45. Kapitel
April
Viel zu schnell verging der total ungeplante, gigantische Urlaub. April hatte Greg’s Rat befolgt und nicht mehr über den Vertrag nachgedacht, und sie stellte fest, dass es ihr damit wirklich gut ging. Was natürlich auch daran lag, dass Greg sein Verhalten ihr gegenüber extrem verändert hatte. Wenn er sie am Anfang aus seinem Leben strikt ausgeschlossen hatte, so war sie nun ein unverrückbarer Teil davon, mit dem er kalkulierte. Sie wusste nicht, ob dies nur daran lag, dass sie sich gerade Tausende von Meilen von New York entfernt befanden, wagte aber auch nicht, ihn danach zu fragen. Viel zu gut war seine Stimmung und verdammt, sie liebte diesen neuen, ungewohnten Greg in Jeans und freiem Oberkörper, mit der Kette um den muskulösen Hals an dem ein Kruzifix hing, der ungezwungen war und nur im absoluten Ausnahmefall ein Hemd anzog. Wenn sie auf der Halbinsel unterwegs waren, trug er T-Shirt und Jeans, sobald sie auf dem abgeschiedenen Anwesen waren, verschwand das Shirt, und wenn die vielen, vielen so netten Bediensteten am Abend den Heimweg angetreten hatten, verschwand auch der Rest. Sie hätte es nie gedacht, aber Greg liebte es, nackt mit ihr zu baden. April hatte inzwischen auch erfahren, weshalb es einen Swimmingpool gab, denn das Salz des Meeres trocknete mit der Zeit die Haut aus, und als sie eines Morgens Tausende von Quallen in Ufernähe entdeckte, hielt Greg sie zurück. »Heute fällt das Baden im Meer flach. Sie sind nicht nur eklig, sondern auch giftig. Wenn dich so ein Vieh berührt, können wir ins Krankenhaus fahren und du hast Glück, wenn du so etwas ohne bleibende Schäden überstehst.«
Und so verbrachten sie diesen Tag am Pool, schwammen, lagen faul auf den Liegen, unterhielten sich über die jeweiligen Bücher, die sie gerade lasen und … fühlten sich wohl.
Es war so gut, dass April bald alle Zweifel vergaß. Sie wollte nicht länger hinterfragen und argwöhnen, wo die Realität doch so unendlich gut war. Und als Greg eines Abends sagte, dass sie am nächsten Morgen die Heimreise antreten würden, fühlte April einen tiefen Stich des Bedauerns im Herzen. »Ich muss mich um neue Arbeit bemühen«, sagte er ohne den geringsten Spott.
»Ich verstehe«, erwiderte April, obwohl sie überhaupt nichts verstand. Warum das Paradies verlassen, wenn einen zu Hause nur eine schwammige, ungeklärte Realität und jede Menge Probleme erwarteten? Aber sie hatte begriffen, dass es immer gut war, Interesse und Verständnis zu heucheln, wenn man es mit einem Mann zu tun hatte.
Greg lachte und legte sich auf den Rücken, die Hände auf seinem muskulösen Bauch zusammengefaltet und den Blick in den makellos blauen Himmel gerichtet.
»Klar, ich könnte auch daheimbleiben, keine Frage«, sagte er langsam. »Aber das habe ich nicht vor. Schon, weil es ziemlich langweilig werden würde. Hey, ich bin Yale-Absolvent, ich bin ein McCarthy, das muss doch für irgendwas gut sein!«
»Natürlich ist es das«, sagte sie eilig und fing sich dafür einen spöttischen Blick ein.
