16. Kapitel
April
Sehr weit hatten sie es nicht, vor einer polierten Holztür blieb Hunter stehen. So sahen hier übrigens alle Türen aus, sie hatte dem nur nicht viel Beachtung geschenkt. Rechts daneben war in Blickhöhe in goldenen, aber schmucklosen Lettern das Wort
KONFERENZRAUM
angebracht.
Der Anwalt nickte und öffnete ohne Federlesen, sodass April nur hinterherstolpern konnte. Ihr offenbarte sich ein unerwartet großer Raum mit einem riesigen Tisch im Zentrum, an dem mindestens zwölf Stühle angeordnet worden waren. Ein zimmerhohes Fenster zeigte hinaus auf die Skyline Manhattans, und verwirrt machte April auf dem Tisch Kaffeekannen, Gebäck und diverse kleine Cocktailflaschen mit alkoholfreien Getränken aus.
Erst jetzt hob sie den Blick und traf direkt auf einen dunklen, absolut aussagefreien, nüchternen und kühlen. Nur der Anblick der Augen verursachte bei ihr bereits eine Gänsehaut – die, von der wohligen Sorte. Dass sie aber so gar nichts ausdrückten, maximal indifferente Kühle, jagte nicht sehr angenehme Schauder über ihren Rücken.
»Tja, ich nehme an, Sie kennen einander«, sagte Hunter in diesem ekelhaft fröhlichen Ton. »Nehmen Sie Platz, Miss Palmer!« Damit rückte er einen Stuhl zurecht, der sich direkt gegenüber von Greg befand. Ein Händedruck zwischen den Ehepartnern war wohl nicht geplant, denn Greg hatte sich nicht erhoben und machte auch sonst keine Anstalten, sich auf irgendeine Art zu äußern oder auch nur zu offenbaren, dass sie sich wirklich kannten und dass er seine Lippen bereits an jeder Stelle ihres Körpers gehabt hatte. Von den anderen ziemlich heißen Handlungen mal ganz abgesehen.
Da war nur dieser Blick und nichts weiter.
Unsicher ließ sie sich auf dem Polsterstuhl nieder und wagte es nicht, den Blick zu heben. Stattdessen legte sie die Arme auf den Tisch und die Hände ineinander. Eine dumme Entscheidung, denn nun konnte sie nicht mehr unbemerkt an ihren Nägeln knibbeln, was sie immer tat, wenn sie besonders nervös war.
Die Atmosphäre war so eisig, dass man ein Stück Fleisch hätte schockgefrieren können. Nur Hunter schien davon nichts zu bemerken. Er hatte sich ein paar Meter von Greg entfernt niedergelassen. Vielleicht sollte ihr die Distanz zu seinem Mandanten ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, möglich war es ja, verfehlte seine Wirkung nur leider enorm.
»Ich freue mich außerordentlich, dass wir es noch heute an diesen Tisch geschafft haben«, sagte er fröhlich. »In dieser Situation zählt leider jede Stunde. Vielen Dank, dass Sie die Zeit erübrigen konnten, Miss Palmer.«
Sie nickte, ohne den Anwalt aus den Augen zu lassen, darauf bedacht, Greg nicht noch einmal anzusehen, denn sie wusste nicht, wie sie mit dessen seltsamem Gebaren umgehen sollte.
»Wollen Sie einen Kaffee?« Hunter schlug sich leicht gegen die Stirn. »Wie unachtsam von mir, bitte entschuldigen Sie, Miss. Sie kommen schließlich direkt vom Dienst. Genügen Ihnen einen Kaffee und Kekse oder soll ich von Pearl einen kleinen Imbiss reichen …«
»Sie wird schon nicht verhungern! Jetzt fangen Sie endlich an, verdammt!«
April zuckte zusammen, als die Stimme so unvermutet ertönte. Abermals wogten Schauer über ihren Rücken und sie musste vorübergehend die Augen schließen, weil sie das Gefühl hatte, wieder seine Berührungen auf sich zu spüren. Ihr war ja klar gewesen, dass sie ihn ein wenig vermisst hatte, aber dass allein seine Stimme eine solche Wirkung auf sie ausübte, machte ihr nun doch ein wenig Angst. Mist, verdammter! Und warum war er überhaupt so unhöflich? Sie hatte ihm doch gar nichts getan und so, wie es aussah, war sie hier, weil er es so wollte!
