A
llie ist vor zehn Minuten abgefahren. Ich habe versucht, sie zu überzeugen, sich von mir fahren zu lassen, aber sobald Dom sie losgelassen hatte, ist sie direkt zu ihrem Audi gegangen, ohne sich nochmal zu uns umzudrehen.
Ich war versucht, ihr hinterherzufahren. Ich weiß nicht, was zum Teufel mit mir los war, aber als ich sie so gesehen habe, genau in der Schusslinie, hatte ich so verdammt große Angst wie noch nie in meinem Leben. Mein Mädchen war in Gefahr. Mein Mädchen.
Scheiß auf den ganzen Mist zwischen ihr und Julio. Scheißegal, dass sie meine Anrufe und Nachrichten ignoriert hat. Sie gehört mir. Sie ist heute Abend weggerannt, aber sobald ich Dom beruhigt habe, werde ich mit ihr ein paar Dinge zu besprechen haben.
Jetzt sind nur noch wir drei da. Dom, Paps und ich. Wir sitzen in Dominiques Escalade, aber ich bin auf dem Fahrersitz. Auf keinen Fall werde ich ihn heute Abend fahren lassen. Dom hat meinem Vater erzählt, was passiert ist, und eine Sache ist klar: Wenn mein Vater am Montagmorgen zur Wache kommt, werden Köpfe rollen. Er versichert Dominique, dass das für alle beteiligten Polizisten Konsequenzen haben wird. Ich bin mir fast sicher, dass das erste Arschloch, das
hier vor Ort erschienen ist, seine Dienstmarke verlieren wird. Wenn man in der Truppe meines Vaters ist, dann kann man kein rassistischer Mistkerl sein. Er kennt bei solchem Scheiß kein Pardon.
„Kommt ihr Jungs heute Abend klar?“, fragt mein Paps.
„Ja. Ich fahre Dom nach Hause und übernachte bei ihm. Was hast du hier überhaupt gemacht?“, frage ich Dom.
Langsam kommt wieder Farbe in sein Gesicht. Er scheint wieder ein bisschen er selbst zu sein. „Allie hatte mich angerufen. Sie war kurz vorm Durchdrehen. Ich glaube, draußen stand ein Kerl herum und ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, das Diner allein zu verlassen.“
Es versetzt mir einen Stich, als mir klar wird, dass sie Angst hatte und ihn angerufen hat. Nicht mich. Aber bevor ich irgendetwas sagen kann, flucht mein Paps.
Ich werfe ihm einen Blick zu, und er fragt: „Steht ihr zwei ihr nahe?“
Wir schütteln beide die Köpfe. „War mal so. Wir reden nicht mehr miteinander“, sage ich zu ihm.
Er schaut finster, aber ich habe keine Ahnung, warum. Was interessiert es ihn denn, ob ich mit Allie rede oder nicht?
„Was genau meinst du damit?“, fragt er.
Ich zucke mit den Schultern, weil ich ihm das nicht näher erklären will. Allie und ich waren schlecht aufeinander zu sprechen, aber nach heute Abend will ich die Sache wiedergutmachen. „Nichts. Es ist egal.“
Er schaut noch finsterer und in seinen Augen flackert Enttäuschung auf. „Das Mädchen hat die Hölle durchgemacht“, sagt er.
Wut steigt in mir auf. „Woher willst du das wissen?“
Er reibt sich mit der Hand über sein Gesicht, und ich weiß, dass er mir irgendeine nichtssagende Antwort geben wird. Verdammt, nein. Nicht diesmal. Wenn er etwas weiß, sollte ich es auch wissen. „Paps, woher kennst du Allie?“
Sein Mund wird schmal. Er schweigt eine ganze Weile, also hake ich noch einmal nach. „Wenn etwas mit ihr los ist, dann muss ich es wissen. Du musst es mir sagen.“
„Der Abend, als dein Spiel war. Das, zu dem deine Mutter und ich gekommen
sind, um dich spielen zu sehen…“ Er zögert.
