23. Kapitel
Greg
»Du nervst«, knurrte er in sein Handy und beendete den Anruf, bevor Terence ihn weiterhin löchern konnte. Sein bester Freund und Mitverschwörer hielt das Ganze offensichtlich für einen Witz. Er würde sich auch nicht mit seinem Vater auseinandersetzen müssen, oder mit der Tatsache, dass Keira – oder deren Vater – Greg’s Laufpass so kurz vor der Hochzeit überhaupt nicht spaßig aufgenommen hatten, sondern mit Klage drohte. Was er einklagen wollte, war weder Greg noch Hunter ganz klar, doch auch das würde wieder öffentlichkeitswirksam ausgeschlachtet werden, wenn sie es soweit kommen ließen. Demnach würde es auf eine nicht unerhebliche Vergleichszahlung hinauslaufen, um genau das zu verhindern. ›Nicht unerheblich‹ bedeutete hierbei, ungefähr in Höhe dessen, was er der kleinen Nutte, die nun anstatt Keira’s seine Frau war, nach Ablauf des Pflichtjahres auszahlen würde.
»Und genau darauf wollen sie auch nur hinaus« , hatte Hunter ihm mitgeteilt. »Ich kenne Evens und das nicht erst, seitdem seine verdammten Anwälte monatelang über jeden noch so geringen Firlefanz im Ehevertrag mit uns gerungen haben. Der Mann will nicht ohne Entschädigung aus der Geschichte gehen, verlassen Sie sich drauf!«
»Dann zahlen wir ihm eben die abgefuckte Entschädigung«, hatte Greg geknurrt, während er vor dem Spiegel stand und seine Fliege, passend zum Smoking, zurechtrückte. »Auf ein paar Millionen mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an.«
»Hahah!« Hunter hatte wenig erfreut geklungen. »Wie Sie meinen, aber ich versichere Ihnen, Ihrem Vater wird das gar nicht gefallen.«
»Den lassen Sie bitte meine Sorge sein!«, hatte Greg geknurrt und das Gespräch grußlos beendet. Das Handgerät hatte er angewidert auf sein Bett geworfen, bevor er sich wieder seiner Fliege gewidmet hatte. Nicht nur, dass er diese ungebildete, niveaulose Nutte am Arsch hatte, nein, er musste sich auch noch von jedem dahergelaufenen Idioten mit dessen unnützer Meinung berieseln lassen. Als wäre das eine Art geheimer Startschuss gewesen, hatte in diesem Moment das Handy gesummt und Terence sich bei Greg in Erinnerung gerufen.
Aufgeregt natürlich und neugierig auch.
Nachdem er auch diesen speziellen Idioten zunächst das vorlaute Maul gestopft hatte, fühlte er sich erschöpft wie nach einem Sechzehnstundentag Arbeit. Gern hätte er sich ein Bier aus dem Kühlschrank geholt und die Beine hochgelegt. Oder noch besser: Er wäre in seine Stammbar gefahren, hätte sich volllaufen lassen und sich ein Mädchen mitgekommen, um die Nacht damit zu verbringen, all das, was derzeit in seinem Leben so sehr störte, ins Nirwana zu ficken. Nachdem er sich von dem Mädchen eine Verzichtserklärung hätte unterschreiben lassen, einschließlich des Vermerkes, dass keine Hochzeit, egal wann und wo sie stattgefunden haben könnte, irgendeine Verpflichtung von einer der beiden Seiten beinhaltete. Greg war inzwischen schlauer geworden und wusste, worauf er achten musste .
Das war Blödsinn und das war ihm auch bewusst. Wenn er der kleinen Nutte viel vorwerfen konnte – was eine tatsächliche Tatsache war – dann jedoch nicht, dass sie ihn unter Druck gesetzt hätte. Das entsprach schlicht nicht der Wahrheit. Doch Greg brauchte dringend eine Person, auf die er seinen Ärger projizieren konnte, egal, um welchen es sich in der schier endlosen Palette nun genau handelte. Und diese April schrie geradezu danach, für alles, was momentan schief lief, die Schuld zu übernehmen.
Sie war untragbar!
Fertig!
Nein, nicht ganz. Darüber hinaus nervte sie ihn auch. Er hatte sie jetzt seit knapp vierundzwanzig Stunden nicht gesehen, und das hatte nicht genügt, um sich vom ersten Schock zu erholen. Hilfreich war auch nicht der Anruf Madame Shaws heute Mittag gewesen, die dafür verantwortlich war, aus der Nutte eine Lady zu machen oder wenigstens etwas Artverwandtes.
»Das wird nicht einfach, Sir. Ihr fehlen die grundlegendsten Kenntnisse, und wir müssen auch in Sachen Styling ganz von vorn beginnen. Bis wann habe ich Zeit?«
»Für den Rohputz noch sechs Stunden«, hatte Greg gebrummt und sich nicht an ihrem empörten Keuchen gestört. Die Frau nahm noch mehr in der Stunde als Hunter, der Idiot. Wenn hier jemand entnervt aufkeuchen müsste, dann war er es!
Noch immer stand er vor dem verdammten Spiegel in seinem Schlafzimmer und versuchte, die Fliege zu richten, die sich einfach nicht richten lassen wollte. Er bemerkte, dass seine Hände schwitzig waren, und verachtete sich dafür abgrundtief. Früher hatte er von sich angenommen, ein Mann zu sein und nun stellte sich heraus, dass er nur ein verkapptes Weichei war.
