A
uf dem Flur wimmelt es nur so von Leuten, als ich am Montagmorgen zu meiner ersten Stunde gehe. Ich ignoriere die Blicke, die mir zugeworfen werden, so wie ich es schon die ganze Zeit mache, seitdem ich hierher gewechselt bin. Aber ein paar der Blicke haben etwas an sich, dass sich mir die Nackenhaare sträuben.
In ihnen steckt viel Feindseligkeit. Nicht die übliche Gleichgültigkeit, an die ich mich in der letzten Woche gewöhnt hatte.
Ich werde dieses Jahr nicht den Wettbewerb für das beliebteste Mädchen gewinnen. Nicht, dass ich das als die Neue erwartet hatte. Aber ich habe das Gefühl, dass der Campingausflug der Grund dafür ist, weshalb ich plötzlich, insbesondere von den Mädchen dieser Schule, noch mehr Aufmerksamkeit bekomme. Wenn Blicke töten könnten… Wie in einer Szene von Girls Club
und jedes Mädchen, an dem ich vorbeilaufe, ist wie die Filmzicke Regina George, die mich anstarrt und als Beute markiert.
Mir läuft ein Schauer über den Rücken und ich gucke schnell über meine Schulter, während ich zum Englischunterricht gehe. Da ich Silvia und ihre Freundinnen sehe, wechsele ich auf die andere Seite und laufe nahe an den Spinden entlang, um ihr aus dem Weg zu gehen. Aber natürlich sieht sie mich, und
bevor ich zu meiner ersten Unterrichtsstunde gelangen kann, bahnt sie sich einen Weg durch den vollen Flur und hält direkt auf mich zu.
Ich erschaudere. Das wird nicht gut ausgehen.
Irgendwie hatte ich eine Konfrontation in Shadle Creek erwartet und war erleichtert, als diese nicht stattfand, aber es sieht so aus, als ob sie nur auf den richtigen Augenblick gewartet hätte. Jetzt scheint ihre ideale Chance gekommen zu sein, der Neuen zu zeigen, wo sie hingehört.
Ihre Oberlippe verzieht sich spöttisch, und vier weitere Mädchen kommen neben ihr näher an mich heran. Ich wappne mich für alle möglichen verbalen Hiebe. Ich weiß, dass es wahrscheinlich mit dem ersten Abend zusammenhängt, als sie aus der Hütte der Teufel geworfen wurde. Aber bevor ich mich versehe, schlägt mir eine Hand ins Gesicht. Mein Kopf knallt zur Seite, der Mund steht mir offen, ich fasse mir mit der Hand an die Wange. Ich registriere den Schmerz kaum und kann nur denken: „Was zum Teufel?“
Der Schlag kam aus heiterem Himmel. Der Gewaltausbruch überrascht mich so sehr, dass meine einzige Reaktion darin besteht, mir das Gesicht zu halten, meine Augen aufzureißen und mich nicht von der Stelle zu rühren.
„Du bist so eine dumme Hure“, zischt sie. Spucke fliegt mir bei ihren bösartigen Worten entgegen. Alle Augen sind auf uns gerichtet, und die Stille im zuvor geräuschvollen Flur ist unerträglich.
Verdammter Mist.
Ich kann nicht zurückschlagen. Ihre Freundinnen sind vorgetreten, sodass sie im Halbkreis um mich stehen. Wenn ich sie schlage, werden sie einschreiten und ihr helfen. Ich habe keine Freunde hier und ich habe keine Lust, überwältigt zu werden. Mein Drang, mich zu verteidigen, ist so groß, dass ich die Hände zu Fäusten balle, während ich mit geblähten Nasenflügeln tief einatme.
Ich trete vor, fest entschlossen, mich an ihr vorbeizuzwängen, doch sie schiebt mich zurück an die Spinde. Mein Rücken knallt gegen die kühle Oberfläche, und ein einzelner manikürter Finger erhebt sich und zeigt arrogant in mein Gesicht.
Ich beiße die Zähne zusammen und weigere mich, den Köder zu schlucken. Der Schubser war heftig. Der Schlag noch mehr. Aber sie ist nicht so stark. Beide Übergriffe haben mich einfach nur überrascht, und ich werde hier nicht stehen und vor der amtierenden Schulzicke duckmäusern.
Ich recke das Kinn und schaue ihr in die Augen.
Silvia ist eines der It-Girls. Die anderen Schüler hier denken, dass sie ganz oben an der Spitze steht. Und ich bin ganz unten. Ich erwarte nicht, dass mir irgendjemand zu Hilfe kommt, weshalb es mich überrascht, als sich die Menge teilt und Emilio auf mich zumarschiert. Auf seinem Gesicht liegt ein entspanntes Lächeln, doch mir entgeht nicht die heiße Wut in seinen Augen.
