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Die restliche Woche verging wie im Flug. Die große Eröffnung meiner Buchhandlung Market Street Mysteries wurde ein Riesenerfolg. Die Kunden strömten in den Laden, und die Verkaufszahlen waren vielversprechend. Ich war froh, dass ich meine Neffen und Dawson angeheuert hatte.

Chris hatte ein Händchen für Schaufenstergestaltung, den Umgang mit den Kunden und fürs Marketing und konnte gut organisieren. Er arbeitete außerdem an einer Webseite und hatte Ideen, wie ich einen lukrativen Online-Verkauf mit sehr geringen Betriebskosten aufziehen könnte. Er studierte Betriebswirtschaft an der Uni, und zwar ziemlich erfolgreich. Zaqs Begabung lag bei der Technik. Er war ein Genie, wenn es um die Tücken meines Kassensystems ging. Ich nannte ihn meinen »Kassenflüsterer«.

Dawson hatte keine Ahnung von Kriminalliteratur, aber er war unglaublich stark und schleppte haufenweise Bücherkartons. Als begabter Koch beherrschte er das komplizierte Espresso-Gerät spielend, das meine Schwester Jenna für die Eröffnung gekauft hatte.

Am späten Abend backte er in meiner Küche Kekse, Brownies und eine Köstlichkeit, die er »Chess Bars« nannte. Wir verschenkten sie an die Kundschaft, ebenso die Leckereien, die wir in der nahen Bäckerei gekauft hatten. Dawsons Gebäckstücke waren eindeutig die beliebtesten. Ich erwog bereits, die Teestube früher zu eröffnen als geplant. Das könnte sich als gute Einnahmequelle erweisen, zumal Dawson wirklich sehr gern backte.

Nana Jo diente den unerfahrenen Krimilesern mit Empfehlungen und tat das ausgezeichnet. Sie stellte ihnen ein paar allgemeine Fragen wie Welche Fernsehsendung sehen Sie am liebsten? Welcher ist Ihr Lieblingsschauspieler oder Ihr Lieblingssänger? Aufgrund der Antworten lenkte sie sie zu den verschiedenen Subgenres, etwa britischen Wohlfühlkrimis, harten Privatdetektivromanen oder wahren Kriminalfällen. Ob das eine erfolgreiche Methode war, würde sich erst noch zeigen, aber ich hatte das Gefühl, dass sie einer guten Sache auf der Spur war.

Jenna kam für ein paar Stunden vorbei und half beim Dekorieren. Sogar meine Mutter unterstützte mich, indem sie mit Snickers und Oreo spazieren ging, sodass ich mich auf die Kunden konzentrieren konnte.

Wir waren derart beschäftigt, dass ich keine Zeit hatte, an Clayton Parker zu denken. Nachdem meine Aufregung abgeflaut und der Kundenstrom leichter zu bewältigen war, konnte ich wieder ans Ermitteln denken.

Aber erst einmal musste ich mich bei Mrs Parker entschuldigen. Nana Jo und die Jungs hatten im Laden alles im Griff, und deshalb packte ich einen Kuchen ein, den Dawson und ich am Vorabend gebacken hatten. Wir hatten zwei gebacken, einen für unsere Kundschaft und einen als Friedensangebot für Mrs Parker. Damit stieg ich also ins Auto.

Clayton Parkers Haus war eines jener modernen Strandhäuser, die Nana Jo als »pompöse Neureichenvilla« bezeichnete, und stand am schönen Südostufer des Michigansees.

Zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wurden auf dem Michigan Autoteile zu den Fabriken transportiert. Als die Autofabriken geschlossen und ins Ausland verlegt wurden, hinterließen sie leere Fabrikhallen und verschmutzte Strände.

