Kapitel 6

D eacon krempelte die Ärmel hoch, nachdem er die letzte Glaskanne Ziegenmilch auf den Wagen geladen hatte, einen kleinen, gut gebauten Wagen. Presley, eine sanftmütige, alte Fuchsstute, war vorne angeschirrt und scharrte mit ihren Hufen auf dem Boden. »Raven! Bist du bereit? Wir müssen uns auf den Weg machen! Die Sonne steigt hoch in den Himmel.« Er zog eine Handvoll Hafer aus seiner Tasche, hielt sie unter Presleys Maul und rieb ihr den Kopf.

Das Mädchen seufzte, als sie aus der Scheune kam. Sie fühlte sich ausgelaugt durch die Wunde an ihrer Schulter. »Ja, ich komme schon. Alles verladen?«

»Ja. Ich helfe dir auf, dann können wir los.« Er streckte eine Hand aus und Raven nahm sie widerwillig, während eine Welle dumpfer Schmerzen von ihrer Schulter in ihren Rücken glitt. Sie rutschte über die Bank, um Platz zu machen.

»Machst du das jeden Tag, Deacon?«

»Ja, Ma’am. Da Isaac nicht mehr da ist, ist es schön, Gesellschaft zu haben. Also vielen Dank dafür.«

»Es ist nett, dass du das sagst, aber ich weiß, dass er dir bei den Lieferungen geholfen hat.«

»Ich nehme die Tage, wie sie kommen. Ich sage mir jeden Morgen: Du musst da anfangen, wo du bist und mit dem arbeiten, was du hast. Eine gute Lebensregel.«

»Das werde ich mir merken.«

»Los, Presley, wir müssen uns beeilen. Zeit und Milch warten auf niemanden.« Der Wagen schaukelte in Windeseile über den zerfurchten Feldweg. Raven rutschte auf dem breiten, polierten Brett, das als Sitz diente, hin und her. Sie hielt sich den Arm vor die Brust, denn jedes Ruckeln verursachte einen Schmerz in ihrem Rücken.

»Nichts im Vergleich zu dem, was sie dir in der schicken Schule beibringen werden, aber trotzdem wertvoll.« Er nickte auf die Straße vor ihnen. »Wenn wir am Tor sind, müssen wir scharf rechts abbiegen, sonst fährt der Wagen zu weit und wir landen im Graben und werden eine Menge Milch verlieren!« Er lachte. »Macht dir deine Schulter zu schaffen? Wir können am Wegesrand eine Pause machen. Presley zieht sowieso nach links und versucht, das wilde Gras zu erreichen.«

»Tut mir leid, Deacon, ich schaffe es vielleicht nicht. Ich hätte dich jemand anderen finden lassen sollen.« Der Schmerz strahlte durch ihre Schulter, aber sie waren noch weit von den ersten Geschäften entfernt. Sie zögerte, die Worte kamen nur stockend heraus. »Ich … Ich könnte einen Zauberspruch versuchen. Ich glaube, ich habe einen guten.«

Deacons Gesichtsausdruck änderte sich und er richtete die Zügel in seiner Hand. »Kennst du einen Zauberspruch, der helfen könnte?« Er schaute sie an und schüttelte den Kopf. »Mit deiner verletzten Schulter hätte ich dich nicht fragen dürfen. Ich hätte warten sollen, bis Lincoln wieder frei ist. Wenn du mir bei der Auslieferung hilfst, kommst du zu spät zur Schule.«

»Hey, heute ist keine Schule …«

Er unterbrach sie und die Worte sprudelten nur so heraus. »Magie ist kostbar, Raven, das weißt du. Wenn du jetzt einen Zauber verwendest, hast du ihn vielleicht in ein paar Minuten nicht mehr für etwas anderes. Du musst vorausschauend denken. Wenn wir alle wahllos Magie einsetzen würden, wären wir auf dem Trockenen, wenn wir sie brauchen. Außerdem, früher, als man sie noch ständig benutzen konnte …«

