62. Kapitel
Greg
Sobald er ihre Stimme hörte, wusste er, dass nichts in Ordnung war. Das schürte seine Wut, die er bereits verflogen geglaubt hatte. Schließlich war es fünf Uhr morgens und er hatte keine einzige Minute geschlafen. Alles nur, weil er – trotz all der logischen Argumente – eben doch von seinem schlechten Gewissen gekillt wurde.
»Ja, ich weiß, dass ich mich nicht gemeldet habe«, knurrte er viel ruppiger, als angemessen oder geplant in den Apparat. Das war ziemlich dämlich, in Anbetracht der Tatsache, dass er doch eigentlich um gut Wetter betteln wollte. »Aber das ist nun mal mein Job, das wusstest du vorher!« Wusste sie zwar nicht, aber das stand jetzt nicht zur Debatte. Er hatte das kindische Theater satt, außerdem war er todmüde.
Für einen langen Moment herrschte am anderen Ende Stille, was seine Stimmung auch nicht gerade hob. Als er jedoch endgültig die Beherrschung zu verlieren drohte, meldete sie sich doch noch mal – und zu Greg’s maßloser Verblüffung klang sie keineswegs wütend.
»Das hatte ich mir schon gedacht, was regst du dich so auf? Es war doch nur ein verpasster Anruf, Herrgott, kein Weltuntergang!«
Jäh riss Greg die Augen auf. »Du kannst mich schlagen, aber ich betrachte unsere täglichen Telefonate nicht als Zeitverschwendung.« Als ihr entnervtes Stöhnen am anderen Ende der Leitung ertönte, schlich sich ein vorsichtiges Lächeln auf seine Lippen.
»Ich auch nicht, Mr. McCarthy, Sir, Eure durchlauchtigste Eminenz. Ich dachte nur, dass einem schon mal was dazwischenkommen kann, eben weil ich weiß, dass du zu tun hast. Aber wenn dir wohler ist, dass ich sauer bin, warte …«
Für einen nächsten Moment herrschte Stille, er hörte sie tief Luft holen und dann ihr mörderisches, aber nicht ganz echtes Gebrüll. »ICH HASSE DICH! DU! HAST MICH NICHT ANGERUFEN! DIE GANZE NACHT KONNTE ICH KEIN AUGE ZUTUN, WEIL ICH DACHTE, DU WÜRDEST IN IRGENDEINEM VORSINTFLUTLICHEN KRANKENHAUS LIEGEN, WO SIE DIR GERADE ALLE ORGANE ENTNEHMEN, UND MEISTBIETEND VERSTEIGERN! JEDER WEISS, DASS DA DRÜBEN NOCH DIE NEANDERTALER HAUSEN, UND NOCH SCHLIMMER: DU HÄTTEST AUCH MIT IRGENDEINER DRECKIGEN SCHLAMPE IM BETT LIEGEN KÖNNEN! WIE KANNST DU ES WAGEN, MICH SO ABGEFUCKT ZU BEHANDELN! ICH WILL DIE SCHEIDUNG, UND ZWAR SOFORT UND GLAUB MIR, DAS WIRD NICHT BILLIG!«
Inzwischen strahlte Greg.
Als nichts weiter kam, hüstelte er, mittlerweile hatte er einen Arm unter den Kopf gelegt, und lag so entspannt im Bett, wie seit Ewigkeiten nicht mehr. »Ach, die Scheidung willst du also, ja? Wie hattest du dir das denn gedacht? Du bekommst fünf Millionen Abfindung und kannst mit June auf Nimmerwiedersehen abhauen?«
»Sechs«, wurde ihm prompt vom anderen Ende mitgeteilt. Wobei es sich verdammt nach › Sex‹ anhörte, was ihm wohlige Schauder über den Körper jagte und dafür sorgte, dass er innerhalb weniger Sekunden steinhart und verdammt geil war. »Baby, sechs waren vereinbart, du hältst mich immer noch für blöd, oder?«
»Das würde ich nicht unbedingt sagen«, murmelte Greg, dessen Hand sich unter seine Shorts gestohlen hatte. »Nur zu deiner Information: Die Scheidung kannst du vergessen, ich werde nicht einwilligen.«
»Hahaha«, sagte sie spöttisch. »Du kannst mir gar nichts, ich hab einen verdammt guten Anwalt, der dir nicht nur die Schuhe, sondern auch die Socken ausziehen wird, warte es nur ab!«
Er rieb langsam an seiner gesamten Länge auf und ab, seine Zähne hatten sich in der Unterlippe vergraben, während er sie sich vorstellte: Die Augen funkelnd, die süße kleine Nase leicht gerümpft, das dunkle Haar zerzaust, als wäre sie gerade aus dem Bett gekommen. Und diese Lippen, diese vollen, tiefroten Lippen, die in ihm, wann immer er sie sah, sofort den Wunsch erzeugten, sie genau dort zu spüren, wo er gerade seine ungelenken Finger hatte. Das Stöhnen brach durch seine eigenen Lippen, bevor er es zurückhalten konnte. Eilig zwang er die Zähne auseinander.