»Versuch es erst gar nicht, April«, sagte er dann überraschend weich. » Du musst dich nicht ins Zeug legen, um mir zu gefallen. Das steht dir absolut nicht. So wie es ist, ist es gut. Ich finde deine Unwissenheit in vielen Bereichen meines Lebens sogar erfrischend. Weil ich dann den großen Hengst markieren kann.« Letzteres hatte er spöttisch hinzugefügt, wurde aber gleich wieder ernst und richtete den Blick erneut in den Himmel. »Ich weiß, dass du erwartest, ich würde dich bei William rächen. Nicht unbedingt mit vorgehaltener Waffe, dir dürfte klar sein, dass ich so niemals bis zu ihm durchkommen würde. Aber vielleicht, indem ich ihm geschäftlich schade. Am besten ein Parallelimperium aufbaue, gegen ihn kämpfe, sein direkter Konkurrent werde und letztendlich dafür sorge, dass er für diese Widerlichkeit als armer Mann in einer Brooklyner Sozialwohnung jämmerlich an Überfettung stirbt.«
Das war genial ausformuliert, April hatte dem nichts hinzuzufügen, so ungefähr hatte sie sich das tatsächlich gedacht. Nur leider ahnte sie, dass dem ein ›aber‹ folgen würde, und sie lag richtig.
Greg schüttelte den Kopf. »Aber das kannst du vergessen. In der echten Welt ist so etwas nicht möglich. Es gibt niemanden, der die McCarthy’s aufhalten oder ihnen auch nur schaden könnte. Diesen Punkt haben sie vor ungefähr zehn Jahren erreicht, als nahezu alle Regierungen dieser Welt ihre Gesetze so anpassten, dass ihnen Narrenfreiheit erteilt wurde. Sie sind unstürzbar, es gibt nur einen Weg für meine Familie.« Sein Finger zeigte in den Himmel. »Hinauf. Ich könnte mir vorstellen, dass es etliche Menschen gibt, die sich gern an uns rächen würden. Ein Wunschtraum.« Unvermittelt setzte er sich auf und sah sie an. »Und jetzt will ich dir eine grundlegende Lektion in Sachen Leben in meinen Kreisen erteilen, April.« Er lächelte. »Du wirst es einfach hinnehmen und ich werde es einfach hinnehmen. Vielleicht sage ich ihm irgendwann einmal meine Meinung, ach und ja, ich bin aus der Firma ausgestiegen. Aber es war Daddys Firma, nicht die meines Onkels, und hätte ich die Wahl gehabt, dann wäre auch das nicht passiert. Du bist ein Mädchen aus Brooklyn, du besitzt nicht die geringste Macht, auch mit meinem Ring an deinem Finger nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass er so geschmacklos sein würde, und habe mich getäuscht. C’est la vie! Beim nächsten Mal bin ich schlauer und werde besser aufpassen. Es war widerlich, in deiner Welt mit Sicherheit strafbar, aber in meiner hast du es einfach hinzunehmen. Kein Anwalt der Welt würde eine solche Klage annehmen, kein Staatsanwalt sie verfolgen, kein Richter darüber urteilen. Sie gehören alle ihm und seinem Konzern. Das ist die Wahrheit. Er hat nicht dich beleidigt. Du warst nur zur falschen Zeit am falschen Ort – niemand hatte mit deinem Auftauchen gerechnet, ich hatte dich gegen den ausdrücklichen Wunsch meiner Eltern angebracht. Du warst schön, begehrenswert, auf seinem Besitz und damit sein Eigentum. William sieht das wirklich so und er kann es sich leisten, so zu denken. Wer immer dir erzählt hat, es gäbe eine Demokratie in diesem Land, der hat sich entweder geirrt oder glatt gelogen. William McCarthy und seine Hintermänner regieren die USA und die ganze Welt – das ist die Wahrheit. Und alle andere, alle Regierungen, die Judikative, die Behörden, jeder abgefuckte Anwalt tanzen nach seiner Pfeife. Würde er morgen beschließen, wir führen Krieg gegen Europa, dann würden die Truppen keine vierundzwanzig Stunden später in den Kampf ziehen. Es gibt kein Gesetz, das das Repräsentantenhaus passiert, bevor er es nicht abgesegnet hat. Und sollte irgendein idiotischer Senator dennoch der Ansicht sein, William ausbooten zu wollen, genügt eine Nacht im ernsten Gespräch mit dem jeweiligen Präsidenten und man hat eine Möglichkeit gefunden, um unsere Interessen dennoch durchzusetzen.