»Es gab eine Zeit, in der Magie überall war? Die Menschen haben sie ständig benutzt?«

»Sicher, das ist schon lange her, aber Magie bringt ihre eigenen Probleme mit sich und kann sogar zu Dunkelheit führen. Hast du einen bestimmten Zauber im Sinn? Wenn nicht, schaffen wir das schon. Wir müssen uns überlegen, wie wir Presley wieder in Gang bringen.« Deacon hatte das Tempo gerade so weit gedrosselt, dass die alte Stute die günstige Gelegenheit ergriff und den Wagen nach links auf die grasbewachsene Seite der Straße lenkte.

»Ich glaube, Presley hat eine andere Idee«, sagte Raven und versuchte, ihren Schmerz hinter einem angespannten Lächeln zu verbergen.

»Ich sehe, was du meinst«, sagte Deacon mit einem sanften Lächeln.

»Zeit für den Zauber?«, fragte Raven.

»Du bist definitiv eine Alby. Okay, nur dieses eine Mal, aber nichts Auffälliges. Ich will dich nicht in die Schule schicken und dann kannst du im Unterricht nichts machen. Whoaaaa , Presley.« Er zog fester an den Zügeln, im wenig erfolgreichen Versuch, Presley unter Kontrolle zu bringen.

»Illustrare .« Raven strich mit ihrem Arm über das Pferd, während der Wagen rüttelte und schüttelte und die Milch herumschwappte.

»Gute Wahl«, lobte Deacon. Die Räder hoben sich ganz leicht vom Boden ab und rollten auf einem Luftpolster weiter. Presley wieherte, hob ihren Kopf und schaute geradeaus. »Tu mir einen Gefallen und tu so, als ob es immer noch schwierig wäre.«

»Kein Problem.« Raven lehnte sich entspannt gegen die Rückenlehne des Sitzes. Sie spürte noch immer ein Stechen in ihrer verletzten Schulter.

Deacon schüttelte die Zügel in seiner Hand und drängte Presley, wieder anzufahren, woraufhin sie sich widerwillig vom Gras entfernte. »Raven, warum hast du nicht versucht, deine Schulter mit einem Zauber zu heilen?«

»Der Pfeil der Elfe hat sich in den Knochen gebohrt. Der Heilzauber, den ich kenne, hätte auf keinen Fall ausgereicht.«

»Du kennst deine Grenzen, das ist gut. Das wird nicht lange so bleiben. Du bist schlau wie ein Fuchs, das warst du schon immer.«

Deacon bog scharf rechts ab, um die Straße hinunterzufahren und die Geschäfte kamen endlich in Sicht. »Gutes Mädchen, Presley. Gut gemacht. Wir werden den Wagen in der Stadtmitte festmachen und ich werde die Lieferungen von dort aus per Hand erledigen. Normalerweise würden Isaac und ich uns aufteilen, aber du kannst mir Gesellschaft leisten. So vergeht die Zeit schneller.«

Sie fuhren die meiste Zeit schweigend dahin, näherten sich dem Stadtzentrum und lieferten hier und da etwas Milch ab.

Schließlich bogen sie um eine Ecke und der Stadtplatz lag vor ihnen. Deacon erschrak beim Anblick der vielen Menschen, die sich dort tummelten. »Ah, Scheiße. Die Armee führt gerade eine Einberufung durch. Lass uns dort anhalten und unser Lager aufschlagen. Wir werden die Mitte nicht erreichen, geschweige denn die andere Seite.«

Raven wartete darauf, dass Deacon einen Platz fand, an dem er Presley festbinden und ihr einen Futtersack über den Kopf stülpen konnte, damit sie fröhlich Hafer mampfen konnte. Er sprang zurück in den Wagen, um die Parade zu beobachten. Als er sich wieder auf die Bank gesetzte hatte, lehnte sich Raven zu ihm hinüber und flüsterte. »Ich dachte, der nächste Zug käme erst im Frühling.« Sie winkte mit dem Arm über den Wagen und löste den Bann. Die Räder kamen im Dreck zum Stillstand.