Später kamen die Bewohner Chicagos, die die Seegrundstücke in Illinois nicht mehr bezahlen konnten, nach South Harbor auf der Suche nach billigeren Ferienhäusern. Sie kauften die Ufergrundstücke auf und kämpften gemeinsam mit Umweltschützern dafür, dass die Stadtverwaltung die Strände reinigte, was diese auch tat. So entstand am Seeufer eine hässliche Mischung individueller Bauten. Die große Glas- und Stahl-Konstruktion der Parkers stand zwischen einem hellgelben Neuengland-Cottage und einem rosa Strandhaus auf Stelzen.

Ich bog in die Einfahrt und bewunderte die Schönheit des Sees … oder zumindest das, was ich davon sehen konnte. Dabei raffte ich meinen Mut zusammen. Schließlich nahm ich den Kuchen vom Beifahrersitz und stieg aus. Schreckliche Aufgaben bringt man am besten schnell hinter sich. Ich ging um einen schwarzen BMW und ein hellrotes Bentley-Cabrio herum.

Mrs Parker hatte also ein neues Spielzeug. Im Vorgarten steckte ein diskretes Verkaufsschild mit einer Telefonnummer im Rasen. Ich nahm mir vor, Chris Martinelli zu fragen, seit wann das Haus auf dem Markt war. Ich tippte darauf, dass es erst seit Kurzem angeboten wurde.

Ich klingelte und wartete. Gerade wollte ich ein zweites Mal auf den Knopf drücken, als die Tür geöffnet wurde. Mrs Parker sah mich und rollte mit den Augen. Ehe sie mir die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, hielt ich ihr den Kuchen hin.

»Mrs Parker, mir tut sehr leid, was mir da neulich passiert ist. Bitte, darf ich hereinkommen?«

Sie zögerte so lange, dass ich schon glaubte, sie würde mich abweisen. Doch sie wandte sich schnaubend ab und ließ die Tür offen, was ich als Einladung verstand.

Ich betrat das Haus. Da ich in der einen Hand den Kuchen, in der anderen meine Tasche trug, schloss ich die Tür vorsichtig mit dem Fuß. Die Einrichtung war elegant und modern. Der große Wohnbereich hatte weiße Wände, hohe Decken und eine Glaswand mit Blick über den Strand. Schwarze Ledersofas und Glastische dominierten den Raum. So behutsam ich auch auftrat, auf dem glatten, hellen Marmorboden klangen meine Absätze bei jedem Schritt wie Hufgetrappel.

Mrs Parkers Outfit aus Yoga-Hosen und Sport-BH gewährte freien Blick auf ihre ausgeprägten Bauchmuskeln. Sie stand vor dem Kamin, die Arme vor der Brust verschränkt, und blickte mich arrogant an.

Ich schaute mich nach einem geeigneten Platz für den Kuchen um. Die Tische und Sideboards sahen nicht so aus, als hätte jemals ein Kuchen darauf gestanden. Mrs Parker erbarmte sich meiner. Sie nahm mir den Kuchen ab und ging um die Zimmerecke in die Küche. Ich folgte ihr und gab mir Mühe, leise aufzutreten, allerdings achtete ich noch mehr darauf, nicht auszurutschen.

Als ich um die Ecke bog, stellte sie den Kuchen gerade auf die Granitplatte der Kücheninsel. Ich hievte mich auf einen Barhocker, hauptsächlich um der Rutschgefahr zu entgehen, und lächelte so gewinnend, wie ich konnte. »Das ist ein Karottenkuchen. Er schmeckt köstlich zu Kaffee.«

Sie verstand den Wink und nahm zwei Kaffeebecher aus einem weißen Schrank, stellte sie in eine schwarze Kaffeepad-Maschine, legte zwei Pads ein und drückte auf einen Knopf. Augenblicklich wehte frischer Kaffeegeruch durch den Raum, und die elegante schwarz-weiße Küche wirkte einladender. Als beide Becher gefüllt waren, stellte Mrs Parker einen vor mich hin und gab mir einen Löffel und eine Zuckerschale.

»Sahne?« Sie hielt eine Flasche Baileys hoch.

»Oh ja.« Ich merkte, dass ich grinste, konnte aber nichts dagegen tun.

