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ie schaut mich nicht an. Ich versuche, in der Schule mit ihr zu reden, aber sie zeigt mir die kalte Schulter, und das habe ich weiß Gott verdient. Ich versuche, ihren Blick in der ersten Stunde aufzufangen, doch sie sieht nicht ein einziges Mal in meine Richtung. Um die Sache noch schlimmer zu machen, wartet Silvia vor dem Klassenzimmer auf mich, und als sie versucht mich zu küssen, sorgt Allies Gesichtsausdruck dafür, dass sich mein Selbsthass wie ein Dolch in meine Gedärme bohrt.
Ich schiebe Silvia weg, doch es ist schon zu spät. Bevor ich Allie auch nur nachrufen kann, auf mich zu warten, ist sie schon im Gedränge auf dem Schulflur verschwunden.
„Silvia“, presse ich hervor.
„Ja, Süßer?“, säuselt sie, während sie mir mit einer Hand über die Brust streicht. Ich verziehe angewidert meine Lippen und schiebe ihre Hand fort. „Ich habe genug. Ich ziehe weiter. Ich schlage vor, du tust das Gleiche.“
Ihre Augen werden zuerst ganz groß, doch dann verengen sie sich zu Schlitzen. „Lass mich raten: Du gehst zurück zu Daddys kleiner Prinzessin?“
Ich mache drohend einen Schritt auf sie zu. „Sag noch einmal etwas gegen
Allie Ramirez, und ich werde dafür sorgen, dass du es bereust. Du hast schon einen Vorgeschmack darauf bekommen, was es bedeutet, wenn man sich bei mir unbeliebt macht. Willst du das wieder erleben?“
Sie schluckt schwer und schüttelt den Kopf.
„Gut. Nun mach dich rar. Ich bin fertig.“
Ich warte gar nicht erst auf eine Antwort und gehe los, um Emilio zu suchen. Er ist geschickter, wenn es um Mädchen geht. Vielleicht hat er eine Ahnung, wie ich Allie zurückgewinnen kann.
Ich sehe,
wie Allie mit Dominique im Gang redet, als sie zum Mittagessen gehen, doch sobald ich näherkomme, haut sie ab und setzt sich an Hendersons Tisch. Ich versuche, die Enttäuschung zu ignorieren, die ich bei ihrer Zurückweisung verspüre, aber es fällt mir schwer. Dom klopft mir auf die Schulter. „Sie braucht einfach nur Zeit, Mann.“
Ich nicke, weil ich weiß, dass er recht hat, aber das heißt nicht, dass ich es mögen muss. Ich habe es gründlich verkackt, als ich sie fortgestoßen habe. Diesen Fehler werde ich nicht nochmal machen. Ich werde sie und das, was wir haben, nicht aufgeben. Ich habe noch nie so für ein Mädchen gefühlt, wie ich für Allie fühle. Deshalb konnte ich sie mir nicht aus dem Kopf schlagen, selbst als ich unwahrscheinlich sauer auf sie war, als ich dachte, dass zwischen ihr und Julio etwas liefe und sie mir einen Tritt verpasst hätte. Sie wohnt in meinen Gedanken. Hat sich dort eingerichtet und weigert sich, auszuziehen.
Beim Mittagessen habe ich mein Gesicht auf meine Hände gestützt und gehe all die Möglichkeiten durch, wie ich sie zurückgewinnen könnte. Als die Mittagspause durch das Klingeln beendet wird, verfolge ich sie mit meinem Blick, beobachtet sie wie ein liebeskranker Welpe, als sie die Cafeteria verlässt, Kasey und Henderson ihr dicht auf den Fersen.
Ich schiebe mich vom Tisch hoch und stürme ihnen nach.
„Was machst du denn?“, ruft Dom mir nach.
Ich schüttele den Kopf. Ich habe keinen verdammten Schimmer, aber ich muss irgendetwas tun. Allie schlüpft in das Klassenzimmer, wo sie die dritte Stunde hat, und ich laufe daran vorbei. Meine Augen sind fest auf Henderson gerichtet, und
kurz bevor er die Tür zu seinem eigenen Kurs erreicht, ziehe ich ihn an seinem Hemd zurück.
„Hey, Mann ...“ Überraschte grüne Augen blicken in meine, als er sieht, wer ihn sich gegriffen hat. „Was zum Teufel, Roman?“ Er reißt sich los und rückt den Kragen seines Hemds zurecht.
„Du hast in letzter Zeit viel mit Allie abgehangen.“ Ich wollte es als Frage formulieren, aber es kommt wie eine Anklage herüber, und Aarons Kiefer spannt sich an.
