»Imperial, Sacher oder Vestibül? Ich lad ein.« Romana Petuschnigg strahlt wie die Sonne über dem Wörthersee.
»Käsekrainer beim Bitzinger.«
Romana bleibt unbeeindruckt. Sie kennt Martins deftigen kulinarischen Geschmack. Aber nicht heute! »Vestibül war ich schon, ins Imperial hab ich heute zum Übernachten eingecheckt. Würstelstand ist kein Thema. Also Sacher.«
»Ja spinnst du? Mit welchem Geld?«
»Ich hab schließlich geerbt.« Zielstrebig stöckelt Romana, die sich mit Martin vor der Oper verabredet hat, auf das legendäre Hotel zu – stolpert und wäre gefallen, wenn Martin sie nicht am Arm gepackt hätte.
Er schaut vorwurfsvoll auf ihre Stilettos.
»Geht schon wieder«, sagt Romana. »Bin nur umgeknickt. Ich weiß, was du denkst: Was muss die Alte auch Schuhe mit so hohen Stöckeln tragen? Weißt, warum, Martin? Das sind Pradas in Blau und Grün, meinen Lieblingsfarben. So was hab ich mir ich weiß nicht wie lang schon gewünscht. Und jetzt konnte ich sie mir leisten. Aus, basta.«
»Leisten?! Die Erbschaft kriegst du doch erst irgendwann ausgezahlt. Oft dauert so was Monate. Und auf die Art sind die Hunderttausend auch gleich weg.«
»Du vergisst, dass ich ja noch am Schmuck beteiligt bin, den ich verkaufen kann. Ich selber brauch ja nicht mehr als meinen Brilli vom Hugo. Zu viel Schmuck macht eh alt – das war auch die Devise von der Sissy, drum hat sie in den letzten Jahren fast nur noch Modeschmuck getragen und den echten im Safe gelassen. Also krieg ich da sicher noch einmal einen ordentlichen Batzen Geld.«
»Hat sie nicht im Testament erwähnt, dass du das Erbe nicht verschleudern sollst?«
Hätt sie ihm nicht erzählen sollen. »Jetzt sei kein Ungustl, Martin! Nicht verspielen soll ich’s. Das ist ein feiner Unterschied.«
»Verschleudern ist verschleudern«, murmelt Martin, muss Romanas Sorglosigkeit aber auch bewundern. In puncto Lebensfreude kann er von ihr noch lernen. Von ihr und seiner Mutter und einer Menge anderer Leute. Lily zum Beispiel. Romanas Satz mit dem feschen Burschen an Lilys Seite brodelt im Sud seiner Eifersucht. Sie haben sich nicht mehr gesehen, seit er aus Velden abgereist ist. Klar gab es keine Versprechungen. Er ist verheiratet, sie hat ein Kind, und zwischen Wörthersee und Wien liegen viele Sehnsuchtskilometer. Ab und zu telefonieren oder mailen, das reicht halt dann doch nicht. Er hätte sie öfter besuchen sollen. Ihr erzählen, dass er sie sehr mag und auch vermisst und dass ja vielleicht was werden könnte aus der zarten Pflanze, die sie gemeinsam eingetopft haben … die Sprache des Hobbygärtners, nur leider hat er ihr nichts davon gesagt, immer nur von Fällen erzählt oder von einem neuen Film oder Buch … er ist wirklich ein Idiot, wenn es um Gefühle geht!
***
»Und dann hat der Hund die Adelmaus in den Arm gebissen«, erzählt Romana später, nachdem sie an einem Ecktisch in Sachers Roter Bar Platz genommen und ihr Essen bestellt haben.
Martin lacht auf, eher bitter als lustig. »Du wirst es nicht glauben, aber diesen Fall habe ich in der Abteilung Leib und Leben auf den Tisch bekommen, nachdem der Typ es angezeigt hat. Ich krieg jetzt wirklich den letzten Scheiß zugeteilt.«
»Leib und Leben?« Romana beginnt zu lachen. »Heißt eure Abteilung lei wirklich so?«
Was soll daran komisch sein? »Ja, alles mit Handgreiflichkeiten, Verletzungen, Totschlag, Mord. Leib und Leben eben. Und der Mann in der Kammer kriegt die Brösel vom Verbrecherkuchen.« Martin haut mit der Faust auf den Tisch, gerade so fest, dass die Gläser klirren und die Gäste vom Nebentisch strafend zu ihnen herübersehen.
