38. Kapitel
April
»Au!«, kreischte sie, als Greg sie in festem Griff hinter sich herzog. »Das tut weh!«
Er sah sich nicht mal zu ihr um. »Wenn du auch nur einen Funken Verstand hast, dann hältst du einfach den Mund, April!«, knurrte er und zerrte sie weiter hinter sich her. Sie stolperte, wäre hingefallen, hätte er sie nicht festgehalten, schrammte sich aber den Fuß auf und spürte die ersten Tränen laufen. Das war einfach zu viel! Endlich kamen die Carts in Sichtweite. Sobald sie das Erste erreicht hatten, schob er April zur Beifahrerseite.
»Einsteigen! Mund halten!«, befahl er, und da sie ihn zwar hasste und ihm die Augen auskratzen wollte, aber ein Wunsch all das überragte, nämlich, hier dringend zu verschwinden, gehorchte April ohne Widerspruch.
Sie wollte wirklich nur noch weg. Weg von diesem aufgeblasenen, fast klebrigen Reichtum, hinter dem sich das nackte Grauen und der reinste Inhumanismus verbargen. Weg von all den starrenden, sensationsgeilen Menschen. Weg von diesem widerlichen William, dessen Geruch noch immer in ihrer Nase haftete und von dem sie meinte, nach wie vor seinen Finger in sich zu spüren. So sehr sie auch gerannt war, dies hatte sie nicht hinter sich lassen können. Sie wollte weg von all dem Horror, mit dem sie nicht umgehen konnte.
Vor allem aber wollte April dringend ihre Ruhe, wollte die Gelegenheit bekommen, über das Vorgefallene nachzudenken und ihren Standpunkt zu dieser gesamten Geschichte irgendwie zu finden, um sich dann mit Greg darüber auseinandersetzen zu können. Dass dieser sie wieder einmal vorverurteilt hatte, kam nicht sonderlich überraschend, schmerzte deshalb aber nicht weniger.
So sehr.
Gleichzeitig spielte es aber in ihre Pläne hinein, erst einmal durchatmen zu können, bevor sie sich dem wütenden Greg stellen müsste. Sie mochte es eben nur nicht, wenn man sie an der Hand über etliche Meter hinter sich her schleifte!
* * *
Während der gesamten Fahrt sah er sie nicht ein Mal an, sondern hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Die Kurven wurden in angemessenem, garantiert nicht halsbrecherischem Tempo genommen und es fanden auch keine Zwischenstopps statt, die er nutzte, um April erst vor Leidenschaft in den Wahnsinn zu treiben, und dann am ausgestreckten Finger verhungern zu lassen.
Kaum gedacht sah sie wieder diesen widerlichen William vor sich, spürte seine Lippen auf ihrem Gesicht, fühlte, wie er sie berührte, wie er in sie eindrang und verlor. Denn hätte Greg wirklich etwas Derartiges vorgehabt, dann wäre sie womöglich geflohen. Die Tränen verließen in wahren Sturzbächen ihre Augen, flossen über ihre Wangen und tropften dann in ihren Schoß. April versuchte, lautlos zu weinen und um Himmels willen kein
Schluchzen von sich zu geben, denn sie gönnte Greg den Anblick nicht!
Nein!
Am Ende glaubte er noch, sie heule seinetwegen, und das wäre wirklich mehr, als sie in ihrem derzeitigen Zustand ertragen hätte.
Ihre Sorgen waren unbegründet, Greg sah nämlich gar nicht zu ihr. Wann immer sie heimlich sein Profil musterte, blickte er starr geradeaus. Seine Züge wirkten so … hart, so ohne Emotionen, dass auch April bald jeden Blick zu ihm einstellte, aus Angst, ihr Geheule würde sonst überhaupt nicht mehr aufhören. Nach einer Weile kam sie sogar dahinter, warum sie sich so unendlich mies fühlte. Nicht
wegen diesem William, sondern weil es Greg’s Job gewesen wäre, sie zu trösten, sie zu beschützen, verdammt noch mal zu fragen, weshalb sie so verwirrt aussah, und wer ihr etwas angetan hatte. Dass nichts von all diesen Dingen von ihm vorgenommen wurde, schmerzte mehr, als es dieser widerliche Finger dieses ekelhaften Milliardärs jemals gekonnt hätte. April war viel zu betrunken, um dieser Beinahe-Vergewaltigung den Stellenwert zu geben, den sie verdiente.