« April wollte etwas einwerfen, doch Greg kam ihr zuvor. »Du kannst es nachlesen. Google ein wenig, schau dir entsprechende kritische Dokumentationen an. Es ist kein Geheimnis, das muss es nicht. Jeder, der es wissen will, kann es dank des Internets und einiger Journalisten, die bekannt genug sind, um sich auf ihre Pressefreiheit berufen zu können, erfahren. William – und zugegeben sein gesamter Konzern – ist einfach zu mächtig.« Greg seufzte. »Der Übergriff auf dich galt einzig und allein mir. Du bist viel zu irrelevant in seinem Denken, als dass er dich damit treffen wollte. Du warst nur Mittel zum Zweck. Ich wollte dir das erst nicht sagen, aber ich glaube, in diesem speziellen Fall hilft es dir eher, als dass es dich verletzt. Hatte ich recht?«
Nein, hatte er nicht, doch April nickte trotzdem, weil es im Grunde nicht von Bedeutung war. Kein Mann konnte nachvollziehen, wie sich eine Frau nach einem solchen Übergriff fühlte. Und es war ganz egal, ob sie nun oberste Adresse dieser Beleidigung war oder nur das Mittel zum Zweck. Es änderte nichts. All diese Informationen, am besten noch mit der erforderlichen Hysterie und dem in ihr gärenden kaum verhohlenen Hass erzählt, hätten Greg aber nicht geholfen oder irgendetwas an seiner Aussage geändert. Außerdem war sie viel zu froh darüber, dass er sich ihr endlich geöffnet hatte und viel zu dankbar für den wundervollen Urlaub, den sie miteinander erlebt hatten, um auf umfassende Aufklärung zu bestehen. Insgeheim war sie William sogar dankbar für dessen Neandertalerbenehmen, denn hätte er sich nicht so komplett danebenbenommen, wären sie jetzt nicht hier gewesen und ihre Beziehung hätte nicht diese erstaunliche Wendung genommen.
Sie lächelte und auch Greg, der sie angespannt beobachtet hatte, grinste nun. »Also, um es kurz zu machen, ich werde mir irgendeine kleine Firma suchen, die vielleicht meine Unterstützung haben will und dann dort arbeiten. Das Geld ist mir egal, die Macht auch, aber ich brauche eine Beschäftigung.«
»Ich auch!« Es war raus, bevor sie es zurückhalten konnte, doch Greg musterte sie noch immer ohne die geringste Ungeduld, wie er sie früher an den Tag gelegt hatte.
»Dann such dir irgendwas, es gibt so viele Möglichkeiten. Du bist Krankenschwester, wie wäre es, wenn du zu den alten Leutchen gehst, und ihnen was vorliest?«
»Das klingt aber ziemlich blöd«, maulte sie. »Und langweilig auch.«
Greg grinste. »Mag sein. Aber stell dir vor, du bist eine alte Grandma, die keine Verwandten hat und sich freut, wenn die junge, hübsche April vorbeischaut, um ihr aus irgendeinem alten Wälzer vorzulesen. Wenn sie Alzheimer hat, meint sie vielleicht irgendwann, du wärst ihre lange verschollene Tochter und sie vermacht dir ihr gesamtes Vermögen.«
»Klingt immer noch öde und moralisch verwerflich. Aber wenigstens der Teil mit der Gesellschaft ist menschlich wertvoll.«
Greg lachte auf. »Perfekt! Und weißt du was?« Sie schüttelte den Kopf, obwohl bereits sein Blick sehr, sehr viel erzählte. Anstatt fortzufahren, nahm er ihre Hand, führte das schmale Gelenk an seine Lippen und küsste es zart. Aprils Lider schlossen sich flatternd, dann spürte sie seine Hand auf ihrem Rücken und den leichten Druck, mit dem er sie an sich zog. Seine Lippen befanden sich an ihrer Schläfe. »Ich finde es gut, dass wir uns so einig sind«, sagte er und führte sie die Treppe hinauf.