D ie beiden eilten den Weg hinunter und aus dem Gehege. William schloss das Tor. »Näher kann man einem neugierigen Drachen nicht kommen, ohne wie das Skelett da drinnen zu enden. Vor allem, wenn man nicht weiß, wie man mit ihnen umzugehen hat.«
Raven zuckte mit den Schultern. »Was ist das Problem? Sie können mit einem reden.«
Er drehte sich um und schaute an dem Pferch vorbei zu den Drachen in der Ferne. »Ja, wenn sie wollen, aber vergiss nicht, dass sie nicht harmlos sind, das ist sicher. Ich bin ein ziemlich solider Ausbilder und selbst ich werde ab und zu umgerannt. Siehst du diese Narbe?« Er hielt seine Tunika hoch und zeigte ihr eine Narbe entlang seines Bauches. »Wir haben nur ein bisschen rumgespielt und der Drache hat einen kleinen Feueratem ausgestoßen. Es braucht nicht viel, um von einem Drachen verletzt zu werden. Wirklich lustig, bis jemand verletzt wird.«
»Du wolltest ›weint‹ sagen, stimmt’s?«
»Nein, ich habe nicht geweint.«
»Hast du doch, stimmt’s?« Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln und zog eine Augenbraue hoch. »Ein Drachentattoo, wow«, sagte Raven und schürzte ihre Lippen. »Das muss wehgetan haben.«
»Ha ha, Alby. Die Bezahlung des Geschäfts. Mein Vater hat viel mehr davon. Ein Drache regt sich auf und alle spielen mit. Es ist alles nur Spaß und Spiel, bis etwas Großes niest. Bumm, wirst du erwischt.«
»Das ist hart.«
»Sei froh, dass du eine Magierin bist. Keine Angst, ich werde es nicht sagen.«
»Magier werden auch verletzt. Wenn du während eines Zaubers Schluckauf hast, wachsen deinem Fuß Wurzeln oder dein Hund verwandelt sich in eine Kröte.«
»Und dann ist da noch der Sturkopf.«
»Da sprichst du aber nicht von mir, oder?«
William lächelte und zwinkerte ihr zu. »Sehr witzig. Jeder Drache hat einen unabhängigen Charakter und warum auch nicht? Sie sind größer und schneller, sie können fliegen und Feuer oder Eis speien und das ist nur die verkürzte Liste ihrer Kräfte. Ich kann ganz gut singen, ich kenne ein paar Zaubersprüche und ich kann einen willigen Drachen trainieren, aber manchmal bekommen wir einen Drachen, der nicht verhandeln will. Im Moment haben wir einen der schlimmsten, den ich je erlebt habe. Komm mit, ich zeige ihn dir.«
William führte Raven über den Hof, wo ein großer Pferch errichtet worden war. Sie gab sich Mühe, mitzuhalten, doch sie spürte, wie die Anstrengungen des Tages sie einholten. Ihr Arm war fast unbrauchbar geworden und ihr Rücken schmerzte.
Sie erreichten das Gehege, in dessen Mitte, auf einem Bett aus sauberem Stroh, ein junger Drache mit einem langen, schlanken Körper lag. Seine leuchtend roten Schuppen reflektierten die tief stehende Nachmittagssonne. Als er hörte, dass die beiden auf ihn zukamen, rollte er sich auf den Bauch. William hielt inne und streckte seinen Arm aus, um Raven davon abzuhalten, weiterzulaufen. »Warte.«
Er trat näher und der Drache erhob sich und starrte den jungen Mann wütend an. »Was willst du jetzt wieder?«, knurrte er und Rauch wirbelte aus seinen Nasenlöchern. William hielt seine Hände hoch, um zu zeigen, dass er keine Bedrohung für das Tier darstellte. »Ich wollte nur nach dir sehen, Leander.«
»Das ist kein Name. Er ist nutzlos.« Der Drache stürmte auf ihn zu, wurde aber von dem verstärkten Pferch aufgehalten. Er krachte mit dem Kopf gegen die Wand und das Metall knarrte unter dem Druck seines Gewichts.
