Alphonse de Lamartine
 (1790 bis 1869)

Poetische Meditationen

Der See

 

 

 

So werden wir von Strand zu Strand getrieben

Und irren ziellos auf der dunklen Flut?

Kein Hafen ist uns aufbewahrt geblieben,

Drin einstens unser Schifflein ruht?

 

O du bist mein See! Kaum ist ein Jahr verronnen

Und einsam grüß ich deiner Wellen Blau

Und wollte doch, wie damals, hier mich sonnen,

Vereint mit der holdsel’gen Frau.

 

Wie heute, sah ich deine Flut sich bäumen

An dieser Felsen wild Geklüft hinan,

Und sah, wie sie in leichten Silberschäumen

Vor der Geliebten Fuß zerrann.

 

Denkst du des Abends, da wir schweigend fuhren

Durch deine Flut, die tief im Schatten lag?

Kein Laut erklang von Wald und See und Fluren

Als taktgemäßer Ruderschlag.

 

Da plötzlich wecken himmlisch schöne Klänge

Am Uferraine sanften Widerhall;

Der Liebsten Herz ergießt sich in Gesänge,

Das Wasser lauscht dem süßen Schall:

 

O Zeit, halt ein in deinem Fluge!

Ihr Stunden, höret auf zu fließen

Und lasst uns noch in vollem Zuge

Das Glück der Jugendzeit genießen.