Kapitel 26

D er süße Geruch von Zimt wehte in Ravens Schlafzimmer und weckte sie aus einem tiefen Schlummer.

Sie setzte sich auf, rieb sich die Augen und versuchte, ihre Müdigkeit abzuschütteln. Macht Opa Frühstück? In ihrer Benommenheit stolperte Raven in ihrem Flanellpyjama aus ihrem Zimmer und vergaß dabei, sich den hellen weißen Bademantel zu nehmen, der am Haken an der Tür hing.

Raven betrat die Küche, ein Auge noch geschlossen. Ihr Großvater stand mit dem Rücken zu ihr und war gerade damit beschäftigt, einen Topf mit Haferflocken auf dem Herd umzurühren. Er spritzte etwas Ziegenmilch hinein und schnupperte das Aroma. »Fast.«

»Warum bist du auf?«, fragte Raven mit gedämpfter Stimme. »Draußen ist es noch dunkel«, ergänzte sie und zeigte auf das Fenster. »Ich muss erst in einer Stunde die Ziegen füttern.«

Connor sah seine Enkelin an und nahm den Topf vom Herd. »Ich habe gestern Abend etwas nachgedacht. Du willst Drachen reiten und ich will dir dabei helfen. Wenn es klappt, wird es Leander helfen, seine Prüfungen in weniger als einem Monat zu bestehen. Dann ist da noch die Frage nach Fowler und deinem Krafttier.«

»Ein Drache.« Raven gähnte, obwohl ihre Aufregung wuchs.

»Du brauchst einen Drachen, der dir ohne jeden Zweifel vertraut, wenn er dein Krafttier in der Schule sein soll. Auch da tickt die Uhr.«

»Ich weiß. Ich gebe alles, was ich kann.«

»Ich kann dir helfen. Ich kann dir mehr Zaubersprüche beibringen – die komplizierten, zu denen Fowler frühestens in einem Jahr kommen wird, wenn überhaupt. Wir können mehr am Bogenschießen und an deinen Langschwertfähigkeiten arbeiten.«

Ravens Augenbrauen hoben sich und sie war auf einmal hellwach. »Das gute Zeug?«

»So kann man es auch nennen. Wir können die Stunde vor deinen morgendlichen Pflichten nutzen, um an einigen wenigen zu arbeiten.«

Er klatschte das Frühstück in zwei Schüsseln auf der Anrichte. Er stellte eine dampfende Schale auf den Tisch und streute einen Hauch Zimt in die Mitte des Haferbreis. »Ich esse meins draußen und bereite alles vor. Wenn du fertig bist, komm raus aufs Feld hinten und stell sicher, dass du zum Zaubern bereit bist.«

Er stürzte eine Tasse Wasser hinunter, schnappte sich seine Schüssel mit Haferbrei und ging zur Haustür hinaus.

Raven gähnte. Ich bin verdammt müde, aber das riecht wirklich gut.

Draußen auf dem Feld beobachtete Connor, wie der Dampf seines Atems in der kalten Luft aufstieg. Ein heller Blauton kroch den Horizont hinauf. Er winkte Deacon zu, der Wache stand.

Deacon spähte in die Dunkelheit und versuchte, die große Gestalt zu erkennen, die in den frühen Morgenstunden herumlief. »Was macht Connor Alby hier?« Er verließ seinen Posten am Tor und lief eilig hinüber. »Stimmt etwas nicht, Boss? Was machen Sie um diese Zeit hier draußen?«

»Alles ist gut.« Connor klopfte ihm auf die Schulter. »Ich bringe meiner Enkelin etwas von meiner Weisheit bei. Du kannst zurück in deine Baracke gehen. Du musst ja bald schon wieder aufstehen. Ich übernehme die Wache für den Rest der Nacht.«

»Wirklich? Vielen Dank, Sir!« Er verlor keine weitere Sekunde und machte sich auf den Weg zu seiner Hütte.

Connor hatte gerade ein Feuer auf dem Feld entfacht, als Raven zitternd herauskam, die Hände in den Taschen. Sie ging auf ihn zu und stellte sich mit dem Rücken zum Feuer, um sich aufzuwärmen.

