50. Kapitel
Greg
Sechs Stunden zuvor …
»Fuck!« Blinzelnd sah er hinab zu seinem nackten Fuß, in dessen Sohle sich gerade etwas sehr Spitzes, nun widerlich Schmerzendes gebohrt hatte. »Fuck«, murmelte Greg erneut, humpelte mehr schlecht als recht in sein Bad und setzte sich auf das Klobecken, um den Schaden zu begutachten. Er war in einen gottverdammten Splitter getreten. Woher der stammte? Greg hatte keine Ahnung. Möglich, dass ein Glas zu Bruch gegangen war, aber wieso räumte das keiner weg, verdammte Scheiße?
Er spürte Übelkeit aufkommen und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, bis sein Hinterkopf an den kühlen Fliesen zum Ruhen kam.
Er war im Arsch! Vollständig.
Greg hatte keine Ahnung, welcher Tag heute war oder wann er zuletzt aus dem Bett gekommen war. Sein Schlafplatz war sein Sofa, so war er näher an der Bar, die – soweit er sich erinnern konnte – irgendwie total leer war. In seiner Verzweiflung hatte er am Ende sogar die zahlreichen Likörsorten vernichtet, daher stammte vielleicht auch der dämonische Kater, der seinem Schädel das Denken so verdammt erschwerte. Magensäure erhob sich in seine Speiseröhre, er schluckte angewidert, presste eine Hand auf seinen Bauch und drückte zu, bis er nicht mehr das Gefühl hatte, sich demnächst übergeben zu müssen.
Langsam kehrte jedoch der Verstand zurück, und der sagte ihm, dass er sich endlich zusammenreißen musste. Gut, sie hatte ihn beschissen, und ja, es war peinlich, aber er hätte ihr das wirklich nie zugetraut. Niemals! Trotz all der Vorsichtsmaßnahmen, die er ergriffen hatte, war er ihr am Ende doch auf den Leim gegangen. Schön! Dunkel konnte er sich daran entsinnen, vor dem Besäufnis noch den versprochenen Scheck per Boten zu ihr geschickt zu haben. Da hatte sie das Appartement noch nicht verlassen gehabt, sondern war mit dem Packen beschäftigt gewesen. Ein Scheck mit einer lächerlich geringen Summe war es gewesen. Und er hatte Hunter angerufen, um diesem mitzuteilen, dass der Vertrag nicht mehr in Kraft sei. Als er nach den Gründen fragte, hatte Greg geknurrt: »Arglistige Täuschung!«, und hatte aufgelegt.
Sollte er daraus machen, was er wollte. Für Greg war die Geschichte erledigt gewesen.
Nur war sie das leider absolut nicht.
In der Gegenwart erhob er sich von der Toilette, ging zurück ins Wohnzimmer und betrachtete stirnrunzelnd das Chaos, das er innerhalb der vergangenen drei Tage angerichtet hatte.
Sein elender Zorn war so groß gewesen, dass er zur Flasche gegriffen hatte, sobald das Türklappen signalisiert hatte, dass sie endlich verschwunden war.
Er hatte ihr sogar ein »Fick dich!« hinterhergebrüllt, was nun gar nicht seinen Angewohnheiten entsprach, und dann hatte er sich die Kante gegeben. Wann immer er nach ein paar Stunden Schlaf aufgewacht war, hatte er den vagen Versuch unternommen, sich endlich zu besinnen und sein Leben fortzuführen … nur um kurz darauf dahinterzukommen, dass er das aber nicht wollte.
In Wahrheit wollte er gar nichts. In der Firma hatte er angerufen und sich bis auf Weiteres in einen unbezahlten Urlaub verabschiedet. Die Jungs waren nicht begeistert gewesen, aber das hatte ihn einen Fuck interessiert. Schließlich konnten sie froh sein, dass er für das Trinkgeld überhaupt für sie tätig war. Und die kleinen, pickligen Nerds, die davon träumten Bill Gates zu werden, wussten das ganz genau.
Greg hatte den Putzservice abbestellt, den Fernseher eingeschaltet und sich daran gemacht, den Barinhalt zu vernichten. Nur dass all die Mühe nichts änderte, er fühlte sich noch genauso beschissen wie zuvor. Unfassbar, dass die Gegenwart eines Menschen, mit dem man nur wenige Wochen verbracht hatte, so verdammt wichtig werden konnte.
