NEUNUNDZWANZIG
E milio kommt von der Seite unauffällig an mich heran. „Sie ist zurück“, murmelt er leise. Mein Kiefer verspannt sich, und als wir unsere Köpfe drehen, sehen wir, wie sie ein paar Reihen von uns entfernt aus einem silberfarbenen Auto steigt.
„Ist das ein…“, fängt Emilio an.
„Brandneuer Audi RS 5? Ja, das ist er“, antwortet Dom, und ein kurzer Blick in seine Richtung zeigt mir, dass er auch nicht allzu froh darüber ist, sie zu sehen.
Ich nehme an, sie lebt immer noch das fette Leben. Vielleicht ist sie jetzt nur eher bereit, es auszukosten. Sie hat den teuren, vornehmen Scheiß an, den sie in der ersten Schulwoche getragen hatte.
Sieht so aus, als ob wir das also auch wieder haben.
Ich zucke mit den Schultern und fange Emilios und Doms Blicke auf. „Es ist egal, was sie fährt. Sie ist hier. Ich will ein paar Antworten, verdammt.“ Die Tussi, die für ihren Vater arbeitet, hat uns abblitzen lassen, als wir aufgetaucht sind, aber ich kaufe ihr den ganzen Allie-will-mich-nicht-sehen-Scheiß nicht ab. Irgendetwas muss los sein. Ich habe versucht zu warten, bis Allie das Haus verlässt, weil ich sie abpassen und sie dazu bringen wollte, mit mir zu reden. Aber sie hat das verdammte Haus nie verlassen. Kein einziges Mal. Zumindest habe ich es nie gesehen. Und ich war da. Jeden einzelnen verdammten Tag. Acht Tage am Stück. Ich bin zu einem handfesten Stalker geworden und schäme mich nicht einmal dafür.
Ich stoße mich von der Kühlerhaube des Autos ab, kann’s kaum erwarten, mit ihr zu reden. Doch dann sehe ich, wie ein Kerl aus der Beifahrerseite desselben Fahrzeugs aussteigt.
„Was zum Teufel?“, sagt Emilio neben mir. Er kratzt sich am Hinterkopf. „Das ist neu.“
„Ja“, presse ich hervor. „Das ist es.“
Ich beobachte, wie er um das Auto herumgeht, bis er direkt neben ihr steht. Er streckt eine Hand nach ihr aus. Es sieht vorsichtig aus, so als ob er nicht genau weiß, ob sie seine Berührung akzeptieren wird, und einen Moment lang pocht mein Herz rasend schnell in der Brust. Sie wird ihn abblitzen lassen. Ich weiß es. Wenn sie zusammen wären, wenn er ein Rivale wäre, dann würde er sie nicht so zögerlich anfassen. Ich grinse. Der Wichser hat keine Ahnung, wo er sich dazwischen drängen will.
Allie gehört mir. Sie hat mir viele Fragen zu beantworten, und ich bin verdammt wütend auf sie, aber sie gehört immer noch mir.
Ich mache einen weiteren Schritt auf sie zu, und meine Jungs folgen mir. Aber dann lächelt sie zu dem Kerl hoch und nimmt seine Hand. Sie verschränkt ihre Finger mit seinen und die beiden drehen uns den Rücken zu, um zum Vordereingang der Schule zu gehen.
Ich bleibe wie angewurzelt stehen, mein Blick klebt an ihren Händen. Ihre verdammten, verschränkten Finger, als ob wir hier auf der Grundschule sind oder irgendwelchem Scheiß!
Was. Zum. Teufel.
Dominique legt eine Hand auf meine Schulter und drückt zu. „Alles gut bei dir, Kumpel?“
„Mir geht’s gut.“
Emilio neben mir flucht. „Wer zum Teufel ist der Typ?“
Ich knirsche mit den Zähnen.
„Wir brauchen immer noch Antworten“, sagt Dom neben mir. „Ihr habt sie letzte Woche nicht gesehen. Irgendetwas ist passiert.“
„Es ist mir verdammt egal. Zeigt ihr die kalte Schulter.“ Wut brodelt in mir hoch. „Ich habe keine Zeit für belanglose Schlampen und ihre Spielchen. So läuft das bei uns nicht.“ Beide nicken bestätigend, aber Emilio schaut zweifelnd.
