Kapitel 22

Ausgerechnet einen Tag bevor sie zurück nach Kärnten fahren will, wird Alex krank. Noch dazu mit Durchfall. Wird irgendwas Falsches gegessen haben im Park, glaubt Romana. Sie hat wenig Erfahrung mit Hunden und auch damit, sich um jemanden, um etwas zu sorgen. Selbst ihre Pensionsgäste können sich nicht über zu viel Fürsorglichkeit beschweren. Sie kriegen ihr Zimmer, ihr Frühstück und die Betten gemacht von der slowenischen Putzfrau. Für alle anderen Kalamitäten fühlt sie sich nicht zuständig. Lästigen Gästen begegnet sie so unfreundlich, dass die nicht zweimal fragen, wo die Sehenswürdigkeiten oder die besten Restaurants am Wörthersee zu finden sind. Dafür, sagt sie ihnen, gebe es Reiseführer, sie sei ja schließlich Pensionswirtin und keine Auskunftei.

Und jetzt schaut das arme Hascherl sie an, als hinge sein Leben von ihr ab. »Ist ja gut, Alex«, sagt Romana und tätschelt ihren allerersten Lebensgefährten. Was tun? Erst klopft sie an Lottes Tür, doch die meldet sich nicht. Dann ruft sie Martin an, und der geht nach langem Läuten ans Telefon. Er klingt zwar gehetzt und gar nicht zum Plaudern aufgelegt, aber das ist ihr wurscht. Sie erzählt ihm von Alex’ Leiden, nicht im Detail, aber immerhin so, dass es klingt, als würde der Hund in Lebensgefahr schweben. »Und jetzt sag mir, was ich tun soll, weil deine Mutter macht die Tür nicht auf. Wahrscheinlich meditiert sie wieder, das ist ihr neuester Spleen.«

»Weißt du was«, sagt Martin genervt, »wenn es so ernst ist, dann geh doch in die Notfallambulanz von der Tierklinik. Und wenn du Glück hast, triffst du dort noch den Max Rainer, der so ausschaut, als könnt er keiner Fliege was zuleide tun.«

Der Gedanke ist reizend. Obwohl der gute Max offenbar auch seine Schwächen hat. »Du magst ihn wirklich nicht, oder?«

»Na ja«, sagt Martin mehrdeutig. »Also, schnapp dir ein Taxi und bring den Hund zum Wunderdoktor. Ich ruf dich heut Abend an.« Dann legt er auf, bevor sie noch Pieps sagen kann.

Romana beugt sich zu ihrem Hund: »Martin kann sehr uncharmant sein, und ich rate dir, mir nicht mit männlichen Launen zu kommen. Die kann ich nämlich überhaupt nicht leiden. Weshalb mir auch nie ein Mann ins Haus gekommen ist. Du bist der Erste, Alex, und ich hoff doch sehr, dass du dich dieser Aufgabe gewachsen zeigst.«

Er wedelt mit dem Schwanz, das ist doch ein gutes Zeichen. Was er dann allerdings macht, ist weniger schön. Romana putzt erst den Boden, ruft dann ein Taxi und schnappt sich den Hund und ein paar Hundesackerl. Im Wagen legt sie Alex auf eine Decke und hofft, dass es gut geht.

»A so a liabs Hunderl«, sagt der Taxler, der die Farbe von Ebenholz hat. Naturalisierter Österreicher. »Wos fehlt eam denn?«

Sie hält es für klüger, den Durchfall nicht zu erwähnen. »Hat was Falsches gessen«, meint sie nur und denkt für den Rest der Fahrt über Martin nach. Der wirkt in den letzten Tagen ein bisserl neben der Spur. Die Klagenfurterin? Scheint ja schon was Ernsteres gewesen zu sein. Lotte, mit der sie darüber sprach, schlug doch ernsthaft vor, die Lily anzurufen und ein gutes Wort für Martin einzulegen. Hubschrauber-Aktion ohne Fallschirm, Romana hat ihr das wieder ausgeredet. Der Bub sei schließlich alt genug, seine Amouren selber zu meistern. »Liebe«, meint sie zu Alex, dem Hund, »is der schönste Schmäh von allen.«

»Des war jetzt echt guat«, meint der Taxler, der bremst, weil sie am Ziel sind. Romana gibt ihm fünf Euro Trinkgeld und trägt Alex auf seiner Decke in die Klinik. Und sie hat Glück, riesiges Glück, denn in der Ambulanz steht Max am Schalter, er flirtet gerade mit der Rezeptionistin und lächelt strahlend, als er Romana mit Hund sieht. »Na, was fehlt ihm denn, Frau Petuschnigg? Ich hab ihn doch gegen alles geimpft.«

Romana erzählt vom Malheur, und Max zwinkert seinem hübschen Flirt zu. »Dann wollen wir den armen Kerl drannehmen, bevor er ganz dehydriert ist. Ein Dringlichkeitsfall.« Und damit schleust er Romana mit Hund an den Wartenden vorbei in das Behandlungszimmer. Das gefällt ihr sehr, und den anderen überhaupt nicht. Max untersucht Alex und meint dann, dass es keine Anzeichen von Vergiftung gebe. Er gibt dem wimmernden Kerl eine Spritze und Romana ein paar Tabletten, die solle er jeden Tag zweimal nehmen. »Das wird schon wieder, das ist nichts Ernstes. Gell, mein Kleiner?«

Alex, der sich von der Nadel erholt hat, wedelt freudig, bekommt ein Leckerli zur Belohnung, und Romana ist dem angehenden Veterinär vollständig verfallen. So fesch und so liab! Wie sehr sie es bedauert, ein paar Jahre zu alt zu sein. »Was schulde ich?«, fragt sie, und Max antwortet: »Nix. Das geht aufs Haus.«

»Dann darf ich dich wenigstens zu einem Kaffee einladen.«

Max sieht auf seine Uhr, sie ist neu und war teuer. »Mein Kollege ist noch hier, also geht ein schneller in der Kantine. Nur den Alex müssen wir in der Zeit hierlassen.«

Er sperrt ihn in einen der Käfige und schiebt noch ein Leckerli durchs Gitter.

