D ie Menge brach in Gelächter aus. Raven bereute, das gesagt zu haben, aber jetzt, wo sie es getan hatte, würde sie ihr Wort auch halten.
Bella blieb auf der Bühne und schüttelte mit einer hochgezogenen Augenbraue den Kopf, den Feuerdrako an ihrer Seite.
Professor Ridley hob ruhig ihre Hand. »Schüler, beruhigen Sie sich! Fräulein Alby, ein Drache kann kein Krafttier sein. Sie müssen sich etwas anderes aussuchen.«
»Warum nicht?«
»Drachen fallen in den Zuständigkeitsbereich von Drachentrainern. Wenn Sie zum Geschlecht der Drachentrainer gehören, wird das der Schwerpunkt Ihrer Arbeit sein. Sie stammen aus einer langen Reihe von Magiern.« Sie tippte die Gründe auf ihren Fingern ab. »Drachen sind große, unhandliche Kreaturen, die schwer zu trainieren sind. Einem Magier in Ausbildung war es noch nie erlaubt, mit einem Drachen zu arbeiten. Das verstößt gegen die Tradition.«
Die Professorin warf ihre Hände hoch. »Das Tier, das einem Drachen am nächsten käme, wäre ein Feuerdrako, wie Fräulein Chase hier so passend demonstriert hat.«
Bella verschränkte ihre Arme und sah Raven mit einem selbstgefälligen Grinsen an. Raven starrte zurück, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Aber ich habe eine besondere …«
»Die Antwort ist nein , Fräulein Alby. Da, jetzt läutet es. Gehen Sie alle in Ihre Klassen.« Schon war sie mit etwas anderem beschäftigt.
Raven ging zur Tür, mit Murphy und Jenny an je einer ihrer Seiten.
»Drachentrainerin, hm?«, spottete ein älterer Junge mit rotem Haarschopf.
»Beachte ihn nicht.« Murphy hob ihr Kinn und bahnte sich mit dem Ellbogen einen Weg an einer Gruppe von Jungen vorbei, die lachten und auf sie zeigten. »Wir sind hier, um das Unmögliche zu lernen, stimmt’s?«
Raven ging nach draußen, um den Weg zum hintersten Gebäudeflügel anzutreten. Sie fand Henry, der in der Nähe der hohen Buchsbäume auf sie wartete, während seine Freunde schon vorausgegangen waren.
Er lief mit gerötetem Gesicht auf und ab und brach kleine Zweige von den Buchsbäumen. »Bist du wahnsinnig ? Ein Drache? Wie kommst du denn auf so eine blöde Idee? Komm, wir müssen in den Unterricht.«
»Ich habe nur … William hat gesagt …«
»Wen interessiert es, was William gesagt hat? Er weiß nicht das Geringste über Zauberei.« Henry blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Wenn du einen Drachen hierher bringst, begehst du im Grunde genommen Selbstmord, sowohl gesellschaftlich als auch in echt und verbrennst wie ein am Lagerfeuer fallengelassenes Marshmallow. Überhaupt wird dir niemand erlauben, einen Drachen zu trainieren und wenn doch, wird der Drache dich und wahrscheinlich auch andere töten und das wird dann das Ende deiner Geschichte.«
»Ich verstehe nicht, warum du dich so darüber aufregst.«
»Jeder hier weiß, dass du meine beste Freundin bist. Ich werde schon den ganzen Morgen über verarscht. Gerry will wissen, ob ich mir einen Vielfraß ausgesucht habe! Wer würde einen Vielfraß wählen?« Er marschierte einen Schritt voraus, die Hände tief in den Taschen.
Raven bemühte sich, das Thema zu wechseln. »Was bringst du als dein Krafttier mit?«
Henry blieb stehen und wartete auf sie, wobei er tief Luft holte. »Ich habe eine Kröte gewählt. Sie spricht zu mir.« Henry fing wieder an zu grinsen und wurde ganz aufgeregt.