Innerhalb weniger Minuten hatten sie die Chinesische Mauer erreicht und verließen das Cart. Schweigend passierten sie den Wachhabenden, dessen freundliches Nicken kaum Beachtung fand. April wollte so schnell wie möglich an ihm vorbei, denn seine neugierigen Blicke wegen ihrer leicht derangierten Aufmachung wirkten auch nicht stimmungsfördernd.
Kurz sah Greg zu ihr. »Wo sind deine Schuhe?«
»Weg«, stieß sie hervor, was er mit einem entnervten Stöhnen beantwortete.
»Du hast nichts ausgelassen, oder?« Er holte den Autoschlüssel aus der Tasche und öffnete von Weitem den SUV.
April antwortete nicht, aber die Tränen waren versiegt. Sie begriff, dass jetzt
der nächste Kampf begann, dass es keine Auszeit geben würde, dass sie sich ihrer Haut wehren müsste und dass die insgeheim so dringend benötigte Hilfe und der Beistand von Greg leider ausbleiben würden. Perfekt, ehrlich!
Sobald sie eingestiegen waren, startete Greg den Motor und fuhr das Fahrzeug vom Gelände. April fragte nicht erst um Erlaubnis, sie ließ die Scheibe hinab und hielt ihr brennendes Gesicht in den kühlen Fahrtwind. Der Tag verabschiedete sich allmählich, die Sonne verlor für heute ihre Kraft und machte sich daran, hinter den Baumwipfeln am Horizont zu verschwinden. Es stimmte April noch zusätzlich melancholisch und hätte beinahe die nächsten Tränen auf den Plan gerufen, wenn Greg ihnen nicht zuvorgekommen wäre.
»Ich hoffe, du bist stolz auf dich«, sagte er, während er den SUV die Landstraße entlanglenkte.
»Ja, bin ich«, erwiderte sie leise.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Ich begrüße deine Ehrlichkeit wirklich. So bleiben wenigstens keine Fragen offen.«
»Nein.«
»Es wäre natürlich leichter gewesen, wenn du es mir gesagt hättest, bevor
ich mich vor meiner gesamten Familie zum Idioten gemacht habe.«
Nun sah sie ihn doch an. »Wovon sprichst du?«
Sein Lachen klang trocken und offenbarte, was April bislang verborgen geblieben war. Nein, Greg hatte sich nicht beruhigt, ganz im Gegenteil, er schäumte vor Wut. »Wovon ich
spreche? Du hast die Party geschmissen, April! Du hast alles daran gesetzt, um dich so billig wie möglich zu präsentieren, du hast keinen Aufwand und keine Mühe gescheut, um zu demonstrieren, dass du mich nicht respektierst und was du von mir und meiner Familie hältst. Ganz ehrlich, ich hatte dir viel zugetraut, aber du hast mich heute überrascht! Negativ, aber ich denke, das liegt in der Natur der Sache.«
Fassungslos starrte sie ihn an. »WAS?« Der Kloß in ihrer Kehle, gerade etwas im Abschwellen inbegriffen, war wieder so dick, dass ihr das Atmen schwer fiel. Nebenbei schlug ihr Herz so schnell, dass sie meinte, demnächst an einem Herzinfarkt zu krepieren.