»Lass mich raten, den Rechtsverdreher hast du von Helen?«
»Hey, du machst dich!«, freute sie sich.
Greg’s lautstarkes Gelächter entkrampfte die Situation und geleitete ihn von dem eben noch unabwendbar geglaubten Orgasmus wieder ein beachtliches Stück weg – genauso unterstützend wirkt der Gedanke an Aprils beste Freundin. »Der Typ sitzt in einer dreckigen Absteige in der Bronx, meinst du wirklich, der kann es mit Hunter und Konsorten aufnehmen?«
»Weißt du, dein größtes Problem war schon immer, dass du deine Gegner unterschätzt!«, wurde er kühl informiert. »Wenn du clever bist, legst du diesen Zug endlich ab, bevor ich dich um Haus, Familiensilber und goldene Kreditkarte gebracht habe.«
Als Greg nach einer Weile wieder anhob, klang er denkbar leiser. »Was macht die Kleine?«
»Sie schläft – endlich.« Auch April hatte längst von scheinbar entrüsteter, scheidungswilliger Gattin auf seine April umgeschaltet.
»Tut mir leid, dass du so mit ihr zu tun hast.«
»Mir nicht«, erwiderte sie, und als er hörte, dass sie lächelte, verzogen sich auch seine Lippen nach oben. »Du fehlst mir«, wisperte sie.
Greg seufzte. »Ehrlich, kann ich gar nicht glauben … Du mir auch. Und wie. Ich hätte dich zu gern genau jetzt in meinem Bett. Ich …« ›… konnte die ganze Nacht nicht schlafen ‹, hatte er anfügen wollen, aber das wäre zu viel Beichte als für ihn verträglich gewesen. »… hätte dich jetzt so unglaublich gern unter mir.«
»Ich dich auch … unter mir
»Machen wir beides.«
»Nenn mir Zeit und Ort und ich werde da sein!«, parierte sie herausfordernd, was ihn zum nächsten Lachen brachte. Doch es war nicht sehr langlebig. »In zwei Wochen soll es nach Den Haag gehen«, informierte er sie leise. »Wieder nichts mit Urlaub, aber ich werde zusehen, mich für dieses Wochenende freizumachen.«
»Ja«, wisperte sie. »Bitte, das wäre so schön.«
Greg runzelte die Stirn, denn normalerweise hätte sie jetzt eine Schimpftirade gegen William losgetreten, die erst dann gestoppt hätte, wenn April die Luft ausgegangen wäre … Nur damit er ihr dann sehr leise, sehr vernünftig und keinen Widerspruch duldend erklärt hätte, dass so nun einmal der Deal war. Und an geschlossene Deals musste man sich halten, wer wusste das besser als sie beide? Greg war sogar noch mehr bekannt: Schloss man mit William McCarthy einen Deal, dann war man clever, sich unter Garantie daran zu halten. Ansonsten war man nämlich – wenn auch nur im übertragenen Sinne – im Arsch.
»Baby?«, sagte er etwas zu verhalten, weshalb er sich rasch über die trockenen Lippen fuhr, sich räusperte, und in annehmbarem Ton fortfuhr. »Was ist los? Kein Wutausbruch heute?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Vielleicht fange ich an, es zu akzeptieren.«
»Schade, ich mochte deine Eskalationen, die reichten für uns beide.«
»Ja, wahrscheinlich hab ich deshalb damit aufgehört, weil du dich ja niemals mit aufregst.«
Leise lachte er. »Tobsüchtiges Herumbrüllen ist nicht mein Stil, sondern deiner.« Darauf erwiderte sie nichts und er seufzte. »Ich seh zu, was ich machen kann, und ich schwöre, heute Abend vergesse ich dich nicht.«
»Das will ich dir auch geraten haben, Mister. Sonst …«
Greg hob eine Augenbraue. »Sonst?«
»Sonst wird meine Rache in ihrer schauerlichen Urgewalt über dich hereinbrechen.«
»Ach, und was hast du vor?«
»Das werde ich dir wohl kaum auf die Nase binden, sonst würde ja jeder Überraschungseffekt ausbleiben.«
»Womit du nicht ganz unrecht hast.« Stöhnend setzte er sich auf, zog etwas entnervt seine Hand aus der Hose – nein, das war wirklich auf Dauer keine Lösung – und stand schließlich auf. »Es tut mir leid, aber ich muss jetzt duschen.«
»Nimm mich mit!«, rief sie, doch dann seufzte April zur Abwechslung mal. »Schön wär’s.«
»Und wie.« Greg befand sich bereits auf dem Weg in das Bad. »Ich liebe dich«, sagte er ganz ohne Angst um seine Männlichkeit.
»Ich dich auch.«
Damit legten beide zeitgleich auf.