Es gefiel mir, wie großzügig sie von dem Kuchen abschnitt.

Wir aßen schweigend, vertieft in den nussigen Geschmack. Der Quark-Sahne-Guss hielt den Kuchen zusammen. Ich vergaß, wo ich mich befand. Ich glaube, ich stöhnte sogar.

»Der ist köstlich.« Mrs Parker leckte ihre Gabel ab. »Haben Sie den gebacken?«

Sieh mal an, was Kuchen alles bewirken kann. Ich schüttelte den Kopf. »Schön wär’s. Das ist das Verdienst meines neuen Angestellten in der Buchhandlung. Er kann fantastisch backen und hat mir geholfen.«

Sie kratzte alle Krümel zusammen und aß sie, dann stellte sie den Teller in die Spüle. Nachdem sie ihre Gabel noch einmal abgeleckt hatte, sah sie mich an. »Also gut, Sie haben die Bestie gezähmt. Was wollen Sie?« Ihr Ton war viel netter als ihre Wortwahl.

»Ich möchte Ihnen noch mal mein Beileid aussprechen und mich für mein Benehmen bei der Trauerfeier entschuldigen. Ich vertrage nur wenig Alkohol, hatte aber bestimmt vier oder fünf Gläser Sekt getrunken, noch dazu auf leeren Magen. Das entschuldigt es natürlich nicht, aber …«

Sie hob die Hand. »Ist schon gut. Vergessen Sie’s.«

»Danke.« Ich hatte mir vorher verschiedene Varianten einer Entschuldigungsrede zurechtgelegt, und keins meiner Szenarien hatte vorgesehen, dass mir verziehen wurde. Jedenfalls nicht so schnell.

»Wollten Sie sonst noch etwas?«

Wenn ich nicht unverzüglich handelte, würde sie mich zur Tür bringen, ohne dass ich etwas erfahren hätte. Und so platzte ich mit der Frage heraus: »Mrs Parker, warum sind Sie ohnmächtig geworden, als ich erwähnte, dass Ihr Mann in meinem Garten gestorben ist?«

Sie riss sich ein Küchenpapier ab und wischte über die blitzsaubere Arbeitsfläche. Ihr Schweigen hing wie ein übler Geruch in der Luft, doch ich versuchte nicht, es zu vertreiben. In meinen Jahren als Lehrerin hatte ich die Macht des Schweigens kennengelernt.

Schließlich wandte sie sich mir zu. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

»Wirklich? Sie haben so lange überlegt, und etwas Besseres fällt Ihnen nicht ein?«

Meine Direktheit schockierte sie offenbar.

Ich bedachte sie mit meinem Das-kannst-du-besser-Gesichtsausdruck.

Sie lächelte. Das Lächeln verwandelte sich in Lachen, und dann lachten wir beide.

»Ehrlich gesagt weiß ich es nicht. Ich nehme an, ich war geschockt.«

Ich setzte zum Widerspruch an.

Sie stoppte mich mit einer diskreten Handbewegung. »Das klingt lahm, ich weiß, doch das ist die Wahrheit. Seit mir die Polizei mitgeteilt hat, dass Clay ermordet wurde, bin ich sehr dünnhäutig.«

Verständlich. Allerdings sah ich ihr an, wie sich die Rädchen in ihrem Kopf drehten.

Sie blickte mir ins Gesicht, als suchte sie nach etwas Bestimmtem. Und offenbar fand sie es. »Clay hat sich monatelang sonderbar verhalten. Fragen Sie mich nicht, warum. Er hat seine Angelegenheiten nie mit mir besprochen. Ich war nur seine Vorzeigefrau. Er schmückte sich mit mir bei gesellschaftlichen Anlässen. Das sonderbare Verhalten hatte mit Ihrem Haus zu tun. Zuerst war er froh, einen Käufer gefunden zu haben, doch dann bekam er Angst.«

»Angst? Wie meinen Sie das?«

Sie überlegte. »Das ist schwer zu erklären. Er trank mehr als sonst. Er schlief kaum. Er wurde über jede Kleinigkeit wütend. Er fing an, ins Casino zu gehen.«

»Hat er viel gespielt?« Ich trank einen Schluck von meinem Kaffee. Er war inzwischen kalt, aber mit dem Baileys schmeckte er nach mehr.