»Ich war wütend, wie du dir vorstellen kannst«, sagte er, scheinbar ohne zu wissen, dass April selten so verblüfft gewesen war. »Ich bin es noch, ganz klar, aber ich glaube, so ist es wohl für alle Beteiligten besser. Die Vorstellung, über Monate jedes Mal den Katastrophenschutz informieren zu müssen, bevor ich mich mit dir in die Gesellschaft wage, ermüdet mich schon jetzt. Du hast es eben nicht drauf, das ist irgendwie okay …«
»WAS?«
Nun wurde er sogar noch saurer. Zornig sah er sie an, seine Lippen waren wie immer in solchen Situationen fest zusammengepresst. »Verdammt, was soll der Scheiß? Ich gratuliere, du hast gesiegt, der Eklat war umfassend, davon werden die Idioten noch lange sprechen. Du hast es der aufgesetzten Schickeria mal so richtig gezeigt und der Deal ist endlich geplatzt, was willst du noch?«
Fassungslos sah April ihn an, der Kloß verdichtete sich noch einmal, um dann mit einem Mal zu verschwinden. Sie holte tief Luft und brüllte ihn an. »Der Deal ist geplatzt? Geht’s noch? Ich habe mich wie Scheiße behandeln lassen, wurde von deinen Verwandten wie das billigste Flittchen angegafft, deine Eltern hätten mich am liebsten im Burghof erschossen, so wie die aussahen, und dein lieber Onkel William …«
Sie brach ab, denn ihr fiel die Drohung des lieben Onkel Williams wieder ein, und den nahm sie sogar verdammt ernst. Nein, sie wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass Helens Leben versaut wurde. Und selbst ihre Eltern waren ihr bei solchen Drohungen garantiert nicht egal.
»Erstens«, sagte Greg durch zusammengebissene Zähne, nachdem er den Wagen an den Fahrbahnrand gelenkt und gehalten hatte. Er sah sie an, in der zunehmenden Finsternis wirkte seine Haut noch viel dunkler und seine funkelnden Augen dabei deutlich heller. Ein heißer, vor Wut schäumender Dämon, der sich mühsam beherrschte. »… brüllt mich niemand an, auch du nicht! Hast du das endlich kapiert?«
April schwieg. Wenn er meinte, sie würde bei seiner Machonummer auch noch mitspielen, indem sie beschämt und in sich gekehrt ein ›ja‹ hauchte, dann hatte er sich gründlich getäuscht.
Greg atmete tief durch, dann ertönte seine Stimme abermals. Diesmal bekam er die Zähne etwas weiter auseinander. »Zweitens habe ich keine Ahnung, weshalb du dich so aufregst. Dich kann doch unmöglich überraschen, dass ich nach den heutigen Vorfällen keinen Wert auf Weiterführung dieser … äh … Lösung lege.« Er fuchtelte wild mit den Händen in der Luft herum. »Sieh es ein, du hast die Party geschmissen, wie man nur irgendwas schmeißen kann. In der Gesellschaft kannst du dich nicht mehr blicken lassen. Das ist kein Problem, du bist mir scheißegal. Aber mich hast du nebenbei gleich mit unmöglich gemacht. Das kann dir doch nicht entgangen sein, wo es doch dein Ziel war.
«
Sie überging den Spott, fühlte sich mit einem Mal sehr, sehr müde. »Und das bedeutet was?«
»Das bedeutet, dass der Deal geplatzt ist, wie ich schon sagte«, erwiderte er lakonisch.
