie den ganzen Tag geköchelt hat.“
Ich lächele vor mich hin. „Du bist so anders, als ich erwartet hatte.“
Er beäugt mich von oben bis unten, und fast entgeht mir die Begierde, die in seinen Augen kurz aufblitzt. „Du auch.“