„Dafür muss es eine Erklärung geben“, wendet er ein. Ich funkele ihn an, und er hält die Arme kapitulierend hoch. „Was immer du sagst, Mann. Wir zeigen ihr die kalte Schulter.“
Ich nicke. Sie hat auf unsere Nachrichten nicht geantwortet. Hat auf meine Nachrichten nicht geantwortet. Und wofür? Für diesen Kerl? Ich kenne ihn nicht. Ich erkenne nicht einmal sein Gesicht. Ich habe ihn noch nie zuvor in ihrer Nähe gesehen. Aber sie hat mich für diesen Kerl fallen lassen. Sie hat mich wie einen Idioten dastehen lassen. Und nun, wo sie Hand in Hand mit ihm geht, stellt sie sicher, dass die ganze Schule weiß, dass sie mich abserviert hat.
Sie hatte nicht einmal den Anstand, mich anzurufen. Mein Paps ist zu dem Spiel gekommen. Er kommt nie zu meinen Spielen. Er hat nie Zeit dafür. Aber zu unserem Rivalenspiel gegen die Saints ist er gekommen, und ich hatte alles im Voraus geplant. Er sollte mein Mädchen kennenlernen. Ich wollte meinen Eltern von ihr erzählen. Meine Mom weiß, dass Allie da sein sollte und nicht aufgetaucht war. Einfach nicht aufgetaucht, verdammt. Kein Anruf. Keine Nachricht. Nichts.
Ein Muskel fängt an, in meinem Kiefer zu zucken, und ich schaue wütend ihrer sich entfernenden Gestalt nach. Als ob sie meinen Blick spüren kann, dreht sie ihren Kopf, um über ihre Schulter zu sehen. Ihre schokobraunen Augen sehen direkt in mein hasserfülltes Starren, und sie zuckt zusammen.
Ich hoffe, ihr wird klar, wie angepisst ich bin. Wie sehr ich mit ihr fertig bin.
Der Kerl neben ihr verlangsamt seine Schritte. Ich sehe, wie sie ihm ihre Hand entzieht und er sie stirnrunzelnd anblickt. Sie sagt etwas zu ihm. Sie schüttelt den Kopf und schaut wieder zu mir hinüber. Er antwortet und sie diskutieren für einen Moment, bevor sie zu einer Entscheidung kommt.
Sie dreht sich um und geht in meine Richtung, der neue Typ ihr dicht auf den Fersen. Sie nagt an ihrer Unterlippe, die Sorgenfalten auf ihrer Stirn werden mit jedem Schritt tiefer. Gut. Sie sollte sich Sorgen machen. Wenn sie eine herzliche Begrüßung erwartet hat, dann hat sie sich getäuscht.
Der Kerl hat einen ausdruckslosen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Ich kann ihn nicht deuten, aber er bleibt dicht bei Allie. Fast so, als ob er sie beschützen will. Seine Hände sind tätowiert und er trägt zwei Diamantohrstecker. Er hat dunkle Jeans an und einen schwarzen Hoodie mit dem Schriftzug Richland auf dem Rücken. Da fällt bei mir der Groschen. Dieser Typ ist aus ihrer alten Heimat. Ist er ihr Ex? Der Ex, der kein Ex mehr zu sein scheint?
Sie sind fast bei uns, als Dom fragt: „Wie sieht der Plan aus?“
Ich schüttele den Kopf. Ich weiß es nicht. Sie kommt zu uns, aber sie ist mit ihm unterwegs. Sie haben eindeutig irgendeine Beziehung miteinander, und ich habe keine verdammte Ahnung, was los ist. War ich irgendein Nebenprojekt für sie? Sie hat am Anfang gesagt, dass sie nichts Ernstes wollte. Wir haben keine Bezeichnungen verwendet. Ich habe sie nie meine Freundin genannt. Aber verdammt, sie war mein Mädchen. Sie war mein Mädchen .
Nichts davon ist jetzt von Bedeutung. „Wir halten uns an den Plan. Zeigt ihr die kalte Schulter. Ich bin fertig.“
Sie nicken, und wir greifen alle nach unseren Taschen und gehen direkt auf sie zu. Allies Schritte werden zögerlicher, und sie wird bleich, wodurch die scharfen Kanten ihrer Wangenknochen betont werden. Hat sie etwa noch mehr abgenommen?
Als wir direkt vor ihnen stehen, sagt sie: „Ro?“ Mein Name kommt flüsterleise über ihre Lippen und löst etwas in mir aus, sorgt dafür, dass sich mein Innerstes zusammenzieht, doch ich antworte nicht. Ich reagiere nicht. Stattdessen schiebe ich mich direkt zwischen sie und den neuen Typen hindurch und gehe direkt zu den Türen. Meine Schritte verlangsamen sich nicht einmal für eine Sekunde.