Mrs Parker schaute durchs Fenster auf den Strand, wo die Wellen über den Sand leckten. Sie schüttelte sich. »Das habe ich nicht angenommen, doch es muss so gewesen sein. Er erzählte nie etwas von seinen Geschäften, seinen Finanzen oder gar Persönliches. Wir waren lange miteinander verheiratet, aber nur auf dem Papier.«

Da sie so offen über ihre Beziehung sprach, wagte ich, neugieriger zu werden. »Es war neulich nicht zu übersehen, dass Sie ein junger Adonis zur Trauerfeier begleitet hat.« Ich zog eine Braue hoch.

Sie kicherte wie ein Schulmädchen. »Hans. Hans Ritter. Er ist mein persönlicher Trainer.«

»Hmhm, ich verstehe. Ihr sehr persönlicher Trainer.«

Sie lachte. »Hans ist ein Schatz. Er behandelt mich gut.« Sie stockte. »Ich weiß nicht, wieso ich Ihnen das erzähle. Ich kenne Sie nicht einmal.«

»Manchmal ist es leichter, mit einem fremden Menschen zu sprechen. Übrigens, ich heiße Samantha Washington, aber sie können mich Sam nennen.« Ich drehte mich auf meinem Hocker zu ihr.

»Diana.«

»Wunderbar. Und jetzt erzählen Sie mir von Hans.« Ich ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen.

»Na gut, was soll’s.« Sie legte zwei weitere Pads in die Kaffeemaschine und füllte unsere Becher auf. Diesmal setzte sie sich neben mich, und wir tranken unseren Kaffee.

»Hans und ich sind seit über einem Jahr zusammen. Er wollte, dass ich Clay verlasse. Er wusste, dass ich mit meinem Mann unglücklich war.«

»Warum haben Sie es nicht getan?«

Sie starrte in ihren Becher.

Dabei ging mir ein Licht auf. »Das konnten Sie nicht, weil Sie einen Ehevertrag unterschrieben hatten?«

Ihr Blick hellte sich für einen Moment auf und wurde wieder düster. »Wie kommen Sie darauf?«

»Ich finde, das sähe Clayton ähnlich.« Ich war nicht darauf erpicht, das zarte freundschaftliche Band zwischen uns zu zerreißen. Deshalb machte ich ein mitfühlendes Gesicht und wartete ab, ob sie mehr erzählte.

»Ich habe tatsächlich einen Ehevertrag unterschrieben. Wenn ich ihn verlassen hätte, hätte ich mit leeren Händen gehen müssen. Das hört sich vielleicht geldgierig an, doch ich habe zu viel Zeit und Kraft in diese Ehe investiert.« Sie redete schneller und lauter. »Ich habe all seine Launen ertragen, mir seine Seitensprünge und sein herablassendes Benehmen gefallen lassen. Da wollte ich nach zehn Jahren nicht vor dem Nichts stehen.« Den letzten Satz schrie sie förmlich, doch sie trank einen Schluck Kaffee und gewann die Fassung wieder. »Jetzt halten Sie mich sicher für eine hoffnungslose Materialistin.«

»Eigentlich nicht. Ich hatte das Pech, Clayton Parker kennenzulernen. Er war ein Arschloch erster Güte.« Kaum war mir das rausgerutscht, bekam ich einen Riesenschreck. Es war eine Sache, wenn sich die Witwe schlecht über ihren verstorbenen Mann äußerte, jedoch eine ganz andere, wenn eine flüchtige Bekannte das tat.