Der Drache brüllte und grummelte, drehte sich im Kreis und schoss ab und zu eine Feuerfahne aus seinem Maul. »Wir haben keine Abmachung, kleiner Mann.«
»Ruhig. Ruhig.« William versuchte, näher an das Wesen heranzukommen, aber Leander rannte zum vorderen Teil des Geheges und schlug nach ihm, wobei er wieder von der Umzäunung aufgehalten wurde.
»Du verschwendest unsere Zeit. Irgendwann wirst du es leid werden und wir werden uns endgültig trennen. Spare uns beiden Zeit und öffne jetzt das Tor.«
»Wir brauchen uns gegenseitig, Leander, das weißt du. Ich kann dich nicht einfach gehen lassen. Außerdem können wir dir beibringen, deine Fähigkeiten zu kontrollieren und dir helfen, sie zu verbessern, wenn du mich dir das zeigen lässt.«
Leander drehte sich um, rollte seinen Schwanz um seinen Körper und ignorierte William.
William schüttelte den Kopf. »Siehst du? So können Drachen sein. Sein Name ist Leander und er hat ganz und gar die wilde Natur eines ungebändigten Drachen.«
»Du denkst, du bist mitten in der Ausbildung dieses Drachen? Es scheint, als sähe er das anders.«
Er schüttelte enttäuscht den Kopf. »Wir versuchen schon seit Monaten, ihn auszubilden. Er redet kaum mit mir und er hat recht. Er kann besser warten als ich und wenn er nicht auf mich hört, werden wir ihn nicht behalten können.«
»Und?« Raven zuckte mit den Schultern und sah das Tier an. »Sie gehen zurück raus in die Natur, richtig? Keine große Sache. Es gibt wilde Drachen und es gibt trainierte Drachen.«
William hob die Augenbrauen. »So einfach ist das nicht. Die Drachen in diesem Teil der Welt werden auf Höfen gezüchtet. Wir können keine zwei Tonnen schweren, feuerspeienden Tiere über das Land fliegen lassen. Wir würden nicht sehr lange überleben. Wenn sie also nicht auf die Anweisungen reagieren, müssen sie kontrolliert freigelassen werden.«
Sie verschränkte die Arme. »Was bedeutet ›kontrolliert‹?«
»Das bedeutet, dass wir das Königreich schützen müssen, indem wir ihnen die Flügel stutzen und sie daran hindern, je wieder zu fliegen.«
Raven runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen zusammen. »Ich verstehe das nicht. Wie könnt ihr das solch einem edlen Geschöpf antun? Es kann mit dir reden und mit dir diskutieren.«
»Auf ihre eigene Art diskutieren. Wir züchten Drachen wegen ihres Nutzens. Wenn sie diesen Nutzen nicht erfüllen, können wir sie nicht behalten. Es gibt nicht genug Platz, nicht genug Futter. Diese Drachen kennen nur die Gefangenschaft und ich verwende dieses Wort sehr locker. Wenn sie fliegen könnten, stünden sie an der Spitze der Nahrungskette und wir wären irgendwo unter ihnen.« Er kratzte den Schlamm von der Unterseite seines Stiefels.
»Wie der Schwarm.«
William riss den Kopf hoch und verengte seinen Blick. »Nicht schon wieder der Schwarm, Raven. Das ist heutzutage nur noch ein Märchen.«
»Oder der Beginn eines Abenteuers.«
»Du bist nur eine Magierin in Ausbildung, Raven. Ich weiß, dass du das nicht gerne hörst, aber dein Abenteuer ist genau hier, in der Akademie. Konzentriere dich auf das, was direkt vor dir liegt, wie dieser Drache. Leander ist ein guter Drache, aber ich muss ihn dazu bringen, auf mich zu hören, sonst wird das Königreich darauf bestehen, ihm die Flügel zu stutzen. Ich habe einen Monat Zeit bis zu seiner Prüfung. Konzentriere dich darauf. Das ist real.«
Raven begriff, dass es sinnlos war und sah Leander an. Er warf ihr denselben Blick zu wie die beiden großen Drachen. Ist es die Wunde in meiner Schulter? »Okay, du hast diese Runde gewonnen. Aber warum kannst du ihnen nicht beibringen, unsere Verbündeten zu sein? Wir haben gesehen, wie die Clans dort drüben sich gegenseitig unterrichten.«
»Das ist hauptsächlich Instinkt.«
»Aber dann schneidet ihr ihnen die Flügel ab und nehmt ihnen die Fähigkeit zu fliegen? Das ist barbarisch. Haben sie denn keine Rechte?«
»Das Königreich hat Rechte. Raven, wie lange kennst du mich schon?« Er ging ein Stück von Leander weg. »Ich liebe diese Wesen. Das tun wir hier alle . Wir tun unser Bestes, um uns gut um sie zu kümmern und wir trainieren sie mit Respekt, weil wir wollen, dass sie gedeihen. Sie in die Wildnis zu entlassen, damit sie tun können, was sie wollen, wäre unverantwortlich und gefährlich.«
»Und das Beschneiden ihrer Flügel ist es nicht?« Sie begann ihre Stimme zu erheben. »Das ist grausam!«
»Wir stutzen ihnen die Flügel und bringen sie ins Tal der flugunfähigen Drachen.« William ging zu einem nahegelegenen Schuppen, wo er eine lange Stange mit einem Haken am Ende aufhob und sie an einen Pflock neben der Tür hängte. An der Wand hingen verschiedene Trainingsgeräte, alle von überdimensionaler Größe, um mit Drachen zu arbeiten.