»Ach so ist das«, murmelte sie, verschränkte die Arme und versuchte irgendwie, diesen verdammten Zorn, zu ignorieren, der sie gerade wieder zu ersticken drohte. »So ist das.«
Er lachte auf. »Das muss dir doch klar gewesen sein, April! Was soll ich mit einer Frau, die einfach nicht gesellschaftsfähig ist, egal, wie weit ich ihr diesen Weg ebne? Die es offensichtlich also gar nicht will! Die Abmachung war, dass du mich unterstützt, nicht, dass du alles daran setzt, mich zum Gespött der Leute zu machen. Du hast versagt! Kapier es endlich!«
»Ich
habe versagt«, murmelte April, ihr war, als hätte sie sich aus ihrem Körper erhoben, und würde sie beide aus der Vogelperspektive in dem superteuren Auto beobachten. Das Blut war aus ihrem Gesicht gewichen, ihre Lippen fühlten sich abgestorben an, selbst die Wangen brannten nicht länger, sondern hatten eine Taubheit angenommen, die sie an das Gefühl beim Zahnarzt erinnerte, wenn sie mit Novocain betäubt wurde. Irgendwann war sie wenigstens davon überzeugt, wieder sprechen zu können. Sie sah ihn an. »Du weißt schon, dass alles eine abgekartete Sache war, ja?«
Er nickte knapp. Nur sein zuckender Kiefermuskel verriet, wie wütend er tatsächlich war. Und aus seinen Augen sprach kalte Verachtung. »Das dachte ich mir, so dämlich …«
»NICHT ICH, DU IDIOT!«, brüllte sie unvermutet los. Binnen Sekunden wurde ihr Gesicht von frischem Blut geflutet. Gesättigt mit jeder Menge Adrenalin, das es ihr unmöglich machte, länger sitzenzubleiben. Bevor er reagieren konnte, hatte sie die Wagentür aufgeworfen und war aus dem Auto gesprungen. Sie stemmte die Hände in die Hüften, verzog das Gesicht, weil sie mit ihren nackten, wunden Füßen prompt in spitze, kleine Kieselsteine getreten war, und wich zurück, als natürlich auch Greg ausstieg. »NICHT ICH HABE FÜR DEN SCHEISS GESORGT!« Noch immer brüllte sie, was falsch war, denn ihre Stimme wurde in der abendlichen Stille sehr, sehr weit über die Wiesen getragen. Sie schnappte nach Luft, herrschte sich an, sich zu beruhigen und vor allem Greg’s drohenden Blick nicht zu beachten, der ihr eine Heidenangst einjagte. »Ich war es nicht!« Zu ihrer Überraschung klang sie wirklich ruhiger, obwohl sie nicht so empfand. Langsam ging er um den Wagen herum und sie wich weiter in den Straßengraben zurück. »Es war eine abgekartete Sache, sie haben dir eine Falle gestellt, Greg. Dir, mir, wie auch immer! Er hat nur auf den geeigneten Moment gewartet, um mir zu verklickern, was ich in seinen Augen bin. In den Augen deiner
ganzen abgefuckten Familie!«
»Bullshit«, sagte er heiser. Ihr fiel auf, dass seine Fäuste geballt waren, und das ließ sie schneller zurückweichen.
»Sie haben dich von mir weggelockt!« Die Tränen liefen, ohne dass April sie bemerkte, denn erst jetzt erkannte sie die Zusammenhänge in ihrem gesamten Ausmaß. »Sie wollten, dass ich allein war, wollten mich separieren, weil ich dann leichter zu fassen war! Dann war da dieser abgefuckte Presseheini …«
»Du hast also ein Interview gegeben?« Er wisperte nur noch, während er sich unaufhörlich auf sie zubewegte. »Es wird immer besser!«
»ICH WUSSTE NICHT, DASS ICH DAS NICHT DARF!«, brüllte April. »Ich wusste überhaupt nichts! Du bist einfach abgehauen, hast mich da stehen lassen und den Hyänen zum Fraß vorgeworfen! Und dann kam dieser verdammte Bernie, der mich
mit zu diesem blöden Pavillon entführt hat. Er war wenigstens nett, obwohl er auch nur ein verdammtes Arschloch war! Aber das konnte ich doch nicht wissen!«
Greg neigte seinen Kopf. »Du hast was?«, erkundigte er sich drohend.