Sie fehlte ihm, verdammt!
Doch sein Zorn war nicht gesunken. Im Gegenteil, er war immer stärker geworden. Ganz besonders, wenn er mal wieder ein paar Stunden geschlafen hatte und sie in seinen Träumen bei ihm gewesen war. So unschuldig, wie er sie immer gern gesehen hatte. Unschuldig, aber auch grenzenlos sexy. Selten zuvor hatte er eine Frau getroffen, die sich ihres Körpers so gnadenlos bewusst gewesen war wie April. Sie hatte keine Schwierigkeiten damit, es gab keine Problemzonen, die sie vor ihm verborgen hielt, das war Teil ihrer Sexiness.
Warum hatte er sich so in ihr getäuscht?
Langsam ließ Greg sich auf das Sofa sinken, griff gewohnheitsgemäß nach der ihm nächsten Flasche, stellte kurz darauf fest, dass diese leer war und grunzte. Er hatte genug getrunken, in Wahrheit wurde ihm schon übel, wenn er nur an Alkohol dachte. Aber in anderer Hinsicht war ihm, als hätte er mit dem Trinken noch nicht einmal begonnen. Denn das, was er damit bezweckte, traf leider nicht ein. Sie fehlte ihm noch immer und er sah noch immer alle paar Sekunden zu der Tür, die in den Flur zu ihrem Appartement führte. In der Hoffnung, sie würde sie einfach aufreißen und da sein.
Einfach nur da.
Ohne all die Dinge, die sie hinter seinem Rücken geplant und eiskalt durchgezogen hatte. Greg war in seinen Grundfesten erschüttert, denn er hatte ihr wirklich vertraut. Dem ersten Menschen überhaupt, abgesehen von Agnes. Er hätte sich für sie auch den Arm abhacken lassen. Dass es sich so verhielt, war ihm auch erst klar geworden, als er sie längst aus seinem Leben verbannt hatte. Fuck, er hatte noch viel mehr begriffen. Beispielsweise, dass dieser abgefuckte Deal mittlerweile auf sehr, sehr wackligen Füßen gestanden hatte.
Trocken lachte er auf.
Da hatte er ihr unterstellt, sie würde Probleme machen, wenn die zwölf Monate vorbei wären, und jetzt stellte sich heraus, dass er höchstwahrscheinlich das größte Problem gewesen wäre.
Und sie hatte alles zerstört.
Verdammt noch mal!
* * *
»Ja. Scotch!«, knurrte Greg und legte auf.
Was war an seiner Bestellung so schwer verständlich ?
Ben schien ihn richtig verstanden zu haben, denn nur eine halbe Stunde später gab er ihm Bescheid, dass er die Lieferung gerade heraufschickte.
Greg fingerte einen Fünfer aus seiner Hosentasche, gab den Schein dem Jungen aus dem Supermarkt als Trinkgeld, nachdem dieser ihm die dezent verpackte Pappschachtel überreicht hatte, und schloss die Tür, ehe der Kleine mit den vielen Pickeln noch etwas sagen konnte.
Inzwischen war es nach acht Uhr abends und er hatte sich noch immer nicht aufraffen können, sein Leben ohne April wiederaufzunehmen. Stattdessen hatte er Durst verspürt, aber keine Energie, sich das erforderliche Zeug, um ihn zu stillen, selbst zu beschaffen. Daher die Bestellung im Supermarkt. Es hatte definitiv seine Vorteile, steinreich zu sein.
Eine Stunde später saß er mit der Flasche in der Hand auf der Terrasse. Nicht auf der vorhandenen breiten Couch, sondern auf dem Fliesenboden, die nackten Füße aufgestützt, an die Hauswand gelehnt und in den Himmel schauend.
Er hatte dagegen angekämpft. Sehr hart und engagiert, doch endlich waren sie doch eingetroffen, die Zweifel an seinem Urteil, und er war ihnen hilflos ausgeliefert. April konnte sich auf die Schulter klopfen, denn das hatte bisher auch noch keine Frau geschafft. Definitiv hatte sie alle von ihr verfolgten Ziele erreicht. Berechnendes Miststück!