»Es ist ein sicherer Ort, an dem sie genug zu fressen haben und wo es andere gestutzte Drachen gibt, mit denen sie neue Clans bilden können. Es ist eine humane Lösung für Drachen, die nicht … na ja, mit uns arbeiten können. Das Tal ist vom Rest des Landes abgetrennt und jeder lässt sie in Ruhe. Es gibt harte Strafen für unbefugtes Betreten und wenn man sich mit den Drachen anlegt.«
»Können wir es sehen? Wie weit ist es von hier entfernt?«
Er zeigte in Richtung Süden. »Es liegt weit außerhalb des Königreichs, weit hinter der Mauer auf geschütztem Land. Es dauert nicht lange, dorthin zu gelangen, wenn du auf einem guten Drachen reitest. Du bist noch nie auf einem geritten, oder?«
»Ich finde schon heraus, wie es geht. Also los.«
William zögerte. »Ich weiß nicht. Papa wird mir das Fell über die Ohren ziehen, wenn dir etwas zustößt und du hast diese Wunde. Du hast nur den einen gesunden Arm.«
»Ich kann vor dir reiten«, sagte Raven eilig und ein Summen von Aufregung füllte ihren Bauch. »Das wäre doch sicher, oder?«
»Ich muss dafür sorgen, dass wir einen gut dressierten und ausgeruhten Drachen haben, denn wir können nirgendwo in den Außenlanden landen. Einen, der mit mir kommunizieren wird. Er muss es in einem Flug, ohne Zwischenlandung, dorthin schaffen.«
Sie gingen zu einer riesigen Scheune, in der mehrere ausgewachsene Drachen in ihren Ställen lagen. William ging die Reihe der Drachen auf und ab, begutachtete jeden von ihnen und warf einen Blick auf die Zettel, die an jedem ihrer Tore hingen. »Wie geht es dir heute Abend, Teo? Bist du bereit für einen langen Flug?«
Der silberne Drache stand auf und flatterte mit seinen Flügeln. »Ich bin immer bereit.«
»Werden deine Eltern ein Problem damit haben, dass wir uns außerhalb der Mauer begeben?«, fragte Raven.
Er schüttelte den Kopf. »Sie wissen, dass ich alle Vorsichtsmaßnahmen treffe und nur rausgehe, um die flugunfähigen Drachen zu besuchen. Es ist ein sicherer Ort und wir werden vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein.«
Er ging zur gegenüberliegenden Seite der Scheune und schnappte sich einen großen Sattel mit Riemen, die mehrere Meter lang waren. »Ich muss nur noch aufsatteln und ein paar Sachen holen, dann können wir los. Aber wir müssen uns beeilen. Ich will nicht draußen sein, nachdem die Sonne untergegangen ist.«
»Natürlich nicht.« Und ich habe ein Versprechen gegeben.