April, die noch immer zurückwich, lachte auf. »Ja super, jetzt bin ich
schuld. Er wollte ein Interview, Rosmerta hatte gesagt, dass so was kommen würde und mich darauf vorbereitet. Ich gab es ihm. So! Und dann kam dein Arschloch von Onkel und hat ihn zur Schnecke gemacht. Der Typ hat sich aufgeführt wie ein Racheengel, das kann ich dir flüstern. Er hat mir was erzählt von Verpflichtungen, die ich eingegangen bin, als wenn ich das nicht schon eintausend Mal gehört hätte. Und dann sagte er, er würde dir davon erzählen müssen, wenn ich …« Sie schluckte, die Bilder der Beinahe-Vergewaltigung rasten vor ihrem inneren Auge vorbei und gleichzeitig Williams Drohung. »… Er hat mir gesagt, dass ich mich hübsch still und leise verhalten soll, dass ich nach dem Jahr in der Versenkung verschwinden soll, und dass mir jetzt genau fünfzehn Minuten bleiben, um das Gelände zu verlassen. Was weiß ich, vielleicht wollte er sonst die Bluthunde auf mich hetzen, so genau hat er sich über die Folgen einer Zuwiderhandlung
…« Sie spuckte ihm das letzte Wort entgegen. »… nicht ausgelassen.«
»Und deshalb hast du die Schuhe ausgezogen?«, erkundigte sich Greg, der sich noch immer bedrohlich näherte.
»Nein, ohne konnte ich schneller laufen.«
Greg zuckte mit den Schultern. »Womit du den Deal gebrochen hast. Mit dem Interview übrigens auch. Weißt du, ich habe das sowieso als Experiment betrachtet, du hast nicht bestanden, wir beenden …«
»Jetzt reicht’s!«, zischte April. »Wer hat hier zuerst den verdammten Deal gebrochen, he? Wer hat zuerst mit irgendwelchen Nutten rumgevögelt und sich einen Schiss um irgendwelche Verträge geschert? Wer hat so getan, als wäre nichts gewesen, obwohl er die ganze Wohnung mit dem ekelhaft süßen Parfüm verpestet hat, mit dem die Schlampe ihn verseucht hat?«
Sie fühlte den Ast in ihrem Hacken, stolperte rückwärts, hörte sich schreien und landete kurz darauf im Gras des Randstreifens.
Fuck!
* * *
Binnen Sekunden war er da, kam über sie wie ein bedrohlicher, gefährlicher Schatten. In der zunehmenden Dunkelheit sah sie nur das Glitzern seiner Augen, dann kniete er über ihr, anstatt ihr aufzuhelfen. Er packte so schnell ihre Arme an den Handgelenken, dass April unmöglich reagieren konnte, pinnte sie links und rechts neben ihren Kopf und brachte sein Gesicht ganz nah an eines. »Dann war das also deine Rache, ja? Deine abgefuckte, billige Rache dafür, dass mir ein gelegentliches Runterholen unter der Dusche nicht reicht?«
»Was?« Verzweifelt versuchte sie sich zu befreien, wusste, dass sie keine Chance hatte, und kämpfte nur noch heftiger. Platzangst nahm sie in Besitz, sie wandte das Gesicht von ihm ab und keuchte: »Ich habe alles versucht, um es dir recht zu machen. Ich habe es wirklich versucht!«
»Warum, wenn du meintest, der Deal wäre geplatzt?«, erkundigte Greg sich in diesem drohenden Ton. Sein Gewicht lag auf ihr, seine Beine hinderten die ihren daran, sich zu befreien, seine harten Hüften drückten sie in das Gras, und ihre Brüste wurden gegen
seinen muskulösen Oberkörper gepresst.
»Weil ich …« Tränen brannten, der irre Schrei eines gefangenen Tieres gierte in ihrer Kehle um Befreiung, sie konnte nicht mehr taktieren, konnte nicht mehr denken, hatte nur noch den Wunsch, ihm die eine Antwort zu geben, die ihn dazu bewegen würde, sie endlich wieder freizugeben.
