Kapitel 11

A m nächsten Morgen trottete Raven müde aus der Haustür. Ihre Füße schlurften über das Gras, als sie sich auf den Weg zur Scheune machte. Die Spitze des Schwertes in ihrer rechten Hand grub einen schmalen Graben in den Dreck neben ihr, der von der Veranda bis zum Scheunentor verlief, bevor sie merkte, dass sie es schleifen ließ.

Sie kippte einen Sack Futter in den Trog im Außenstall. Dann klatschte sie in die Hände und rief: »Kommt und holt es euch!« Dutzende von Zwergziegen meckerten, als sie an ihren Knöcheln vorbei zu ihrem Frühstück hüpften. Raven lehnte sich gegen die Tür, legte den Kopf zurück und gab ein lautes Gähnen von sich. Ihre Augenlider wurden schwer und sie hatte Mühe, sie offenzuhalten.

Das gelegentliche Knabbern einer Ziege an ihren Stiefeln rüttelte sie wach, bevor das schummrige Morgenlicht sie wieder dazu brachte, die Augen zu schließen und von einem nächtlichen Ritt auf einem Drachen zu träumen.

»Genug davon! Ein neuer Tag erwartet mich und ein paar neue Abenteuer!« Sie richtete sich auf und verschränkte die Arme über dem Kopf. Auf der anderen Seite des Hofs konnte sie sehen, wie Deacon seine Hütte mit dem finsteren Blick eines Mannes verließ, dessen Träume zu früh unterbrochen worden waren. Eine leichte Brise wehte über das Gelände und ließ das Gras tanzen.

Wir müssen die Ziegen auf die Nordweide lassen. Das Gras wird ein bisschen zu lang.

Raven entdeckte Henry, der Steine kickte und am Tor auf sie wartete. Sie rannte in die Hütte, um ihre Schultasche zu holen, rief ›Tschüss, Opa‹ und kam wieder heraus, ohne auf eine Antwort zu warten. Zügig lief sie den Kiesweg hinunter, um ihren Freund zu treffen, die Schultasche knallte ihr dabei auf den Rücken.

»Warum bist du denn so aufgeregt?« Henry hakte das Tor aus und trat zurück, um Raven hindurchzulassen, bevor er es wieder sicherte.

Sie biss sich auf die Unterlippe und musste nachdenken, bevor sie antwortete. Es ging ihr so viel durch den Kopf und das meiste durfte sie nicht sagen.

»Ich konnte gestern Abend näher an die Drachen auf dem Moss-Hof herankommen.« Das war keine Lüge .

Henrys Augen weiteten sich. Er trat erneut gegen einen Stein, sodass er so vor ihnen herhüpfte. »Klingt besser als mein Tag. Ich bin hinter dem falschen Ende eines Ackergauls hergelaufen.«

»Ich habe mich schon gewundert, woher dieser Gestank kommt«, Raven hielt sich lachend die Nase zu.

»Sehr witzig.« Henry stupste seine alte Freundin an. »Die Stiefel bleiben in der Scheune, wo sie nur mich stören können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Superkraft darin besteht, nichts riechen zu können.«

»Vielleicht hilft dir die Akademie dabei, ein, zwei Kräfte mehr zu entdecken.«

»Heute ist der erste volle Schultag! Ich wäre eine dreifache Bedrohung«, sagte er und zwinkerte. »Mann, ich würde so gerne in die Nähe eines Drachen kommen!« Er breitete seine Arme aus, als wären sie Flügel. »Ich habe gehört, dass sie intelligenter sind als die Hälfte der Menschen, die wir kennen. Ich könnte ihm von meinem Tag erzählen, ihn fragen, wie es ihm geht …«

Raven lachte und lief vor ihrem Freund her. In der Ferne ragten die Türme der Akademie auf. Der Wind wehte ihr Haar zurück, während sie rannte und sie erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, als Teo ihn unter seinen Flügeln fing.

»Hey! Warte doch!« Henrys lange Beine halfen ihm, zu Raven aufzuschließen, während seine Arme noch immer weit ausgebreitet waren.