»Eine Kröte ?«
»Hey, es ist eine wirklich große Kröte. Das ist besser, als wenn wir alle von einem feuerspeienden Monster getötet werden, das nicht einmal in die Haupthalle passt!«
»Oh, bitte!« Raven zeigte zurück in die Halle. »Das Mädchen da hat die Halle gerade mit Feuer gefüllt und alle haben geklatscht. Dabei war es nicht einmal so viel Feuer …«
Bella ging hinter ihnen her. »Das liegt daran, dass ich die Kontrolle über mein Krafttier habe.« Sie sprach mit kühler, gleichmäßiger Stimme: »Ich würde es nicht wagen, einen Zauber mit ihm auszuführen, wenn wir nicht schon trainieren würden. Er hört auf mich. Viel Glück dabei, einen Drachen dazu zu bringen, überhaupt mit dir zu reden. Er wird dich wahrscheinlich eher fressen, als dass du ihm beibringen kannst, dir Folge zu leisten.«
»Mein Drache wird deinen Feuerdrako in den Schatten stellen, Bella. Außerdem macht er zehnmal mehr Feuer als deiner es kann. Er ist größer, stärker, schneller …«
»Dein imaginärer Drache.« Bella kicherte. »Du bist sehr kreativ, das muss ich dir lassen, Raven Alby. Das wird nie funktionieren«, sagte sie und ging weg.
»Ach ja? Warum nicht?«
Sie drehte sich um, die Hand auf der Hüfte und ihre dunklen Augen blitzten. »Weil Drachen für Magier niemals erlaubt sein werden. Such dir etwas anderes und zwar lieber schnell, Raven.«
Die Wut brannte in Raven. »Ich werde einen Weg finden, den Drachen hierherzubringen.«
Henry schüttelte den Kopf. »Du bist absolut verrückt. Ich weiß nicht, was du vorhast.«
Auch Raven wusste nicht, was sie da tat. Auf dem Weg zum Unterricht beschäftigte sie sich mit dem öffentlichen Bekenntnis, das sie vor allen anderen abgelegt hatte. Wie soll ich nur einen Drachen in den Unterricht bringen? Und ihn ausbilden?
* * *
An diesem Abend wurde die Akademie mit farbigen Scheinwerfern beleuchtet, die von den Gebäuden hingen und die Höfe in goldenes und silbernes Licht tauchten. Große, dekorative Fackeln säumten das Gelände und Musik drang von einem Ende des Haupthofs zum anderen.
Schulleiter Flynn stand an den alten Eisentoren, die ursprünglich zum Fowler Schloss gehört hatten und lächelte den Schülern zu, die aus den Klassenzimmern tröpfelten. »Willkommen zum diesjährigen Fest zu Einschulung« Rider schritt an seiner Seite auf und ab.
Raven kam die Stufen der Haupthalle herunter und staunte über die Menschenmenge, die sich auf dem Campus tummelte. »Es scheint, als sei die ganze Stadt hier.«
Henry blieb an einem der Tische stehen, nahm ein Glas in die Hand und trank einen Schluck des Ingwerbieres. »Das wundert mich nicht. Mein Vater sagt, das Fest sei schon immer so gewesen, eine große Feier der Schule. Es ist eine Möglichkeit für Fowler, sich nach dem langen Winter und der harten Arbeit bei der Aussaat zu entspannen. Warst du vorher noch nie auf dem Fest?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Meine Eltern sind vielleicht hingegangen, als ich jünger war, aber mein Großvater würde nie herkommen, keine Chance. Er hat eine Abneigung gegenüber der Stadt.«
Henry kippte sein Getränk runter und sah sich um. »Er ist heute Abend nicht hier? Seine Enkelin verkündet, dass sie ein Krafttier hat. Man würde erwarten, er wäre hier, um dich zu unterstützen.«
»Es ist nicht so, dass er mich nicht unterstützt. Er konzentriert sich nur auf den Hof. Dort gibt es immer etwas zu tun.«
»Hey, wo wir gerade von Krafttieren sprechen, wen willst du denn ankündigen?«
»Keiner hat von Krafttieren gesprochen.«
»Ich habe dieses Gespräch schon seit ein paar Minuten im Kopf. Das zählt.«
Raven ignorierte ihn und blieb an einem Tisch stehen, an dem kleine Dolche verkauft wurden. »Man kann nie zu viele haben.« Mit einem Grinsen auf dem Gesicht, wählte sie einen aus, der in ihre Handfläche passte.
»Gute Wahl. Gut ausbalanciert«, sagte der gebeugte alte Mann hinter der Auslage.
Raven legte den Dolch wieder zurück und fuhr mit dem Finger über den Rand der Klinge. »Ich komme vielleicht wieder.«
Henry zog sie weg und murmelte: »Findest du es nicht seltsam, dass Waffen Teil unseres Lehrplans sind?«
»Willst du lieber einen Abschluss machen, ohne zu wissen, wie du dich verteidigen kannst? Wer soll es dir beibringen? Dein Bruder Norman? Ich habe gesehen, wie er sich mit einer Mistgabel verletzt hat.«
»Hey, die Dinger sind scharf!«
»Er hat versucht, sie wie einen Speer zu benutzen und hat auf dich gezielt.«
»Und er hat danebengeschossen und sich selbst getroffen. Hör auf, dem Thema auszuweichen. Komm schon, wen willst du zu deinem Krafttier machen? Du kannst nicht noch einmal Drache sagen, schon gar nicht vor der ganzen Stadt.«
Raven starrte Murphy ein paar Meter entfernt an. Sie strahlte, während ihr Vater einen Arm um sie gelegt hatte und mit einem Glas Rotwein in der Hand gestikulierte, der in seinem Kelch wild hin und her, aber nie über den Rand schwappte.