Er nimmt die vor ihm liegende Szene in sich auf. Ein Muskel zuckt in seinem Kiefer, und er hat eindeutig seine Schlüsse gezogen, was hier vor sich geht.
Als Silvia ihn sieht, huscht Besorgnis über ihr Gesicht, doch dann versucht sie, das hinter cooler Gleichgültigkeit zu verbergen. Sie stemmt die Hände in die Hüften und presst ihre Lippen aufeinander, während sie mich weiterhin anstarrt.
Emilio macht ein Geräusch, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, bevor er mit den Fingern schnipst, als ob ihm gerade etwas eingefallen wäre. „Du warst am Wochenende auf dem Campingplatz, oder?“, fragt er und kommt näher.
Etwa einen halben Meter von mir entfernt, lehnt er sich neben mir an den Spind und reibt sich mit dem Daumen über die Unterlippe. Dabei mustert er Silvia nachdenklich, als ob er versucht, sich daran zu erinnern, wo er sie schon einmal gesehen hat.
Sie hält das für Interesse und richtet ihre vollständige Aufmerksamkeit auf ihn. Sie schaut nicht mehr finster, sondern lächelt verführerisch und hat mich nun komplett vergessen. „Ja, genau.“ Ihre Worte klingen rauchig. Sie drückt ihre Schultern durch, damit sich ihre Brüste in seine Richtung recken. Dann senkt sie ihren Kopf, sodass sie ihn von unten durch ihre Wimpern ansieht.
Ich verdrehe meine Augen, als ich ihren einladenden Gesichtsausdruck sehe. Ihr Annäherungsversuch ist so unfassbar plump. Ich kann mir echt nicht vorstellen, dass Kerle auf diesen Scheiß wirklich hereinfallen.
Emilio stößt sich vom Spind ab, und seine Augen verdunkeln sich, als er nah an sie herangeht. Ich schätze, ihre kleinen Verführungstaktiken funktionieren tatsächlich.
„Ja, ich erinnere mich an dich. Ich hätte dich fast gefickt.“ Seine Worte sind heiser und voller Überheblichkeit.
Nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt, legt er seine Hand seitlich an ihren Hals, während sein Daumen mitten auf ihrer Kehle liegt. „Hm. Wir können das nachholen, wann immer du willst“, antwortet sie und lehnt sich zu ihm vor, als er
seinen Kopf senkt, um so leise zu flüstern, dass nur wir es hören können.
„Ich verzichte. Entweder bist du blind oder dumm, denn wenn du aufgepasst hättest, dann wüsstest du, dass Allie bei uns war. Sie gehört den Teufeln, und wir sehen es nicht gern, wenn man das, was uns gehört, nicht respektiert.“
Sein Daumen drückt fest gegen ihre Kehle und sie keucht auf. Da, wo er zugreift, wird ihre Haut weiß, und ihre Augen weiten sich und sind plötzlich angsterfüllt.
Dann lässt er sie los und tritt zurück, als ob nichts passiert wäre. Er lächelt ungezwungen und legt einen Arm um meine Schulter, um mich an sich zu ziehen.
„Werden wir Probleme miteinander haben, Silvia?“
Ihre Lippen werden schmal, ihr Gesicht und Hals sind von Röte überzogen.
„Sie ist eine Außenseiterin“, spuckt eines der Mädchen neben Silvia hervor.
Das ist die falsche Antwort auf Emilios Frage. Er ballt die Fäuste und schaut sich im Flur um, wo immer noch alle Blicke auf uns gerichtet sind.
„Zeigt ihr die kalte Schulter“, sagt er zu niemand Bestimmtem, aber alle Köpfe um uns herum nicken.
Silvia japst auf, als ihre vier Freundinnen schnell von ihr zurücktreten, um sich von ihr zu entfernen. „Das kannst du nicht machen.“
Er lacht, doch es klingt dunkel und gefährlich. „Ich kann machen, was immer ich will. Du hast einen Fehler gemacht. Ich schlage vor, du lernst etwas daraus.“
Sie öffnet den Mund, um zu antworten, aber dann ertönt eine neue Stimme über dem Meer von Schülern.
„Was geht da drüben vor sich?“ Eine Männerstimme dröhnt durch den Flur. „Auseinander. Alle in die Klassenzimmer.“ Der Flur leert sich genau beim ersten Klingeln und alle gehen zum Unterricht.