»Ich auch. Ein seltsamer Tag, findest du nicht auch?«

»Von Anfang an und es hört nicht auf.« Sie richtete ihre Schulter so aus, dass ihr Arm bequemer lag.

Eine Reihe junger Männer stand mit auf dem Rücken verschränkten Händen, aufgeblasener Brust und zurückgerollten Schultern da. Cameron Wilson, ein hochgewachsener, gut gekleideter Zaubermeister, war wie ein Panzer gebaut und trug einen langen schwarzen Wollumhang, der sich eng über seinen Körper spannte. Cameron war schon seit Raven denken konnte für den Schutz der Stadt zuständig und sehr bekannt.

Er stellte die Männer einzeln vor und verkündete dann: »Ihr seid alle in die Brighton-Armee aufgenommen worden. Wie es das Gesetz vorschreibt, werdet ihr mindestens zwei Jahre lang dienen. Ihr werdet eine strenge Ausbildung absolvieren, um unser Königreich und seine Bewohner zu schützen. Am Ende der Ausbildung werden einige von euch vielleicht sogar zu Drachenreitern.«

Die Menge brüllte Beifall.

»Drachenreiter«, flüsterte Raven. Sie sah Deacon an, der die Versammlung mit großer Aufmerksamkeit beobachtete.

»Heute schließt ihr euch einer langen Tradition von Zauberern an. Ihr gehört zu denen, die euch mutig vorangegangen sind und sich dafür eingesetzt haben, unser aller Frieden und Sicherheit zu gewährleisten. Wir ehren eure neue Leistungsbereitschaft und euren Dienst!«

Die jungen Zauberer drehten sich in einer ordentlichen Reihe um und folgten dem älteren.

»Weißt du, Deacon, ich will versuchen, dir bei den Lieferungen zu helfen. Es wird schon gehen und so sind wir schneller. Ich kann die kleineren Lieferungen übernehmen. Wirklich …« Es machte sie kribbelig, dort zu sitzen. Raven war es gewohnt, immer in Bewegung zu sein.

»Ich würde nein sagen, aber ich kenne dich schon, seit du klein warst. Gut, ich teile sie auf und du holst mich, wenn du etwas brauchst.« Nachdem sie ihre Aufgaben verteilt hatten, nahm Deacon zwei große Kannen Milch vom Wagen und trug sie die Straße hinunter, wobei er sich durch die Menschenmenge schlängeln musste.

Mit nur einem guten Arm konnte Raven immer nur eine Lieferung nach der anderen machen. Verärgert packte sie die erste Kanne und hob sie vom Wagen.

Nachdem sie die Kanne Milch bei einem Lederladen abgegeben hatte, drehte sie um und ging zurück zum Wagen, wo Deacon nach seiner nächsten Lieferung schaute.

»Alles in Ordnung?« Deacon sah sie von der Seite an und ging zurück, um die Bestellung zu überprüfen.

»Das ist eine gute Ablenkung. Ich kann noch ein paar mehr machen. Du machst dir keine Sorgen, dass sich jemand mit der Milch oder Presley davonmacht, oder? Wir lassen hier alles unbeaufsichtigt.«

Deacon winkte die Andeutung ab. »Nein, das haben wir früher schon gemacht. Das sind gute Leute und es gibt keinen Grund zu stehlen.«

Raven zeigte auf die Menge. »Warum dann eine verfrühte Einberufung?«

»Was?«

»Wir sind hier doch so sicher, warum sollten wir starke junge Zauberer von ihren Feldern und ihrer Arbeit abziehen?«

Deacon nahm sich die nächste Bestellung vor und balancierte die Kannen gegen seine Brust. »Sicher innerhalb der Mauern.«

»Ja, aber sieh sie dir an!« Sie nickte in Richtung der Menge. »Da sind alte Leute, die lächeln, sie umarmen und ihnen kräftig die Hände schütteln. Es ist, als ob … Sie werden behandelt, als ob sie in die Schlacht ziehen würden. Dabei sind sie noch nicht einmal zur Ausbildung gegangen. Mit uns hat sich schon lange niemand mehr angelegt – seit über fünfzig Jahren?«

»Auf eines kannst du dich bei Politikern und mächtigen Zauberern verlassen – sie werden dir nicht viel erzählen, aber wenn du aufmerksam aufpasst, wirst du trotzdem eine Menge lernen.« Deacon hievte eine weitere Kanne vom Wagen.

