Kapitel 5

Magister Karin Kirchhofer, Romana Petuschnigg und Edgar von Siebers-Adelmauseder stehen im Halbkreis um Sissys Tresor, während Notar und Gerichtskommissärin ihn öffnen. Man könnte die berühmte Stecknadel fallen hören. Karin und Romana mit einer Mischung aus Freude und Spannung, Edgar in sich gekehrt, in der Hoffnung auf das Unwahrscheinliche. In Kenntnis von Sissys Hang zur Bosheit ahnt er jedoch das Unvermeidliche.

Frau Benedikt, Pretiosengutachterin, hat inzwischen die beiden Koffer mit ihren Arbeitsutensilien im Esszimmer ausgepackt und auf dem großen Tisch bereitgelegt. Dort werden jetzt auch die Schachteln und Lederbeutel mit dem Schmuck ausgebreitet. Als Frau Benedikt den ersten Beutel, beschriftet mit »Für Edgar von Siebers-Adelmauseder«, öffnet, kullert Sissys Zweikaräter heraus. Sehnsüchtige Seufzer von Romana und Karin. Wie oft haben sie Sissy um diesen Ring beneidet. Edgar bleibt überraschend ruhig.

»Na, das ist doch was!« Karin wirft Edgar einen neidvollen Blick zu.

»Ach, ich trag so was natürlich nicht, nur meinen Siegelring. Und wem soll ich so einen Ring schon schenken? Verkaufen könnte ich Sissys Schmuck nie, es würde mir das Herz brechen. Wir können also gerne Schmuckstücke tauschen, wenn Sie den Ring möchten«, bietet er an.

»Das können Sie nachher machen«, unterbricht der Notar. »Zuerst müssen alle Pretiosen auf ihre Echtheit geprüft, geschätzt und nach dem Willen von Frau Wallner aufgeteilt werden. Dann erst können Sie damit machen, was Sie wollen.«

»Na, dann fangen wir doch gleich damit an, wenn er mir schon entgegenrollt«, lächelt Frau Benedikt, nimmt den Ring mit dem immensen Stein zwischen zwei Finger und setzt die Lupe ans Auge.

»Was schätzt du?«, flüstert Romana Karin zu.

»Dreißigtausend?«

Edgar tupft sich mit dem Taschentuch ein paar Schweißperlen von der Stirn und bittet um ein Glas Wasser. Er weiß, was kommen wird, und ist mehr als echauffiert.

Frau Benedikt stutzt kurz, holt eine zweite Lupe hervor und begutachtet den Ring erneut. Dann öffnet sie etwas, das in den Augen der drei Beobachter wie ein Stempelkissen aussieht, tropft Flüssigkeit darauf und reibt den Ring daran.

»Was ist denn das?«, fragt Karin Kirchhofer neugierig.

»Das ist ein lydischer Kieselschiefer für Edelmetallstrichproben. Der Ring ist zwar punziert, aber die Punze kommt mir eigenartig vor. Daher kontrolliere ich, ob es sich tatsächlich um achtzehn Karat Gold handelt.«

»Und wie erkennen Sie das?«

»Ich habe jetzt eine Achtzehn-Karat-Säure auf den Kieselschiefer getropft. Wenn ich das Metall daran reibe, muss ein Rückstand bleiben. Das ist hier nicht der Fall. Es handelt sich also nicht um achtzehn Karat Gold. Jetzt versuchen wir es noch mit der Vierzehn-Karat-Säure. Vielleicht stammt der Ring aus dem Ausland und wurde nachträglich falsch punziert.«

Wieder benetzt sie den lydischen Kieselschiefer und reibt den Ring daran. »Tut mir leid, aber die Punzierung ist offensichtlich falsch, der Ring ist nicht aus Gold.«

»Aber wie kann man denn einen so großen Brillanten auf einen Ring setzen, der nicht aus Gold ist?«, fragt die Gerichtskommissärin, die nun ebenfalls neugierig geworden ist.

»Tja, auch der Stein zeigt andere Einschlüsse, als sie bei Diamanten vorkommen. Ob ein Stein echt ist oder nicht, sieht man nicht auf einen Blick, außer man hat viel Erfahrung. Grundsätzlich aber sind die Einschlüsse bei natürlichen Steinen anders als bei künstlichen. Ich muss nach allem, was ich gesehen habe, davon ausgehen, dass dieser Ring als Ganzes nicht echt ist.« Sie sieht Edgar beinahe entschuldigend an. »Um sicherzugehen, werde ich ihn aber in meine Werkstatt mitnehmen und eine Röntgenuntersuchung vornehmen.«

Edgar schluckt, Karin und Romana blicken mit einer Mischung aus Mitleid, Schadenfreude und Entsetzen zur bleich gewordenen Adelmaus. Womöglich sind die ganzen Klunker nichts wert, auch ihr Anteil nicht, denkt Romana. Was aber hat Sissy mit dem echten Schmuck gemacht?