Seine perlweißen Zähne blitzten unter einem dunklen, buschigen Schnurrbart hervor, während er vor einem anderen Paar mit seinem kleinen Mädchen prahlte. »Meine Tochter hat so viel Macht in ihren kleinen Fingerspitzen und ich kann es kaum erwarten, bis sie das zeigen kann! Und zufällig weiß ich, dass sie sich auch mit einem starken Krafttier verbunden hat!«
Murphy verdrehte in falscher Bescheidenheit die Augen und stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. »Nicht, bevor ich es verkündet habe, Papa.«
Raven stieß einen Seufzer aus. »Diese Leute würden mich sofort aus der Stadt lachen, oder?«
Henry legte seine Hand auf den Bauch und reckte den Hals, um über die Köpfe der Menschen um ihn herumzuschauen. »Ich brauche schnell etwas zu essen. Das Letzte, was ich brauche, ist, auf der Bühne vor der ganzen Stadt in Ohnmacht zu fallen.«
»Kümmere dich lieber jetzt darum. Wir werden bald anfangen, uns aufzustellen.«
Er stöhnte frustriert auf und schürzte seine Lippen. »Die Hälfte der Leute hier hat Teller in der Hand. Woher bekommen sie das Essen?« Sein Blick ruhte auf einem Teller mit dunkelroter Wurst, den der Mann hinter ihm in der Hand hielt. Der Geruch nach Knoblauch wehte von dem Teller herüber und Henry atmete tief ein, während ihm das Wasser im Mund zusammenlief.
Er tippte dem Mann auf die Schulter. »Entschuldigen Sie, dass ich störe. Was haben Sie da?« Er deutete auf den Teller des Mannes.
»Grün eingelegte Wurst. Die ist gut. Schon mal gegessen?«
»Mmmmm. Ja, Sir, das habe ich. Ich komme aus dieser Gegend, bin hier geboren und aufgewachsen. Aber so habe ich das noch nie gesehen. Ist sie gut?« Er schluckte schwer, als der Mann seinen Teller näher an seine Brust zog. Henry wischte sich das Kinn ab. »Das tut mir leid. Keine Absicht. Meine Mutter sagt, das ist erblich.«
Raven flüsterte über seine Schulter: »Zu viele Details. Du erschreckst die Einheimischen … schon wieder.«
Henry räusperte sich, während der Mann ihn beäugte. »Ich liebe grün eingelegte Wurst. Woher haben Sie sie?«
»Gut gerettet«, sagte Raven. »Du wirst das Waffentraining definitiv brauchen.« Henry ignorierte sie und schenkte dem Mann sein charmantestes Lächeln.
Die Augen des Mannes weiteten sich und er schaute noch misstrauischer, als er auf eine junge Frau mit geflochtenen Haaren und einer dunkelroten Schürze um die Taille zeigte. Sie stand in einiger Entfernung und gierige Hände streckten sich nach den Probierhäppchen aus.
Die stämmige Frau trug mit beiden Händen einen Teller mit Wurst und hielt immer wieder an, um etwas anzubieten, während sie sich ihren Weg durch die Menge bahnte. »Ich habe sie von ihr. Sieht aus, als ob sie viel zu teilen hätte.«
Henry streckte sich, um einen Blick auf die Kellnerin zu erhaschen und schlug sich in die Handfläche. »Verdammt. Sie ist ganz in der Mitte des Hofs. Es wird ewig dauern, bis ich sie erreiche. Sie könnte schon weg sein, bis ich ankomme!«
»Dann solltest du dich besser beeilen.« Raven gab ihm einen Schubs. »Oh, der letzte Kerl hat sich die Finger abgeleckt und hat sich dann noch mehr genommen.« Sie schnitt eine Grimasse. »Wer weiß, wo die Hand sonst schon überall war.«
Henry schüttelte den Kopf. »Nee, ist mir egal. Ich will trotzdem welche.« Er wackelte mit den Fingern und widerstand dem Drang. »Ich könnte mir wahrscheinlich ein paar Stücke greifen und sie hierherkommen lassen. Wenn ich es schnell mache, wird es niemand bemerken, oder? Sieh mal, alle sind zu sehr mit ihren Gesprächen beschäftigt, um aufzuschauen.«
»Auf keinen Fall!«, insistierte Raven. »Der Schulleiter würde dich umbringen, wenn er erfährt, dass du heute Abend zauberst. Er hat gesagt, dass du nicht unbeaufsichtigt zaubern darfst und du willst dich vor einer ganzen Stadt für ein Würstchen aufspielen? Erinnerst du dich an deinen Plan? Nicht auffallen?«
»Mann! Ich bin gleich wieder da.« Henry verschwand in der Menge und ließ Raven zurück, die nur die Augen verdrehen konnte.