Raven beobachtete den Meisterzauberer, wie er lächelnd und nickend an seinen Rekruten vorbeiging, aber sie bemerkte eine Anspannung in seinen Augen. Sie neigte ihren Kopf zur Seite. »Sie wissen etwas.«

Deacon lachte aus vollem Halse, als er weiterging. »Das tun sie immer! Halte dich von Ärger fern, während ich weg bin, Raven.«

Tief in Gedanken versunken, nahm Raven auch eine Kanne vom Wagen und ging die Straße hinauf, um ihre nächste Lieferung zu machen. Als sie weiterging, traf sie ein großer Wasserspritzer an ihrer linken Gesichtshälfte. Sie stolperte nach rechts und stellte vorsichtig die Kanne ab. Sie blinzelte und wischte sich das Wasser ab. Ihre Haarspitzen tropften. »Was zum Teufel?«

Ein junger Mann, etwas älter als sie, mit dunkelbraunem Haar, schmutziger Kleidung und Dreck im Gesicht, lief mit panischer Miene auf sie zu. »Oh, es tut mir so leid!«

»Was ist denn nur los?« Raven spuckte die Worte aus und schmeckte Sand in ihrem Mund. »Was für ein Tag!«

»Ich war gerade dabei, die Pferde zu waschen und der letzte Eimer Wasser ist mir entglitten. Keine Sorge, es war sauber.«

»Igitt.« Sie fuhr sich mit den Händen durch die Haare und versuchte, das Wasser herauszuquetschen. »Ist schon gut. Es war ein Versehen. Danke, dass du dich entschuldigt hast.«

»Natürlich! Das würde ich nie mit Absicht tun.« Er klopfte ihr mit einem feuchten, schmutzigen Lumpen auf die Haare, während Raven versuchte, sich wegzudrücken.

»Schon in Ordnung. Ist gut. Nein, das brauche ich nicht.« Sie hielt ihre Hände hoch und tat ihr Bestes, um ihn nicht zu berühren. Der Geruch von Pferden stieg von seiner Haut auf.

»Lass mich von vorne anfangen. Mein Name ist Quinn Warren.«

»Nun, Quinn Warren, am Zielen musst du arbeiten. Du hast mich weder direkt getroffen, noch hast du mich ganz verfehlt. Das war nur eine halbe Sache.«

Quinn sah sie erschrocken an und wusste nicht, was er tun sollte. Seine Hand war in der Luft eingefroren, der Lappen darin zerknüllt.

»Das war ein Scherz. Ist schon gut, ich bin nicht geschmolzen.« Sie klopfte sich auf die Brust und zwang sich, tief durchzuatmen und zu entspannen. »Ich bin Raven, Raven Alby.« Sie schaute an ihm vorbei zu den beiden großen Clydesdale-Pferden, die zusammenstanden. Die warme Sonne trocknete sie bereits. »Du bist Pferdepfleger?«

»Ja, aber dort, wo ich herkomme, nennt man mich einen Stallknecht. Ich bin auf der Durchreise aus dem nordwestlichen Teil des Königreichs, von einer Stadt aus namens Jenkinstown.«

Raven nickte. »Ich habe schon davon gehört. Bist du letzte Nacht hierher gereist? Wie ist es, unterwegs zu sein? Bist du immer an einem anderen Ort?«

»Die meiste Zeit. Aber ich mag es irgendwie. Man lernt neue Leute kennen und sieht neue Dinge und das Essen ändert sich ständig. Jede Region hat ihre eigenen Spezialitäten. Warum so viele Fragen? Hast du einen bestimmten Ort im Sinn?« Er ging zurück zu den beiden großen braunen Pferden mit den langen Haaren an den Fesseln. Sie waren beide locker an einem Pfosten angebunden.

