Kapitel 24

Helga Krautwaschl hat soo an Hals! A Chuzpe is des, dass die zwa Polizisten, einer davon der Blade aus der Apotheke, am heiligen Sonntag in aller Früh an ihrer Wohnungstür läuten. Wo samma denn? Bei den Nazis? »Seids ihr von da Gestapo?«, hat sie Martin und Franz zornig empfangen.

Schuldig? Na, schuldig fühlt sie sich net. Sie net. Schließlich hat sie kan umbracht. Im Gegensatz zu der rotschedlerten Nockn. Schreien und Streiten hat sie oben gehört. Und dann is die mit ihre Stöckeln über die Stiegen obag’fetzt, dass sie mit ihrem Schuh fast hängen blieben is. Da hat sie sie genau anschauen können. A Phantombild könnt sie zeichnen, wenn sie die Mörderin net eh bald danach in der Apotheke im siebenten Bezirk zufällig gesehen hätt. Ein Rezept von ihrem Internisten wollt sie dort einlösen, der in der Nähe seine Ordination hat. Da is sie dann da g’standen mit ihr’m weißen Mantel und die roten Haar, die Frau Apothekerin.

Was heißt Erpressung? Des harmlose Brieferl? Ma wird ja wohl no auf an Mörder a bisserl Druck ausüben dürfen, damit der nervös wird. Und a kloane Gabe von fünftausend Euro? Ja, es muass heutzutag jeder selber schauen, wo er bleibt. Das wissen doch sicher die Herren Polizisten aa.

Chefinspektor Glück und Leutnant Fassbender sind halb erschlagen vom Redeschwall der Pseudo-Hausmeisterin Krautwaschl. Immerhin haben sie herausgehört, dass Karin Kirchhofer ungefähr zum Zeitpunkt von Renés Tod vor Ort war. Jetzt ist die Apothekerin an die einsame Spitze der Hauptverdächtigen gerückt.

Martin passt das irgendwie nicht: »Kann aber doch sein, dass die den René schon tot vorgefunden hat und deshalb so schnell abgehauen ist. Vielleicht war der Max Rainer schon vor ihr da?«

Fassl antwortet nicht. Er hat genug damit zu tun, mit Martin auf dem Weg zum Parkplatz Schritt zu halten. Es tut ihm alles weh, jeder Muskel, jeder Knochen, jeder Schritt. Ob diese Fitnesssachen wirklich so gesund sind? Jedenfalls hat er der präpotenten Krautwaschl noch eins mitgegeben, als er zum Abschied sagte, dass sie mit einer Anzeige wegen Erpressung rechnen müsse.

»Was hältst von einem Ausflug nach Sievering?«, fragt Martin seinen Kollegen.

»Am Abend zum Heurigen gern. Aber was willst dort jetzt in der Früh? Ein Frühstücksachterl?« Ächzend lässt sich Fassl auf den Fahrersitz seines Volvo fallen, während Martin Glück seinen alten Käfer aufsperrt.

»Ich dachte, wir statten der Familie Kirchhofer einen Morgenbesuch ab. Vielleicht verschanzt sich unsere Apothekerin ja zu Hause und stellt sich tot. Und wenn sie nicht da ist, können wir zumindest mit ihrem Mann reden – oder vielleicht mit der Tochter. Willst mit uns, dem Käfer und mir, mitfahren, oder fahr ma im Konvoi?«

Fassl entscheidet sich für Konvoi, weil er nachher noch zu seiner Mutter muss, und was soll er dann mit seinem Auto im elften Bezirk?

In der eleganten Villa am idyllischen Ende der Sieveringer Straße, wo man den Wienerwald schon vor der Haustür hat, gibt es, den Türschildern nach, drei Wohnungen. Die Kirchhofers logieren in einer sogenannten Villenetage in einer der teuersten Gegenden Wiens. »Ja ja, die Politiker«, brummt Fassl, »des san alles Gauner. Ich könnt mir so was im Leben net leisten.«

Martin lächelt beinah abgeklärt. Er fühlt bis in die Fingerspitzen, dass sie nah dran sind an der Lösung. Und Karin Kirchhofer ist ein wichtiges Puzzlestück, wenn nicht die Täterin. Er war zu sehr auf Max Rainer fixiert. Auch weil der so unverschämt mit Lily geflirtet hat. Aber vielleicht hat er sich das nur eingebildet, er ist nun mal der eifersüchtige Typ.