Romana legt ihm die Hand auf die Faust. »Was bist denn so bös? Sind die Gummibären ausgegangen?«
Martin tut es schon leid. Er holt zwei Stück aus der Innentasche seiner Lederjacke und steckt sie in den Mund. »Entschuldige, aber manchmal nimmt der Frust überhand. Dafür geh ich jetzt zum Anti-Aggressionstraining.« Dass das eine Anweisung seines Vorgesetzten war, muss er ihr ja nicht erzählen.
»Eh g’scheit«, Romana denkt an die fatalen Folgen, die der Jähzorn für Martins Vater August hatte.
Liebevoll tätschelt sie ihrem Zornpinkel die Hand. Der versucht ein Lächeln. »Wär leichter, wenn die Psychologin, die das leitet, nicht so verbissen wär. Erinnert mich irgendwie an diese grausliche Masseurin, die mich damals in der Reha so gequält hat.«
Nachtragend ist er auch noch. »Was läuft denn sonst nit? Stört dich vielleicht das mit der Lily, weil ich die mit einem Mann gesehen hab?«
Gute Frage, Romana. Er bemüht sich um einen beiläufigen Ton. »Sah es denn nach was Ernstem aus?«
»Frag sie selber. Du bist gut, es hat doch jeder Blinde gesehen, dass die Kontrollinspektorin Lily Prokopp in dich verliebt war. Aber du bist ja dann weg. Da darfst dich nicht wundern, wenn ein anderer auftaucht.«
Martin findet, dass er sich sehr wohl wundern darf, wie schnell das bei Frauen gehen kann. »Außerdem, bei mir im Haus …«
Der Kellner kommt an den Tisch und stellt zwei Teller Hummersuppe hin. »… stinkt es erbärmlich nach Scheiße«, setzt Martin seinen Satz fort.
»Wie bitte?« Der Kellner zieht die Augenbrauen hoch.
»Nona, nicht Sie, ich meine, nicht die Suppe.«
»Wieso stinkt’s bei dir?« Romana löffelt mit Genuss.
»Ich hab ein Problem mit einem Außenfallrohr. Gestern waren so Rohrröntgenologen da, die haben das mit einem Endoskop untersucht. In dem Rohr hat die Lüftung ein Loch und bläst mir den Fäkaliengeruch durch die Holzwand ins Haus.«
Romana ist nicht zimperlich, meint aber dann doch, dass dieses Thema so gar nicht zum Hummer passt. »Na Mahlzeit! Jetzt lass dir lieber von der Erbschaftsg’schicht weitererzählen: Das Beste war ja der Hausarzt bei der Schätzung der Bilder. Der ist durch die Wohnung getänzelt, einen Rudolf von Alt nach dem anderen in Händen, und hat dem Fahrnisgutachter …«
»Dem was?«
»Das heißt so. Halt der Mensch, der die Fahrnisse, also Einrichtung und Bilder, schätzt. Na jedenfalls hat der Doktor Huber dem Gutachter ständig mit den Bildern vor dem Gesicht herumgewachelt und gerufen: ›Die gehören mir, die hat sie mir vererbt.‹ Dann hat der alles genau inspiziert und sein Todesurteil gesprochen: Alle Rudolf-von-Alt-Bilder sind Drucke. Schätzwert gegen null.«
Die Schadenfreude ist unüberhörbar. Romana hat sich nie groß verstellt. Das mag er an ihr. »Das Erben macht aus den Leuten oft echte Witzfiguren.«
»Ja eh. Also, der Edgar, weißt, der von Siebers-Adelmauseder, der Lover von der Sissy, verdächtigt die Maria Burgstaller, dass die beim Tod der Sissy nachgeholfen hat, damit die das Testament nicht mehr ändern kann. Vielleicht hattest doch recht mit deinem Mordverdacht?!«
Martin winkt lachend ab. »Aber geh, das war doch nicht ernst g’meint.«
»Siehst, kaum is von Mord die Rede, lachst schon wieder! Ah, da kommen unsere Steaks! Das ging aber schnell.« Romana hatte als Gastgeberin einfach über das Menü entschieden und für beide bestellt. Ohne großen Widerstand von Martins Seite, der mit allem einverstanden ist, solange Romana nicht selber kocht …
Die Steaks sind tatsächlich perfekt gebraten, zart wie Butter. Auch der Rotwein, den Romana ausgesucht hat, schmeckt ihm. »Weißt du, dass man in Wien sagt, einen guten Wein muss man beißen?«
Romana hebt lächelnd ihr Glas, und Martin stößt mit ihr an. »Ärgerst dich, dass nicht du als Verwandte das Palais geerbt hast, sondern der vom Tierheim und die Haushälterin?« Prüfender Chefinspektor-Blick.