Sie liefen durch das Stadtzentrum, die Geschäfte öffneten und die Händler waren damit beschäftigt, ihre Schilder auf die Straße zu stellen oder ihre Fenster zu öffnen, um etwas frische Luft hereinzulassen. Raven atmete tief ein, als sie an der Bäckerei vorbeikamen und tastete nach dem Nickel in ihrer Tasche. »Er ist noch da. Warte hier«, sagte sie und lief zum Fenster. »Zwei Brötchen, bitte, Frau Whittaker.«

»Raven! Deiner Schulter geht es besser! Das ging aber schnell.« Die große Frau wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und drehte sich um, ohne eine Antwort abzuwarten, um zwei frische Brötchen in eine braune Papiertüte zu stecken und den Rand umzufalten.

Ravens Gesicht rötete sich und sie zog die Luft ein. Sie lächelte Frau Whittaker an, als sie zum Fenster zurückkam.

»Bitte sehr, meine Liebe. Grüß deinen Großvater von mir und sag ihm, dass wir ihn in der Stadt vermissen.« Das Lächeln verblasste aus ihren Augen, aber sie gluckste und trällerte und ging wieder an ihre Arbeit, erneut ohne auf eine Antwort zu warten.

Raven ließ die Münze auf dem Fensterbrett liegen, nahm die Tüte und rannte, um Henry einzuholen, der unterdessen weitergelaufen war.

»Hey, ich dachte, du wartest.«

»Wir müssen pünktlich sein. Ich weiß, dass ich irgendwann für irgendetwas Ärger bekommen werde, zum Beispiel dafür, dass ich einen anderen Schüler in eine unglückliche Kreatur verwandelt habe. Ich brauche alles an Wohlwollen, was ich bekommen kann, für den Tag, an dem das Unvermeidliche passiert.«

»Ich glaube nicht einmal, dass es einen Zauberspruch gibt, der das bewirken kann. Hier.« Sie reichte ihm ein warmes Brötchen und nahm selbst einen Bissen von dem anderen.

»Noch nicht«, sagte er, lächelte und nahm ihr Brötchen ab. »Wer zuerst da ist!« Er rannte los wie der Blitz, hüpfte voraus und schaute über seine Schulter zu Raven zurück.

Raven stieß einen Freudenschrei aus und rannte hinter ihm her. Sie blieb ihm knapp auf den Fersen, selbst als er sich umdrehte, ein Stück rückwärts lief und dabei so tat, als würde er Geige spielen. Als sie sich dem letzten Laden am Ende der Stadt näherten, drehte er sich um, stolperte über einen Stein und fiel einigen Frauen vor die Füße, die vor dem Buchladen tratschten.

»Henry Derks, steh auf. Was würde deine Mutter sagen?«

»Dass ich aufpassen soll, wohin ich gehe, Ma’am?«

Die Frau öffnete den Mund, um zu antworten, als der alte Veteran von seinem Sitzplatz stolperte und auf seinen Stock gestützt, Raven anschrie. »Hey! Hey, du bist es! Hast du es gesehen? Hast du letzte Nacht den Himmel gesehen?«

Raven hörte auf zu rennen und schaute zurück, als sie Peter erkannte. Sie atmete schwer, lächelte aber immer noch und winkte ihm zu. »Was?« Sie machte einen Schritt auf ihn zu, als Henry an ihr vorbeisprintete und rief: »Und Derks passiert die Ziellinie!«

Sie vergaß den alten Veteranen, der ihr immer noch zuwinkte und sein Gesicht vor Sorge verzog und lief Henry hinterher. Beide passierten den Wald, der Geruch von Kiefern lag in der Luft und sie rannten weiter in Richtung der Fowler-Akademie. Ihre Füße trommelten auf die unbefestigte Straße.

Sie liefen über die Holzbrücke, die den Bach überspannte, vorbei an den wenigen Häusern außerhalb des Schulgeländes und den kurzen Weg zum Tor hinauf. »Gewonnen!« Henry klammerte sich an den eisernen Zaun und schaffte es kaum, das Wort auszusprechen, da seine Brust sich von dem langen Lauf schwer hob und senkte.

Raven blieb kurz stehen und beugte sich vor, die Hände auf die Knie gepresst, während sie so viel Luft einatmete, wie sie konnte. »Henry. Derks. Du hast mehr Talente, als du denkst. Gut gemacht!«

Sie schlug seine Hand in der Luft ab und folgte ihm dann die lange Auffahrt hinauf. »Lass uns das nicht jeden Tag machen«, bat sie, immer noch keuchend.