Sie wanderte zurück zu dem alten Mann, der den kleinen Dolch verkaufte. »Ich denke, wir sind fertig mit dem Gespräch über mein Krafttier«, sagte sie, während sie in ihre Tasche griff, um ein paar Münzen für den Händler herauszuholen.
»Danke.« Sie schnappte sich die passende Scheide vom Tisch und steckte die Klinge zur sicheren Aufbewahrung hinein.
»Raven! Du bist es!« Raven blickte auf und lächelte Henrys Eltern an, die sich ihr näherten und aufgeregt miteinander redeten, als sie auf sie zukamen.
»Hier sieht es noch genauso aus wie damals, als ich hier zur Schule gegangen bin.« Harvey Derks war groß wie sein Sohn und breitschultrig. Er lächelte immer und hatte einen ständigen Schweißschimmer im Gesicht.
Abigail Derks war kleiner als alle Männer in ihrer Familie, aber sie war der Leim, der sie die meiste Zeit über zusammenhielt. »Findest du? Nein, diese Einfahrt war nicht hier, sondern da drüben. Die Scheunen sind neu.« Sie huschte mit einer Hand über ihr Gesicht, als sie an Harvey Derks Ärmel zupfte. »Aber die Hauptgebäude sind die gleichen und ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Professoren vor Ort in die Jahre kommen.«
Frau Derks schaute sich um, wer sie hören konnte, während sie näherkamen. Sie winkte Raven nervös zu und lächelte noch immer. »Nein, ganz und gar nicht. Alle sind sie noch jung wie die Kaulquappen.«
Harvey Derks lächelte seine Frau an. »Keiner kann uns hören. Oh, verdammt, da ist Professor Rickerson! Habe die letzte Arbeit nie abgegeben.« Herr Derks lehnte sich an seine Frau. »Der Mensch hat ein Gedächtnis für die seltsamsten Dinge! Raven, wie schön, dich zu sehen!«
»Hey, Herr und Frau Derks. Ihr habt Henry genau verpasst, er holt sich gerade sein Essen.«
Harvey und Abigail Derks lächelten sie wissend an. »Natürlich tut er das«, sagte Abigail und schüttelte langsam den Kopf. »Der Junge kann kostenlosem Essen nicht widerstehen!«
»Wo sind die anderen Jungs heute Abend? Wollten Henrys Brüder nicht bei seiner Verkündung dabei sein?«
»Ah, wir haben ein paar Probleme, mit der Arbeit hinterherzukommen. Ein paar von unseren Gehilfen sind im Urlaub.« Harveys Lächeln wurde für einen Moment schwächer. »Ein paar Verrückte in der Stadt erzählen wilde Horrorgeschichten, die sie in Panik versetzen. Bis sie zurück an die Arbeit gehen, gibt es viel zu tun. Auf einem Hof kümmern sich die Schweine nicht um sich selbst, weißt du?«
Raven nickte und lächelte zustimmend. »Mein Großvater sagt immer: Die Arbeit macht für niemanden eine Pause.«
»Da hat er recht!«, stimmte Harvey zu, während die Strahlen der dekorativen Fackeln und Scheinwerfer seinen kahlen Kopf in ein Kaleidoskop aus Farben verwandelten. »Die anderen Jungs werden es verpassen, aber das sind die Opfer, die man manchmal bringen muss. Was ist mit dir? Bist du bereit, deinen Schutzgeist vor der ganzen Stadt zu verkünden?«
»Ja, Sir. Ich kann es nicht erwarten.« Was für eine Lüge.