»Wir werden jeden Morgen ein Feuer haben, aber nicht aus dem Grund, den du denkst.« Connor stand auf, zufrieden mit dem Feuer. »Heute Morgen werde ich dich lehren, eine neue Waffe zu benutzen.«

Raven drehte sich um und streckte ihre Hände in die Nähe der Flammen. Sie zog eine Augenbraue hoch. »Darf ich mit dem Feuer spielen?«

»Du wirst das Feuer manipulieren . Ich zeige dir, wie du das mit einer vorhandenen Flamme machen kannst, was sparsamer, aber nicht weniger effektiv ist. Folge mir.«

Sie entfernten sich wenige Meter vom Feuer. Raven erschauderte, als die kalte Luft erneut auf ihre Haut traf. Connor Alby wandte sich dem Feuer zu und bedeutete ihr, sich näher zu ihm zu stellen. Er deutete in die Ferne.

»Sieben erloschene Fackeln verteilen sich in beide Richtungen. Zünde sie von hier aus an.«

Raven klatschte aufgeregt in die Hände und vergaß dabei ihre Müdigkeit. »Eine Magierin in Ausbildung zu sein, ist gar nicht so schlecht.«

Connor grinste und warf ihr einen Seitenblick zu. »Schön, dass du endlich die Vorteile erkennst. Du verstößt auch gegen die Tradition – eine Magierin, die auf Drachen reiten will. Also pass gut auf und mach es richtig, das ist kein einfacher Zauberspruch. Das Feuer wird widerspenstig, je mehr du versuchst, es zu manövrieren. Bereit?«

Raven schüttelte ihre Hände aus, schaute zu den Fackeln, die in der Dunkelheit kaum zu sehen waren und wieder zum Feuer. »Ich schaffe das.«

»Du schaffst das. Du bist eine Alby. Siehst du die beiden Fackeln, die dem Feuer am nächsten sind? Zünde sie zuerst an, um den Dreh rauszubekommen. Je weiter du es werfen musst, desto schwieriger wird es, das Feuer zu kontrollieren. Das braucht Übung. Fangen wir ganz einfach an. Zeige auf das Feuer und sage: Sequantur flamma . Sobald du das sagst, darfst du deine Augen und deine Konzentration nicht vom Feuer abwenden. Ich möchte, dass du damit nichts anderes machst, als es in den Himmel zu schnippen.«

»Das ist einfach.« Raven wiederholte den Zauberspruch und konzentrierte sich auf das Feuer. »Ich habe es im Griff.« Sie schnippte mit dem Finger nach oben und ein Flammenball schoss aus dem Feuer und verteilte sich in der Nachtluft. Sie kicherte überrascht. »Das macht Spaß.«

»Denk daran: Bleib konzentriert. Es geht nicht um dich oder darum, wie gut du es machst. Bleib beim Feuer. Jetzt zünde die erste Fackel an. Such dir eine aus, die du willst.«

»Sequantur flamma .« Raven schnappte sich einen Teil des Feuers und lenkte es in die Luft, auch wenn es tanzte und wackelte. Sie verlor die Kontrolle darüber und die Flammen sprühten ein paar Meter vom Feuer entfernt aufs Gras. Glut sprühte in die Dunkelheit. »Verdammt!«

»Das ist in Ordnung. Deshalb machen wir das auch nicht in der Nähe des Hauses oder der Scheunen. Du wirst den Dreh schon noch rauskriegen. Ich habe hier ein paar Eimer mit Wasser und werde einen an dieser Stelle ausschütten. Wir wollen ja nicht, dass die ganze Weide in Flammen aufgeht. Aber hör nicht auf zu üben. Ziel einfach in die andere Richtung.«

Connor schnappte sich einen nahegelegenen Wassereimer und kippte ihn auf das brennende Stück Gras, das zischend erlosch. Er sah Raven an und deutete auf die Fackel auf der anderen Seite des Feuers.

Sei vorsichtig, Raven. Sie seufzte, während sie ihre Hand wieder ausstreckte. Was auch immer du tust, setze deinen Großvater nicht in Brand.

»Es geht los. Keine Flammenabrisse. Sequantur flamma .« Sie schürte das Feuer, leerte ihren Geist und starrte auf die Flamme, die über dem Gras schwebte und zu einer der wartenden Fackeln zischte. Die Flamme tanzte auf der Fackel, schwoll an, als sie sich entzündete und Raven hob beide Arme zum Sieg. »Ja!«

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht schnappte sich Connor einen weiteren Eimer Wasser und trat vom Feuer weg. »Nur für den Fall«, sagte er, als Raven ihn ansah. »Ich mache mir keine Sorgen. Es ist das Beste, vorbereitet zu sein.«

»Aha.« Eine nach der anderen wiederholte Raven den Zauber und entzündete die Fackeln, wobei sie gelegentlich die Kontrolle über das Feuer verlor, je weiter sie es schicken musste und es ins Gras fallen ließ. Wann immer das passierte, ging Connor ruhig hinüber und kippte einen Eimer Wasser über die Glut.