Was, wenn sie wirklich einfach schwanger geworden war? Was, wenn ihnen das geschehen war, was zigtausend Paaren jährlich auf der Welt geschah? Was, wenn das Schicksal ein weiteres Mal zugeschlagen hatte, und sie genauso in die Falle getappt war, wie er auch?
Oh, ihm war nicht entgangen, wie aufopferungsvoll sie sich in diese Beziehung geworfen hatte. Dafür, dass es sich um April handelte, war sie sogar bemerkenswert nachgiebig und kompromissbereit gewesen. Doch hatte er es nicht genossen? Und war es ihr nicht gelungen, Greg zu zeigen, wie wohl er sich in ihrer Gegenwart fühlte? Und hatte er nicht immer wieder den Beweis in ihren Augen gefunden, dass sie es gern tat? Sicher mit Hintergedanken, die aber nicht materieller, sondern nur emotionaler Natur gewesen waren?
In schwachen Minuten, wenn es besonders einträchtig und schön gewesen war, hatte er sich dabei ertappt, genau danach in ihrem Gesicht zu suchen. Und er war immer fündig geworden. Kein einziges Mal hatte er sie dabei überrascht, indem sie eben nicht reine Gefühle zeigte, sondern kalte Berechnung und einen kalkulierten Zweck hinter ihrem Handeln.
Und sie war nicht allein gewesen, verdammt, das war sie nicht! Er hatte sich genauso mit hineinziehen lassen, hatte jede Minute genossen, hatte sich vorgemacht, dass ihre Zeit unbegrenzt sei, weil es sich doch so richtig angefühlt hatte. Es wäre eine Lüge gewesen, hätte er behauptet, jemals an die Trennung gedacht zu haben. Im Gegenteil: Je länger sie zusammen gewesen waren, desto energischer hatte er dies beiseitegeschoben. Und hatte er sich nicht immer öfter bei Gedanken ertappt wie: Wir könnten nächstes Jahr zur Abwechslung nach Australien reisen. Oder: Vielleicht sollten wir uns ein Haus kaufen. Wenn Lukas noch einmal auf Aprils Brüste starrt, werde ich handgreiflich. Soll er seine eigene Frau anglotzen und nicht meine!
Er war doch längst drin gewesen. Viel tiefer, als er sich jemals hätte vorstellen können.
»Yeah«, brummte er und nahm einen Schluck von seinem Scotch.
Dann legte er den Kopf zurück und starrte wieder hinauf in den Himmel, während er versuchte, sich vorzustellen, wie es wäre, mit April ein Kind zu haben.
Er hätte gedacht, es würde ihm schwerfallen, Greg hätte sogar geschworen, dass es ihn abstoßen würde, doch nichts von alledem war der Fall. In Wahrheit brauchte er keine fünf Sekunden, um eine April mit dickem Babybauch zu visualisieren. Das Gesicht weicher und von diesem unterschwelligen Glück erstrahlt, das nur werdenden Müttern vergönnt war. Er sah sich und sie im Krankenhaus, während er ihre Hand hielt und ihr Haar vom Schweiß ganz nass und das Gesicht vor Anstrengung ganz rot war. Er sah ein winziges Baby mit großen dunklen Augen. Verdammt, er sah sogar das Geschlecht. Ein Mädchen – sein Dad hätte sich erschossen, aber Greg McCarthy sah eine Tochter, wenn er an ein mögliches Kind dachte, keinen Stammhalter.
Benommen blinzelte er und nahm einen Schluck von seinem Scotch.
Es war für ihn also durchaus denkbar. Eine Frau, eine Familie, die ganze Kiste, der er irgendwann vor Urzeiten abgeschworen hatte. Nicht innerhalb eines Trinkgelages mit den Jungs, sondern ganz allein für sich, bereits damals davon überzeugt, dass es ihm nichts geben können würde. Er hatte sich extra irgendeine für ihn absolut nichtssagende Frau gesucht, um ja keine Bindung zu ihr aufzubauen und sich immer fernab halten zu können. Hoffend, auch Keira würde die Distanz beibehalten, selbst wenn er ihr ein paar Kinder gemacht hatte. Ganz ehrlich, ihm wäre es egal gewesen, wenn sie sich nebenbei einen Geliebten angelacht hätte. Er hatte Keira Evens nie etwas Böses gewünscht, Greg hatte nur niemals ein gemeinsames Leben mit ihr führen wollen. Mit keiner Frau, auch nicht mit April, zumindest anfänglich nicht. Dabei hatten sie längst miteinander gelebt, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Nur dass er sogar Kinder in Kauf nehmen würde – nicht dass er sie wollte, soweit wäre Greg nicht gegangen, doch er würde sie unter Umständen akzeptieren können –, das war neu und auf diese Art ganz bestimmt nicht vorgesehen gewesen. Bis zu diesem Tag hatte er geglaubt, es sei Gesetz, dass er sich niemals an einen Menschen band, nur um soeben in seinem Scotch-Rausch sein gesamtes Lebensgerüst in sich zusammenfallen zu sehen.