»Bist du nervös?« Sein leichter Bauch wackelte, als er lachte. Er senkte seine Stimme und flüsterte. »Was wirst du verkünden? Ich wette, es ist ein richtig guter. Meiner war ein Silberfuchs. Junge, ich habe dieses Tier geliebt. Er konnte an die engsten Stellen gelangen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie oft mir das geholfen hat. Komm schon, erzähl uns von deinem.«
»Oh, Harv!« Abigail stieß ihn mit dem Ellbogen an, schüttelte den Kopf und schenkte Raven ein wissendes Grinsen. »Ignorier ihn. Er kann genauso wie der Rest von uns warten, zu erfahren, was dein Krafttier sein wird. Das ist Teil des Spaßes!« Sie schaute an Raven vorbei. »Wo ist dein Großvater?«
»Oh, äh, nun, ich schätze, es ist bei ihm genauso wie mit euren anderen Jungs. Unsere Hofarbeiter brauchen etwas Hilfe, also bleibt er zurück, damit alles reibungslos läuft.« Sie setzte ein Lächeln auf. Sie durchschauen dich sofort. »Die Sache ist die, ihr kennt meinen Großvater. Er hat nicht …«
Harveys buschige Augenbrauen gingen bei ihren Ausreden auf und ab. Schließlich unterbrach er sie und bewahrte sie vor weiterem Gestammel. »Dein Großvater tut sich nicht leicht mit Menschenmassen. Das ist schon okay. Ich bin sicher, er denkt gerade an dich. Aber keine Sorge, wir werden dich genauso laut anfeuern wie Henry!« Er lächelte noch breiter, wobei die meisten seiner Zähne zu sehen waren.
Abigail ließ seine Hand los und strich Ravens rot schimmerndes Haar zurück, strich ihr ein paar Strähnen hinters Ohr und schüttelte den Kopf. »Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass du und Henry Ferkel durch den Stall gejagt habt, in den Schlamm getaucht seid und euch kaputtgelacht habt, obwohl ihr eigentlich arbeiten solltet. Deine Mutter und ich haben immer weggeschaut. Sie sagte immer: ›Wenn die wüssten, dass das nicht nur Schlamm ist, in dem sie sich da suhlen‹!« Abigail lachte.
Raven schüttelte wehmütig den Kopf. »Das haben wir irgendwann herausgefunden. Deshalb haben wir aufgehört! Also, ich habe aufgehört.«
»Sie wäre heute Abend sehr stolz auf dich, wenn sie die junge Frau sähe, die du geworden bist.«
»Wir alle sind stolz auf dich, Raven.« Harveys Augenbrauen schossen in die Höhe. »Es war eine Freude, dich aufwachsen zu sehen und es wird Zeit, dass du auf die Akademie gehst und einige deine Kräfte schärfst. Ein Familienerbe, weißt du?«
Henry kam mit einem kleinen Teller zurück, der auf der einen Seite mit grün eingelegten Würstchen beladen war, auf der anderen lag ein frischer Crêpe , aus dessen Enden Haselnusskakao tropfte. »Wir werden uns gleich aufstellen. Ich glaube, ich sehe Murphy schon an der Bühne herumhängen. Und Bella auch.« Er nickte in Richtung einer provisorischen Holzbühne, die am Rande des Hofes, direkt am Fuße der Stufen zur Haupthalle, aufgebaut worden war. Sie war mit den Schulfarben und Laternen auf beiden Seiten geschmückt.
Raven schaute auf seinen Teller. »Hast du das Abendessen ausgelassen oder was?«
»Hör auf. Ich bin ein heranwachsender Junge. Außerdem ist es umsonst. Umsonst kann man nicht ablehnen!«
»Wir sollten besser gehen, wenn wir einen guten Platz bekommen wollen, Harvey!« Abigails kleine Hand ergriff die ihres Mannes und zog daran.
»Sie hat recht. Zeigt es ihnen, Kinder! Wir werden euch zuschauen!« Er klopfte seinem Sohn auf die Schulter, dann bahnten sich die beiden einen Weg durch die Menge.
Henry nahm den Crêpe in die Hand und biss in ein Ende, sodass der Kakao am anderen Ende herausfloss. Schnell hielt er seinen Teller unter das tropfende Ende, um sein Hemd in Sicherheit zu bringen. »Das Letzte, was ich brauche, ist ein großer brauner Fleck auf meiner Brust, während ich auf der Bühne stehe. Ich will nicht, dass die Leute über mich lachen.«
Raven ging auf die Bühne zu und schlängelte sich durch die Menge, während sie über ihre Schulter mit Henry sprach. »Du meinst, Leute wie Jenny? «
Er blieb stehen und warf ihr einen verwirrten Blick zu. Sie bemerkte, dass er nicht weiterging und drehte sich zu ihm um.
