Ernst Theodor Amadeus Hoffmann
 (1776 bis 1822)

Das Elixier des Teufels

 

 

 

Ich stand auf und wollte mich zum Bruder Medardus begeben, da überfiel mich aber ein besonderes Grauen, so dass ich wie von dem Frost eines Fiebers ganz gewaltig durch alle Glieder geschüttelt wurde; ich ging demnach statt in des Medardus Zelle zum Prior Leonardus, weckte ihn nicht ohne Mühe und erzählte ihm, was ich vernommen. Der Prior erschrak sehr, sprang auf und sagte, ich solle geweihte Kerzen holen und wir wollten uns beide dann zum Bruder Medardus begeben. Ich tat, wie mir geheißen, zündete die Kerzen an der Lampe des Muttergottesbildes auf dem Gange an, und wir stiegen die Treppe hinauf. Sosehr wir aber auch horchen mochten, die abscheuliche Stimme, die ich vernommen, ließ sich nicht wieder hören. Statt dessen hörten wir leise liebliche Glockenklänge, und es war so, als verbreite sich ein feiner Rosenduft. Wir traten näher, da öffnete sich die Türe der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann mit weißem, krausen Bart in einem violetten Mantel schritt heraus. Ich war sehr erschrocken, denn ich wusste wohl, dass der Mann ein drohendes Gespenst sein musste, da die Klosterpforten fest verschlossen waren, mithin kein Fremder eindringen konnte, aber Leonardus schaute ihn keck an, jedoch ohne ein Wort zu sagen. „Die Stunde der Erfüllung ist nicht mehr fern“, sprach die Gestalt sehr dumpf und feierlich und verschwand in dem dunklen Gange, so dass meine Bangigkeit noch stärker wurde und ich schier hätte die Kerze aus der zitternden Hand fallen lassen mögen.

Aber der Prior, der ob seiner Frömmigkeit und Stärke im Glauben nach Gespenstern nicht viel fragt, fasste mich beim Arm und sagte: „Nun wollen wir in die Zelle des Bruders Medardus treten.“ Das geschah denn auch. Wir fanden den Bruder, der schon seit einiger Zeit sehr schwach worden, im Sterben, der Tod hatte ihm die Zunge gebunden, er röchelte nur noch was weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich weckte die Brüder, indem ich die Glocke stark anzog und mit lauter Stimme rief: „Steht auf! – steht auf! – Der Bruder Medardus liegt im Tode!“ Sie standen auch wirklich so dass nicht ein ein einziger fehlte, als wir mit angebrannten Kerzen uns zu dem sterbenden Bruder begaben. Alle, auch ich, der ich dem Grauen endlich widerstanden, überließen uns vieler Betrübnis. Wir trugen den Bruder Medardus auf einer Bahre nach der Klosterkirche und setzten ihn vor dem Hochaltar nieder. Da erholte er sich zu unserm Erstaunen und fing an zu sprechen, so dass Leonardus selbst, sogleich nach vollendeter Beichte und Absolution, die letzte Ölung vornahm. Nachher begaben wir uns, während Leonardus unten blieb und immerfort mit dem Bruder Medardus redete, in den Chor und sangen die gewöhnlichen Totengesänge für das Heil der Seele des sterbenden Bruders. Gerade als die Glocke des Klosters den ändern Tag, nämlich am fünften September des Jahres 17..., mittags zwölfe schlug, verschied Bruder Medardus in des Priors Armen.