L eander und Raven landeten auf dem Moss-Hof in der Nähe des zerstörten Pferchs. William kam mit mehreren Helfern angerannt, die allesamt Waffen in den Händen hielten, einige von ihnen Pfeile, die in Bögen gespannt waren. Raven stand in den Steigbügeln und hielt ihre Hände hoch. »Es ist alles in Ordnung! Halt! Halt! Er hat mich gerettet!«
William, der aschfahl war, blieb stehen und starrte Raven an. »Geht es dir gut? Wurdest du verletzt?«
»Mir geht es gut, dank Leander. Er ist gerade noch rechtzeitig gekommen.« Sie kniete sich auf den Hals des Drachen und schwang ihre Beine herum, dann rutschte sie zu Boden und nahm ihre Position unter seinem Kopf wieder ein, wobei sie ihre Arme ausstreckte.
»Wenn ihr dem Drachen Schaden zufügen wollt, müsst ihr an mir vorbei.«
Leander stieß ein leises Grummeln aus, das wie ein Schnurren klang und Dampf strömte aus seinen Nüstern.
»Er ist jetzt mein Krafttier«, verkündete Raven, »und ich werde ihn mit allem beschützen, was ich habe. Wenn es sein muss, mit meinem Leben.«
William blieb stehen, stemmte eine Hand in die Hüfte und winkte mit dem anderen Arm. »Schon gut, ich kenne diesen Blick. Legt eure Waffen nieder. Lasst sie erklären. Sie wird uns alle bekämpfen, wenn wir es nicht tun und George, ich weiß, dass sie es mit dir aufnehmen kann.«
»Das ist ein wilder Drache, der aus einem Gehege ausgebrochen ist! Er hat einen Bann abgewehrt. Er ist gefährlicher als alle anderen«, rief ein Trainer.
»Ja, ich weiß, aber mein Name steht auf dem Tor und ich sage: »Zurücktreten.« William sah Raven an. »Was meinst du damit, dass er jetzt dein Krafttier ist?«
»Er hat die Prüfung bestanden. Schulleiter Flynn hat uns seinen Segen gegeben.«
»Ich dachte, du sagtest, er sei zu einer Rettungsaktion ausgebrochen?«
Raven lächelte und wischte sich das Gesicht am Ärmel ab. »Am Ende war es beides. Ein Test ist geschafft, einer steht noch aus.«
William drehte sich zu den anderen um. »Geht zurück an die Arbeit. Das habe ich gehört, Rowdy. Wenn es dir nicht gefällt, kannst du es mit meinem alten Herrn besprechen. Geht schon, ihr lasst das Tageslicht ungenutzt verstreichen. Hier gibt es nichts mehr zu sehen.« Er drehte sich um und kam näher an Leander heran. »Darf ich dich streicheln?«
»Nur wenn du den Arm satt hast«, knurrte der Drache.
»Na gut.« William zog seine Hand zurück. »Ravens Krafttier, nicht meins. Ich kann nicht behaupten, dass ich jemals einen Drachen als Krafttier hatte.« Er nahm Raven in eine feste Umarmung. »Eine Prüfung geschafft! Glückwunsch!« Er trat zurück und grinste sie an. »Das sollte mich nicht überraschen, Raven Alby. Du hast etwas Besonderes an dir.«
»Wir haben noch eine Prüfung vor uns und nicht viel Zeit.« Sie griff nach oben und strich über Leanders Kinn.
»Stimmt, aber ich glaube, ich habe etwas, das dich beruhigen wird und das ist schon in kürzester Zeit. Die Ausbilder der Stufe 1 treffen sich ein paar Tage vor Beginn der Prüfung. So können sie sich einen Überblick über die Konkurrenz verschaffen und haben Zeit, ihre Drachen unter dem Druck der anderen neuen Drachen zu testen. Du kannst Leander ein letztes Mal vor den Prüfungen testen.«
William sah Leander an. »Du musst an der Leine kommen, sonst ist das absolut nicht möglich. Stimme dem jetzt zu.«
Raven schaute in das große Auge direkt neben ihrem Kopf. »Nicht mehr lange«, sagte sie.
