WIE GEPLANT, HATTEN SASCHA und Stanislav Herrn Möller sehr schnell an der Stelle, an der wir ihn haben wollten. Er war wie Wachs in Saschas Händen. Er musste nur noch zügig zu dem geformt werden, was wir brauchten, bevor er endgültig schmolz und zerfloss.
»Wie nennst du deine Freundin, wenn du sie nicht Schlampe nennst?«, wollte Sascha wissen.
»Ich … Bascha. Meine Freundin heißt Bascha«, antwortete Möller.
»Das ist mir klar. Aber es soll ja Leute geben, die geben ihren Frauen Kosenamen. Weil die Frau zum Beispiel Hildrun heißt, und dieser Name völlig unerotisch ist. Oder weil die Frau tatsächlich riecht wie eine Rose. Also, wie nennst du Bascha, wenn es romantisch wird?«
»Hase.«
»Und wie nennt sie dich?«
»Tut das was zur Sache?«
»Nein. Aber ich bin nun mal der Typ mit dem lustigen Video, also stelle ich auch die lustigen Fragen.«
»Sie nennt mich … Rammler.«
Sascha würgte ein Lachen herunter, als er sich vorstellte, wie Rammler Möller mit seinem polnischen Hasen romantisch wurde.
»Gut, dann mal zum Diktat, Herr Rammler.«
Sascha legte Stift und Papier auf den kleinen Schreibtisch an der Wand und wies Möller an, sich zu setzen.
»Was passiert jetzt?«
»Du bist ab sofort nicht mehr ›Mr. Ich-töte-die-Schlampe‹ sondern ›Mr. Mit-dir-will-ich-mein-Leben-verbringen‹. Deshalb schreibst du deinem Hasen jetzt einen kleinen Brief, der erklärt, warum du übers Wochenende weg bist.«
»Was heißt … weg?«
Möllers Frage wurde von Sascha übergangen. »Schreib Folgendes: Mein liebster Hase, ich bin über das Wochenende für unsere Liebe unterwegs. Frag nicht weshalb. Nur so viel: Es geht um unsere Zukunft. Am Montag erfährst du alles. Dein dich liebender Rammler.«
Was diesen Teil des Plans anging hatte ich ein wenig ein schlechtes Gewissen. Es war moralisch nicht okay, Herrn Möller dazu zu bringen, seine völlig unbeteiligte Lebensgefährtin anzulügen. Aber eine ahnungslose Freundin, die hysterisch nach ihrem verschollenen Polizisten-Rammler suchte, wäre auch nicht okay, wenn man schon genug mit der Beseitigung von eben diesem Polizisten und zwei Mafiosi zu tun hat. Zum Glück versicherte mir der Ratgeber von Joschka Breitner, dass Lügen an sich nichts Schlimmes ist. In diesem Fall schon mal gar nicht.
»Lügen belasten das Gewissen. Wahrheit befreit. Sagt man. Das stimmt aber nicht. Der Umgang mit der Wahrheit ist oftmals schwieriger als der Umgang mit der Lüge. Die Wahrheit kann verletzender sein als die Lüge. Manche Wahrheit geht auch niemanden etwas an und darf durch eine Lüge geschützt werden. Wichtig ist, aus welcher Haltung heraus Sie sich selber für die Lüge oder für die Wahrheit entscheiden.«
Es wäre ziemlicher Humbug gewesen, wenn Möller auf den Zettel geschrieben hätte: »Mein Hase, ich bin ein korrupter Bulle. Ich habe keine Ahnung, ob wir uns je wiedersehen. Wahrscheinlich bin ich gleich tot. Dein Rammler.«
Und wie Sascha mir im Nachhinein berichtete, waren achtsame Argumente zur Motivierung von Möller völlig überflüssig.
Nachdem Herr Möller seine Bascha als Schlampe beleidigt und beinahe erschossen hatte, fiel es ihm relativ leicht, sie sogar schriftlich anzulügen. Zumal ihm gerade zwei Mafiosi mit Existenzvernichtung drohten und diese Lüge die einzige Möglichkeit war, dass seine Bascha die Sache mit der Schlampe und dem Erschießen nie erfahren würde. Das Lügen erleichterte ihm die Situation auch ohne Kenntnis von Achtsamkeit ungemein.
Er schrieb den gewünschten Zettel sogar in seiner schönsten Schrift.
Sascha las sich den Zettel durch und gab ihm der Frau vom Security-Pärchen, das mittlerweile wieder vollständig bekleidet war.
Das Pärchen verließ die Suite und begab sich in die Bar des Hotels. Dort fand der Zettel unbemerkt seinen Weg in die Handtasche von Bascha, die ihn vermutlich eine Stunde später auf der Suche nach ihrem Haustürschlüssel dort finden würde.
»So«, sagte Sascha, »dann wird es jetzt Zeit, dass wir uns um deinen Anruf bei Toni kümmern …«
»Warum soll ich Toni anrufen?«, wollte Möller ängstlich wissen.
»Na, ein letzter Anruf bei Toni halt. Das ist dann das Ende einer langjährigen Zusammenarbeit.«
»Was soll ich ihm sagen?«
»Sag ihm, dass unser netter Anwalt Herr Diemel im Keller von Walters Security-Firma irgendeinen Malte gefangen hält.«
»Aber …«, Möller dachte offensichtlich mit, »woher weiß ich das?«
»Weil Herr Diemel mir das vorhin per SMS geschrieben hat und du das als ermittelnder Polizist natürlich gelesen hast«, erläuterte Sascha.
»Oder sollen wir diese SMS auch noch für dich faken, damit du in die Gänge kommst?«, sagte Stanislav.
»Ja, aber was soll ich ihm genau sagen?«
»Also schön, spielen wir die Sache einfach mal durch.« Sascha nahm die Blumenvase, die auf dem Tisch stand, in die linke Hand.
»Das hier ist Herr Diemel.«
Dann nahm er die Fernbedienung, die auf dem Fernseher lag, in die rechte.
»Und das bin ich.«
Er hob die Fernbedienung an.
»Ich so zu Herrn Diemel: ›Der Typ in Walters Keller wird langsam wach.‹«
Jetzt hob er die Vase an.
»Herr Diemel so: ›Hat er schon was gesagt?‹ Ich so: ›Nö. Nur, dass er Malte heißt. Ist noch total benommen. Soll ich Toni verständigen?‹ Herr Diemel so: ›Noch nicht. Ich will den Typen vorher alleine sprechen.‹ Ich so: ›Wann?‹ Er so: ›In zwei Stunden.‹ Beide so: nix mehr.«
Sascha sah Möller an. »Verstanden?«
Auf diesem Grundgesprächsniveau fühlte sich Möller offensichtlich heimisch. Er nickte.
»Dann mal ran ans Handy!«
Möller holte sein Handy raus und rief bei Toni an. Toni nahm sofort ab. Ohne jede Nachfrage schluckte er, dass offensichtlich der von ihm angeheuerte Killer – warum auch immer – im Keller von Walter hockte. Und dass er offensichtlich kurz davor war auszupacken. In spätestens zwei Stunden würde er Diemel, also mir, alles erzählen.
Toni bedankte sich bei Möller und legte auf.
Dem am Vorabend besprochenen Plan folgend, nahm Stanislav Möller unter seine Fittiche, und Sascha rief mich an, um Vollzug zu melden. Toni war inzwischen schon auf dem Weg zu Walter.
Sascha und ich machten uns ebenfalls auf den Weg. Und den Rest erlebte ich wieder live mit.