William brachte den Sattel in Teos Stall. Der Drache drehte sich um und bot ihm bereitwillig seinen Rücken dar. In wenigen Minuten hatte William die Ausrüstung in Position gebracht und unter ihm festgeschnallt, dann legte er ihm den Führungsriemen mit den Zügeln um den Hals. Er gab dem Tier einen sanften Klaps auf den Kopf und es setzte sich wieder hin. »Danke, Teo. Okay, Raven, bist du bereit, auf deinen ersten Drachen zu steigen? »
Sie ging zögernd in den Stall. »Also, was soll ich tun?«
»Komm an Bord, Magierin«, sagte Teo und drehte sich zu ihr um. Er stupste sie mit seinem großen Kopf an, wobei Ströme von Frost aus seiner Nase kamen. Raven streckte die Hand aus und berührte seine riesige Schnauze. Sie spürte die kühlen, glatten Schuppen, die sich unabhängig voneinander bewegten.
»Willst du das machen? Nimm die Zügel einfach so in die Hand und führe ihn ins Freie, wo er seine Flügel ausbreiten kann.« William öffnete Teos Pferch und ließ Raven ihn hinausführen, wobei er ihr aufmunternd zunickte. Ihre Hände kribbelten von dem Energieschub, der durch sie hindurchschwirrte.
»Wenn du erstmal aufgestiegen bist, kümmern Teo und ich uns um den Rest. So machen es ein gut trainierter Drache und sein Reiter.«
Raven ging neben Teo aus der Scheune und hielt locker die Zügel fest, als sie auf das offene Feld hinaustraten. Sobald sie im Freien waren, streckte Teo seine langen Flügel und stieß ein lautes Stöhnen aus. »Tut das gut, wieder frei zu sein.«
Raven spürte, wie sie ein Rausch durchfuhr beim Anblick des riesigen Tieres, das seine Schwingen ausbreitete.
Teo ließ seinen Körper in Erwartung der Reiter auf den Boden sinken. Raven nickte, fasste nach den Griffen an den Riemen des Sattels und stellte ihren Fuß in einen Steigbügel, dann kletterte sie auf den Rücken des Tieres. Sie umklammerte die Zügel, als das Tier aufstand, weil sie nicht sicher war, stabil zu sitzen.
William kletterte hinter ihr hoch und griff nach den Zügeln. »Vertraue dem Sattel! Der bleibt an Ort und Stelle und bewegt sich nicht. Lockere deine Muskeln und entspanne dich. Ein Drache merkt immer, wenn du gestresst bist und das wirkt sich auch auf ihn aus. Sie können es sogar riechen. Genieße einfach den Flug und vertraue mir.«
»Schau mal, da sind Sturmwolken in der Ferne. Beeinträchtigt das einen Drachen im Flug?«
William verengte seinen Blick und schaute auf den Horizont. »Alles beeinflusst das Fliegen. Regen kann ein echtes Problem sein, wenn er stark genug ist. Er kann sich auf die Stabilität eines jungen Drachen auswirken. Okay, halt dich fest!«
Mit einem Ruck an den Zügeln lockte William den Drachen in die Luft und die großen Flügel schlugen heftig, bis eine Strömung sie erfasste. Innerhalb von Sekunden schwebten sie hoch über dem Land und der Boden unter ihnen zog vorüber.
Der Wind, der Raven ins Gesicht blies, ließ sie schlucken, als sie am Drachenkörper vorbei nach unten auf die vorbeiziehende große Mauer blickte. William ließ den rechten Flügel abtauchen und veranlasste so eine weite Kurve, die sie seitwärts führte. Raven hielt sich mit den Knien fest und verkrampfte für einen Moment, bis Teo zu ihr nach hinten blickte. Sie zwang sich, den angehaltenen Atem auszustoßen und sich im Sattel zu entspannen.
Sie flogen raus, an den Höfen vorbei, tauchten immer wieder in die Wolken ein und aus, glitten über Ackerland hinweg, bis sie sich schließlich den Bergen näherten. William zeigte auf einen langen Abschnitt des von Bergen umgebenen Tals. »Dort. Siehst du? Das ist das Tal der flugunfähigen Drachen«, rief er Raven ins Ohr.
Drachen in allen Farben und Größen bevölkerten das Tal, das sich zwischen zwei entfernten Bergketten erstreckte, die sich über das üppige, grüne Land wölbten.
Raven beugte sich über Teos Hals, um einen besseren Blick zu erhaschen. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, rief sie aus. Sie lehnte sich noch etwas weiter hinaus, als ein großer blauer Drache einen Feuerstrahl in die Luft blies. Ein anderer Drache tauchte neben ihm auf und blies auch einen Strom, der parallel nach oben schoss.