Endlich schaffte sie es doch, ihn direkt anzusehen und wurde von diesem arroganten Gesichtsausdruck empfangen, aber nicht dem dazugehörigen Lächeln. Stattdessen bildete sein sinnlicher, so schöner Mund einen fast geraden Strich. Er sah sie nicht direkt an, aber aus seinem Blick sprach ungebändigte Abneigung.
Na wie schön!
Bevor April ihn deshalb anfahren konnte, kam Hunter ihr zuvor.
»Sie haben natürlich recht, Greg. Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Also … Miss Palmer.« Er schlug die vor ihm liegende Akte auf. Erst jetzt sah April, dass sich auch an ihrem Platz ein solches, blaues, samtiges Ding befand. Auf Greg’s ebenfalls.
War dies etwa ein Meeting?
»Wie mein Mandant mir mitteilte, haben Sie am gestrigen Tag, genau genommen am 12. Mai, geheiratet, ist das richtig?«
»Das war ein Unfall!«, erwiderte April fest, die nun wieder den Anwalt ansah. »Ehrlich, wir waren betrunken und …«
Hunter nickte bedächtig. »Das weiß ich alles bereits. Glauben Sie mir, niemand hat vor, Sie zu verurteilen, das ist auch nicht meine Aufgabe, schließlich leben wir Anwälte von den Fehlern unserer Mandanten.« Sein Glucksen fand keine großen Befürworter im Raum, weshalb er es schnell wieder ließ. Ein kurzer Blick zu Greg zeigte April, dass dessen Augen sich bedrohlich verengt hatten. Hunter räusperte sich. »Wie auch immer, eine Ehe wurde geschlossen, was sowohl Ihres als auch das Leben meines Mandanten nachhaltig beeinflusst hat.«
Ach ja? Das war ihr neu. Wieder warf sie Greg einen flüchtigen Blick zu, doch seine Miene war wieder zu jener unlesbaren Maske geworden, die er schon die ganze Zeit zum Besten gab.
»Sie wissen, dass Mr. McCarthy kurz vor der Eheschließung stand?«
»Ich …« April runzelte die Stirn. »Ja, ich glaube, er wollte in Atlantic City seinen Junggesellenabschied feiern. Also ja.« Als ihr klar wurde, welches Licht dies auf sie warf, färbten sich ihre Wangen rot und sie senkte beschämt den Blick. »Tut mir leid, ich hätte ihn natürlich aufhalten sollen. Es tut mir ehrlich leid, aber das ging alles so furchtbar schnell und … Okay, ganz ehrlich, ja? Ich kann mich überhaupt nicht an die Eheschließung erinnern! Sonst hätte ich garantiert nicht ja gesagt, das ist doch alles total bescheuert, und … also das ist wirklich nicht mein Stil, auch wenn es vielleicht so aussieht. Ich wollte das alles nicht. Wirklich nicht.« Letzteres hatte sie zu Greg gesagt. Für einen flüchtigen Mo ment versanken ihre Blicke abermals ineinander. Fast schwarze Kälte traf auf braune, flehende Wärme. Sein Gesicht zeigte nicht die geringste Regung, und wieder fiel ihr auf, dass es wie gemeißelt wirkte. Vielleicht noch mehr als sonst. Er war glatt rasiert, makellos, es hätte sie nicht gewundert, wenn er sogar noch die Augenbrauen hatte zupfen lassen. Wie konnte jemand nur so hübsch sein und diesen widerlichen Gesichtsausdruck zum Besten geben? Diesmal unterbrach er zuerst den visuellen Kontakt, indem er zu seinem Anwalt sah.
Auffordernd und drohend gleichermaßen.
»Pappperlpapp«, sagte dieser gemütlich. »Es ist, wie es ist. Die geplante Hochzeit, die übrigens heute stattfinden sollte, ist natürlich geplatzt, Mr. McCarthy steht vor der Gesellschaft momentan in keinem unbedingt guten Licht da, was natürlich auch Auswirkungen auf seine Familie hat. Es wäre fatal, würde er dem sofort eine Scheidung folgen lassen. Oder eben eine Annullierung, was im Denken der Leute nun einmal das Gleiche ist. Auch die Kunde, dass es sich bei Ihrer Eheschließung um einen Unfall – wie Sie zu nennen pflegen – gehandelt hat, dürfte seiner Reputation ganz und gar nicht gut tun. Ihnen ist möglicherweise nicht in jeder Einzelheit bekannt, um wen es sich bei Mr. McCarthy handelt, deshalb würde ich Sie gern kurz ins Bild setzen, ist das in Ordnung?«
Nein, das war es nicht! April hatte keine Chance gehabt, dem schnellen Geschwafel des Anwaltes zu folgen. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was er ihr klarmachen wollte. Einzig die Vermutung, dass das mit der Annullierung wohl nicht so einfach wie gedacht werden dürfte, hatte sie inzwischen. Wieder sah sie schnell zu Greg, der sie nach wie vor ausdruckslos musterte. Seine Hände hatte er lässig vor sich liegen, die Hände flach auf dem Tisch, während April längst nervös an ihren Fingernägeln herumkratzte, auch wenn das alle sehen konnten.