Sie hält ihm stand. »Am Anfang schon, aber mei, ma muss sich mit den Tatsachen abfinden. Schließlich waren wir ja nicht so eng, die Sissy und ich. Und hunderttausend ist doch besser als gar nix.« Plötzlich verstummt sie.
»Is was, Romana?«
»Der Herr da oben beschütze sie, er beschütze sie!« Dabei kreuzt sie ihre Finger hinter dem Rücken.
»Seit wann hast du’s mit dem Herrn da oben? Und wen soll er beschützen?«
»Na, die Maria Burgstaller.« Romanas Lächeln ist schwer zu deuten. »Sie is ja noch relativ jung, aber stell dir vor, die segnet das Zeitliche, bevor sie das Legat unterschrieben hat. Dann würde ihre Haushälfte auf alle anderen Erben aufgeteilt.«
Martin bleibt vor Überraschung der Mund offen.
Bevor ihm eine Antwort einfällt, ist seine Begleiterin schon weiter in ihren Überlegungen: »Gut wär natürlich auch, wenn man ihr nachweisen könnt, dass sie die Sissy ins Jenseits befördert hat. Dann verliert sie sicher ihr blödes Legat, und wir kriegen es. Kannst da nicht nachforschen?«
»Ich bitte dich, Romana! Erstens ist die Verstorbene ja kremiert worden …«
»Eben, das ist doch verdächtig, da kann man im Nachhinein nix mehr feststellen!«
»Und zweitens – ach, hör doch auf damit! Wer ist eigentlich dieser geheimnisvolle Max, der die zwei Millionen erbt?«
Bevor sie antwortet, nimmt Romana noch einen kräftigen Schluck Rotwein. »Also, der Max ist ja der Enkelsohn von ihrer Jugendliebe, dem Franzi. Ich kann mich sogar an den erinnern. Einmal war ich mit der Mama bei der Tante Mitzi und der Sissy in Untermittelstetten, irgendwo in Niederösterreich, fast an der tschechischen Grenze. Die hatten da ein Gasthaus. Ich war damals fünf oder sechs, und die Sissy schon eine junge Frau. Als wir alle in der Gaststube beisammensitzen, taucht ein junger Mann, der Franzi, auf, beschimpft die Sissy wild und haut ihr eine Watschn herunter.«
»Und deswegen vererbt sie seinem Enkel zwei Millionen?«
»Na, wart. Mir haben s’ damals erzählt, der Franzi und die Sissy wollten heiraten, und sie hat ihn verlassen. Später hab ich erfahren, dass die Sissy damals grad den Wallner, den reichen Juwelier, kennengelernt und deswegen den Franzi ad acta gelegt hat. Obwohl er offenbar ihre große Liebe war. Glücklich war sie mit dem Wallner ja nie, und Kinder konnte der auch nicht … Na ja, jedenfalls hat sie irgendwann zufällig den Max in der Tierklinik getroffen, wo ihr Mops in Behandlung war. Der Max studiert nämlich Tiermedizin.«
»Und sie hat gewusst, wer das ist?«
Romana hat vom Erzählen eine trockene Kehle und gießt Mineralwasser nach, während Martin sein drittes Glas Rotwein »beißt«.