„Was interessiert dich das? Du hast dich ihr gegenüber wie ein totales Arschloch verhalten, seit sie wieder zurück ist. Tu dem Mädchen einen Gefallen und lass sie in Ruhe. Sie hat genug durchgemacht und kann deinen Scheiß nicht gebrauchen.“
Ich ramme meine Faust in den Spind neben ihm. „Ich habe es nicht gewusst!“ Ein paar Leute im Gang drehen sich zu uns um, und ich schnauze sie an. „Geht weiter, verdammt!“ Gerötete Gesichter wenden sich ab und eilen in ihre Klassenzimmer, sodass nur wir zwei im Gang zurückbleiben. „Ich wusste nicht, was ihr zugestoßen ist. Zumindest bis vor Kurzem.“
„Und das soll das alles irgendwie besser machen? Fick dich, Roman.“
„Henderson“ Es ist eine Warnung.
Er schüttelt den Kopf. „Nein. Du hast Scheiße gebaut. Ich weiß nicht, warum du überhaupt mit mir redest. Ich werde dir nicht helfen, deine Fehler auszubügeln. Ich schulde dir gar n ...“
„Doch, das tust du.“
Seine Augen werden schmal.
„Du schuldest mir etwas, und das weißt du auch, verdammt. Du willst, dass ich aufhöre, dich zu hassen? Du willst, dass die Teufel aufhören, dich dafür zu hassen, was du uns im Sommer vor dem Junior-Jahr angetan hast?“
Sein Mund ist eine schmale Linie und er nickt mir einmal kurz zu.
„Dann hilf mir dabei, mit ihr zu reden. Sie fühlt sich in meiner Nähe unwohl.“ Er prustet, und auch wenn der Drang groß ist, ihm den selbstgefälligen Ausdruck aus dem Gesicht zu schlagen, ignoriere ich ihn. „Ich habe sie gern. Ich will für sie da sein. Hilf mir, mit ihr zu reden, und ich werde vergessen, was passiert ist. Wir machen einen Neuanfang.“
Er denkt darüber nach. Es ist kein Geheimnis, dass ich ihn hasse. Ich habe ihn seit dem Junior-Jahr gehasst. Er war früher mein Freund. Wir waren wie Brüder. Wir alle vier. Aber dann musste er alles versauen. Er hatte gerade seinen Führerschein bekommen. Er war der Einzige von uns, der alt genug zum Fahren war, und wir waren alle Mann auf dem Weg nach Shadle Creek, um im Sommer eine Woche Camping zu machen.
Aber der Wichser nahm Drogen. Keiner von uns wusste davon. Er hat seine Sucht verheimlicht, weil ihm klar war, was wir dazu sagen würden. Und auf der Fahrt nach Shadle Creek war er total high und ist frontal in einen Truck reingefahren. Wir waren in einem WRX unterwegs. Seinem Ersten, nicht dem, den er jetzt hat. Emilio ist durch den Aufprall durch die Windschutzscheibe geflogen und Dominique hat sich an zwei Stellen den Arm gebrochen. Er musste operiert werden und den ganzen Sommer einen Gipsverband tragen. Fast wäre es das Ende seiner Football-Laufbahn gewesen. Wir hätten alle umkommen können. Überraschenderweise hatte Emilio die wenigsten Verletzungen. Kratzer und Prellungen. Eine Gehirnerschütterung, aber nichts Lebensbedrohliches. Und ich, ich hatte das Vergnügen, einen Milzriss zu erleiden. Nach der Operation hat es vier lange Wochen gedauert, bis ich mich von dem Scheiß erholt hatte.
Und während ich verzweifelt versucht habe, Dom aus dem Auto zu helfen und Emilio zu finden, weil wir keine verdammte Ahnung hatten, wo er hingeschleudert worden war, jammerte Henderson nur herum, in welchen Schwierigkeiten er nun steckte. Wie angeschissen er war. Wir hätten alle sterben können, und er machte sich nur Sorgen darum, ob er ins Gefängnis wandern würde oder nicht.
Er hätte ins Gefängnis kommen sollen. Vielleicht wäre es gut für ihn gewesen. Aber aus welchen Gründen auch immer, überzeugte ich meinen Paps, ihn nachsichtig zu behandeln. Wir hatten eine Vorgeschichte. Jahre der Freundschaft, die ich nicht ignorieren konnte, auch wenn er mich oder Dom nicht ein einziges Mal im Krankenhaus besucht hat.
Er bekam eine leichte Strafe: Sozialdienst. Und seine Eltern mussten an die Stadt eine Strafgebühr zahlen. Nach all dem habe ich ihm unsere Freundschaft gekündigt, und das Arschloch hat sich bis zum heutigen Tag nicht entschuldigt.
Ich hätte nie gedacht, dass ich ihm verzeihen würde, aber ich würde so ziemlich alles tun, um Allie zurückzubekommen.
„Das würdest du machen? Vergessen, was vorgefallen ist?“ Er schluckt, und
sein Adamsapfel hüpft hoch und runter. „Vergessen, was ich getan habe, und ich muss einfach nur Allie dazu kriegen, mit dir zu reden.“
Ich nicke.
„Ich kann keine Versprechen machen.“
„Ich brauche keine Versprechen oder Garantien. Ich brauche einfach nur eine Chance. Eine verdammte Chance, um das wieder hinzubekommen.“
„Okay.“
Ich atme aus. „Okay.“