»Ach, tu doch nicht so. Ich habe dich neulich gesehen, wie du mit den anderen Jungs zusammengesessen hast. Du hast immer wieder rübergeschaut. Ich merke, wenn du etwas für jemanden übrig hast. Ich kenne dich ja schon lange genug.«
Henry schloss die Augen und wischte sich einen Kakaofleck vom Lippenwinkel. »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest …« Er schob sich an ihr vorbei und marschierte weiter.
Raven zeigte energisch auf ihn, während sie ihm folgte. »Du lügst! Ich habe praktisch gesehen, wie du gesabbert hast. Du hast mehr gesabbert als eben auf den Teller mit den Würstchen. Da war es nicht dein Hungerleiden .«
Er ignorierte sie. »Bella sollte sich besser beeilen, sonst verpasst sie ihren Auftritt.«
Sie schauten beide nach links. Bella Chase himmelte Professor Browski an, einen hochgewachsenen, schlanken Lehrer, der vor ihr sichtlich verblasste. Sie strich sich die dunklen Haare hinter die Schultern und klatschte höflich.
Raven schnalzte mit der Zunge. »Unsichtbarkeitszauber. Browski gibt nur an.«
Henry ging ein paar Schritte zur Seite, um seinen leeren Teller wegzuwerfen, den Mund immer noch voll. »Ich wette, das macht ihn müde. Der Typ ist alt. Schau ihn dir an. Er könnte ein Sandwich gebrauchen.« Er schluckte seinen letzten Bissen hinunter.
»Es ist sicher anstrengend, aber es ist schon spät. Danach wird er nicht mehr viel Energie brauchen. Ich weiß allerdings nicht, warum Bella da drüben an ihm rumschnüffelt.«
»Bella! Lass uns gehen!«, rief Henry. Bella hob einen Finger und bedankte sich bei Professor Browski für die Demonstration, bevor sie zu ihnen hinüberjoggte.
»Das ist ein Zauberspruch! Unsichtbarkeit! Stellt euch vor, was man damit alles machen könnte!« Bellas Mund blieb offen stehen, immer noch beeindruckt von dem Professor.
»Hat er es dir beigebracht oder so?« Raven hörte den Tonfall in ihrer Stimme und legte einen Finger auf ihre Lippen, um ihn zu unterdrücken. Warum kümmert es dich, was sie denkt?
»Nein, ich habe ihm nur gesagt, wie sehr ich mich auf seinen nächsten Kurs freue und er sagte, er wolle mir eine Vorschau geben. Von mir aus gern. Ich liebe es zu sehen, wie die Meister ihre Sachen machen.«
Sie erreichten die Bühne, die gerade etwas höher als die Schüler groß waren gebaut war. Henry berührte das alte, gesplitterte Holz. »Das Ding sieht aus, als würde es jeden Moment zusammenbrechen. Man sollte meinen, die Akademie würde eine neue Bühne spendieren.«
Raven zuckte mit den Schultern. »Ich denke, sie bräuchte nur einen neuen Anstrich und es würde gut aussehen. Wie oft braucht eine Akademie überhaupt eine Bühne im Innenhof?«
Sie gingen um die Ecke zum hinteren Teil der Bühne, wo sich die Schüler am Fuße der fünf Stufen versammelt hatten, die zur Bühne hinaufführten.
»Wie sehe ich aus?« Henry stemmte die Hände in die Hüften und blähte seine Brust auf.
Raven presste für einen Moment die Lippen aufeinander. »Wie ein brillanter, mächtiger Zauberer, der bereit ist, in die Schlacht zu ziehen und den Feind in Angst und Schrecken zu versetzen.«
»Wirklich?«
»Kein bisschen. Komm schon, lass uns gehen.«
Schulleiter Flynn ging an den Schülern vorbei, die in der Schlange standen. Er trug eine dunkle Robe, die in der hereinbrechenden Nacht noch immer zu leuchten schien. Er nickte den Schülern zu und stieg die kurzen Stufen hinauf, um die Bühne zu überqueren.
Das Holz knarrte bei jedem Schritt, sodass Henry ein Auge schloss und stöhnte. »Uff. Es ist, als würde die Bühne vor Schmerz aufschreien.«
Flynn trat an den Bühnenrand, blickte auf das versammelte Publikum und wartete geduldig. Ein Schweigen legte sich über die Menge und die Köpfe drehten sich ihm zu, eine Reihe nach der anderen, viele mit einem erwartungsvollen Lächeln auf den Lippen.
»Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu einem meiner Lieblingsteile des gesamten Schuljahres. Das Einschulungsfest!« Er hob beide Arme und ein Feuerwerk schoss von den Zwillingstürmen, die die alten Burgmauern hinter ihm flankierten, in den Himmel.
Die Menge brüllte laut und applaudierte und einige erhoben sich jubelnd von ihren Sitzen und schwenkten die Stiele kleiner Wimpel mit den schwarz-goldenen Schulfarben.
»Das Fest ist sowohl eine Feier der Vergangenheit als auch der Zukunft unserer Schule. In diesem Sinne möchte ich die Erstklässler der Fowler-Akademie dazu einladen, vorzutreten und ihre Krafttiere zu deklarieren.«
Ein kleines Mädchen mit hellblondem, kurzgeschnittenem Haar und alabasterfarbener Haut ging nach vorn auf die Bühne. »Mein Name ist Julia Knowles. Ich habe einen Wombat als mein Krafttier gewählt.«
Die Ankündigung wurde mit höflichem Beifall quittiert, bis die nächste Schülerin ihr folgte. Ein Schüler nach dem anderen durchlief die gleiche Routine: die Treppe hinauf, über die Bühne, den eigenen Namen und dann das Krafttier, unter allgemeinem höflichem Applaus und lauten Anfeuerungsrufen der Familien, verkünden.
»Ich bin Bennett Cotton. Mein Krafttier ist ein Schakal.« Er lächelte, wobei eine breite Zahnlücke entblößt wurde und winkte seinen Eltern in der Menge zu. Seine Mutter lächelte und zeigte die gleiche Zahnlücke, während sein Vater zurückwinkte.
Das nächste Mädchen hatte lange, dunkle Locken, die sich um ihr Gesicht drängten. Sie hob ihr Kinn an und ihre großen, tiefblauen Augen mit schweren Lidern blickten in die Menge. »Mein Name ist Elizabeth Kinsley und ich habe eine Fledermaus als mein Krafttier gewählt.«
»Okay, das passt«, flüsterte Henry, als Raven ihn in die Rippen stupste. »Was? Ich frage mich langsam, ob wir so aussehen müssen wie unsere Krafttiere.«
»Ich bin Rory Davidian. Ich habe eine Eule.« Der blondhaarige Junge suchte mit dem Blick die Menge ab und schaute in alle Richtungen.
»Siehst du? Ich hab’s dir gesagt.« Henry und Raven tauschten amüsierte Blicke aus. »Ich habe mit ihm abgehangen. Er sagt nur das Nötigste, selten mehr«, flüsterte Henry. »Wie eine Eule und hast du gesehen, wie er den Kopf dreht?«
»Eulen sind Jäger, sei lieber vorsichtig.« Raven schüttelte den Kopf. »Und klug. Du solltest dich mit ihm anfreunden.«
»Okay, vielleicht hat meine Theorie ein paar Lücken.«
Nachdem sie ihre Erklärungen abgegeben hatten, verließen die Schüler die Bühne und stellten sich in einer wachsenden Reihe vor die Menge.
»Mein Name ist Anne Marie Murphy, aber die meisten nennen mich Murphy. Mein Krafttier ist eine Stallkatze.« Sie hielt einen großen schwarzen Kater mit weißen Pfoten und einem weißen Stern auf der Stirn hoch. »Sein Name ist Fitz.«
»Na klar, irgendjemand musste ja eine Katze nehmen«, sagte Henry und rollte mit den Augen. »Der ursprüngliche Schutzgeist der Hexen.«
»›Stallkatze‹ ist eine nette Abwandlung. Eine wilde Katze, die gerne jagt.« Raven lächelte Henry an. »Du hast eine Kröte. Sei nett zu allen.«
Bella Chase war die Nächste. »Mein Name ist Bella Chase.« Es folgte eine unangenehme Pause, als sie ihren Feuerdrako nicht ankündigte. Einige in der Menge verlagerten ihr Gewicht und sahen sich gegenseitig an. Ein leises Gemurmel erhob sich.
Bella streckte ihre Hände aus und brachte alle zum Schweigen. Das leise Geräusch von Flügelschlägen ließ die Menge hörbar einatmen und die Köpfe drehen, als ihr Feuerdrako Wesley über den Nachthimmel schoss. Er hielt vor dem leuchtenden Mond inne und die Menge klatschte überrascht Beifall.
Er kreiste in der Luft und landete vor Bellas Füßen. Die beiden verbeugten sich gemeinsam, während die Menge in Jubel ausbrach. Bella lächelte und nickte allen zu.