Auf das Läuten antwortet niemand. Doch zum Glück kommt ein älteres Ehepaar mit Pudel aus dem Haus. »Der Herr Abgeordnete ist mit einer Delegation in Südafrika, und die Frau Magister haben wir zuletzt vorgestern Abend gesehen«, geben die beiden bereitwillig Auskunft. »Sie schien ein bissel echauffiert, um nicht zu sagen erzürnt. Ist grußlos an mir vorbei, hat die Autotür zugeschlagen und ist davongebraust. Seither steht der rote Alfa nicht mehr vor dem Haus. Ist was passiert? Gar dem Herrn Abgeordneten in Afrika?«

»Nein, nein«, sagt Fassl, man habe ja nur eine Frage an die Frau Magister einen Fall betreffend. »Und einen schönen Sonntag noch.«

Zu Martin auf dem Weg zum Auto: »Weißt was? Wir lassen das jetzt einmal, schließlich ist Sonntag, und ich bin bei meiner Mutter zum Mittagessen eingeladen. Morgen start ma noch einen Versuch, und dann schreiben wir sie zur Fahndung aus.«

Wie kann der nur immer ans Essen denken! »Vorher sollten wir uns aber unbedingt die Überwachungsaufnahmen noch einmal anschauen, jetzt ganz konkret im Hinblick auf die zwei Verdächtigen, den Max Rainer und die Apothekerin. Vielleicht entdecken wir einen von den beiden doch irgendwo auf dem Perron«, schlägt Martin vor. Am liebsten würde er sofort ins Büro fahren, aber ohne Franz kommt er, der mit dem Fall offiziell nicht betraut ist, gar nicht an das Video heran.

»Ja, ja, morgen«, kommt es gleichmütig von Franz, der mit den Gedanken schon beim Sonntagsschweinsbraten seiner Mutter ist. Mit Grammelknödel und Sauerkraut. Und danach ihre berühmte Linzertorte. Das Wasser läuft ihm im Mund zusammen, und er hat das Gefühl, seit Ewigkeiten nix G’scheites mehr gegessen zu haben.

»Hoffentlich passiert bis morgen nicht noch ein Unglück«, versucht Martin den Kollegen umzustimmen. Vergeblich, Franz sperrt die Wagentür auf und lächelt sphärisch in Erwartung kulinarischer Genüsse.

»Nur gut, dass die Kirchhofer von der versuchten Erpressung durch die Krautwaschl nichts weiß, sonst wäre die ja glatt in Gefahr«, legt Martin noch eins nach. »Oder was ist, wenn sie den Mörder vom René beobachtet hat und deshalb davongerannt ist? Vielleicht Max, der sie jetzt womöglich gerade …«

Doch Martins Worte laufen ins Leere, Fassl hat schon die Autotür hinter sich zugeschlagen und startet den Motor. Winkt noch aus dem Fenster, während er davonfährt.

Martin steht eine Zeit lang unschlüssig vor seinem Käfer. Heimfahren und nichts tun kann er jetzt nicht. Irgendwie muss er mit dem Fall weiterkommen. Also beschließt er, nach Simmering zu Elvis zu fahren und Näheres über dessen Schwester herauszufinden. Womöglich gab es da doch eine Verbindung zu Karin Kirchhofer. Und vielleicht weiß Hudlicka auch mehr über die Achse Kirchhofer–René, das ihn weiterbringen könnte. Er hat das Gefühl, so nah dran zu sein – und der blöde Fassl denkt nur ans Essen!

 

***

 

Am späten Nachmittag ist Martin wieder zurück in seinem Schrebergarten und jätet Unkraut. Irgendwie hat sich heute alles gegen ihn verschworen. Elvis Hudlicka war nicht im Tierheim anzutreffen. Und ihn am Sonntag zu Hause stören wollt er nun auch wieder nicht, ganz abgesehen davon, dass er gar nicht weiß, wo der wohnt. Nur um zu fragen, ob seine Schwester die Magister Kirchhofer kannte …

Und als Martin dann die Lily angerufen hat, um sich endlich zu entschuldigen, da meldete sich niemand. Auf den Anrufbeantworter wollte er nicht sprechen, also hat er aufgelegt. Bei Anrufbeantwortern fängt er immer an zu stottern. So ist er letztlich beim Unkraut gelandet. Er beschließt, nach der Gartenarbeit noch zwei Listen zu machen: Verdachtsgründe Kirchhofer – Verdachtsgründe Max Rainer. Vielleicht bringt ihn das weiter.