In der Zwischenzeit hat die Gutachterin ein etwas protziges weißgoldenes Collier mit drei einkarätigen Brillanten aus dem Schmuckbeutel geholt. Auch hier ein niederschmetterndes Urteil: eine Fälschung.

Als dann die fünfreihige, roséfarbene Perlenkette untersucht wird, ist Edgar bereits speiübel. Er weiß, was kommt, und kennt sie alle, die Pretiosen, die ihm per Testament zugeteilt wurden.

»Wissen Sie, wie man echte von falschen Perlen unterscheidet?«, fragt Frau Benedikt in die Runde. Kopfschütteln. »An der Oberflächenstruktur und an den Wachstumsmerkmalen. Je weniger die Auster von Umwelteinflüssen beeinträchtigt wurde, umso gleichmäßiger sind die Schichten der Perle. Trotzdem changiert bei echten Perlen die Oberfläche und weist eine gewisse Struktur auf, aber keine Poren. ­Falsche Perlen wie diese haben hingegen eine glatte Oberfläche mit vielen kleinen Poren, und auch der Lüster, also der Glanz, ist hier allzu gleichmäßig.«

Edgar fühlt eiskalte Schweißperlen. Die alte Hexe ist ihm doch tatsächlich auf die Schliche gekommen. Bestimmt hat die Burgstaller dahintergesteckt. Die hat ihn einmal beobachtet, als er den falschen Schmuck in den Safe legte.

Sein Selbstmitleid ist unermesslich. Schuld an allem hatte Herta, Sissys Vorgängerin, ebenfalls einige Jährchen älter als Edgar. Ein kleiner finanzieller Engpass, dessentwegen er sie um Hilfe gebeten hatte. Doch Herta konnte ganz schön geizig sein und war zudem nicht alt genug, um bald das Zeitliche zu segnen. Für ihn damals Grund genug, sich zu verabschieden. Vorher wechselte er noch schnell ein paar ihrer Ringe aus, von denen ein ihm bekannter Goldschmied täuschend echte Imitate angefertigt hatte.

Die gute Herta entdeckte den Schwindel erst, als sie selbst knapp bei Kasse war und den Schmuck verkaufen wollte. Edgar war zu diesem Zeitpunkt bereits seit vielen Jahren mit der wesentlich reicheren Sissy zusammen. Hertas Drohung, ihn auffliegen zu lassen, hätte seinen Lebensplan gehörig durcheinandergebracht. Er versprach ihr also, den Schaden zu begleichen. Leider musste dafür ein neuerliches »Tauschgeschäft« getätigt werden. Also ließ er diesmal Sissys wertvollste Schmuckstücke, die ohnehin die meiste Zeit im Safe lagen, »nacharbeiten«. Die echten konnte er über seinen Goldschmiedefreund gut verkaufen, damit die Schulden an Herta bezahlen und sich selbst noch ein bisschen was gönnen. Damit Sissy keinen Verdacht schöpfte, wenn sie die Schmuckstücke zur Hand nahm, hatte er ihr eingeredet, echter Schmuck mache alt, sie solle doch lieber Modeschmuck tragen und den echten Schmuck sicher im Safe verwahren. Was sie dann in den letzten Jahren auch tat.

Und nun hat ihm die gute Sissy, der er die besten Jahre seines Lebens geopfert hat, tatsächlich seine eigenen Fälschungen vererbt. Und nur die. Wäre nicht ausgerechnet er betroffen, müsste man sie für ihre Bosheit ja bewundern. Aber so könnte er einfach nur heulen.

»Leider unecht«, hört er zwischendurch immer wieder von Frau Benedikt und beobachtet, wie die beiden Miterbinnen zusehends verfallen. Keine Sorge, könnte er ihnen zurufen. Alle Fälschungen habe schon ich abbekommen, euer Schmuck ist sicher echt. Doch nach außen hin bewahrt er Haltung und beginnt in Gedanken, Sissys wohlhabende verwitwete Freundinnen Revue passieren zu lassen. Nach ihrer posthumen Rache muss er sich wohl oder übel selbst um seine finanzielle Zukunft kümmern.

Die österreichische Bundeshymne – der Klingelton von Dr. Keltenbachs Mobiltelefon – stört jedoch seine Überlegungen. Der Notar verlässt kurz das Zimmer und kommt nach wenigen Minuten zurück. »Ich muss leider unterbrechen! Ich habe soeben eine schreckliche Nachricht erhalten, die Sie alle betrifft. Frau Burgstaller hatte gestern einen tödlichen Unfall.«

Kurzes betretenes Schweigen.

Dann fragt Romana mit unangemessen munterer Stimme: »Hatte sie das Legat schon unterschrieben?«