»Miss Palmer?«, rief Hunter sich in Erinnerung.
Hastig sah sie ihn an. »Was?«
Sein Grinsen war bühnenreif, doch sie meinte, dahinter die Ungeduld zu sehen, die sie bereits am Telefon von ihm gehört hatte. Der Mann mochte es offenbar kurz und schmerzlos. »Darf ich Sie kurz ins Bild setzen?«
»Äh …« April räusperte sich, weil sie mit einem Mal so heiser war. »Das machen Sie doch schon die ganze Zeit, oder?«
Unglaublich, aber das Strahlen wurde noch ein wenig breiter. Dann nickte Hunter frenetisch. »Auf jeden Fall sind Sie nicht auf den Kopf gefallen, was dieses Gespräch vereinfachen dürfte. Hervorragend! Schlagen Sie die vor Ihnen liegende Mappe auf. Schriftstück A enthält wichtige Daten zur Familie Ihres … Ehemannes.«
Das Wort missfiel April, es war falsch, doch sie wagte es nicht, Einspruch zu erheben. Stattdessen löste sie ihre klammen Hände auseinander, zog die samtene blaue Mappe zu sich heran und schlug sie auf. Sie war nicht sehr dick, aber die erste Seite, die sie sich ansehen sollte, eng beschrieben, maximal Schriftgrad 9. Hatten die ein Glück, dass sie keine Brillenträgerin war, ansonsten hätte sie jetzt ernsthafte Schwierigkeiten gehabt. Das Blatt enthielt im Kopf das Logo der Kanzlei, darunter folgten mindestens vierzig Zeilen Text. »Ich schlage vor, Sie lesen das kurz und ich sorge in der Zwischenzeit für einen kleinen Imbiss, in Ordnung?«
»Ja, ja«, murmelte April und sah dann auf. »Was?«
Wieder grinste Hunter. »Alles in Ordnung. Lesen Sie bitte, ich werde mich mit Mr. McCarthy währenddessen zurückziehen, um Ihnen die erforderliche Ruhe zu verschaffen. Wir lassen etwas zu Essen bringen. Und … Jetzt wollen Sie doch sicher einen Kaffee, nicht wahr?«
Ohne auf ihre Antwort zu warten, trat er zu ihr, zog eine der Designer-Thermoskannen, eine Tasse sowie Zucker und Sahne heran, um ihr dann einzuschenken. April sah wieder zu Greg, der sich ebenfalls erhoben hatte und bereits zur Tür getreten war. Sein Blick wirkte noch immer kühl, aber auch abschätzend. Er betrachtete sie so intensiv, dass nächste Schauder ihren Rücken folterten. Als wolle er in ihrem Gesicht die Antwort auf eine Frage finden, die nicht einmal gestellt worden war. Was dachte er sich nur?
Was wollten die beiden überhaupt von ihr?
Sie hatte doch nichts Falsches getan! Okay, sie war mit einem Mann, der verlobt war, ins Bett gestiegen, das war mies gewesen, ganz klar. Dass sie ihm auch noch vor einem Altar, an den sie sich nicht erinnern konnte, ihr Jawort gegeben hatte, war es auch. Aber da war sie betrunken gewesen! Verdammt, sie hatte bestimmt eineinhalb Flaschen Gin geleert. Allein! Jedes Gericht der Welt würde sie wegen vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit freisprechen und zu einer Alkohol-Entwöhnungskur verdonnern.
»Bitteschön«, sagte Hunter und grinste. »Lassen Sie sich alle Zeit der Welt, in Ordnung?«
»Äh … klar«, erwiderte April unsicher und beobachtete, wie auch Hunter zur Tür ging, die Greg inzwischen geöffnet hatte.