„Ja? Was ist damit?“ Ich erinnere mich, dass er wegen eines Telefongesprächs das Spiel verlassen hatte und dann kurz danach weg war. Mom sagte, dass ein Fall oder irgendwelcher Scheiß dazwischengekommen war.
„Sie wurde auf dem Parkplatz überfallen.“
Moment. Was?
Meine Brust wird eng, und mein Kiefer klappt nach unten. „Was meinst du mit ‚überfallen’?“ War sie deshalb nicht bei meinem Spiel? Sie war verletzt worden? Fuck. Sie war verletzt, und ich habe mich wie ein totales Arschloch verhalten. Kein Wunder, dass sie mir nicht zurückgeschrieben hat.
Seine Gesichtszüge werden hart. „Ich will nicht, dass du über dieses Mädchen Gerüchte verbreitest, verstanden?“
Tief in meiner Magengrube breitet sich Furcht aus. „Über welche Art von Überfall reden wir hier?“ Es gibt nur eine Art, die seinen Ton rechtfertigt, und ich will, dass er es bestätigt.
„Wir glauben, dass sie vergewaltigt wurde.“
Ich atme scharf ein. Und dann gehe ich in die Luft. „Was? Ist das dein verdammter Ernst?“ Ich springe aus dem Fahrersitz und tigere vor dem Auto auf und ab, weil ich nicht stillsitzen kann. Mein Dad und Dom steigen beide auch aus.
„Fuck.“ Dann dringen seine Worte in mein Bewusstsein, und ich wirbele zu ihm herum. „Was meinst du, mit ‚wir glauben’?“ Entweder wurde jemand vergewaltigt oder nicht. Da gibt es eigentlich keine Grauzone.
„Sie wollte nicht einwilligen, dass das Untersuchungskit durchgeführt wird. Als sie ins Krankenhaus aufgenommen wurde, hat sie den Krankenschwestern gesagt, dass sie vergewaltigt wurde. Und es war auch offensichtlich, als ich sie gefunden hatte. Sie war ...“ Er schüttelt den Kopf. „Egal. Aber sie hat den Krankenschwestern von dem Übergriff erzählt, als wir ankamen. Ich bin im Rettungswagen mit ihr mitgefahren. Sie wies alle Anzeichen eines Vergewaltigungsopfers auf. Zerrissene Kleidung. Prellungen. Alles. Aber bevor die Krankenschwestern mit der Untersuchung beginnen konnten, ist eine Frau in Geschäftskleidung hereingestürmt und hat Allie mit sich fortgezerrt, als ob sie auf einer Mission wäre. Als ich und ein Kollege versucht haben, sie zur Rede zu stellen, hat sie uns abgeblockt. Das Mädchen ist minderjährig. Wir konnten sie nicht ohne
Zustimmung der Eltern befragen, und die haben wir nicht bekommen.“
Ich raufe mir die Haare und tigere wieder herum. „Und sie war damit einverstanden?“ Gottverdammte Scheiße. Das ist so viel schlimmer, als ich angenommen hatte. Vergewaltigt? Fuck. Ich habe ihr die kalte Schulter gezeigt, und sie war vergewaltigt worden.
Sie hatte heute Probleme gehabt und Dom angerufen. Nicht mich. Ich habe es verkackt. Ihr wurde wehgetan, und ich habe es sowas von verkackt.
Mein Dad hebt die Schultern und atmet resigniert aus. „Ich weiß es nicht. Sie stand unter Schock. Sie hat dicht gemacht. Ich kann’s ihr nicht verübeln.“ Er schüttelt seinen Kopf. „Wer immer sie überfallen hat, hat sichergestellt, dass er keine Spuren hinterlässt. Ich kann es verstehen, dass sie dich angerufen hat, als sie draußen einen Mann gesehen hat.“ Diese Aussage richtet er an Dom, und ich bemerke, dass dessen Augen nicht mehr abwesend blicken. Stattdessen sind sie voller Wut.
„Der Kerl, der ihr wehgetan hat?“
Paps schüttelt seinen Kopf. „Ist immer noch da draußen.“
Fuck.