»Verdammter Müll!«, knurrte er, ließ die Hände sinken und wandte sich abrupt ab.
Der Abend würde aller Wahrscheinlichkeit nach ein Reinfall werden, bei dem eine nicht exakt gebundene Fliege noch das kleinste Problem darstellen würde.
Er nahm sein Jackett, griff zum Mantel und machte sich auf in die Garage, wo er sich mit seiner Gattin treffen wollte. Ja, er verzichtete darauf, das unedle und unerzogene Geschöpf in seinem Appartement zu empfangen, und dankte zum ersten Mal dem Architekten, mit dessen Hilfe er es geplant hatte, als dieser auf der Abtrennung der Einliegereinheit bestanden hatte. »So etwas kann nie falsch sein, was, zum Beispiel, wenn Sie … jemanden in greifbarer Nähe haben wollen, aber nicht zu nah, um die Etikette zu wahren?«
Beide Männer hatten damals an eine Geliebte gedacht, nur dass Greg schon zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt gewesen war, niemals so dämlich zu sein, sich zuzüglich zu einer nervenden Gattin auch noch eine nervende Geliebte ins Haus zu holen.
Nun hatte er die Ehefrau in die für die Geliebte vorgesehene Wohnung verbannt, was einer gewissen Ironie nicht ganz entbehrte. Blöd nur, dass Greg momentan für keinerlei Humor empfänglich war, auch nicht für ironischen.
Er wählte wieder seinen SUV, weil es momentan sein Lieblingswagen war, wenn man überhaupt davon sprechen konnte – Greg identifizierte sich nicht über die Größe oder Form seiner Autos. Schwanzlängenvergleiche hatte er nicht nötig. Weder im direkten noch im übertragenen Sinne.
Er nahm hinter dem Steuer Platz, schaltete das Radio ein, regelte nach kurzer Überlegung vom klassischen Sender, den er üblicherweise hörte, auf einen rockigen. Highway to hell von ›AC/DC‹ empfing ihn, was er als antik, aber passend einschätzte. Auf dieser gewissen Straße befand er sich nämlich gerade. Er drehte die Musik so laut, dass ihm die Ohren klingelten. Die linke Hand auf dem Lenkrad, die andere schon am Zündschlüssel, bereit, den verdammten Motor zu starten, wenn dieses Weib endlich erscheinen würde, schloss er die Augen, und gab sich ganz der Musik hin. Die wummernden Bässe wuschen jede wütende Beklemmung von ihm, reinigten ihn sprichwörtlich, sodass er zum ersten Mal seit Tagen befreit aufatmen konnte. Die Wirkung würde nicht lange anhalten, das war klar, aber für den Moment genoss er dieses unendlich selige Gefühl der Unbeschwertheit.
Als er die Lider wieder öffnete, zuckte er zusammen und seine Augen wurden groß.
Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er geglaubt, eine Frau hätte sich – aus welchem Grund auch immer – in seine Tiefgarage verirrt. Erst dann ging ihm auf, dass es sich bei dem Wesen um seine Frau handelte und er unterdrückte ein Grinsen, während er das Radio ausstellte.
Ja, Rosmerta war nicht gut, sondern die Beste. Er hatte lange herumgefragt, bevor er sich für sie entschieden hatte, denn in seinen Kreisen hieß es, dass sie Wunder vollbringen könne.
Sie konnte.
Nichts erinnerte mehr an das rotzige Mädchen, das er vor fast exakt 24 Stunden in der Einliegerwohnung abgeliefert hatte. Sie trug ein langes, hautenges, schwarzes Abendkleid, das durch eine weiße Stola aufgelockert wurde. Ganz nebenbei erkannte er, dass sie Figur hatte, oder wurde wieder daran erinnert, denn er hatte ihre Kurven zwischenzeitlich aufgrund ihres verboten hässlichen Schlabberlooks vergessen. Die Arme waren bis zu den Ellenbögen mit schwarzen Handschuhen bedeckt, an den Füßen steckten Pumps mit extrem hohen Absätzen. Ihr Gesicht war dezent geschminkt, doch es war Rosmerta gelungen, aus der Naivität Unschuld zu kreieren und aus der Jugend natürliche Grazie. Die Lippen waren nur blassrosa betont, die Augen wirkten nun noch viel größer, als sie schon von Natur aus waren. Er hatte schon früher erkannt, dass ihre Augen das einzig bemerkenswerte an dieser Frau waren. Das dunkle Haar war straff zurückgekämmt und in einen großen Knoten gebunden, der durch weiße Perlen aufgelockert wurde. Weiße Perlen, wie sie ebenso um ihren Hals hingen.
Rosmerta hatte aus ihr eine gottverdammte Audrey-Hepburn-Kopie gemacht und verflucht, das Experiment war perfekt gelungen!
Geistesabwesend wollte Greg aussteigen und ihr die Wagentür öffnen – keine andere Reaktion erschien ihm in diesen Moment ratsam. Doch bevor er sein unausgegorenes Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, hatte sie den SUV schon erreicht und öffnete die Beifahrertür. Sie ließ sich auf den Sitz gleiten und sah ihn an. Aus ihrem Gesicht sprach höchste Empörung.
»ZWÖLF STUNDEN! Die haben ZWÖLF STUNDEN an mir rumgemacht, und ich kann dir flüstern, ich hab die Schnauze gestrichen voll! Wenn ich das jeden Tag mitmachen soll, dann steige ich aus, darauf kannst du deinen Arsch verwetten. Ich mein, GEHT’S NOCH?«