»Abgemacht, aber du weißt, dass das bedeutet, dass mein Rekord steht. Ungeschlagen.«

»Genieße den Sieg, Derks. Der Zauberunterricht kommt ja noch.«

»Mach mir das nicht kaputt, Alby.«

Etliche Schüler machten sich bereits auf den Weg in das Hauptgebäude. Henry und Raven mischten sich unter die Menge und gingen die Granitstufen hinauf, die in die Haupthalle führten.

Die beiden betraten das Foyer des alten Schlosses und gingen in den großen, höhlenartigen Raum. Er war mit Holzstühlen in ordentlichen Reihen links und rechts eines Mittelgangs ausgefüllt. Das Echo von Hunderten von Schülern, die sich alle gleichzeitig unterhielten, hallte von der gewölbten Decke wider, die aussah, als hätte sie weiße Rippen, die von einem Ende bis zum anderen reichten.

»Raven! Raven! Hierher!« Murphy stand in der Mitte einer Reihe weit vorn und winkte mit ihrem Arm, wobei ihr blonder Zopf hin und her schwang.

Henry schaute finster drein und schüttelte den Kopf. »Du setzt dich nach vorne. Ich muss unauffällig sein. Ich werde hier hinten bei meinesgleichen bleiben.« Er grüßte sie kurz und ging, um sich einer Gruppe von Jungen anzuschließen, die versuchten, durch Fingerschnippen einen Funken zu erzeugen.

»Er hat recht. Wir müssen um seinetwillen pünktlich hier sein«, sinnierte Raven, als sie den überfüllten Gang hinunterging, wo Murphy immer noch winkte.

»Komm, setz dich zu mir. Du kennst doch Jenny Connors«, meinte sie, zerrte an Ravens Hand und zog sie an den anderen Mädchen vorbei.

»Hast du die Kräuter von zu Hause mitgebracht, wie wir es sollten? Ich konnte kein Milchkraut finden«, sagte Jenny und schob ihren braunen Pony aus den Augen. »Ich habe überall gesucht.«

»Du kannst etwas von meinem haben«, bot Raven an und machte einen Schritt über ihre Füße hinweg.

»Hast du gesehen, was da auf der Bühne ist?« Murphy setzte sich und deutete auf die Schatten im hinteren Bereich der Bühne. Raven drehte sich um und entdeckte einen grauen Wolf, der regungslos da stand, geradeaus starrte und ab und zu hinter die Bühne schaute. Mehrere Schüler gingen zur Rampe und streckten ihre Hände aus, um den Wolf zum Sprechen oder zur Bewegung zu bringen.

Henry und seine Freunde hatten ihn auch bemerkt und waren auf dem Weg nach vorn, wobei einige von ihnen immer noch mit den Fingern schnippten, aber ohne Erfolg.

Henry lachte, klopfte einem Freund auf den Rücken und lehnte sich über die Vorbühne, um dem Wolf zuzuwinken. Raven schüttelte den Kopf und teilte den Mädchen mit: »Ich bin gleich wieder da.«

Raven drängte sich zum Gang und nach vorn durch, wo sie Henry am Ärmel packte, der seine Freunde anspornte.

»Versuch es! Was kann schon passieren?«, johlte er und lachte. »Was, hey? Oh, Raven, hast du die zerstörerische Waffe da oben gesehen? Ich glaube, es ist ein Haustier.«

»Ich dachte, du wolltest unter dem Radar bleiben.«

»Bin ich noch. Es ist noch niemand da. Wir haben noch ein paar Minuten. Ich glaube, er ist ausgestopft.« Henry schüttelte den Kopf. »Das da oben ist ein toter Wolf. Ich wette, Flynn hat ihn nur dort hingestellt, um uns an der Nase herumzuführen.«

Raven sah ihren Freund an und stöhnte genervt. »Wozu sollte das gut sein?«

»Vielleicht ist es eine Art Einschüchterungstaktik.« Er zuckte mit den Schultern. »Gedankenspiele«, sagte er und klopfte sich auf die Seite des Kopfes.

