27. Kapitel
Greg
Diesmal verließ Greg ihre Räume durch die Verbindungstür zu seinem Teil des Appartements und fand sich kurz darauf in seinem viel zu stillen Wohnzimmer wieder.
Plötzlich nervte ihn die nahezu sterile Ordnung, die ihn hier empfing, auch wenn er sie sonst sehr zu schätzen wusste. Er hatte das Gefühl, erst die Hälfte dieses Abends hinter sich gebracht zu haben. Nichts lag ihm ferner, als jetzt zu Bett zu gehen, zumal es nicht mal Mitternacht war. Allerdings hatte er auch keine Lust auf ein Flaschenbier, einsam auf seiner Couch getrunken. Unsicher sah er zu der Tür, durch die er gerade eingetreten war. Die Versuchung war groß, doch noch zu ihr zu gehen. Nicht, um zu reden, sondern um den Orgasmus einzufordern, den sie ihm schuldete. Was an ihrem Bett noch halbwegs leicht gewesen war, nämlich der Verlockung nicht nachzugeben, erschien ihm mit jeder Sekunde schwieriger und auch abwegiger. Schließlich war sie seine Frau, das konnte man ja nicht einfach so unter den Tisch fallen lassen!
Als Greg wusste, dass noch Minuten fehlten, bevor er tatsächlich zu ihr gehen und sich damit das eigene Grab schaufeln würde, wandte er sich ab, griff wieder seinen Mantel und verließ zunächst das Appartement und wenig später das Haus.
Allerdings nicht in seinem eigenen Wagen. Stattdessen stieg Greg in das vor der Tür wartende Taxi, das Ben, der heute Abend wieder Dienst tat, für ihn geordert hatte. Greg wusste, dass er heute noch mehr trinken würde. Aufatmend ließ er sich in die Polster fallen, sobald er dem Fahrer die Adresse seines heutigen Ziels genannt hatte. Dort würde er all das finden, wonach ihm so dringend verlangte: Ruhe, Bier, Scotch und … Frauen.
Frauen, bei denen es sich nicht als riesiger Fehler herausstellen würde, wenn er sich ein wenig mit ihnen vergnügte. Ohne Verpflichtungen, ohne Vorspiel und ganz besonders: ohne Nachspiel. Blieb ihm nur zu hoffen, dass sich nicht das Bild einer nackten, willigen und feuchten April vor sein geistiges Auge schieben würde …
* * *
Es war bereits hell, als Greg heimkam. Die Fliege hing lose um seinen Hals, der Hemdkragen stand offen, seinen Mantel trug er über dem Arm und die Augen konnte er aus etlichen Gründen kaum noch offenhalten. Er war betrunken, er war müde und er war körperlich erledigt. Keine Ahnung, wie ihr Name gewesen war, gut möglich, dass er nicht einmal nach ihm gefragt hatte, auf jeden Fall war sie unersättlich gewesen und hatte ihn über Stunden wachgehalten. Dreimal war er gekommen, dreimal hatte er dabei an eine andere gedacht. Eine, die unerreichbar war, eine, die es in Wahrheit gar nicht wert war, dass er an sie dachte. Es hatte ihn noch mehr Kraft gekostet, als der Sex an sich. Und so hatte er sich irgendwann von einem Taxi heimfahren lassen. Hoffend auf etwas Ruhe und Erholung …
Sobald Greg die Tür geöffnet hatte, wusste er, dass etwas anders war. Allerdings brauchte
er einen Moment, bis er sie
auf seiner Couch entdeckt hatte. Sie hielt eine seiner Kaffeetassen in den Händen, trug ein Sweatshirt und Leggins – diesmal von der nicht schlabberigen Sorte, und betrachtete ihn lauernd.
Langsam schloss er die Tür, wusste nicht, was er sagen sollte und fragte sich zeitgleich, weshalb er sich überhaupt so beklommen fühlte. Schließlich war er ihr keine Rechenschaft schuldig. Und wenn er noch so ausufernd an sie dachte, während er mit einer anderen Sex hatte.
»Guten Morgen«, sagte Greg, weil ihm nichts Besseres einfiel.
Ihre Miene verzog sich nicht im Geringsten. »Morgen.«
Nachdem er seinen Mantel achtlos über einen Sessel fallen lassen hatte, trat er zu ihr, die Hände in die Hüften gestützt. »Darf ich fragen, was du hier suchst?«
»Warten.«
»Worauf?«
»Auf dich?«
»Warum?«
»Weil du nicht da warst.«
Greg begriff, dass dieses Quiz ewig so weitergehen würde, wenn er dem nicht Einhalt gebot. Schnellstens, denn in der Zwischenzeit drohten seine Lider verstärkt, sich über seine Augen zu senken. Er war hundemüde, verdammt! Außerdem wollte er sie nicht sehen! »Was auch immer du willst, wir werden das später klären!«, sagte er knurrend.
Endlich bewegte sie sich. Sie stellte die Tasse auf dem Tisch ab – Greg konnte sich gerade so davon abhalten, sie anzublaffen, weil sie keinen Untersetzer benutzte – und stand auf. Bevor er reagieren konnte, hatte sie den Tisch umrundet und versperrte ihm den Weg. »Wann später?«, erkundigte sie sich lauernd.
»Wenn ich ein paar Stunden geschlafen habe«, erwiderte Greg und drängte sich an ihr vorbei. Doch sie hielt ihn am Arm fest, was in ihm einen Zorn entfachte, mit dem er in seinem Zustand nicht gerechnet hatte. Verdammt, er hatte schon gewusst, weshalb er keine Ehe führen wollte. Diese Frauen waren in einer Bar, ohne den echten Namen zu kennen oder ihn je erfahren zu wollen, ein wahrer Gewinn für jeden Mann. Auf der heimischen Couch, am Morgen nach einer durchtrunkenen und durchvögelten Nacht, waren sie leider eher lästig. Sie wollten reden. Sie wollten Antworten. Sie wollten ihre Gedanken sehr ausführlich mitteilen.
Selbst das war zwar nervig, aber irgendwie akzeptabel. Im Normalfall! Nur dieses Exemplar von Ehefrau besaß dazu nicht das geringste Recht!
»Du warst bei einer Frau!«, stellte sie mit einem Triumph in der Stimme fest, der ans Lächerliche grenzte. Greg schloss die Augen, um sie weder anzuknurren noch zu rabiat für seine Bewegungsfreiheit zu sorgen. Als er sie wieder ansah, nahm er sie nicht mehr wirklich wahr, sondern blickte durch sie hindurch.
»Es ist halb sechs, ich muss um zehn Uhr im Büro sein, ich bin hundemüde, ich bin betrunken, ich habe keine Lust, mich mit dir zu unterhalten. Weder jetzt noch später. Gute Nacht!«
Damit wandte er sich ab und verschwand in seinem Schlafzimmer, wo er sich, ohne erst seine Sachen auszuziehen, auf das Bett fallen ließ. Greg war so müde, dass er sich keine Gedanken darüber machte, ob sie ihm nachkam oder nicht, so etwas fand in seinem Denken nicht statt, es wäre zu ungeheuerlich gewesen
.
Er behielt recht.
Egal, was auch immer sie nun wirklich von ihm gewollt hatte – er war zu betrunken, um das ganz zu erfassen – sie hatte begriffen, dass die Diskussion hiermit beendet war.
Perfekt!