Silvia wartet einen Moment, bevor auch sie geht. Doch der hasserfüllte Blick in ihren Augen sagt mir, dass die Sache zwischen uns noch lange nicht ausgestanden ist. Wenn überhaupt, hat Emilio mit seinem Eingreifen Öl ins Feuer gegossen. Falls sie mich zuvor nicht schon gehasst hatte, dann jetzt auf jeden Fall.
Mr Alvarez, der Schuldirektor, kommt in Sicht. Er beäugt Emilio und mich argwöhnisch. „Mr Chavez, Ms Ramirez, gehen Sie in Ihre Klassenzimmer.“ Er klatscht in die Hände, und ich springe los, um zu tun, was er gesagt hat, doch
Emilio hält mich am Handgelenk zurück.
„Wenn so ein Scheiß wieder passiert, dann holst du mich. Klar?“ Seine dunkelbraunen Augen blicken in meine.
„Warum?“ Ich bin so verwirrt und weiß nicht, weshalb er mir überhaupt geholfen hat. Etwa, weil ich mit seinem Freund geschlafen habe? Emilio kommt mir wie ein netter Kerl vor. Er erinnert mich sehr an meinen Freund Felix von zu Hause. Weshalb ich auch weiß, dass Emilio nie etwas tut, ohne seine Gründe zu haben. Und es gab keinen Grund, jetzt einzuschreiten und mir zu helfen.
Er blickt mich stirnrunzelnd an. „Das ist eine dumme Frage, Vanille. Was meinst du mit ‚warum’?“
Ich zucke mit den Schultern und sage, ohne seine Frage zu beantworten: „Okay. Ich werde dich holen.“
„Sieh zu, dass du das machst.“ Er lässt mich los, und wir begeben uns beide in unsere jeweilige erste Unterrichtsstunde. Ich entdecke Roman, der auf mich vor dem Englischraum wartet. Er sagt nichts. Seine dunkelbraunen Augen schauen in meine, aber ich kann seinen Blick nicht deuten. Ich weiß, dass er gesehen hat, was gerade passiert ist, aber, ob ihn das interessiert oder nicht, ist mir ein komplettes Rätsel. Ich wünschte, ich könnte seine harte Schale knacken. Ich bin immer noch sauer auf ihn. Er war am Samstagmorgen ein totaler Arsch und hat sich später auch nicht dafür entschuldigt. Nicht, dass ich es erwartet hatte… Allerdings hatte ich damit gerechnet, dass er wieder mit mir sprechen würde, aber es kam nichts. Nicht mal ein Abschiedsgruß am Sonntag, als alle zurück nach Hause gefahren sind.
Wortlos dreht er sich um und geht ins Klassenzimmer. Ich seufze. Ich habe heute nicht die Energie, mich mit Silvia und auch noch mit Roman zu befassen.
Bis zur Mittagspause weiß die ganze Schule, dass die Teufel Anspruch auf mich erheben. Und nicht nur ein Teufel. Nein, auch wenn das mehr als ausreichend gewesen wäre, Emilio hat uns
gesagt, als ob er für sie alle spricht und mich damit nicht nur zum Eigentum von einem Arschloch, sondern von dreien macht. Ich bin mir nicht ganz sicher, was es bedeutet, dass sie Anspruch erheben,
doch das Starren und Flüstern hat sich ums Zehnfache gesteigert. Heute Morgen kam es mir schlimm vor, aber der Nachmittag ist sogar richtig schrecklich.
So viel also zu der Idee, bis zum Abschluss unbemerkt zu bleiben.
So schnell wie möglich schnappe ich mir mein Mittagessen in der Absicht,
damit zur Bibliothek zu gehen und mich dort zu verstecken. Doch Dominique vereitelt diesen Plan, als er mir das Tablett aus den Händen nimmt und es zusammen mit seinem eigenen hinüber zu dem Tisch in der Ecke trägt, sodass ich gezwungen bin, ihm zu folgen, wenn ich etwas essen will. Fast überlasse ich ihnen mein Mittagessen. Ich habe sowieso nicht vor, viel davon zu mir zu nehmen.
Seit Moms Tod habe ich drei Kilo abgenommen. Ich sollte mehr essen, aber ich scheine nichts herunterzubekommen. Die albóndigas
, die Roman für uns gemacht hatte, konnte ich allerdings ohne Probleme reinschaufeln.
Dom stellt mein Tablett neben Romans auf dem Tisch ab, bevor er auf die andere Seite geht und sich neben Emilio setzt. Niemand macht einen Kommentar über meine Ankunft, sondern sie stürzen sich gleich in ein Gespräch über das kommende Spiel, als ob es ganz normal wäre, dass ich bei ihnen sitze.