Sie keucht, bevor sie ein bisschen lauter sagt: „Roman?“
Ich gehe weiter. Dann ruft das Arschloch, das bei ihr ist: „Alter, was ist dein Problem?“
Ich wirbele herum. Meinen Rucksack lasse ich auf den Asphalt fallen, bevor ich nahe an ihn herangehe und ihm direkt ins Gesicht blicke. Er weicht nicht von der Stelle, und Wut blitzt in seinen Augen.
Allie atmet hörbar ein und macht mehrere Schritte nach hinten. Sie ist weiß wie ein Bettlaken, aber ich schere mich nicht darum.
„Ich weiß nicht, für wen zum Teufel du dich hältst, aber das hier ist meine Schule. Meine Stadt. Sprich mich nicht noch einmal an. Nie wieder. Klar?“
Er antwortet nicht. Mittlerweile hyperventiliert Allie regelrecht neben uns, während sie uns beobachtet.
Langsam, verdammt langsam, drehe ich meinen Kopf, um sie wütend anzustarren. „Und das Gleiche gilt für dich. Sprich mich nicht an. Wir sind keine Freunde. Wir sind gar nichts. Ich gebe mich nicht mit Huren ab.“ Sie zuckt zurück, als ob ich sie geschlagen hätte, und ehe ich mich versehe, schlägt mir eine Faust ins Gesicht, und ich stolpere ein paar Schritte zurück. Dom und Emilio eilen an meine Seite. Ich schüttele den Kopf und zwinkere mehrmals, um meine verschwommene Sicht zu klären, während mein Blick das wütende Starren des Typen trifft, mit dem sie gekommen ist.
Seine Nasenflügel sind gebläht und seine Hände sind an den Seiten zu Fäusten geballt, als ob er sich nur mit Mühe davon abhalten kann, mich noch einmal zu schlagen.
Ich spucke aus und mein Blut klatscht auf den Asphalt. „Das wirst du bereuen.“
„Nenne sie nie mehr so. Ist das klar?“ Seine Stimme ist hart, seine Augen blicken mörderisch.
Ich kann mir nicht helfen und lache. „Was immer du sagst, cabrón. Du solltest nur wissen, dass sie vor zwei Wochen unter mir gelegen hat. Wer weiß, wie viele Kerle sie seitdem gehabt hat?“
„Du widerlicher Scheißkerl. Hast du auch nur ansatzweise eine Vorstellung davon, was sie ...“
„Julio, bitte nicht!“, schreit sie auf, und wir drehen uns beide um, um ihren tränenfeuchten Blick zu sehen. „Bitte. Nicht.“
Schuldgefühle machen sich in mir breit, als ich ihre Tränen sehe, doch dann schiebe ich sie beiseite. Ich werde auf keinen Fall Mitleid mit ihr haben. Sie hat jetzt Julio . So heißt der Wichser. Also doch nicht ihr Ex.
Sein Blick wird sanft, als er sie anschaut, und er geht auf sie zu. Er legt seine Hand in ihren Nacken und zieht ihr Gesicht an seine Brust. Sie lässt bereitwillig zu, legt ihren Arm um seine Taille und, verdammt, das ist wie ein Schlag in die Magengrube. Das zu sehen, zu sehen, wie er sie umarmt, schmerzt mehr, als der Kinnhaken dieses Wichser je wehtun könnte.
Ich sage nichts. Mir fehlen die verdammten Worte. Ich drehe mich um und gehe zum Eingang, weigere mich, zurückzuschauen.
„Sieh dich vor“, warnt Dom ihn, bevor er mich einholt.
„Was zum Teufel war das denn?“, murmelt Emilio, als wir außer Hörweite des glücklichen Paares sind.
Ich gebe ihm keine Antwort.
Als Silvia Parish an mir vorbeigeht, rufe ich sie zu mir, statt sie wie üblich zu ignorieren. Ihre Augen wirken zögerlich, doch sie leuchten auf, als ich ihr ein Lächeln schenke. Sie verlangsamt ihre Schritte, um auf mich zu warten.
„Hey, Ro“, säuselt sie.
Ich sehe die verwirrten Blicke meiner Jungs, doch ich ignoriere sie. „Bist du bereit, von der schwarzen Liste genommen zu werden?“, frage ich sie.
Sie zieht einen Schmollmund. „Das war echt gemein von dir.“
„Ja. Na ja, vielleicht werde ich es später bei dir wieder gutmachen. Was hältst du davon?“
Lust verdunkelt ihre Augen, und sie nickt zustimmend. „Hm. Das klingt gut.“ Sie läuft nun neben mir. „Ist es mit dir und der kleinen Heiligen vorbei?“
Ich schüttele den Kopf und schenke ihr ein teuflisches Grinsen. „Da gibt es nichts, was vorbei sein könnte. Der Scheiß hatte nie wirklich begonnen“, sage ich zu ihr.