»Du bist ein Holzkopf.«

»Ja, ein schlauer Holzkopf.«

Raven lachte, als sie die dunkle Robe des Schulleiters Flynn bemerkte, der hinter der Bühne hervorkam und den Kopf des Wolfes streichelte, woraufhin sich dieser hinsetzte. Sie klopfte Henry kräftig auf die Schulter, zeigte nach vorn und drehte sich um, um schnell zu ihrem Platz zurückzukehren.

Schulleiter Flynn trat in die Mitte der Bühne und die Menge verstummte, während Henry und seine Freunde sich noch zurück in die hinteren Reihen begaben. Bald war nur noch das Knarren der Stühle zu hören, während der Schulleiter in seiner schwarzen Robe vor der Versammlung auf und ab schritt.

»Guten Morgen, alle zusammen. Willkommen zurück. Sind Sie alle aufgeregt wegen des Festes heute Abend?« Das Gemurmel kehrte zurück und er hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.

Er hielt inne, straffe die Schultern und verschränkte die Hände vor seinem Körper. »Heute Morgen möchte ich über einen der wichtigsten Teile Ihrer Ausbildung zu Zauberern sprechen. Die neuen Schüler fragen sich sicher, was ein Wolf hier oben zu suchen hat.« Flynn trat zur Seite, krümmte einen Finger und der Wolf erhob sich, trat an seine Seite, setzte sich und sah unverwandt in die Menge.

Ein Raunen ging durch das Publikum. Jenny schnappte nach Luft und klatschte die Hände zusammen. »Ich weiß, was er ist«, flüsterte sie und lehnte sich an Raven. »Meine Schwester ist eine Junior und hat mir alles darüber erzählt. Er macht diese Präsentation jedes Jahr.«

»Schüler, das ist Rider, mein Krafttier, mein Schutzgeist und Vertrauter. Rider und ich sind schon seit Jahrzehnten zusammen und haben eine tiefe Verbindung. Er hilft mir sogar bei der Ausführung von Zaubersprüchen.«

Ein Oberstufenschüler hinter ihnen hob seine Hand und wartete auf ein Nicken von Flynn, bevor er sprach. »War er mit Ihnen im Kampf?«

Der Schulleiter lächelte. »In der Tat, das war er. Einer der wichtigsten Aspekte unserer Beziehung ist unsere Fähigkeit, im Chaos der Schlacht zu kommunizieren. Beobachten Sie.«

Schulleiter Flynn zeigte auf die gegenüberliegende Seite der Bühne und Rider trabte nach links, drehte sich um und blickte eifrig zum Schulleiter. »Also, passen Sie gut auf. Als Beispiel werde ich Rider heulen lassen.« Er gestikulierte zu dem Tier und sagte: »Sprich!«

Der Wolf hob den Kopf und stieß ein lautes, eindringliches Heulen aus. Murphy und Raven lachten und lehnten sich nach vorn. Raven konnte Henry von hinten laut jubeln hören.

»Nicht schlecht, oder? Er hat laut geheult und hat trotz seines fortgeschrittenen Alters noch eine gesunde Lunge. Aber mit diesem Heulen kommt man auf dem Schlachtfeld nicht sehr weit. Wenn er so heulen würde, während wir belagert werden, würde das unerwünschte Aufmerksamkeit erregen. Aber als Schutzgeist hält er noch etwas Besonderes in sich bereit.«

Der Schulleiter nickte dem Wolf zu. »Loquere !« Die älteren Schüler hielten sich erwartungsvoll die Ohren zu.

Diesmal riss Rider den Kopf hoch und stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus. Raven presste sich die Hände auf die Ohren und runzelte die Stirn. Als das Heulen vorbei war, spürte sie ein schmerzhaftes Klingeln in ihren Ohren und sah Murphy an, die ihre Augen fest geschlossen hielt.

Der Schulleiter wedelte mit dem Arm in der Luft, spreizte seine Finger und schnippte: »Sana! « Das Klingeln hörte auf und einige Schüler stöhnten erleichtert.

Jenny stieß ein Keuchen aus. Raven ergriff ihre Hand und drückte sie. »Bist du okay?«

»Ja, ich glaube schon.«

»Dies ist ein kleines Beispiel dafür, was ein Schutzgeist tun kann«, erklärt Flynn. »Es ist wichtig, dass jeder von euch ein spirituelles Krafttier hat, das euch während eurer Zeit hier an der Fowler-Akademie und darüber hinaus zur Seite steht. Krafttiere geben euch mehr Macht und zusätzliche Fähigkeiten. Ich hoffe, ihr habt sie mit Bedacht gewählt. Sie werden für Jahre an eurer Seite sein.«

Ein Mädchen mit langem, tiefschwarzem Haar, das am anderen Ende der Reihe saß, stand auf, die Hände in die Hüften gestützt.