Also okay.
Ich stochere in meinem Mittagessen herum, eine Frikadelle aus Hühnerfleisch mit Kartoffelbrei und Soße. Die Dame an der Essensausgabe hat gesagt, es sei Hähnchenschnitzel, doch das hier sieht absolut nicht wie Hähnchenschnitzel aus. Ich bemühe mich trotzdem, einen Bissen herunterzuschlucken, bevor ich dann mit meiner Gabel einfach nur das Essen auf dem Teller herumschiebe, damit es wenigstens so aussieht, als ob ich etwas gegessen hätte.
Ich entdecke Aaron ein paar Tische weiter, sein Blick ist starr auf mich gerichtet. Als er bemerkt, dass ich ihn ansehe, schiebt er seine verspiegelte Sonnenbrille nach unten und dreht sich zurück zu den Kerlen, mit denen er gesprochen hatte.
Ich sacke in mich zusammen und schaue weg, nur um zu sehen, dass Roman mich mit einem Laserblick durchbohrt. Sein Mund ist zu einer harten Linie zusammengepresst, während er mich forschend ansieht. „Läuft irgendwas zwischen dir und Henderson?“, fragt er.
Ich verdrehe die Augen. „Er ist mein Freund, und er scheint euch drei nicht allzu sehr zu mögen. Beantwortet das deine Frage?“
Roman nickt und zieht seine Unterlippe in den Mund, bevor er einen Arm über meine Schulter legt und Aaron ein Fick-dich-Grinsen zuwirft. Gott. Kerle können manchmal solche Arschlöcher sein.
Ich schüttele seinen Arm ab. „Hör auf, ständig Ärger zu machen“, sage ich zu ihm und schlage nach seinem Arm.
Er fasst mich am Kinn und dreht mein Gesicht zu sich. Ich lecke mir die Lippen, und seine Augen verfolgen die Bewegung. In seinem Blick liegt Hunger. „Allie, hast du mittlerweile nicht verstanden, dass ich nichts als Ärger bedeute?“
Er senkt den Kopf und presst seine Lippen auf meine. Zuerst ist es ein sanfter Druck, doch dann ziehen seine Zähne an meiner Unterlippe, um Einlass zu fordern. Ich öffne die Lippen, und seine Zunge schießt für eine kurze Kostprobe hinein, was mir den Kopf schwirren lässt.
Er zieht sich zurück, sein Gesicht voller großspuriger Arroganz, bevor ich ihn dabei erwische, wie er über meine Schulter blickt. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass er und Aaron sich gegenseitig anstarren. Meine Wangen werden heiß und Wut breitet sich in mir aus.
„Wenn du dich entschieden hast, kein Arsch mehr zu sein, dann sag mir Bescheid.“ Ich stehe auf, um den Tisch zu verlassen, doch seine Hand hält mich hinten an meinem Oberschenkel fest.
„Setz dich hin.“
Ich schnaube und mache einen Schritt nach vorn, doch sein Griff wird nur fester. „Allie“, in seiner Stimme schwingt eine Warnung mit, die ich zu hundert Prozent völlig bewusst ignoriere.
„Bis später, Jungs.“
Ich gehe endgültig und begebe mich zu Aarons Tisch, da ich weiß, dass Roman mir niemals folgen würde. Kerle wie er können es sich nicht leisten, dass man ihn einem Mädchen hinterherrennen sieht, schon gar nicht jemandem wie mich. Aaron hat immer noch die Brille auf, also schiebe ich sie ihm hoch auf den Kopf.
„Hey.“ Ich halte inne, bin mir plötzlich nicht sicher, was ich zu ihm sagen soll. Die Fahrt zurück von Shadle Creek war gut. Ich hatte gedacht, dass wir alle Probleme zwischen uns beseitigt hätten, aber seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ist er immer noch sauer.
Er deutet mit dem Kinn auf Roman und die anderen Kerle. „Sah kuschelig aus.“
Ich verschränke meine Arme vor der Brust. „Und du siehst wütend aus.“
Er schüttelt den Kopf. „Nee. Nicht wütend. Enttäuscht. Aber warum sollte ich das sein, nicht wahr?“
„Wie bitte?“
Er steht auf und kommt näher zu mir, sein Mund ist so nah, dass seine Lippen meine Ohrmuschel streifen. „Alle Mädchen dieser Schule wollen für Roman Valdez die Beine breitmachen. Ich war davon ausgegangen, dass du nicht eine von ihnen seist. Mein Fehler. Nach dem, was ich gehört habe, scheinst du mit allen dreien zu vögeln.“