»Nein, ich bin nur neugierig. Normalerweise bin ich immer hier innerhalb der Mauern. Ich bekomme die Welt da draußen nicht zu sehen.«

Quinn schaute sich um und lächelte. »Scheint ein schöner Ort zu sein.« Er nahm eine Bürste mit festen Borsten und rieb damit über das Fell des größeren Pferdes. »Gute Arbeitspferde.«

Raven schnappte sich die Milchkanne vom Boden und ging hinüber, um ihm dabei zuzusehen, wie er die Bäuche der Tiere striegelte. »Machst du das den ganzen Tag?« Sie stellte die Kanne wieder neben sich ab und beobachtete fasziniert die großen Tiere.

»Nein, das ist nur ein Teil von dem, was ich mache. Wir sind mit einer großen Lieferung hergeritten.« Er lächelte als er sich, das dicke Fell bürstend, zum hinteren Rücken des Pferdes vorarbeitete. »Hier muss ich aufpassen. Wenn ich zu grob werde, schlagen sie aus. Aber ich habe ein beidseitiges Vertrauen zu ihnen aufgebaut. Ich kümmere mich schon seit Jahren um sie.«

»War das dein Familienunternehmen?«

»Es ist nicht der glamouröseste Job. Manchmal ist er sicher undankbar, aber er hat auch seine Vorteile.«

Raven kam näher, strich über die Mähne des kleineren Pferdes und blieb an der Seite stehen, wo es sie sehen konnte. Der Hengst hob seinen Huf, schlug ihn in den Schlamm und spritzte ihr Hosenbein mit einem lauten Schnauben voll. Raven vergaß den Schmerz in ihrer Schulter, lachte und legte ihren Kopf für einen Moment auf seinen Hals.

Quinn schaute sie an. »Du bist nicht leicht zu erschrecken, oder?«

»Das habe ich schon öfter gehört. War das schon immer dein Traum? Wolltest du immer ein …«

»Stallbursche werden, ja, sicher, denke ich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich viel darüber nachgedacht habe. Als ich aufgewachsen bin, hat man mir eine Lehrstelle angeboten und ich bin gerne draußen und mag es mit Tieren zu arbeiten. »Er klopfte die Seite des Pferdes. »Das schien mir gut zu passen.« Er sah sie genauer an. »Du stellst viele Fragen und hast da schon eine schöne Auszeichnung auf der Schulter.« Er wartete geduldig, ohne etwas zu sagen, während Raven nach den richtigen Worten suchte.

Sie fand sie nicht. Raven hatte nicht vor, all ihre Geheimnisse und Wünsche mit diesem Fremden zu teilen. »Ich muss diese Lieferungen austragen, aber es war schön, dich kennenzulernen.«

Der junge Mann tauchte seine Bürste in einen Eimer, um sie abzuspülen. »Es war auch schön, dich kennenzulernen. Tut mir leid, dass ich dich vollgespritzt habe. Ich werde vorsichtiger sein.«

Das Gespräch ging Raven nicht aus dem Kopf, als sie sich dem ›Streithammel‹, näherte, einer Taverne in der Mitte der Stadt. Sie ging hinein, schleppte die Milchkanne an ihrer Seite und begrüßte den Wirt hinter der Theke. »Hey, Zeke, ich habe deine Lieferung.«

Zeke grüßte sie, nahm die Kanne und ging in ein Hinterzimmer, um ihre Bezahlung zu holen. Währenddessen saßen drei alte, bärtige Kneipenhocker mit ihren Gläsern an der Bar und starrten sie an.