»Wir sind gleich zurück«, versichert Romana ihrem neuen Lebensgefährten, dann folgt sie Max in die Kantine. Sie trinken Kaffee, und Max isst ein Stück Linzer Torte dazu. Blaue Augen unter dichten Wimpern, sie schauen so freundlich-verträumt, und sein Mund ist quasi ins Lächeln verliebt. Sie erzählt ihm, dass sie zurück nach Velden fährt, sobald es Alex besser geht, und lädt Max ein, jederzeit in die Villa Romana zu kommen. Als ihr Gast natürlich. Zimmer mit Seeblick, er müsse sich nur rechtzeitig bei ihr anmelden.

Ganz sicher werde er sie besuchen, meint Max, und erzählt ihr dann, dass Elvis ein neues Gelände für sein Hundeheim mit dem Haus Rita gefunden habe. Bei der Vermittlung des Überbrückungskredits für den Kauf habe er seinem Freund geholfen, weil Elvis sich mit Gelddingen nicht so auskenne. »Das Gelände ist in Liesing und viel größer als das in Simmering. Und ich überleg mir, ob ich auf einem Teil des Grundstücks eine Tierarztpraxis mit Klinik aufmache, wenn ich fertig bin.«

»Du bist so ein guter Mensch.« Romana neigt zur Bissgurn und nicht zur Schmeichlerin, aber hier sitzt sie nun und kann nicht anders.

»Nur bei den Viechern«, sagt Max wahrheitsgemäß. »Mit Frauen hab ich immer Probleme.«

»Warum denn?« Romana wünscht sich die gute Fee, die ihr einen Wunsch erfüllt: vierzig Jahre weniger!

»Ach weißt«, sagt er lachend, »ich kann einfach keiner widerstehen. Ich seh eine schöne Frau und muss sie … küssen … mindestens. Und weil das manchmal nicht hintereinander, sondern nebeneinander passiert, gibt’s halt Ärger.«

»Mit Bea Martini zum Beispiel?« Romana wiederholt den Satz mit der Liebe und dem Schmäh, und er meint, dass er dem Elvis auch eine nette Frau wünscht.

Romana schaut skeptisch drein: »Es muss an den Ohrwascheln liegen …«

»Nicht nur«, sagt Max. »Der Elvis kann so perfekt mit Hunden, da macht er alles richtig. Aber mit Frauen kann er nicht gut umgehen. Da wird er täppisch. Und dann ist da die Sache mit Rita. Seiner Schwester. Er hat sie abgöttisch geliebt.«

»Haus Rita«, denkt Romana, damit muss er ihr ein Denkmal gesetzt haben. »Und was ist da genau passiert?«

Max schaltet sein Lächeln ab. »Sie ist gestorben – vor ein paar Monaten. Rita hing an der Nadel. Und das hat aus einem hübschen jungen Mädel binnen zwei Jahren ein Wrack gemacht. Ich hab sie kaum wiedererkannt, als ich sie zum letzten Mal gesehen hab. Rita ist an einer Überdosis gestorben. In Renés Wohnung. Er war ihr Freund. Ritas Tod hat Elvis das Herz gebrochen. Er hat wirklich alles versucht, aber sie hing zu tief drin. Wollte nicht wieder in die reale Welt zurückkehren. Es war, als ob sie nur noch aus tausend kleinen Scherben bestehen würde. Jede davon tat weh – ihr selbst am meisten.«

»Tragisch«, sagt Romana. »Und komisch, dass jetzt René auf die gleiche Art gestorben ist.«

»Ist das nicht das vorhersehbare Ende? Wenn Junkies nicht an Aids oder Hepatitis sterben?« Jetzt klingt Max’ Stimme nicht mehr so weich und einschmeichelnd. »Die Hunde sind sein einziger Trost.«

So traurig sieht er aus, dass sie ihn am liebsten an die Brust nehmen möcht. Während sie überlegt, welche Geste angemessen wäre, schaut Max auf die Uhr: »Oh, jetzt muss ich aber wieder arbeiten – und du musst den Alex abholen. Danke für den Kaffee. Es war schön, mit dir zu plaudern.«

Na, na, denkt Romana, so schön war’s auch wieder nicht, die traurige G’schicht von Rita zu hören. Von Elvis und René, der seiner Freundin in die ewigen Jagdgründe gefolgt ist. Ob Martin das alles weiß? Sie wird es ihm am Abend erzählen, wenn er sie anruft. Zunächst holt sie Alex aus dem Käfig, nimmt ihn in den Arm und flüstert ihm ins Ohr, dass sie ihn sehr lieb hat. Das hat sie noch nicht vielen Kreaturen gesagt. Man muss Liebe sparsam einsetzen, sonst ist sie als Währung nix wert.

Romana verlässt die Tierklinik und steigt in das Taxi, das Max ihr gerufen hat. Ein Busserl auf die Wange war auch noch drin. Sein Bart kratzte nicht einmal. Für ein paar Sekunden hat sie sich wie ein junges Mädchen gefühlt. Es gibt keine guten Feen, die die Uhr zurückdrehen. Keine Wunder mehr. Aber immerhin hat sie Alex, ihre letzte, sehr haarige Liebe.