Diana Parker schien das aber nicht zu beeinträchtigen. »Er war nicht immer so.« Sie neigte den Kopf und starrte in ihren Kaffee, als spiegelte sich darin die Vergangenheit. »Wenn er wollte, konnte er sehr charmant sein.« Sie lächelte geistesabwesend und wurde plötzlich ernst. »Aber auch grausam.«

»Kennen Sie jemanden, der seinen Tod wollte?«

»Sie meinen, außer Hans und mir?«

Ich hatte nicht andeuten wollen, dass ich sie des Mordes verdächtigte, doch Diana war nicht dumm.

»Je mehr Erfolg er hatte, desto grausamer wurde er. Er hatte eine unangenehme Art anzuecken. Die Liste der Leute, die ihn erwürgen wollten, ist wahrscheinlich eine Meile lang, aber ich habe ihn nicht umgebracht, und Hans auch nicht.«

Meine Zweifel waren mir offenbar anzusehen.

»Wir waren in der Mordnacht zusammen im South Harbor Inn . Die Polizei hat das bereits überprüft. Der Manager wird Ihnen sicherlich sagen, wann wir eingecheckt und wann wir das Motel verlassen haben.«

Ich blieb noch eine Viertelstunde. Diana Parker war eine einsame Frau, die eine Freundin brauchte, doch ich hatte mein Geschäft schon länger allein gelassen als beabsichtigt. Widerstrebend verabschiedete ich mich.

Während der Rückfahrt ging ich die gewonnenen Informationen durch. Ich wusste noch nicht, welche Bedeutung sie für den Fall hatten, aber sie schienen mir wichtig zu sein.

Den restlichen Nachmittag arbeitete ich in der Buchhandlung und nahm die Schreibarbeit in Angriff, die sich im Lauf der Woche angesammelt hatte. Christopher hatte Kassenberichte erstellt, die ich analysieren musste. Laut Handbuch würde man anhand dessen leichter über den künftigen Warenbestand entscheiden können.

Ich konnte mich kaum konzentrieren. Für Dawson die Garagenwohnung herzurichten, meinen Lebenstraum in Erfüllung gehen zu sehen, einen Kriminalroman zu schreiben und nebenher noch einen Mordfall aufzuklären, das war recht viel auf einmal, und ich fühlte mich ausgelaugt.

Bei Miss Marple sah das Ermitteln so mühelos aus, in Wirklichkeit war das eine Heidenarbeit. Nana Jo und ihre Damen hatten schon allerhand Informationen zusammengetragen, mehr als ich allein hätte sammeln können. Ich saß in meinem Büro und schaute in den Garten, Snickers schlief in einer sonnigen Ecke. Oreo beäugte eine freche Wanderdrossel, die über den Rasen lief. Meine Gedanken schweiften umher.

Leon war für mich stets präsent. Er hätte die Buchhandlung geliebt. Seinetwegen führte ich eine große Abteilung mit Hardboiled-Krimis.

Da wir beschlossen hatten, uns das Leben leicht zu machen und die Bücher alphabetisch nach den Autoren zu ordnen anstatt nach den verschiedenen Subgenres, schlug Zaq vor, Büchertische mit Titeln zu gestalten, die das Personal empfahl. Der Hardboiled-Tisch mit dem Aufsteller, der Leons Lieblingsromane auswies, trieb mir Tränen in die Augen. Er wäre darüber glücklich gewesen.

Nach der Eröffnung kamen weniger Kunden, aber das war zu erwarten gewesen. Meine Aufgabe war es, die Leute mit immer neuen Ideen in den Laden zu locken. Einige Leseklubs hatten bei mir angefragt, ob sie ihre Treffen bei mir abhalten dürften.

Obwohl meine Neffen meine Liebe zu Krimis nicht teilten, packten sie überall engagiert mit an, und dafür war ich ihnen dankbar. Dawson war ebenfalls großartig. Er erwies sich als zuverlässig, und sein Gebäck wurde zu einer Hauptattraktion. Ich hörte ihn zufällig mit Christopher darüber sprechen, wie man in einen der Lagerräume eine professionelle Küche einbauen könnte.