»Es muss sein. Ich stimme zu.«
William griff nach oben und hielt sich an den Stäben des nahen Zauns fest, beugte sich vor und drückte seine Stirn dagegen. »Die Sache ist die. Die Konkurrenz ist jedes Jahr sehr stark . Ausnahmslos. Du willst nicht nur schnell genug sein, du willst der Schnellste da draußen sein. Die Richter für die Prüfungen werden auch zusehen und wenn du der Schnellste bist, bekommst du eine Ausnahmegenehmigung und bestehst automatisch.«
Raven hörte auf, den Sand von ihrer Hose zu bürsten und zog die Polster aus, die sie noch immer trug. »Ein Schlupfloch! Das hast du noch nie erwähnt.«
Er schnalzte mit der Zunge. »Weil ich nicht dachte, dass ihr je eine Chance hättet, so weit zu kommen. Du warst eine Zeit lang eine menschliche Murmel. Außerdem wollte ich nicht, dass du dir Hoffnungen auf eine frühe Begnadigung machst. Wenn er heute Abend nicht der Schnellste ist, gibt es immer noch die Tests. Ihr habt noch drei weitere Chancen.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß es nicht. Ich glaube, ihr könntet heute Abend alles schaffen. Vielleicht. Vergesst nicht, es ist eine harte Konkurrenz. Jeder wird um sein Leben reiten.«
Sie sah ihn ungläubig an. »Weil allen Verlierern die Flügel gestutzt werden.« Sie legte ihre Hand auf Leanders Hals und spürte, wie die Schuppen erschauerten.
»Nun, ja, so ungefähr. Jedes Jahr gibt es etwa zwanzig Ausbilder mit Drachen. Die hoffnungslosen Fälle sind diejenigen, denen die Flügel gestutzt werden. Wenn ein Drache gut abschneidet, aber nicht gewonnen hat, bekommt er seine Chance bei den Prüfungen. Sie bekommen drei weitere Versuche.«
Raven biss sich auf die Unterlippe und presste ihre Hand auf ihre Brust. Sie konnte spüren, wie Leanders Energie sie durchströmte. »Wir können es schaffen.«
William klatschte in die Hände. »Gut, aber werdet nicht übermütig. Ihr werdet es mit einigen der Besten zu tun haben, die seit Jahren Drachen trainieren und die wollen genauso gewinnen wie ihr.« Er sah Raven an, die mit Sand und Schweiß bedeckt war und lächelte. »Du musst dich umziehen. Ich habe ein paar alte Klamotten von einem Trainer, die passen müssten. Sei auf alles gefasst.«
* * *
Raven ging neben Leander auf und ab während sie auf William warteten. Ihre Tasche, dessen Riemen sie umklammerte, schlug bei jedem Schritt gegen ihren Rücken. Sie schüttelte ihre Hände aus und holte tief Luft, blähte ihre Wangen auf und atmete wieder aus.
»Das ist nicht hilfreich«, knurrte Leander. »Ich spüre deinen Herzschlag. Du warst ruhiger im Kampf gegen diese junge Magierin.«
»Ich bin besser im Kämpfen. Da habe ich das Gefühl, mehr Kontrolle zu haben. Diesmal sind wir der Gnade der Richter ausgeliefert.«
»Die kürzeste Zeit gewinnt. Das scheint wirklich einfach zu sein.«
»Das schnellste Team, das auch den Parcours absolviert. Die Richter können entscheiden, wer es besser gemacht hat, wenn es knapp ist.«
»Danach haben wir noch drei weitere Chancen. Wir können das schaffen, Raven Alby. Wir sind ein gutes Team.«
Raven ruckte mit dem Kopf und sah den Drachen an. Sie zog die Augenbrauen zusammen und ließ ihren langen, dicken, roten Zopf über eine Schulter gleiten. »Seit wann bist du der philosophische Typ? Wo sind das Feuer und die Drohungen? Warum versprichst du nicht, mich mitten im Parcours abzuwerfen und wegzufliegen? Warte mal, mehr als eine beiläufige Drohung hast du schon lange nicht mehr gemacht. Geht es dir gut?«
»Du hast dich in den letzten Wochen verändert. Du tust das nicht mehr, um etwas zu beweisen. Es ist dir wirklich wichtig, was mit mir passiert.« Der Drache machte ein paar Schritte, die Muskeln unter seinen Schuppen kräuselten sich.
»Es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe. Ich sah nur, was ich wollte und wie ich es bekommen konnte. Lange Zeit schien es, als wärst du mir im Weg. Jetzt verstehe ich es.«
»Erzähl es mir.« Seine tiefe Stimme grollte, als er sich niederließ und den Boden um Ravens Füße herum erschütterte.