Die beiden Drachen verdrehten ihre Köpfe und ließen die Ströme auf und ab wogen, bis sie sich ineinander verschlungen hatten. Ravens Augen weiteten sich vor Freude und sie verlor kurzzeitig den Halt am Sattelhorn und rutschte zur Seite. »Huch?« Sie holte scharf Luft.
William legte seinen Arm um ihre schmale Taille und zog sie heran. Dabei schob er seinen Arm vorsichtig unter ihre verletzte Schulter. Sie lehnte sich an seine Brust und konnte seinen gleichmäßigen Herzschlag spüren, der ihren eigenen beruhigte.
»Geht es dir gut?«, fragte er und sein Kinn streifte ihre gute Schulter.
»Alles gut, dank dir.« Sie beugte sich nach vorne, achtete aber darauf, sich nicht zu weit vorzulehnen. »Es sind so viele Drachen. Sieh sie dir alle an«, sagte sie voller Ehrfurcht. »Kennst du ihre Namen?«
Sie spürte, wie sich seine Muskeln anspannten und versteiften.
»Ich kannte sie, bevor sie hier gelandet sind.« Er hielt inne und blickte auf die verschiedenen Clans, die so weit verstreut waren, wie das Auge reichte. »Aber seitdem sie hierher geschickt und, ähm, verändert wurden, habe ich versucht, loszulassen.«
Raven warf ihm einen Blick nach hinten zu, so gut sie konnte. »Und das hat ihre Namen eingeschlossen?«
William zuckte mit den Schultern, zog an den Zügeln und lehnte sich um sie herum, um zu rufen: »Komm schon, Teo. Lass uns ein bisschen tiefer fliegen, damit wir einen besseren Blick haben. Gerade über der Höhe, in der sie Flammen werfen können.«
»Wie du willst.« Der Drache neigte seine Flügel nach links und sie sanken mühelos mit dem Fahrtwind tiefer.
Das Sonnenlicht leuchtete durch den Drachenflügel und ließ die Farben wärmer erscheinen. »Stell deinen Fuß auf den Flügel«, rief William mit vom Wind zurückgewehtem Haar. »Dann kannst du dich sicher hinauslehnen und eines der schönsten Dinge auf dieser Erde sehen.«
Raven streckte ihren Fuß aus und drückte ihn behutsam gegen den Flügel. Teo hob seine lange Schnauze und blies einen Eisstrom aus. Raven erschrak und zog ihren Fuß zurück, was William zum Lachen brachte. »Teo gibt nur an.«
Der Drache schaute zurück und lächelte. Seine scharfen Zähne waren sichtbar. Raven setzte ihren Fuß wieder auf seinen Flügel und lehnte sich nach rechts. Der Wind drückte gegen ihre Brust, Williams Arm lag immer noch bequem um ihre Taille, während sie beobachtete, wie die Sonne auf Teos Schuppen glitzerte.
»Ich wünschte, ich könnte jemand anderes sein«, brummte Raven, so leise, dass es kaum hörbar war.
»Du bist immer noch eine Magierin, Raven.«
Mit einem Ruck an den Zügeln machte sich der Drache bereit, kurz vor dem Tal zu landen. William lenkte sie in eine perfekte, sanfte Landung hinunter. Er stieg ab und schnappte sich einen Sack mit Futter für den Drachen. »Lass mich dir herunterhelfen. Viel weiter als bis hierherkommen wir sowieso nicht.« Er hielt Raven die Hand hin und wartete.
»Warum nicht?« Sie nahm seine Hand und schwang ein Bein herüber, um vom Sattel zu rutschen.
»Erinnerst du dich an Leander und die unterschwellige Feindseligkeit? Stutze seine Flügel und du hast etwas mehr als hundert solcher Drachen hier an einem Ort versammelt. Das Tal ist voll von ihnen und sie mögen keine Besucher, schon gar nicht unsere Sorte.« Er deutete auf die Bergketten. »Die Berge halten die meisten Reisenden fern und sorgen dafür, dass es weniger häufig gegrillte Menschen gibt.«
Raven schubste ihn und verengte ihre Augen. »Weniger häufig?«
Er zuckte mit den Schultern. »So ist das Leben hier nun mal. Wenn du dein Fleisch auf deinen Knochen behalten willst, musst du einen Sicherheitsabstand einhalten.«
William führte sie zu einem Hügel, von dem aus sie eine bessere Aussicht hatten. Als sie den Gipfel erreichten, bestaunte Raven das grüne Tal und die Gruppen von Drachen unter ihnen.