»Das ist Bella Chase«, flüsterte Murphy und schüttelte den Kopf. »Sie kommt aus einer wohlhabenden Familie in der Stadt. Du willst nicht auf ihrer schwarzen Liste stehen, was schwierig ist, weil ich die gute Seite an ihr noch nicht gefunden habe.«

»Wenn wir Zaubersprüche zusammenstellen können, die so ziemlich alles bewirken können, was bringt dann ein Krafttier?« Bella sah den Schulleiter ruhig an. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Tier meiner Magie noch mehr Kraft verleihen kann.«

Sie ist furchtlos , dachte Raven und betrachtete sie mit einem Gefühl der Bewunderung gemischt mit dem der Konkurrenz.

Der Schulleiter schmunzelte und warf dem Mädchen mit zusammengekniffenen Augen einen Blick zu. »Eine ausgezeichnete Frage. Jedes Semester gibt es mindestens einen Schüler, der diese Frage stellt. Wie Sie bereits am ersten Tag gelernt haben, haben die Kräfte eines jeden Menschen ihre Grenzen. Die Fähigkeiten zum Zaubern reichen nur bis zu einem bestimmten Punkt, vor allem, wenn es für Sie Neuland ist. Je mehr Zaubersprüche Sie in kurzer Zeit ohne Erholung wirken, desto größer ist Ihr Risiko, verbraucht zu werden. Unser Ziel ist es, dass Sie alle die nötige Selbsterkenntnis entwickeln, damit das nicht passiert.«

Raven bemerkte, dass er Bella genauso ansah, wie er sie neulich angeschaut hatte. Sie musterte Bella, die ihren Blick nicht von dem Schulleiter abwandte. Die Mädchen, die um sie herum saßen, hingen an jedem ihrer Worte.

Der Schulleiter griff nach unten, rieb Riders Kopf und zog eine Augenbraue hoch. »Wenn Sie mit einem Krafttier zaubern, kann Ihre Macht viel weiter reichen. Das Tier greift auf seine eigene Kraft zurück, um Sie zu unterstützen. Sie können mehr Zauber in kürzerer Zeit wirken und laufen weniger Gefahr, sich zu verausgaben. Wie Sie sich vorstellen können, ist das sehr nützlich, wenn Sie im Kampf sind.«

Oder um eine Wunde zu heilen. Raven kreiste ihre Schulter und spürte, wie leicht sie sich bewegen ließ. Als wäre der Bolzen nie da gewesen.

Schulleiter Flynn nickte zum hinteren Teil der Bühne und der Wolf zog sich zurück und wartete geduldig an der Seite der Bühne.« Gibt es sonst noch etwas?«

Bella zögerte, setzte sich dann aber doch, traf Ravens Blick und sah ihr einen Moment lang in die Augen. Raven erwiderte den Blick, starrte in die tiefgrünen Augen, unsicher, was sie tun sollte. Bella verengte die Augen, beugte sich vor und flüsterte dem Mädchen neben ihr etwas zu, das Raven daraufhin anschaute und etwas zurückflüsterte.

»Nun, jetzt kennt sie dich«, sagte Murphy und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Und ich glaube, du hast die gute Seite auch nicht gefunden.«

Der Schulleiter drehte sich ohne ein weiteres Wort um, ging nach hinten und verschwand mit Rider auf den Fersen in den Schatten. Die Schüler sahen sich um und ein Raunen erhob sich, als eine hochgewachsene ältere Magierin den Gang hinunterkam und vor der Bühne stehen blieb. Ihr Haar war kurz und fiel ihr ins Gesicht. Sie sah freundlich aus, bis auf ihre Lippen, die zu einer dünnen Linie zusammengepresst waren und auf Stille warteten.