»Wenn irgendetwas ist, Sie finden meinen Assistenten im Raum nebenan.«
»Äh … kl…«
Den Rest hörte er bereits nicht mehr, weil er die Tür hinter sich und Greg geschlossen hatte und April somit in dem riesigen Zimmer mit der Akte allein war.
Mit dieser, einer Tasse Kaffee …
… und Gebäck.
In einem Anflug von Trotz lehnte sie sich über den Tisch und zog den Teller zu sich heran, auf dem kunstvoll sehr edle Kekse angeordnet worden waren. Es handelte sich exakt um die Dinger, die sie im Supermarkt immer ignorierte, weil sie so unverschämt teuer waren. Sie stopfte sich gleich drei davon in den Mund, schloss genüsslich die Augen und kippte einen großen Schluck Kaffee nach.
Wenn sie schon hierherkomplimentiert wurde und sich den eisigen Blicken dieses … Machos stellen musste, dann wollte sie ihnen wenigstens materiell schaden. Die Kekse waren nämlich wirklich sehr teuer. Immer noch kauend zog sie die Akte wieder zu sich heran, wischte ein paar Krümel von dem weißen Papier und begann endlich, zu lesen.
Die Familie McCarthy gehört seit vielen Jahren zu den bedeutendsten Klienten von Hunter, Carter & Son. Wir vertreten sowohl die privaten als auch die vielschichtigen geschäftlichen rechtlichen Belange der McCarthy Finanzal-Group.
Bevor sie sich die Hand vor den Mund halten konnte, spuckte April den gesamten Mundinhalt über den Tisch. »Fuck!«, fluchte sie, sobald sich ihr Husten gelegt hatte. Sie versuchte, wenigstens die Krümel vom Papier zu pusten, sah, dass sich trotzdem ein sehr unschöner Fettfleck gebildet hatte und stöhnte resigniert. Mit einem Mal war ihr so übel, dass sie meinte, sich gleich unkontrolliert auf den edlen Tisch übergeben zu müssen. Wie hatte sie nur so verdammt dämlich sein können?
Wie?
McCarthy, verdammt! Das hätte ihr doch gleich auffallen müssen! Jedes Kind kannte diese Namen, der unweigerlich mit der globalen Hochfinanz verbunden war. Nahezu jede Bank hing irgendwie mit den McCarthy’s zusammen, die Regierungen der Länder hatten mindestens ein Mitglied, das irgendwann einmal Teil des riesigen McCarthy Apparates gewesen war. Das war nicht nur irgendein Bankfuzzi, sondern die Weltbank selbst!
Je mehr ihr von dem, was ihr aus dem Stegreif über diesen Mogul einfiel, in den Sinn kam, desto übler wurde ihr. Den übrigen Text überflog sie nur noch und ihre Übelkeit legte sich ein wenig, als ihr klar wurde dieser McCarthy nur ein Ableger der echten waren, der echten Finanz-Group, welcher nicht der Vater vorstand, sondern dessen Bruder, der den Vorstand innehatte. Es hätte ihr gleich klar sein müssen, diese Anwaltskanzlei war zwar gediegen und garantiert kostspielig, bewohnte aber nur vier Etagen in diesem Tower und sie waren ohne große Probleme hineingekommen. April nahm an, in die Räume des Anwaltskonsortiums, dass für die McCarthy GLOBAL Financal-Group tätig war, kam man als Normalsterblicher erst, wenn man einige sehr widerliche Durchleuchtungen und Leibesvisitationen über sich ergehen lassen hatte. George McCarthy hielt sich aus den globalen Geschäften heraus, kassierte aber nichtsdestotrotz natürlich die jährlichen Aktienausschüttungen, klar. Er war jedoch nicht der Global Player, derjenige, der hinter all dem steckte, was diese Welt so verdammt krankmachte. Trotzdem waren sie eine der reichsten Familien der Staaten, wenn nicht der Welt.
»Da hast du ja noch mal Glück gehabt«, wisperte April erstickt, der Schweiß war ihr auf die Stirn getreten. »Sie sind nur mit den Arschlöchern verwandt und haben ein paar Aktien im Weltgeschäft. Ist ja irre.« Ihr Gelächter klang auch leicht wahnsinnig, doch sie war sich dessen nicht bewusst. Wahr war nämlich auch, dass sich dieser Zweig der McCarthys zwar aus dem internationalen Geschäft heraushielt, in den USA aber ziemlich gut aufgestellt war. Er galt mit seiner Bank als Marktführer und … April schluckte, denn auch Helen hatte ihr Konto bei dieser Bank. Ihre Eltern auch. Jeder, so weit sie das überblicken konnte. Außer sie selbst, sie war zu der guten alten Volksbank gegangen, weil die Filiale sich nur wenige Meter von ihrem Appartement befand und sie dem Onlinebanking immer sehr feindselig gegenübergestanden hatte.