Sie hatte ihn eingefangen. Diese kleine, ungebildete, großmäulige, nicht unbedingt schöne April mit dem einfachen Gemüt, hatte ihn zu Fall gebracht!
Sie und ein Baby, das nicht mal geboren war.
»Fuck«, murmelte Greg bedächtig und genehmigte sich den nächsten Schluck von seiner Flasche, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden. Inzwischen war es dunkel geworden. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber anhand des Mondes schätzte er es auf um zehn, um elf Uhr abends. So in etwa. Seine Überlegungen – okay, und der Scotch – hatten ihn über Stunden auf dieser Terrasse gehalten.
Greg seufzte und schloss die Augen.
Das alles klang sehr, sehr nett. Er war betrunken genug, um sich sogar das Ziehen in seiner Brust einzugestehen, das eindeutig seiner Sehnsucht nach April und dem Bedauern darüber geschuldet war, was er zu ihr gesagt hatte. Nur konnte er nicht wissen, ob das, was er sich da in seinem vom Alkohol benebelten Hirn wünschte, tatsächlich der Wahrheit entsprach. Er war ein McCarthy, weshalb sein im nüchternen Zustand getroffenes Resümee, sie hätte versucht, ihn auszunehmen, sehr viel wahrscheinlicher der Realität entsprach. So betrunken, um dies nicht zu sehen, war er nicht. Vermutlich würde er das nie sein.
Was sollte er tun?
Greg wusste, dass er – wenn er es so wollte – nie wieder von ihr hören würde. Egal, auf welche idiotischen Ideen sie kommen würde, sie würde niemals eine Chance haben. Sobald Hunter der Ansicht sein würde, die Dinge wären für seine Fähigkeiten zu knifflig geworden – sprich: Greg drohte eine Niederlage, am besten noch vor Gericht – würde er den Fall an Williams Kanzlei weitergeben und die schlossen keinen Auftrag mit einem Misserfolg. Faktisch wäre es möglich, dass irgendwann ein Kind von ihm auf dieser Welt existierte, ohne dass er jemals von ihm erfahren würde.
Wenn sie wirklich versucht hatte, ihn zu betrügen, dann hatte sie es nicht besser verdient und er würde gesenkten Kopfes die Standpauke seines Onkels hinnehmen. Wenn er sich aber nicht in April getäuscht hatte, wenn sie wirklich so arglos war, wie sie gesagt hatte, dann hätte er sich damit womöglich die einzige Chance auf ein Leben mit einer Frau verbaut, die er liebte.
Greg blinzelte, nahm bedächtig einen Schluck von seinem Scotch und nickte auch diesen, so brisanten Gedanken ab, ohne sich länger damit zu beschäftigen.
Nach dessen Übergriff auf April verachtete er William, das würde sich auch nie wieder ändern. Ein Teil von ihm amüsierte sich bei der Vorstellung, ein Kind mit einer Frau gezeugt zu haben, die niemals auf Zustimmung im Clan treffen würde.
Wie sollte er herausfinden, was richtig und was falsch war?
* * *
Greg brauchte noch drei weitere Schlucke und ungefähr eine Stunde, bis er auf die Antwort gekommen war.
Er musste sie fragen!
Er musste April eiskalt erwischen und sie mit seinen Zweifeln konfrontieren, bevor sie in der Lage sein würde, sich eine Strategie zurechtzulegen. Nur dann konnte er davon ausgehen, dass ihre Antwort aufrichtig war.
Und wann tat man so etwas am besten?
Greg riss die Augen auf und stellte die Flasche beiseite.
»Jetzt!«