»Ich habe versucht, alles allein zu machen. Ich habe niemandem vertraut, nicht wirklich, aber wir sollen alle zusammenarbeiten. Wir müssen uns gegenseitig vertrauen, dann haben wir die besten Chancen.« Sie schob sich den Riemen der Tasche über den Kopf und befestigte ihn am Sattel. »Ich würde gerne sagen, dass ich mich davon gelöst habe, ein bestimmtes Ergebnis zu wollen, aber für dich kann ich das nicht. Ich kann nicht dabei zusehen, wie dir die Flügel gestutzt werden. Du verdienst es, zu fliegen und zu schweben und ein Krieger zu sein, Leander.«
»Mit dir, Kriegsmagierin.«
William näherte sich und führte Teo. »Bereit zum Aufbruch? Jetzt wird keine Miene mehr verzogen. Ihr zwei könnt das schaffen.«
»In Ordnung, Bruchpilot.« Der Drache gab ein leises Grummeln von sich, das wie ein Lachen klang.
Raven grinste und öffnete überrascht ihren Mund. »Das ist das erste Mal, dass ich dich lachen höre! Richtig lachen! Schön zu wissen, dass die Beleidigungen nicht verschwunden sind.«
»Nur mit jemand anderem als Zielscheibe«, kommentierte William mit einem schiefen Lächeln, dann stellte er einen Fuß in Teos Steigbügel, hob sich auf den Rücken des silbernen Drachen und nahm die Zügel in die Hand. Raven tat das Gleiche mit Leander und lehnte sich zurück, bis ihr Gewicht ausgeglichen war. »Heute Nacht reiten wir!«
»Es ist Nachmittag. Wofür war das denn?« William lachte.
»Keine Ahnung, aber es hörte sich gut an.« Raven lächelte, als der große rote Drache seine Flügel ausbreitete, sich in die Luft erhob und schnell an Höhe gewann. Der Wind rauschte an Ravens Gesicht vorbei und ließ ihren Mantel in der Brise flattern.
»Ich übernehme die Führung«, rief William und flog so nah heran, dass sich ihre Flügelspitzen berührten. Raven nickte und er flog nach links in Richtung der Stadt Nadine, einem beliebten Handelsposten, der für seine Drachentrainer bekannt war.
Raven sah ein Stück bauschiger weißer Wolken direkt über ihnen und griff über sich. Ohne sich auch nur nach ihr umzudrehen, hob Leander den Kopf und schwebte nach oben, mitten durch die Wolken hindurch. Raven lachte auf und hatte Tränen in den Augen, als sie hindurchstießen, kurz auftauchten, während William noch unter ihnen war, und dann wieder verschwanden, nur um kurz darauf wieder aufzutauchen.
Der Drache schaute zurück und lächelte, wobei er zwei Reihen scharfer Zähne zeigte, bevor er seine Flügel so weit anspannte, dass er wieder abtauchte und neben Teo und William herflog.
Sie flogen in die Nähe des Gebirgszuges und Raven spähte rechtzeitig hinunter, um zu sehen, wie eine Schar Zwerge in einer Höhle verschwand.
Ab und zu, wenn sie über die offene Prärie flogen, sah sie lange Streifen umgeworfener Erde, die in einem kreisförmigen Erdwirbel endeten. Es waren nicht viele, aber sie schienen ein Muster zu bilden: sie alle zeigten in östliche Richtung, in Richtung Brightons.
Das hatte ich fast vergessen .
Sie hielt sich am Sattel fest und presste ihren Fuß gegen die Haut des Flügels. Sie lehnte sich nach rechts, um einen besseren Blick zu haben, als Leander sogleich tiefer flog, da er ihr Verlangen spürte.
Ein großes Tier ist dafür verantwortlich.
Nein. Jetzt nicht, Alby .
Sie setzte sich aufrecht in den Sattel, als Leander an Höhe gewann.
Heute geht es darum, Leander zum Sieg zu verhelfen. Kein Schwarm. Nur ein Märchen .
Sie tastete ihre Jackentaschen nach der Kugel ab und betrachtete die Tasche, der hinten am Sattel festgebunden war. Sie schüttelte den Kopf und presste ihre Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. »Das spielt keine Rolle. Der Schwarm ist tot und verschwunden.« Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und beugte sich über den Hals des Drachen, mit dem Blick in den Wind und in Richtung Nadine, während ihre Finger die rubin- und silberfarbene Brosche nachzeichneten.