»Der Max soll das Ebenbild von seinem Großvater sein. Also, da war’s nicht schwer. Aber nie wär ich drauf gekommen, dass die dem was vererbt, noch dazu so viel. Im Alter wird man offenbar sentimental.«
»Hatte sie denn regelmäßigen Kontakt mit dem Max?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur vom Hausmeister, dass ein fremder junger Mann, auf den die Beschreibung passt, an dem Tag bei der Sissy war, an dem sie gestorben ist. Glaubst, dass der sie ermordet hat?«
»Zwei Millionen wären schon ein Motiv«, räumt Martin ein.
Romana lächelt triumphierend: »Na, wenn der wegen Mord ins Gefängnis geht, kriegen wir die zwei Millionen.«
Sie würde das Geld im Spielcasino verschleudern, denkt Martin. Romana ist spielsüchtig, das weiß er längst, nur nicht, bis zu welchem Grad. Sie streitet natürlich alles ab oder spielt es herunter. Ob Romana jemanden umbringen könnt für viel Geld? Ach was! Die redt nur so blöd daher …
Ein bisschen wackelig auf ihren High Heels, aber erhobenen Hauptes und gestützt von Martin stakst Romana am späteren Abend dann von der Oper über den Ring zum Hotel Imperial, ihrer neuen Herberge. Zu Martin: »Willst dir nicht auch hier ein Zimmer nehmen, bis das Rohr an deinem Haus repariert ist? Ich würd dich darauf einladen. Wie kannst bei dem G’stank überhaupt schlafen?«
Das Angebot ist schon verlockend, doch er verwirft es, will er doch nicht an ihrem finanziellen Ruin mitwirken. »Danke, lieb von dir. Aber ich spazier jetzt zur U-Bahn und fahr nach Haus. Ich lass einfach alle Fenster weit offen, das geht schon.«
»Schlaf trotzdem gut, Martin! War ein schöner Abend.«
»Ja wirklich! Danke für die Einladung und deinen Erbschaftskrimi. Aber halt in Zukunft dein Geld zusammen, Romana.«
Sphinx-Lächeln. »Morgen ist Schmuckschätzung, da weiß ich dann, wie viel ich noch verschleudern kann.« Sie küsst ihn auf die Wange, dreht sich um und trippelt zur Rezeption.
Der Abend hat mir richtig gut getan, denkt Martin, als er die Stiegen zur U-Bahn-Station hinuntergeht. Er fühlt sich besser und beschließt, gleich morgen früh Lily in Klagenfurt anzurufen. Sei’s drum. Romana hat recht, er hat ja wirklich wenig Initiative ergriffen, weil für ihn damals die Ehe mit Larissa gefühlsmäßig noch nicht abgeschlossen war.
Da klingelt sein Handy. Lily! »Wenn das nicht Telepathie ist. Ich hab grad an dich gedacht.« Das scheint sie zu freuen, und sie sagt ihm gleich, dass sie in ein paar Tagen nach Wien käme. Dackel Blau müsse zu einer Untersuchung an der veterinärmedizinischen Uniklinik. »Kennst du eine billige Pension, wo ich übernachten kann – oder hast du vielleicht ein Gästezimmer?«
Martin denkt an den grausigen Geruch, der sein Haus durchströmt, und druckst herum. »Ja, wenn’s dir nicht passt …« Lilys Stimme klingt nicht mehr so fröhlich. Gerade, als er antworten will, wird er von einem jungen Polizisten in Uniform gestoppt. »Sie dürfen da nicht durch, die U-Bahn fährt jetzt nicht. Wir sind dabei, einen Schienenersatzverkehr einzurichten.«
»Was ist los?«, fragt Martin.
Zu Lily: »Wart einen Moment.« Irrtümlich drückt er den roten Knopf, und Lily ist weg. Das auch noch, jetzt glaubt sie …
»Unfall«, antwortet der Polizist knapp.
»Viel passiert?«
»Darf ich Ihnen nicht sagen.«
Als Martin seinen Dienstausweis zeigt, salutiert der junge Beamte andeutungsweise vor dem Chefinspektor und wird gesprächiger. »Eine Frau ist auf die Gleise gefallen – oder gesprungen, weiß man nicht so genau. Sie wurde vom Zug erfasst und war gleich tot.«
Vom Bahnsteig hört er einen anderen Polizisten einem Kollegen zurufen: »Jetzt hamma den Ausweis. War eh in der Handtasche, die noch auf dem Perron liegt. Maria Burgstaller heißt die Tote.«