Irgendwann sah sie auf, ihr Gesicht war weiß wie eine Wand, während sie fassungslos vor sich hinstarrte.
»Du hast mit einem verdammten Milliardär gefickt, Baby«, erklärte sie sich tonlos. »Du hast seine Hochzeit platzen lassen und ihn stattdessen geheiratet. Du bist die Ehefrau eines verdammten Milliardärs, ist das nicht irre?«
Ja, das war es in der Tat. Auf jeden Fall war jetzt schon mal geklärt, weshalb dieser Hunter einen solchen Aufriss veranstaltete. Sie konnte sich nicht genau vorstellen, wie, aber zumindest momentan war sie reines Dynamit. Auch Greg’s Gesichtsausdruck war inzwischen plausibel, wenn auch nach wie vor ihrer Ansicht nach unangebracht und hochgradig unfair. Denn April dachte nicht daran, irgendeinen finanziellen Vorteil aus dieser Situation zu ziehen. Sie wollte nur so schnell wie möglich klären, was geklärt werden sollte, um dann endlich wieder in ihr so langweiliges, aber sicheres, behütetes Leben verschwinden zu können. Mit einem Mal erschien ihr nichts erstrebenswerter.
* * *
Als neben sie ein Tablett geschoben wurde, zuckte sie zusammen. Ein schneller Seitenblick sagte ihr, dass es sich um Jack handelte, der sie angrinste und dabei auf einen Teller mit Sandwiches deutete, den er gerade vor ihr abgestellt hatte.
»Der Boss meinte, du könntest vielleicht Hunger haben«, erklärte er dabei. »Aber hier scheint erst mal eine Putzaktion vonnöten zu sein, oder?« Dankbar nahm sie zur Kenntnis, dass er sie auch endlich duzte. Ein Mensch inmitten dieser … dieser … reichen Arschlöcher.
»Danke!«, sagte sie. »Du bist meine Lebensrettung. Danke!«
»So schlimm?«, erkundigte er sich. »Lass mich mal machen, ich krieg das schon hin. Und du hau rein. Wir hätten da Lachs, Ei, ungarische Salami, spanischen Schinken, Kaviar.«
Angewidert sah April zu dem Teller, auf dem die womöglich teuersten, erlesensten und am geschmackvollsten angerichteten Sandwiches lagen, die sie zeit ihres Lebens sehen würde. Selbst an Servietten war gedacht worden und an Besteck. Es handelte sich um echtes Silber – das Siegel fiel April sofort ins Auge – und um Stoffservietten, nicht das übliche Zeug aus Zellstoff.
»Nein, ich habe keinen Hunger«, sagte sie und sah ihn an. »Es ist nur so nett, einen Menschen zu sehen.«
Seine Augen wurden groß. »Hör mal, ich glaube nicht, dass du dich unwohl fühlen sollst. Wenn du willst, sage ich ihnen Bescheid und sie kommen wieder rein. Das ist …«
Er befand sich bereits auf dem Weg zur Tür. Aprils schrille Stimme hielt ihn zurück. »STOPP!« Als er sie über seine Schulter ansah, winkte sie herrisch mit einer Hand. »Hierher! Und zwar plötzlich!«
Wieder folgte er. Nun ja, er war jung, da gehorchte man noch, wenn Befehle erteilt wurden. Aber sie konnte nur schwer hoffen, dass er dies irgendwann ablegte, es war nämlich absolut nicht sexy.
»Einen Menschen« , sagte sie, sobald er wieder vor ihr stand. »Ich freue mich, einen Menschen zu sehen.
Jack neigte den Kopf und grinste schief. »Okay …«, sagte er dann und nahm eine der Servietten. »Dann bleib ich eine Weile hier, beseitige eben mit den Dingern das Chaos vom Tisch und leiste dir Gesellschaft, ja?«
»Ja!«, hauchte April ergriffen. »Danke!«
Sein Grinsen wurde breiter. »Keine Ursache.« Und dann machte er sich daran, den Tisch von den Krümeln zu befreien, die sie soeben ausgespuckt hatte.