»Viele von Ihnen haben mich schon im Zauberspruchunterricht kennengelernt. Sie können mich als Professor Ridley ansprechen. Jeder von Ihnen sollte ein Krafttier haben, das eine einzigartige Verbindung zu Ihnen hat. Jeder hat eines und es war Ihnen wahrscheinlich näher, als Ihnen bewusst war. Je eher Sie ihr Krafttier in den Unterricht mitbringen können, desto besser. Sie sollten diese Beziehung so schnell wie möglich aufbauen. Wenn Sie noch keins haben, müssen Sie es bis vor Ablauf eines Monats gefunden haben oder Sie müssen ein Jahr warten und sich neu bewerben.«

Bella stand wieder auf und zog die Aufmerksamkeit der ganzen Halle auf sich. »Ich habe mein Krafttier dabei. Kann ich es hierherrufen?«

Professor Ridley zog eine Augenbraue hoch und schlug die Hände vor sich zusammen. »So, meine Liebe. Und Sie sind?« Ihr Tonfall war eine Mischung aus Neugierde und Verärgerung.

Das Mädchen ging den Gang entlang und sprang auf die Bühne. »Bella Chase.« Sie drehte sich um und blickte in Richtung der Klasse. Das Mädchen war umwerfend, mit leuchtend grünen Augen und geschwungenen Lippen. Viele der Jungen in der Klasse setzten sich ein wenig aufrechter hin, um sie besser sehen zu können.

Zu Ravens Verärgerung tat Henry das auch. Sie konnte sehen, wie er still, mit offenem Mund, dasaß.

»Fräulein Chase, Sie haben Ihren Vertrauten noch vor dem Fest in die Schule gebracht? Sie sind doch eine Erstklässlerin, nicht wahr?«

»Ja, Ma’am.« Sie rieb ihre Handflächen aneinander. »Wir sind jetzt seit über einem Jahr zusammen und kennen uns gut.«

»Dann bitte schön. Die Glocke läutet bald.«

Bella schloss ihre Augen und hob die Hände in die Luft.

Die Haupthalle verfügte über eine Reihe von breiten Dachfenstern, die für eine gute Luftzirkulation sorgten, damit sich die Klassen drinnen wohlfühlten.

»Schau! Schau!« Jenny zeigte auf die Fenster, als sie etwas sah, das durch die Luft glitt und immer mehr Gestalt annahm, je näher es kam.

Ein Feuerdrako flog durch das Fenster, seine ausgebreiteten Flügel waren etwas über einen Meter lang.

»Das ist eine fliegende Eidechse«, flüsterte Murphy.

Raven lachte und hielt sich die Hand vor den Mund, aber sie sah erstaunt zu, wie der Feuerdrako abtauchte und mit der gleichen Präzision wie Rider an Bellas Seite landete.

»Das ist Wesley, mein Feuerdrako.« Die Klasse staunte über die Kreatur, deren Kopf bis zu Bellas Knien reichte. »Wir haben noch nicht viel gemacht, aber das können wir schon. Wesley, Ignis! «

Der Feuerdrako schoss hoch in die Luft, bäumte sich auf und entfachte einen Flammenstrahl, der den oberen Teil der Halle bis unter die Wölbung füllte. Die Klasse brüllte Beifall und applaudierte für die Show.

Wesley tauchte wieder hinunter zu einer wartenden Bella, die geduldig lächelte. Professor Ridley sah angenehm überrascht aus, lächelte ebenfalls und applaudierte mit den anderen Schülern.

»Sehr gut gemacht, Fräulein Chase! Sie sind der Klasse voraus und haben hervorragende Initiative gezeigt.«

Der Konkurrenzkampf in Raven war entfacht. Impulsiv stand sie auf und rief: »Ich habe auch ein Krafttier!«

Murphy sah sie an und flüsterte. »Ist deins hier?«

Die Professorin richtete ihre Aufmerksamkeit auf Raven. »Oh, wirklich. Sie sind Fräulein Alby, richtig? Noch eine Erstklässlerin? Was wir für erfolgversprechende neue Schüler haben.« Die Professorin blickte in die letzte Reihe und schaute finster drein. Raven schaute zurück und sah, wie Henry in seinem Sitz nach unten rutschte. »Was für ein Krafttier haben Sie denn?«, fragte Professor Ridley.

Mist! Was für ein Krafttier habe ich denn? Raven durchforstete ihr Gehirn nach Möglichkeiten. Eine kam ihr in den Sinn und sie platzte damit heraus. »Einen Drachen.«