»Weil ich nicht wollte, verdammt!«
»Was wolltest du nicht?«
Nun liefen die Tränen wirklich, was eine gewisse befreiende Wirkung hatte. Sie konnte ihn wieder ansehen, direkt das geliebte Gesicht betrachten. Denn bei Gott, sie war in ihn verliebt. In dieses unsagbar riesige Arschloch. »Ich wollte nicht, dass der Deal platzt. Ich dachte …« Der ungeborene Schrei in ihrer Kehle verwandelte sich in ein Schluchzen. »Ich dachte, dass wir es irgendwie hinbekommen. Dass wir …«
Sein Gewicht hob sich ein wenig von ihr, es war, als hätte er sich leichter gemacht, womit er sofort nicht mehr halb so bedrohlich wirkte. Greg gab ihre Handgelenke frei, nahm ihr Kinn in seine Hand und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Als er wieder sprach, klang er samtweich. »Was sollten wir hinbekommen?«
Nun konnte April wieder besser denken, sie suchte nach Worten, die sie nicht wie eine komplette Idiotin dastehen lassen würden, fand keine und fragte sich mit einem Mal, ob sie wirklich so dämlich war, verdammt! Er war schon der zweite Mann, der ihr heute sexuell eindeutig zu nahe trat. Wenn sie diesen hier auch viel, viel lieber hatte als den gruseligen William, so ging es dennoch ums Prinzip! Warum meinten alle Männer aus diesen angeblich so edlen Kreisen, dass sie in April eine leicht zu erlegende Beute hatten? Und warum meinten sie darüber hinaus, ihre klaren Ansagen ignorieren zu können? Warum respektierten sie ihren Willen nicht?
Weil sie April für eine Nutte hielten, ganz klar! In ihren Augen war April eine billige, käufliche, kleine Schlampe, die der Zufall in ihre Krakenarme getrieben hatte. Ein Spielball für ihre Eitelkeiten. So war es von Anfang an gewesen, sie hatte es nur verdrängt.
Blöd!
Kaum gedacht, schoss frisches Adrenalin durch ihre Adern und verlieh ihr endlich die Kraft, ihn erfolgreich von sich zu schieben. Kaum hatte sie genügend Bewegungsfreiheit, krabbelte sie unter ihm hervor und stand auf.
»Fass mich nicht an!«, schleuderte sie ihm entgegen. Die Tränen strömten immer noch, aber sie waren ihr egal. Heftig wischte sie sich über die Augen und schniefte. »Ich habe heute was gelernt, also war der Tag schon mal nicht umsonst: Ihr seid ein widerlicher Haufen Mist, der sich einbildet, sich an keine Regeln halten zu müssen, nur weil ihr Geld habt. Einen Schiss seid ihr mehr wert als wir!« Sie hob einen Finger und starrte in sein unbewegliches Gesicht. Inzwischen war auch Greg aufgestanden. »Das war nicht der Deal! Nichts von alledem! Es war keine Rede davon, dass ich mich so behandeln lassen und vor einer Horde elender Snobs verteidigen muss. Du hättest einfach annullieren können, es wäre nicht mal erforderlich gewesen, dass ich dabei bin. Du
wolltest das alles hier! Du
wolltest, dass ich zu dir komme und bei diesem Scheiß mitspiele! Du hast nicht das geringste Recht, dich über irgendwas zu beschweren! Warum gehen alle auf mich los? Warum sagst du nicht die Wahrheit? Warum klärst du deine Eltern nicht darüber auf, was dein abgefuckter Onkel längst weiß? Warum?«
April betrachtete ihn kalt. »Lass mich raten, weil du dann nicht mehr ihr Bild von dem
gottähnlichen Sohn aufrechterhalten könntest, oder? Das ist der wahre Grund. Du bist ein elender Heuchler, Greg McCarthy! Und ich hab’s satt, für dich den Prügelknaben zu spielen. Such dir eine andere, vielleicht findet die es ja ganz spaßig!« Sie wandte sich ab, maß den SUV mit einem flüchtigen, angewiderten Blick und lief dann einfach los. Immer schön die Straße entlang. Irgendwer würde schon kommen und sie mitnehmen. Das war immer noch besser, als mit diesem Arschloch noch einmal zusammen in dessen Auto zu fahren.
April fühlte, dass dies zu viel gewesen wäre, für ihr derzeit sehr angekratztes Nervenkostüm.