Ich trug die finanzielle Verantwortung, und daher widerstrebte es mir, größere Summen zu investieren, ehe sich zeigte, dass sich das Geschäft rentierte. Andererseits hatte ich das Haus zu einem günstigen Preis erworben. Ein paar Bauschäden hatten zwei örtliche Banken abgeschreckt, und der Kaufpreis war zwei Mal gesenkt worden. Aber Chris Martinelli und mein amischer Handwerker fanden sie leicht zu beheben.

Mit dem Geld aus der Lebensversicherung und dem Erlös aus dem Verkauf meines Hauses stand ich finanziell gut da. Ursprünglich hatte ich das Haus mittels Kredit kaufen wollen, doch dank Clayton Parkers Intrige bekam mein Banker kalte Füße. Schließlich bot mein Anwalt dem Verkäufer ein Bargeschäft im Gegenzug für einen raschen Abschluss an, und damit konnten wir Clayton Parker die Suppe versalzen.

Jetzt aus dem Fenster in den Garten zu schauen erfüllte mich mit Behagen und Genugtuung. Dieses Haus gehörte mir. Nach meinen Jahren als Lehrerin bekam ich noch meine Pension. Wenn ich auf extravagante Geldausgaben verzichtete, sollte ich ein angenehmes Leben führen können.

Es war Freitagabend, also Pokerabend für Nana Jo und die Damen. Christopher und Zaq hatten beide ein Date. Dawson hatte sich bereit erklärt, bis Ladenschluss zu bleiben und mir beim Aufräumen zu helfen. Die Sonne ging derweil unter, und ich sah auf die Uhr. Viertel vor acht. In einer Viertelstunde würde ich abschließen.

Ich wollte gerade aufstehen, als ein Schatten über den hinteren Zaun huschte. Oreos Knurren und seine sprungbereite Haltung sagten mir, dass er ihn auch bemerkt hatte. Snickers erhob sich, als er zu knurren anfing, und schaute nach draußen. Bis vor Kurzem hätte ich vermutet, dass da bloß ein Jugendlicher über den Zaun gestiegen war, um seine Notdurft zu verrichten, doch diese Zeit war vorbei, seit ein Mann in meinem Garten erstochen worden war. Ich griff nach dem Handy und rief die Polizei an.

Das Warten kam mir endlos vor. Ich spähte in die Dunkelheit und überlegte, die Hunde rauszulassen, damit sie sich des Eindringlings annahmen. Oreo hatte sich bereits als grimmiger Beschützer erwiesen, doch es hätte keinen Sinn, ihn in Gefahr zu bringen. Ich versuchte, keine Aufmerksamkeit zu erregen, und verhielt mich still, wobei ich in Gedanken die Pudel beschwor, meinem Beispiel zu folgen, was jedoch nicht wirkte. Sie sprangen bellend am Glastor hoch. Ob sie ihn vertrieben oder der Streifenwagen, der sich mit Sirene näherte, weiß ich nicht, jedenfalls verzog sich die dunkle Gestalt wieder.

Der Polizist suchte den Garten ab, fand aber nichts Nennenswertes. Er versprach, die Kollegen von der Innenstadtstreife zu bitten, häufiger durch meine Straße zu fahren, und Detective Pitt in Kenntnis zu setzen für den Fall, dass mein »angeblicher Eindringling« mit dem Mordfall zu tun haben könnte. Die Aussicht auf einen neuerlichen Besuch von Stinky Pitt bescherte mir einen bitteren Geschmack im Mund.

Ich brauchte einen Drink. Ich warnte Dawson, der versprach, wachsam zu sein und nichts Dummes zu tun. Durch Football war er zu einem kräftigen jungen Mann geworden, dennoch wäre er für einen bewaffneten Einbrecher kein Gegner.

Ich musste mich dringend entspannen und begab mich nach oben. »Angeblicher Eindringling. Dass ich nicht lache!«