Raven schaute schockiert zu Schulleiter Flynn, der lächelte. Sie zerrte an der Rückseite von Henrys Hemd. »Ich dachte, die Regel lautet, dass wir unsere Krafttiere heute Abend nicht mitbringen dürfen ! Sie ist eine Angeberin und bricht die Regeln.«
»Du hast nichts gesagt, als Murphy ihren Rattenfänger hochgehalten hat.« Henry lehnte sich zurück und drehte seinen Kopf. »Mein älterer Bruder sagte, es sei eher eine Bitte und Bella hat ihr Krafttier ja gut unter Kontrolle. Außerdem gute Show. Gut für sie, denn ich würde meins noch nicht überallhin mitbringen.«
Bella und Wesley verbeugten sich noch einmal unter tosendem Applaus, dann verließen sie die Bühne und gingen zur Warteschlange.
Schließlich betrat Henry die Bühne und schritt selbstbewusst nach vorn. »Mein Name ist Henry Derks.« Abigail Derks stieß einen lauten Jauchzer aus. »Danke, Mama.« Die Menge lachte. »Ich habe eine Kröte als mein Krafttier gewählt.«
Er hat es gesagt! Raven schaute überrascht zu ihm auf und dann in die Menge, um ihre Reaktion zu sehen. Es gab mehr als nur ein paar amüsierte Blicke, aber inmitten des Meeres von Skeptikern, die mit höflichem Beifall antworteten, klatschten Harvey und Abigail Derks wild und feuerten ihren Sohn an. »Sehr gut, Junge!«, rief Harvey.
Schließlich war Raven an der Reihe. Schwer atmend stieg sie die Stufen hinauf und schritt über die Bühne, bis sie vor der Menge stand, die Zehen direkt an der Rampe. Sie blinzelte und entdeckte bekannte Gesichter. Viele von ihnen kannten sie seit ihrer Geburt. Einige kannten auch ihre Eltern.
Es sind viel mehr Leute hier, als ich dachte .
Einen Moment lang machte ihr die Enge in der Brust das Atmen schwer. Sie schloss ihre Augen und beruhigte sich.
»Mein Name ist Raven Alby. Es tut mir leid, aber ich habe noch kein Krafttier gewählt.«
Sie sah die Familie Derks an. Henry fühlte sich so unwohl, dass er vor Schmerzen zusammenzuckte. Die Augenbrauen seines Vaters zuckten, als er Raven anlächelte. Sein Mund öffnete und schloss sich, ohne dass ein Wort herauskam.
Abigail Derks stupste ihn an und flüsterte: »Wir müssen dem Mädchen Mut machen. Sie hat niemanden hier!« Sie legte ihre Hände um den Mund und rief ihr zu: »Nicht schlimm, Raven!«
»Du wirst es schon herausfinden, Liebes!«, fiel Harvey ein. Sie klatschten in die Hände und ein paar andere mitfühlende Seelen spendeten Beifall. »Das Kind sollte sich besser ranhalten. Es bleiben nur noch ein paar Wochen, um eins zu wählen.«
Raven entspannte ihre Schultern. Kann ich endlich von dieser Bühne runter? Sie fuhr mit einem Finger am Rand der rubin- und silberfarbenen Brosche ihrer Mutter entlang.
Als der Applaus abebbte, wirbelte Bella Chase herum und rief: »Sie hat uns in der Klasse erzählt, sie würde sich einen Drachen aussuchen!«
Ein amüsiertes Kichern dröhnte durch die Menge.
»Hey, bist du nicht eine Alby?« Der Ruf kam von irgendwo aus der Mitte der Menge. »Du bist eine Magierin in Ausbildung. Nimm so was wie eine Krähe!«
Raven spürte, wie sich ihr Gesicht rötete und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Sie ging von der Bühne, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Henry eilte ihr am Fuß der Treppe entgegen. »Hey, ist ja gut.«
»Ich bitte dich . Ich konnte spüren, wie sie Löcher in mich hineingestarrt haben. Ich werde zum Gespött der ganzen Stadt.«
Er legte seine Hände auf ihre Schultern. »So schlimm ist es nicht.«
Sie schaute an ihm vorbei. »Ach, wirklich?« Raven nickte der Menge zu. Einige Anwohner starrten zurück, allen voran Bella Chase, die ein selbstgefälliges Lächeln zeigte.
Raven runzelte die Stirn. »Ich werde es ihr zeigen.«
»Geht es um sie? Okay, okay. Das wird interessant werden.« Henry schnupperte in die Luft und ruckte plötzlich mit dem Kopf. »Oooh, Krapfen. Bin gleich wieder da.«