Einige lagen in der verbliebenen Sonne des späten Nachmittags. Andere kämpften auf den Feldern spielerisch gegeneinander, wobei ihre riesigen Kiefer weit geöffnet waren und zwei Reihen großer, spitzer Zähne offenbarten.
Andere wiederum waren in Dreiergruppen aufgeteilt, warfen Feuerstrahlen und tänzelten kämpferisch hin und her, bevor sie ineinander krachten. Raven suchte sich eine Gruppe aus und beobachtete sie fasziniert. Sie setzte sich hin und William nahm neben ihr Platz.
Ein grün schillernder Drache in der Gruppe benutzte einen Flügel, um seinen Gegner umzuwerfen. Der andere Drache, ein silbernes Weibchen mit rosafarbenem Unterbauch, richtete sich mit lautem Protest auf, vereiste den Boden unter den Füßen des anderen Drachen und ließ ihn über den Boden rutschen.
»Ich mag sie. Sie ist clever«, sagte Raven und grinste. »Sie sehen genauso aus wie die auf deinem Hof.«
William nickte. »Das tun sie, nur dass sie nicht wegfliegen können. Was du siehst, ist ihre Art, damit umzugehen, Bewältigung. Letzten Endes sind es immer noch Drachen. Wir müssen sie nur im Zaum halten können. Wenn wir das nicht können, werden sie gefährlich. Wir wollen ja nicht, dass das Dorf in Flammen aufgeht.«
William sah zu, wie Raven die Drachen aufmerksam studierte. »Weißt du, es ist nicht schlimm, eine Magierin zu sein … in Ausbildung.« Er lachte und duckte sich, als sie versuchte, mit ihrem linken Arm einen Schlag zu landen. »Okay, okay. Verletze deine Schulter nicht noch mehr, als sie ohnehin schon ist. Ich sehe, wie sehr du es liebst, in der Nähe von Drachen zu sein, aber es gehört noch viel mehr dazu. Du bist Raven Alby, Teil eines langen Erbes.«
Raven rollte mit den Augen. »Das höre ich schon mein ganzes Leben lang. Mein Schicksal wurde schon vor meiner Geburt bestimmt. Was ist, wenn ich etwas anderes will?«
»Sowas wie Drachen? Es gibt Schlimmeres, als zu wissen, dass du eine Tradition weiterführst. Es ist, als ob du die Chance bekommst, alle an deine Mutter und deinen Vater zu erinnern.«
Raven sah zu ihm auf, ihr Gesicht rötete sich. »Wie soll ich das denn machen?«
»Mit der Entscheidung, auf welche Art und Weise du dein Leben führen willst.«
Er stand auf, streifte sich den Staub von der Hose und reichte Raven die Hand. »Du musst nicht unbedingt eine Superheldin sein. Einfach nur glücklich zu sein, würde wahrscheinlich reichen, aber ich habe diese Geschichten auch schon gehört. Deine Eltern waren legendär und dann ist da noch dein Großvater und das Opfer, das er gebracht hat. Eine große Schlacht, die uns alle gerettet hat.« Er hielt seine Hand hoch. »Du wirst dein Abenteuer finden, Raven.« Er lächelte, um die Spannung zu brechen und biss sich kurz auf die Unterlippe. »Sieh mal, du hast ein natürliches Talent für Zauberei und Magie, warum es verschwenden?«
»Weil …«
Er unterbrach sie und half ihr auf. »Oder möchtest du nicht eher die Gelegenheit beim Schopf packen und beides versuchen?«
Raven lachte kurz auf und hielt sich ihren verletzten Arm. »Zwei schwierige Fachgebiete, die zu beherrschen es Jahre dauert. Du musst mich wirklich mögen.«
»Raven, für eine brillante Magierin in Ausbildung bist du ganz schön langsam. Lass mich mal die Schlinge um deinen Arm richten. Das macht mich schon den ganzen Tag kirre. Ich bin überrascht, dass du noch keinen Zauber versucht hast.«
»Ich warte, bis es dunkel ist.« Sie sah seinen überraschten Gesichtsausdruck und fügte hinzu: »Ich mache nur Spaß. Ich weiß, dass das ein schlimmes Unding ist. Hey, hast du mich gerade langsam genannt?«
»Das musst du schon selbst herausfinden, Alby. Sieh dir ruhig weiter die Drachen an. Ich werde nach dem Futtersack sehen. Wenn du noch ein paar Minuten hierbleiben willst, nur zu, aber die Sonne geht schon unter. Wir müssen nach Hause.«
Er ging den Hügel hinunter zu Teo, während Raven die Drachen im Tal weit unten beobachtete. Ein Brüllen ließ sie aufschrecken und sie schaute zu William, aber er war schon weg.