 

***

 

Martin Glück ist kein Morgenmensch. Aber an diesem Montagmorgen ist er bereits vor allen anderen im Büro und wartet ungeduldig auf Franz Fassbender, dem er eine Nachricht hinterlassen hat, gleich mit der Aufnahme vom Bahnsteig ins Kellerverlies zu kommen.

Der Fall hat auch Fassl keine Ruhe gelassen, überdies hat er ein schlechtes Gewissen, weil er schweinsbratenbedingt dem Kollegen gestern nur mit einem Ohr zugehört hat. Was, wenn Martin wirklich recht hatte und noch was passiert ist? Als er eine halbe Stunde vor dem offiziellen Dienstbeginn eintrifft, verschafft er sich als Erstes einen Überblick über die Vorfälle der vergangenen Nacht. Gott sei Dank keine Leiche und auch sonst keine gröberen Vorkommnisse.

Kurz darauf sitzen Fassl und Martin wieder einmal vor dem Bildschirm, um sich die Aufnahmen der Überwachungskameras anzuschauen. Menschen, Menschen, ­Menschen auf dem Bahnsteig. Da wieder der Hut, der offenbar der Maria Burgstaller gehört. Und die Gestalt mit dem Kapuzenpulli. Martin zoomt sie näher heran. »Könnte das Max Rainer sein? Leider sieht man die Gesichter nicht bei diesen blöden Kapuzen.«

»Und die Gestalten dieser mageren jungen Leut schauen alle gleich aus«, sagt Franz mit einem Unterton von Neid. »Aber stimmt ja, auszuschließen ist es nicht, dass das der Rainer ist. Hier is wieder die Blondine mit der Sonnenbrille. Hol die noch mal näher her.«

Martin vergrößert das Bild. Es ist unscharf, trotzdem erkennt man, dass es sich dabei um eine sehr junge Frau handelt. Weder Karin noch Max. »Und daneben die Blonde mit den kurzen Haaren und den abstehenden Ohren kann es ja auch nicht sein«, lacht Fassl. »Würdest du als Frau mit solchen Ohrwascheln eine Kurzhaarfrisur tragen?«

Während Martin gebannt auf das Bild schaut, läutet sein Handy. Lily. Eigentlich hat er keine Zeit, aber wenn er sich nicht alles verderben will, muss er jetzt rangehen.

»Es tut mir leid« – sie sagen es gleichzeitig und lachen dann verlegen. »Ich bin halt ein eifersüchtiger Depp und gelobe Besserung«, haucht Martin ins Telefon.

»Und ich bin die beleidigte Leberwurscht und gelobe ebenfalls Besserung.« Lily lacht erleichtert. Als sie ihm dann noch erzählt, dass der spät aufgetauchte Vater wieder nach Italien zurück ist, könnte Martin vor Glück singen. Irgendeine Liebesschnulzn. »Oh, das tut mir aber leid.« Das sagt er in einem Ton, der genau das Gegenteil verheißt.

»Mir auch«, sagt Lily. »Aber nur wegen Sophie. Die hat das hart getroffen. Sie hat nicht mit einem Kurzzeitvater gerechnet, sondern mit einem dauerhaften. Jetzt dreht sie aus Protest ein bissel durch, geht im Gothic-Stil mit ­schwarzem Make-up, schwarzer Kleidung und schwarzer Perücke durch die Gegend.«

Irgendwas klingelt in seinem Hirn: »Perücke?«

»Ja, ich hab ihr bei Taschengeldentzug verboten, sich die Haare färben zu lassen. Also hat sie sich eine Perücke gekauft. Sieht man eh auf den ersten Blick und schaut grauslich aus.«

Martin rutscht ungeduldig auf seinem Sessel hin und her. Er weiß, dass er Lily nicht unterbrechen sollte. Aber er kann es nicht erwarten, zu den Überwachungsbildern zurückzukehren. »Du, ich bin im Dienst und nicht allein. Darf ich dich heut Abend anrufen?«

Er darf. Er muss. Er freut sich sehr, aber jetzt will er mit dem Fall weitermachen. Franz schaltet wieder auf Durchlauf. »Seids ihr jetzt ein Wörthersee-Wien-Paar, deine Lily und du? Du lässt dich ja hoffentlich nicht nach Klagenfurt versetzen?«

»Wer weiß«, antwortet Martin. »Aber zuerst lösen wir diesen Fall.« Er fährt zurück zum Bild der kurzhaarigen Blondine und friert es ein. Vergrößert es. Seine Stimme ist ganz heiser: »Fällt dir was auf?«

Franz rückt näher ran. Setzt seine Lesebrille auf. »Ja, da legst dich nieder. Warum haben wir das nicht früher gesehen?«