Farbenprächtige Visionen, klangvolle und plastische Harmonien nahmen die Fantasie des Künstlers ein. Wie würde er ihnen die konkrete Form geben, die sie verlangten? Wie würde das Werk zustande kommen? Maler, Bildhauer und Musiker drückten sich in unterschiedlichen Sprachen aus, aber sie gingen ihre jeweilige Technik mit einem ähnlichen Aufbau an; könnten wir ihnen nicht in ihre Ateliers oder Arbeitszimmer folgen, dann wäre es interessant zu wissen, welche Ideen sie haben, wenn sie am Beginn eines Werkes stehen.
Der romantische Künstler forderte für Entwurf und Ausführung dieselbe Freiheit. Keine traditionelle Regel durfte sich ihm entgegenstellen. Die Vorstellung eines Schönheitstyps, der Vorrang der Zeichnung oder der Melodie vor der Farbgebung oder der Orchestrierung, Gleichgewicht, Symmetrie, Bereinigung, all das waren Vorurteile. Wenn man die großen Meister und die großen Epochen der Kunst anschaut, tritt deren Nichtigkeit zutage. Früher mochten die Schüler, die nur ihren Meister kannten, daran glauben, dass er die alleinige Wahrheit besaß. Heute steht uns dagegen der Schatz der Vergangenheit zur Verfügung und man muss zugeben, dass die Genies sich der unterschiedlichsten und manchmal sogar durchaus gegensätzlicher Methoden bedienten. Es ist absurd, sich für den einen oder anderen entscheiden zu müssen, sie sind alle zu bewundern. Dieses unendlich erweiterte Verständnis befreit uns, die Museen und Bibliotheken waren die Ausgangspunkte der Befreiung.
Ein anderes Vorurteil ist die falsche und nur erdachte Hierarchie der Künste: Die Historienmaler glaubten, weil sie die Mythologie des alten Griechenland und Rom behandelten, höhere Wesen zu sein und verachteten die Genremaler, wobei sie allerdings keinen Unterschied machten zwischen denen, die eine Kücheneinrichtung malten, und denen, die Napoleon oder die Revolution feierten. Es war absurd, bestimmte Größenordnungen einer Themenkategorie zuzuordnen. Die Liebeleien von Mars und Venus sollten riesige Dimensionen haben, während das Floß der Medusa sich auf ein Staffeleibild beschränken sollte!
Auch die Grenzen, die man den verschiedenen Künsten zuordnete und die Barrieren, die man zwischen ihnen hochzog, waren zum großen Teil willkürlich. Es stimmte ja nicht, dass die Bildhauerei nur das Plastische besaß, dass die Malerei nur Formen und die Musik nur Töne wiedergab. Jede Kunst konnte das Universum wiederspiegeln. Sicher konnte ihr das nicht gelingen, wenn sie wie die Literatur die Vernunft anspricht, aber jenseits der Vernunft, jenseits dessen, was mit Worten ausgedrückt werden kann, wusste sie in unser inneres Wesen vorzudringen. Die einzige Grenze der Beschwörungskraft des Künstlers war sein Genie. Außerdem, in einer Zeit, als die Literatur durch den Rhythmus des Stils zur Musik wurde und durch die Bilder, die sie hervorrief, zur Malerei, warum sollte da die Malerei eine Kunst für Gehörlose sein und die Musik Kunst für Blinde? Etwas in eine andere Technik zu übertragen, was für die eine reserviert schien, war für den romantischen Künstler eine Versuchung. Théophile Gautier hat mit seiner Sinfonie in Weiß Dur der Musik und der Malerei gleichzeitig Konkurrenz gemacht. Die romantischen Landschaften vermittelten einen Eindruck der Frische und der Stille, und Berlioz beschrieb in seiner Symphonie fantastique (1830) den Sabbat und eine Hinrichtung.
So konnte der Künstler uns den allumfassenden Schatz seiner Gefühle anbieten. Es war ihm gegeben, sich selbst auszudrücken. Die Inspiration, die ihn belebt hatte, bekommt durch die Ausführung einen Reichtum, den sie der von ihr angenommenen Form verdankt. So fruchtbar und so glühend der kreative Funke gewesen sein mag, erst durch die technische Ausführung entstanden Schönheiten, die aus der Materie zu entspringen schienen. Das ursprüngliche Thema nahm zu, umgab sich mit einem Zauber und erweiterte sich mit Schwingungen und Variationen. Der Künstler entdeckte sich selbst, indem er sich anderen mitteilte. Seine Arbeit war immer ganz von ihm geprägt, dies abzumilden oder zu verschleiern hätte das Werk geschmälert. Äußere Vollendung und unpersönliche Perfektion waren langweilig. Die Spur des Pinselstrichs, der Daumenabdruck, der missratene Strich und die Abänderungsspur erinnerten unablässig an die tatsächliche Gegenwart des Urhebers.
Eine ähnliche Veranlagung zwang den Künstler, sich seine eigene Technik zu schaffen. Er konnte das seinem Denken entsprechende Werkzeug nicht von anderen entgegennehmen. Die Romantiker lehnten es nicht ab, sich zu bilden; sie hatten auch nicht den Ehrgeiz, alleine zu lernen, sie waren keine Autodidakten, sondern forderten Unterricht von der Kunstakademie. Delacroix kehrte nach Dante und Vergil in das Atelier von Guérin zurück, malte ein Akademiebild und nahm an den Wettbewerben teil. Hector Berlioz arbeitete hartnäckig daran, den Prix de Rome zu erhalten. Fertige Anleitungen akzeptierten sie nicht, ihre technische Ausbildung fand durch Überlegung, durch Experimente oder durch zögerndes Tasten in den Museen und Bibliotheken statt. Man warf ihnen Unwissenheit vor, weil sie den üblichen Ablauf störten. Es stimmt, dass die meisten von ihnen es kaum erwarten konnten, etwas zu schaffen; sie begannen jung und mit mehr Mut als Erfahrung. Aber in einer fieberhaften und begeisterten Zeit war schnelle Intuition wichtiger als methodisches Studium.
Der Aufruhr, der um ihre Werke gemacht wurde, stieg ihnen übrigens auch nicht zu Kopf. Sie brannten darauf, sich zu perfektionieren. Sie waren oft von der Sorge um die Technik besessen, suchten neue Zusammenstellungen und probierten – manchmal zum Schaden der Dauerhaftigkeit ihrer Werke – neue Rezepte aus. Aus der Chemie gewannen sie neue Farben, wie zum Beispiel das Cadmium, und ein Orchester konnte um eine ganze Reihe von Blasinstrumenten bereichert werden. Die Sorge um die Maltechnik steht natürlich in Verbindung mit gedanklicher Unruhe. Immer wieder versuchten sie, ihre Ausdrucksweise zu variieren. Die Lithographie, die Radierung und das Holz zogen sie an.
Ist es möglich, von all den in den verschiedenen Künsten benutzten Techniken diejenigen herauszustellen, die den Romantikern gemeinsam waren? Sie glaubten sich nie einem absoluten Respekt vor der Wirklichkeit unterworfen. Den Charakter hervorheben, den Ausdruck betonen, die Formen beanspruchen – das war für sie ein Recht, das sie diskret oder übertrieben, glücklos oder mit Geschick ausnutzten, wenn sie wie etwa Eugène Delacroix die Darstellung des Menschen veränderten, oder wie Antoine-Auguste Préault oder David d’Anger systematische Entstellungen ausführten.