Sie schaute nach rechts und sah einen kleineren weiblichen Drachen, dessen Flügel sich in einem dichten Dornengestrüpp verfangen hatte. Der ledrige Flügel war verwundet und kleine Blutstropfen waren zu sehen. Sie brüllte, stampfte mit den Füßen und verbrannte das Gebüsch, aber sie konnte sich nicht befreien.
Niemand hilft ihr.
»Zu Hilfe!«, rief der Drache, aber die anderen waren zu weit weg. Sie geriet in Panik, zerrte an ihrem Flügel und verursachte so nur weitere Zerstörung.
Raven schätzte die Entfernung zwischen dem gefangenen Drachen und den anderen Clans ab und zögerte nicht. Sie rutschte den Hügel hinunter und rannte so schnell sie konnte zu dem gefangenen Tier, wobei sie ihren verletzten Arm an ihren Körper presste.
Der Drache brüllte vor Wut, als sie Raven auf sich zukommen sah und warf eine Feuerlinie, um sie zu warnen. »Bleib zurück«, schrie sie.
»Ist schon gut. Ich will dich nur befreien.« Raven hielt ihren bandagierten rechten Arm so hoch, wie sie konnte und zuckte vor Schmerz zusammen. »Ich habe gegen einen Elfen gekämpft und gewonnen. Lass mich dir helfen, dich zu befreien.« Sie nahm ihren Dolch aus der Scheide und hielt ihn hoch. »Siehst du? Das ist die einzige Waffe, die ich habe. Lass mich näherkommen, dann kann ich das Gebüsch wegschneiden. Einverstanden?«
Der Drache schaute auf ihren verletzten Flügel und wieder zu Raven. Sie roch die Luft und ihr Blick veränderte sich. Sie nickte. »Du kannst näherkommen, aber bleib da, wo ich dich sehen kann.«
Raven kletterte in die Büsche und hackte vorsichtig die Äste ab. Als sie zurückblickte, sah sie, dass der Drache jede ihrer Bewegungen verfolgte und vor Schmerz schnaubte. »Nur noch … einen … mehr . So!« Triumphierend stand sie auf, als der Drache sich erhob, ihren Flügel schüttelte und Raven zu Boden warf.
»Uff! «Ihre Schulter schlug auf dem festen Boden auf und sie schloss die Augen, bis die Welle von Schmerz und Übelkeit vorüber war.
Raven öffnete ihre Augen, Schweiß stand ihr auf der Stirn. Als sie aufblickte, sah sie den Drachen, der sich zu ihr herunterbeugte und sie anstarrte, nur wenige Meter von ihrem Gesicht entfernt. Sie ging auf die Knie und hob die Hände. »Oh, das ist nicht gut.« Zwei große männliche Silberdrachen schlenderten mit bedrohlichen Gesichtern herbei, schnaubten und scharrten mit den Füßen auf dem Boden.
Sie gingen um den weiblichen Drachen herum und Raven fand sich von den Tieren umzingelt. Es gab keinen Ausweg.
»Was macht sie hier?«
Du kannst ihnen nicht davonlaufen. Freunde dich lieber mit ihnen an . Mit Mühe stand sie vom Boden auf und ignorierte den pulsierenden Schmerz in ihrem Körper. »Ich kann es erklären.« Sie hob die Hände und hoffte, dass man sie unversehrt gehen lassen würde, aber sie war auf das Schlimmste gefasst. »So ein komischer Tag.«