»Hey, das ist Connors Enkelkind, oder?«

Der Mittlere lachte und entblößte gelbe, verfaulte Zähne unter seinem schmutzigen, verfilzten Bart. »Das ist sie! Ich habe sie noch nie Lieferungen machen sehen.«

»Hey, alles, damit er sich von der Stadt fernhalten kann. Der alte Zauberer kann sich hier immer noch nicht blicken lassen.«

Raven stützte sich auf dem Tresen ab. »Wie bitte?«

»Mach dir keine Sorgen, Schätzchen«, sagte einer von ihnen. »Dein Opa wird einfach nicht damit fertig, dass er überlebt hat, während fast alle anderen gestorben sind. Da muss es noch mehr zu erzählen geben.« Er zeigte auf einen Tisch in der hinteren Ecke der Bar, an dem zwei ältere Männer ruhig saßen. »Die Zauberer waren das Beste, was Brighton zu bieten hatte und dann gehen sie hin und verschwenden es. Eine Schande.«

Raven ging zu dem Tisch mit den verbrauchten Zauberern hinüber, die immer noch einen Hauch von kontrollierter Würde hatten. Auf jeder ihrer Schultern befand sich ein königsblauer Aufnäher. »Stört Sie das nicht?«

Einer von ihnen grinste. »Diese Kerle sind der Sorgen nicht wert. Sie sind harmlos. Wir haben gelernt, uns unsere Kämpfe auszusuchen und sie sind kaum eine lästige Mücke.«

Der andere hob den Kopf und schaute Raven an. »Du bist eine Alby. Du siehst genauso aus wie er. Wir alle mochten Connor. Sag ihm, dass wir ihn vermissen.«

»Wir halten ihm immer noch einen Platz frei. Hier, immer. Sag ihm, Joseph lässt grüßen.«

Raven nickte ihm zu und versuchte, sich jedes Detail einzuprägen, um es ihrem Großvater später zu erzählen.

»Hier, Mädchen, bitte sehr!« Der Wirt stand hinter der Theke mit Geld für Raven und unterbrach ihre Gedanken. Sie schloss ihren Mund und winkte den alten Männern zu. »Ich sag’s ihm.« Sie nahm das Geld vom Wirt, bedankte sich bei ihm und ging hinaus.

Sie sind unsere Helden. Sie verdienen mehr Respekt.

Bevor sie die Taverne verließ, hielt sie in der Tür inne und drehte sich zu den Männern am Tresen um, die sich über ihre Biere beugten. Sie kniff ein Auge zu und murmelte »Effundite Summa« , vor sich hin.

Im Nu kippten ihnen alle drei Biere in den Schoß. Sie erschraken über die kalten Spritzer auf ihren Hosen und sprangen von ihren Stühlen auf. Raven warf einen Blick auf die Zauberer, die kicherten, aber schnell wieder zu ihrem Gespräch zurückkehrten, die Köpfe dicht beieinander. Eine alte Lektion ihres Großvaters kam ihr in den Sinn: »Beobachte wachsam und die Puzzleteile werden sich zusammenfügen«, murmelte sie, als sie nach draußen trat und zurück zum Wagen ging.

Raven lieferte eine Kanne Milch nach der anderen an die Häuser und Geschäfte der Stadt und schaute gelegentlich bei Deacon vorbei. »Wir sind ein gutes Team!«, verkündete dieser.

Er ging zu seiner nächsten Lieferung, während sie eine weitere Kanne die Straße hinuntertrug. Ein Schatten verdeckte die Sonne und als sie aufblickte, sah sie ein Trio riesiger Drachen über der Stadt schweben, mit ausgebreiteten Flügeln von einer, so schien es, meterlangen Spannweite. Die Sonne ließ ihre Haut sogar aus der Ferne glitzern. Einer der Drachen tauchte ab und drehte sich und sie erblickte den Reiter auf seinem Rücken, der sich kunstvoll festhielt und in den Flug lehnte, während der Wind sein Haar zurückwehte.

»Drachenreiter«, flüsterte sie. Es gibt noch so viel zu lernen.