Schließlich hatte Raven nur noch eine Fackel vor sich. Sie war über zwanzig Meter vom Feuer entfernt. »Sequantur flamma .« Die Flamme wurde schneller, nur Zentimeter von ihrem Ziel entfernt. Raven verlor das kleinste bisschen Kontrolle, ein anderer Gedanke kam ihr in den Sinn und die Flamme fiel herunter.

Nach mehreren gescheiterten Versuchen schüttelte Raven den Kopf und runzelte die Stirn. Ihr Großvater kam zu ihr hinüber, um mit ihr zu sprechen.

»Frustriert?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Genervt. Feuer ist schwer zu kontrollieren. Wenn ich das mit jeder Flamme machen kann, wäre es dann nicht klüger, sie einfach von der Fackel direkt daneben zu nehmen? Ich werde es leid.«

»Ja und wenn es ein landwirtschaftliches Problem wäre, würdest du das auch tun. Aber das ist eine Übung für die Tochter einer Kriegsmagierin. Das Ziel ist es, den Muskel in dir zu entwickeln, mit dem du das Feuer kontrollieren kannst, um es als Waffe einzusetzen und jede Waffe ist besser, die aus der Ferne eingesetzt werden kann. Wenn du auf Drachen reiten willst, solltest du deine Kräfte zur Feuermanipulation gut im Griff haben.«

»Ich glaube, ich brauche nur eine Verschnaufpause.« Sie setzte sich ins Gras.

»Also, du bekommst jetzt die Wiederholungen, meine Liebe. Hab Geduld. Es liegt dir im Blut und du wirst es schaffen.« Er setzte sich neben sie. »Und wenn du es dann erst mal geschafft hast? Es gibt nichts Vergleichbares dazu, auf dem Rücken eines Drachen in die Schlacht zu fliegen und seine Flammen zu kontrollieren, die aus seinem Maul schießen, und deine Feinde knusprig zu braten.« Er schlug sich aufs Knie. »Das vermisse ich.«

»Ich wette, du warst großartig darin.«

»Einer der Besten unter vielen Großen.«

»Könnte die Stadt nicht etwas für dich tun? Wenn du ein Meister der Reitenden Zauberer warst, könnte ich mir vorstellen, dass es da draußen bestimmt einen Job für dich gibt. Du müsstest nicht rumsitzen und Zwergziegen züchten. Du könntest jetzt sofort helfen, die Stadt zu beschützen!«

Connors Lächeln wurde schwächer. »Ich war viele Jahre lang verbraucht. Der Rückstoß der Druckwelle hat mich völlig ausgelaugt.«

»Ja, aber das bist du nicht mehr! Und du hast immer noch nicht erklärt, wie du nach all den Jahren deine Kräfte zurückbekommen hast. Wie konntest du plötzlich dazu in der Lage sein, mich zu heilen? Wo kommt das her?«

Er blickte in den Himmel, der dabei war, sich von tiefblau in ein helleres Blau zu verwandeln. »Ich nehme an, es war noch irgendwo da drin und hat auf den richtigen Zeitpunkt gewartet.«

»Ich beschwere mich nicht. Es ist perfekt. Die Welt könnte jemanden wie dich gebrauchen, der weiß, was er tut. Du könntest die nächste Generation anleiten.«

Connor stütze seine Handflächen hinter sich auf und lehnte sich zurück, während er beobachtete, wie der Sonnenschimmer anwuchs. Der rosige Schein beleuchtete die weite Weide, auf der sie übten und die schwarzen Flecken, die von verirrten Feuerbällen herrührten. »Es gibt viele Gründe, warum ein Reitender Zauberer nicht mehr am Kampf würde teilnehmen wollen.«

»Was zum Beispiel?«

»Zu viel Verlust, vielleicht. Oder nimm deinen Schulleiter zum Beispiel. Aiden Flynn war ein hervorragender Reiter. Der Mann kann schneller zaubern als jeder andere, den ich kenne. Ich schätze, er kann es immer noch.«

Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Warum leitet er die Schule? Er hat immer noch eine Menge Macht. Ich würde es verstehen, wenn er verbraucht wäre, aber Flynn kann immer noch zaubern. Er sollte genau jetzt dort draußen sein und auf Drachen reiten!«

Connor senkte seinen Blick. »Flynn wurde in einen schlimmen Kampf mit dem Schwarm verwickelt. Die großen, überdimensionierten Kreaturen mit Tentakeln um das Gesicht herum und vier Armen waren hinter ihm her. Sie waren diejenigen, die die anderen kontrollierten. Weißt du noch? Wir nannten sie ›Skifflinge.‹ Sie wurden nach einer Kindergeschichte über ein Monster benannt, das es in vielen Formen gibt. Wenn man einen von ihnen tötete, verlor ein Teil seine Steuerungsfähigkeit und griff sich gegenseitig an. Flynn flog hinter dem größten her.«

»Ein hohes Tier.«

»Ein hohes, großes, giftiges Tier. Es war ein brutaler Kampf. Sie kamen schneller auf ihn zu, als er sie niedermähen konnte und er war großartig im Kampf. Nur einfach in der Unterzahl.«

»Ist das der Zeitpunkt, an dem er die Narbe in seinem Gesicht bekommen hat?«

Er nickte. »Er war ein blutiges Einerlei, als er zu dem Stützpunkt zurückkam, den wir eingerichtet hatten und er kam zu Fuß.«

»Kein Drache?«

»Kein Drache. Er sagte kein einziges Wort. Wir wussten, dass er gerade durch die Hölle gegangen war, also ließen wir ihn in Ruhe. Eines Abends saß ich mit ihm am Feuer und sprach mit ihm darüber. Er gab zu, dass es ihm über den Kopf gewachsen war, sich so vielen allein zu stellen. Flynn hatte sich aus der Reichweite des Schwarms entfernt, als ein Skiffling seinen Drachen mit seinen Tentakeln umschlang und die beiden zu Boden riss. Er war nur noch Sekunden von ihrem wartenden Schlund entfernt, als sein Drache ihn von ihrem Rücken buckelte.«

»Er hat ihm das Leben gerettet.«

»Mm-hmm. Flynn sagte, sobald er das getan hatte, hörte er auf zu kämpfen. Das verdammte Ding hat ihn unter seine Klauen gezogen. Flynn erzählte, dass er keinen Laut von sich gegeben, sondern einfach seinen Tod akzeptiert hat. Er sprintete vom Schlachtfeld weg, um sich in Sicherheit zu bringen, aber er war untröstlich. Er war zwanzig Jahre lang mit diesem Drachen zusammen gewesen.«

Raven empfand einen neuen Respekt für ihren Schulleiter. »Er konnte sich mit keinem anderen Drachen verbinden?«

»Er hätte es tun können, Raven.« Connor stützte seine Hände auf die Knie und streckte seinen Rücken durch. »Aber wenn du in einer solchen Schlacht bist, wenn du dem Tod so nahe kommst, fühlt sich das Überleben manchmal fast schlimmer an, als wenn du es nicht schaffst. Du trägst die Erinnerungen auf deinen Schultern.« Er senkte seine Stimme. »Und es wird zu viel, um zurückzugehen.«

Sie saß einen Moment lang in der Stille. Sie wusste, dass ihr Großvater nicht nur über Aiden Flynn sprach. »Ich werde noch einmal versuchen, die letzte Fackel anzuzünden, dann muss ich die Ziegen füttern.«

»Du weißt Bescheid. Versuch es noch einmal.« Sie erhoben sich.

Raven schnappte sich die Flamme und dirigierte sie zu der am weitesten entfernten Fackel, wobei sie den Docht nur knapp verfehlte, bevor sie herunterstürzte und das Gras entzündete.

Connor legte seinen Arm um sie. »Ist schon gut. Du wirst das noch hinbekommen. Als ich es das erste Mal versucht habe, habe ich fast die Haupthalle von Fowler niedergebrannt. Erledige du nun deine Aufgaben. Ich kümmere mich hier um alles.«

Connor Alby stapfte mit einem weiteren Eimer Wasser über das Feld und lächelte vor sich hin. Nichts vertreibt Kakerlaken so gut wie ein ordentliches Feuer. Wenn sie es in den Griff bekommt, sind wir in Sicherheit. Er löschte die Flammen, während sich Raven zur Scheune begab, um die Ziegen zu füttern.